Historischer Fahrradtourismus in der Fränkischen Schweiz

Von Andreas Dix, Nils Loth, Philipp Scheitenberger – 09/2019

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde das Fahrrad immer mehr zu einem Massentransportmittel. Es ermöglichte breiten Schichten der Bevölkerung nun erstmals eine größere Mobilität über ihren Heimatort hinaus. Ab den 1880er-Jahren wurden viele Radfahrvereine gegründet, die der Interessenvertretung der Radfahrer, dem verbilligten Bezug von Fahrrädern, dem gemeinsamen Sport aber auch der allgemeinen Geselligkeit dienten.

Wie in anderen Sportarten zu dieser Zeit, waren diese Vereine politisch und sozial sehr ausdifferenziert. So entstanden im Deutschen Reich etliche überregionale Radfahrverbände, wie die Allgemeine Radfahr-Union (1885 in Nürnberg gegründet) oder der Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität“ (1895 in Offenbach gegründet). Als dezidiert christliche, bürgerliche und vaterländisch orientierte Gegengründung hat sich der Deutsche Rad- und Motorfahrerverband „Concordia“ verstanden, der 1909 in Bamberg gegründet wurde. Der Verband wuchs rasch und hatte in der Weimarer Republik bereits 25.000 Mitglieder in 635 Ortsgruppen (Ebert 2010, S. 357). Diese fanden sich auch in großer Zahl in Franken. Früher noch als in Bamberg entstand eine größere Zahl von Fahrradvereinen um die Fränkische Schweiz herum und zwar fast ausschließlich in den Mittelstädten und in Nürnberg, so z.B. der Velociped-Club Nürnberg (1881), der Velociped-Club Bayreuth (1882), der Radfahrverein Union Nürnberg e.V. (1886). Etwa zeitgleich mit Concordia Bamberg kamen der Radsportverein Solidarität Fürth-Vach e.V. (1908), die Rad- und Motorsportvereinigung Concordia Hallstadt e.V. (1910) und die RMW Concordia Hirschaid e.V. (1910) hinzu. Schließlich wurde 1920 noch der Radverein Concordia Strullendorf gegründet, der bis heute besteht und große Erfolge im Radsport gefeiert hat. Ausfahrten in die nähere Umgebung aber auch Wander- und Korsofahrten über weite Distanzen spielten immer eine große Rolle (Concordia Strullendorf 1995, Stellner 2000, 2017).

Abb. 1: Werbeanzeige aus Concordia 7 / 1912 (01. Juli 1912)
Abb. 1: Werbeanzeige aus Concordia 7 / 1912 (01. Juli 1912) (Standortnachweis: Verbandsblatt Concordia, Bayerische Staatsbibliothek München, 2 Gymn. 900 a)
Abb. 2: Werbeanzeige aus Concordia 7 / 1912 (01. Juli 1912)
Abb. 2: Werbeanzeige aus Concordia 7 / 1912 (01. Juli 1912) (Standortnachweis: Verbandsblatt Concordia, Bayerische Staatsbibliothek München, 2 Gymn. 900 a)

Concordia, das gleichnamige, ab 1910 herausgegebene Verbandsblatt, erreichte rasch eine Auflage von 20.000 Exemplaren. Hier finden sich eine Vielzahl von Hinweisen und Ratschlägen rund um das Fahrradfahren, oft aber auch scharfe Kommentare zu den Aktivitäten des Arbeiter-Radfahrerbundes. Eine wichtige Vereinsaktivität waren Ausfahrten, oft in entsprechender Kleidung und mit geschmückten Fahrrädern. Die Fränkische Schweiz bildete hierbei ein attraktives Ziel, da in den zeitgenössischen Empfehlungen immer wieder darauf hingewiesen wird, dass nicht die Zahl der Kilometer, sondern vor allem das Erleben der Landschaft im Vordergrund stehen sollte. Für die Planung gab es recht schnell sehr gute Hilfen. Hierzu gehörten bereits Ende des 19. Jahrhunderts flächendeckende Radfahrkarten, wie die Deutsche Straßenprofilkarte von Mittelbach (1890–1897) oder Liebenow-Ravensteins Special-Radfahrerkarte von Mittel-Europa (1899–1908) (Lierz 1999, S. 33). Wanderführer bekamen bald Anhänge und neue Kapitel, die Radrouten speziell auch durch die Fränkische Schweiz vorschlugen. Beispiele hierfür sind die Führer durch die Fränkische Schweiz von Karl Brückner (1907) und Ludwig Göhring (1911). Ein typischer Routenvorschlag findet sich bei Göhring, der die Strecke von Bamberg in die Fränkische Schweiz über Heiligenstadt zur Behringersmühle vorschlägt. Diese insgesamt 46,5 km lange Strecke wird in ihren Etappen genau aufgelistet, zusammen mit den jeweiligen Höhenmetern und einer kurzen Einschätzung der Wege- und Straßenverhältnisse (Dstr. G = Distriktsstraße, gut). Es folgt jeweils eine kurze Charakterisierung der einzelnen Etappen.

Abb. 3: Beschreibung einer Radstrecke durch die Fränkische Schweiz von Bamberg nach Behriungersmühle
Abb. 3: Beschreibung einer Radstrecke durch die Fränkische Schweiz von Bamberg nach Behriungersmühle (Quelle: BRÜCKNER 1922, S. 195 / 196)

Da die Staats- und Distriktstraßen durch die Fränkische Schweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht geteert waren, folgten die meisten Radtouren den Tälern. Dass die Gebiete abseits der Täler für den Radfahrer häufig sehr beschwerlich waren, belegen die Hinweise, die man in den Führern liest, so etwa für die Strecke von Bayreuth nach Pottenstein über die Hohenmirsberger Platte: “Diese Route, die vor Hohenmirsberg an der Hohen Platte (614 m) vorüberführt, mutet in dem stark hügeligen Gelände dem Radler ziemlich viel zu, besonders im Anstieg. Bei der Absenkung ins Püttlachtal bei Pottenstein Vorsicht! Der Weg geht vielfach – von Spänfleck an bis Hohenmirsberg fast ständig – durch schönen Wald.” (GÖHRING 1911, S. 149)

Für den 1,4 km langen Anstieg von Behringersmühle nach Gößweinstein auf die Hochfläche wird sogar der Schwierigkeitsgrad “unfahrbar” verwendet (BRÜCKNER 1922, S. 194).

Abb. 4: Werbeanzeige aus Concordia 2 / 1914 (01. Februar 1914)
Abb. 4: Werbeanzeige aus Concordia 2 / 1914 (01. Februar 1914) (Standortnachweis: Verbandsblatt Concordia, Bayerische Staatsbibliothek München, 2 Gymn. 900 a)

Landschaftserleben und Landschaftsgenuss sollten bei diesen Touren im Vordergrund stehen. So heißt es über den Streckenabschnitt bei Teuchatz: „Die Route führt über die Höhe bei Teuchatz. Ein längeres Verweilen am Rand des Jura-Absturzes ist empfehlenswert wegen der umfassenden Rundsicht an diesem hoch und frei gelegenen Punkt.“ (Göhring 1911, S. 146). Ergänzend kommen Hinweise hinzu, wo man Alternativ- oder Verbindungsrouten zu anderen Streckenvorschlägen nehmen konnte. Auf diese Weise entstand ein ganzes Netz von Radfahrvorschlägen, die die gesamte Fränkische Schweiz erschlossen.

Wie zentral Radfahren und Landschaftserleben zusammenhingen macht noch einmal eine entsprechende Darstellung der Fränkischen Schweiz in der Rubrik „Fahrten durch deutsche Gaue” in der Ausgabe Nr. 2 / 1911 des Verbandsblatt Concordia deutlich. Es wird eine Fahrt beschrieben, immer wieder unterbrochen durch Betrachtungen der Fränkischen Schweiz und enthusiastische Naturschilderungen: „Von hoher Warte überwältigen unbeschreiblich liebliche Fernblicke, staunend gleitet das Auge über hundert und aberhundert Kuppen, waldige Häupter, Dolomitzinnen und fahle Bergkanten dahin und überall blitzen dazwischen flinke Gewässer, freundliche Häuser und leuchtende Dächer. Und wer am späten Abend auf dem einsamen, ungeheuerlichen Felsensargdeckel der Neuburg bei Wohnsgehaig – Wodansgehege – die letzten Strahlen der untergehenden Sonne erwartete, die golden hinter drohender, tiefdunkler Wolkenwand hervorbrechend all die Gipfel mit Purpurschimmer übergießt, während tief drunten im Tal die schwarzen Schatten aus den Wäldern kriechen, der vermag vielleicht ein Ahnen zu empfinden von den heiligen Schauern, mit denen unsere Altvorderen den Opferberg ihrer Gottheit betreten haben. Das alles sind Reize der Fränkischen Schweiz.”

Blättert man die einzelnen Ausgaben der Concordia durch und schaut auch nach den anderen redaktionellen Beiträgen, so wird deutlich, dass dieses Landschaftserleben nicht einfach nur dem individuellen Genuss dienen sollte, vielmehr war es eine Einübung in eine bestimmte Haltung, gewissermaßen eine patriotische und christliche Pflicht, durch das Radfahren in den deutschen Landschaften, ihre Einzigartigkeit und Besonderheit zu erkennen und zu schätzen. Die Fränkische Schweiz figuriert dabei in ihrer Vielfalt und Geschichtlichkeit als ein Prototyp einer deutschen Landschaft.


Empfohlene Zitierweise

Andreas Dix, Nils Loth, Philipp Scheitenberger: “Historischer Fahrradtourismus in der Fränkischen Schweiz” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/81_b_129-historischer-fahrradtourismus/, Stand 19.09.2019

Quellen und weiterführende Literatur

  • BRÜCKNER, Karl (1907): Führer durch die Fränkische und Hersbrucker Schweiz mit den Anhängen Rad-Touren und Geologie der Fränkischen Schweiz. 2. Auflage. – Wunsiedel.
  • BRÜCKNER, Karl (1922): Die Fränkische Schweiz und ihre Vorlande. Anhänge: Hersbrucker Schweiz, Radstrecken. 5. Aufl. - Wunsiedel.
  • Concordia. Organ des Deutschen Rad- und Motorfahrerverbandes „Concordia“. Bamberg, 1910–1933.
  • EBERT, Anne-Katrin (2010): Radelnde Nationen. Die Geschichte des Fahrrads in Deutschland und den Niederlanden bis 1940. – Frankfurt/New York.
  • GÖHRING, Ludwig (1911): Führer durch die Fränkische Schweiz und ihre Vorberge: Hetzlas, Gräfenberger Gegend, Lange Meile, Ziegenfelder Tal usw. Anhang: Radtouren. 7. vermehrte Auflage. – Erlangen.
  • LIERZ, Wolfgang (1990): Von der Velokarte zur Autokarte, in: Cartographica Helvetica, 1990, H. 1, S. 32–36.
  • STELLNER, Norbert (2000): Radfahrervereine in der bayerischen Provinz. Raum Mühldorf/Altötting 1882–1994. – Regensburg.
  • STELLNER, Norbert (2017): „Bei Tagesgrau’n fahr ich dahin mit Freude, Lieb und Lust…“ Zur Kultur des Tourenfahrens in Bayern im 19. Jahrhundert, in: Schönere Heimat, 2017, H. 3, S. 211–222.
  • 75 Jahre Rad- und Motorsportverein Concordia Strullendorf 1920 e.V. Die Chronik eines Landvereins (1995), hrsg. v. RMV Rad- und Motorsportverein „Concordia“ Strullendorf 1920 e.V. – Strullendorf.

Bildnachweise

  • Titelbild: Kopfband der Concordia-Ausgabe von 1910 (Standortnachweis: Verbandsblatt Concordia, Bayerische Staatsbibliothek München, 2 Gymn. 900 a)
  • Vorschaubild: Kopfband der Concordia-Ausgabe von 1913 (Standortnachweis: Verbandsblatt Concordia, Bayerische Staatsbibliothek München, 2 Gymn. 900 a)