„Das größte zusammenhängende Süßkirschenanbaugebiet Mitteleuropas“: Kirschkulturen, Kirschblüte und Kirschenfest um Pretzfeld

Von Martin Feulner und Herbert Popp – 09/2019

Um den Ort Pretzfeld liegt das „größte zusammenhängende Süßkirschenanbaugebiet Mitteleuropas“ , manche behaupten sogar der ganzen Welt. Wenn man in der Osterzeit das Albvorland am Fuße des Walberla durchfährt oder durchwandert, befindet man sich in einem Blütenmeer von Kirschbäumen. Dieses Blühereignis zieht die Naherholer der Umgebung an.

Abb. 1: Streuobstwiesenfeld zur Zeit der Kirschblüte bei Pretzfeld
Abb. 1: Streuobstwiesenfeld zur Zeit der Kirschblüte bei Pretzfeld (Foto: Herbert Popp)

Die Kirsche, wie man sie heute vorfindet, ist interessanterweise botanisch gar nicht von unseren heimischen, wesentlich kleinfrüchtigeren Vogelkirschen (Prunus avium) unterschieden. Der Grund für die heutige Größe der Frucht liegt daran, dass wohl die Römer großfruchtige Varietäten aus Vorderasien nach Mitteleuropa gebracht hatten, nachdem sie diese zuvor bereits von den Griechen übernommen hatten (JANSCHECK & WAUER 2010). Auf eine alte Tradition des Obstbaus im Forchheimer Land weisen bereits die Ortsnamen der Region hin, die meist schon im 12. und 13. Jahrhundert erwähnt werden: Effeltrich, Affaltertal und Affalterbach nehmen Bezug auf Äpfel, der Ortsname Kersbach ist ein Hinweis auf Kirschenanbau. Das Kloster Weißenohe spielte eine Schlüsselrolle in der frühen Kirschbaumzüchtung, die seit dem 11. Jahrhundert belegt ist. Sie nahm aber noch jahrhundertelang lediglich eine untergeordnete Rolle ein. Aber wie konnte die Fränkische Schweiz um das Walberla schließlich zu einem der größten Anbaugebiete für Süßkirschen werden?

Ein gewichtiger Grund ist naturräumlicher Art. Der Lehmanteil der hier vorkommenden Liasböden sichert eine hohe Wasserspeicherkapazität und auch ihr basischer Gehalt kommt der Kirsche besonders entgegen. Denn die Kirsche ist von Haus aus eigentlich eine Art, die feuchte Standorte und Böden liebt. Sie kommt bevorzugt an wasserzügigen Hängen oder selbst in Auwäldern vor. Hanglagen erweisen sich zusätzlich wegen der Möglichkeit des Abfließens von Kaltluft bei Strahlungsfrösten als begünstigt.

Es kommt aber noch ein klimatischer Gunstfaktor hinzu, denn bei gleichen Bodenverhältnissen am Ostrand der Fränkischen Alb (Hummelgau) finden wir dort keine Kirschkulturen. Das westliche Albvorland war im Mittelalter noch eine Weinbauregion, was bereits ein Hinweis auf die klimatische Gunst ist. Seit der sog. „kleinen Eiszeit“ im Spätmittelalter nahmen die Temperaturen leicht ab. Diese Klimaverschlechterung war nunmehr für den Anbau qualitativ guten Weins nicht mehr so förderlich, dagegen liebt das Steinobst durchaus moderate winterliche Fröste. Wegen der klimatischen Veränderungen, stärker aber noch eines Wandels der Verbrauchergewohnheiten (Bier wird anstelle des Weins zum Volksgetränk), bildeten sich Obstbaumkulturen, und zwar vor allem Kirschbaumanlagen als sog. Nachfolgekulturen aus (HOFMANN 2014, S. 139): anstelle des Weinbaus wird der Obstbau die Leitkultur des Anbaus mit den Eigenschaften „hohe Arbeitsintensität, hoher Flächenertrag und ein gewisser spekulativer Charakter“ (DIMPFL 1971, S. 27).

Dass die klimatischen Rahmenbedingungen allerdings nicht zu eng gesehen werden dürfen, zeigt auch der Kirschbau auf der Albhochfläche, an das Albvorland anschließend, (z. B. bei Wohlmuthshüll oder bei Moritz). Die hier gegebene scheinbare klimatische Benachteiligung – blühen doch die Kirschen erst 10–14 Tage später – wird dadurch reduziert, dass ausgesprochene Schutzlagen gegenüber starkem Wind gewählt werden. Und generell gilt: „Häufiger leichter Wind wirkt sich auf den Kirschenbau des gesamten Forchheimer Landes günstig aus, da als Folge eines schnellen Abtrocknens der Bäume nach Regenfällen sich Pilzkrankheiten nicht sehr gut entwickeln können und die Früchte kaum platzen.“ (DIMPFL 1971, S. 18).

Abb. 2: Erstreckung des „größten zusammenhängenden Süßkirschenanbaugebiets Mitteleuropas“, Stand 1965
Abb. 2: Erstreckung des „größten zusammenhängenden Süßkirschenanbaugebiets Mitteleuropas“, Stand 1965 (verändert nach DIMPFL 1971, Karte 2, Gebietsstand vor Gemeindegebietsreform)

Es geistert in der Werbeliteratur allerorts der anfänglich erwähnte Spruch vom „größten zusammenhängenden Süßkirschenanbaugebiet Mitteleuropas“ herum. Es gibt durchaus Versuche präzisierender Angaben, die aber immer noch relativ allgemein bleiben, was die Verbreitung des Süßkirschenanbaus anbetrifft: „Der Süßkirschenanbau findet sich hier auf Höhen zwischen 280 m und 400 m über NN an den frostfreien Hängen der tiefen, romantischen Taleinschnitte und 400 m – 550 m über NN auf den weiten Jurahochflächen.“ (GENUSSREGION OBERFRANKEN e. V., o. J.). Es ist die Verbreitungskarte von DIMPFL (1971) aus seiner Dissertation für das Jahr 1965, die uns hier endlich Klarheit verschafft (Abb. 2).

In der Tat kann man deutlich einen zusammenhängenden Cluster von Gemeinden (noch vor der Gemeindegebietsreform), der jeweils pro Betrieb mindestens 15 Kirschbäume aufweist, erkennen. Die Karte belegt sowohl die Aussage von dem „zusammenhängenden“ Gebiet, bricht das Verbreitungsareal doch an den Rändern sehr klar ab, als auch die Feststellung, dass das Kirschgebiet zum überwiegenden Teil zur Fränkischen Schweiz gehört, ergänzt durch ein Areal südwestlich und südlich daran anschließend um Dormitz, Neunkirchen am Brand, Kalchreuth, Freiröttenbach und Oberndorf. Das Zentrum der Kirschbauregion mit je über 100 Kirschbäumen pro Betrieb liegt in Großenbuch, Rödlas, Igensdorf, Hetzles, Pommer und Lilling, Kleinsendelbach.

Das Pflücken von Kirschen erfordert einen besonderen Aufwand, der immer noch weitgehend in Handarbeit erfolgt. Die empfindlichen Früchte müssen mit Stiel gepflückt werden, da sie sonst beschädigt werden. Gepflückte Kirschen reifen nicht nach. Um voll ausgereifte Früchte zu ernten, ist daher ein mehrmaliges Durchpflücken der Bäume notwendig. Gepflückte Kirschen können kurzfristig kühl gelagert werden, ohne dass Aroma und Konsistenz leiden. Eine längere Aufbewahrung frischer Kirschen ist nicht möglich. Auf einem Schwarzweiß-Filmausschnitt aus dem Jahr 1934 (Abb. 3) sieht man für Pretzfeld die mühsame Ernte auf hohen Leitern.

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war eines der Hauptprobleme der Kirschenvermarktung der Transport zum Verbraucher angesichts der leichten Verderblichkeit der Kirschen. Die Bauern aus dem Raum Igensdorf mussten oft ihre Ware in 120 bis 150 Pfund schweren Weidenkörben auf Schubkarren oder mit Kuh-, Ochsen oder Pferdegespann selbst zum Nürnberger Großmarkt transportieren (vgl. DIMPFL 1971, S. 93). Eine Erleichterung war es für die Bauern im Wiesenttal, dass mit der Eisenbahn ab 1891 (Kirchehrenbach, Pretzfeld) der Abtransport möglich wurde. Auf unserem Schwarzweiß-Film (Abb. 3) sieht man in Pretzfeld die Arbeit der Portionierung der Kirschen in Steigen und die Zusammenstellung der Ware zum Abtransport mit Karren oder mit dem Zug sowie zum individuellen Verkauf.

Abb. 3: Kirschernte und Kirschenmarkt in Pretzfeld 1934

DB Museum Nürnberg (https://www.dbmuseum.de/museum_de), Länge: 2:10 Min.,
Zum Einstieg zeigt der Film Motive von Wiesenthau und Pretzfeld, ein pferdebespannter Karren fährt im Vordergrund vorbei. Auf langen, an Kirschbäume gelehnten Leitern pflücken Männer und Frauen fast schon akrobatisch die Kirschen. Diese werden in Flechtkörben eingesammelt und am Sammelplatz neben dem Bahnhof von Pretzfeld in Spankörbe umgefüllt. Es folgt die Wiedergabe des lebhaften Treibens in Pretzfeld anlässlich des Verkaufs von Kirschen: Auf Ochsenkarren werden Kirschen antransportiert, gewogen und zum Verkauf feil geboten.

Um eine effizientere Vermarktung zu erreichen, wurde bereits 1930 in Igensdorf eine Obstgroßmarktvereinigung gegründet. Schon damals wurden beachtliche 420 Tonnen Kirschen angeliefert. 1952 wurde die jetzige Genossenschaft gegründet. Auch in Pretzfeld und Mittelehrenbach hatten sich wenig später Obstbauern zu genossenschaftlichen Absatz- und Verwertungsgemeinschaften zusammengeschlossen. Seit 2007 erfolgt eine gemeinsame Vermarktung dieser drei Genossenschaften Igensdorf, Mittelehrenbach und Pretzfeld. Bereits im folgenden Jahr 2008 erfolgte durch sie die Gründung der „Franken Obst GmbH“ als überregional anerkannte Erzeugerorganisation für Süßkirschen und Zwetschgen.

Abb. 4: Süßkirschenstraßenverkauf im Landkreis Forchheim
Abb. 4: Süßkirschenstraßenverkauf im Landkreis Forchheim (Foto: Tourismuszentrale Fränkische Schweiz/Trykowski)

Heute findet man im Landkreis Forchheim 4.000 ha Obstbäume, davon mehr als 200.000 Kirschbäume auf 2.700 ha. 94 % der bayerischen Süßkirschenernte stammen von hier. Die Erntemengen der Süßkirsche sind stark witterungsabhängig von Jahr zu Jahr: sie liegen für die Erzeugergenossenschaften im Landkreis Forchheim zwischen 1.000 und 8.000 Tonnen! Allein am Obstgroßmarkt in Igensdorf werden im Juni täglich 3.000 Steigen Süßkirschen angeliefert, was sich Anfang Juli bis zu 20.000 Steigen täglich steigern kann! Davon gehen ca. 80 % in den Frischverkauf, und etwa 20 % werden in Keltereien und Brennereien weiter verarbeitet. Einige Obstbauern setzen dagegen auf die eigene Direktvermarktung in Hofläden oder auf Wochenmärkten der Umgebung. Sie verkaufen Kirschen als Frischware oder veredeln die süßen Früchte zu Obstwässern, Geisten und Likören oder anderen Produkten. Während der Erntezeit sieht man auch viele mobile Verkaufsstellen direkt neben den Kirschgärten am Straßenrand, sie verkaufen an mit dem Auto vorbeifahrende Personen (Abb. 4). Besonders an den Wochenenden ist dies bei den Städtern aus der Umgebung eine beliebte Einkaufstätigkeit, die mit einem Ausflug gekoppelt wird.

Heute werden rund um das Produkt „Kirsche“ auch mehrere Events veranstaltet, mit denen man Besucher anzieht. Es überrascht nicht zu hören, dass es natürlich inzwischen auch eine Kirschkönigin gibt. Diese tritt z. B. beim jährlichen Fränkischen Kirschenmarkt in Igensdorf, der 2018 zum vierten Mal veranstaltet wurde, bei der Obstgenossenschaft (Franken Obst GmbH) auf. Bei dieser Veranstaltung Ende Juni wird zum Kauf und Probieren von Kirschen jeweils eine Frühsorte aus einer Mittelrüsselbacher Lage offeriert.

Abb. 5: Kirschenfest Pretzfeld
Abb. 5: Kirschenfest Pretzfeld (Foto: Tourismuszentrale Fränkische Schweiz)

Der Höhepunkt der Festlichkeiten rund um die Kirsche ist das Kirschenfest in Pretzfeld (meist im Juli, eine Woche vor dem Forchheimer Annafest), das 2018 zum 50. Mal veranstaltet wurde. Es findet im Kellerwald von Pretzfeld statt (Abb. 5). Die Veranstaltung, die auch „Kerschenkerwa“ genannt wird, bietet zünftige Blasmusik und Bieranstich, einen sonntäglichen Open-Air-Gottesdienst im Kellerwald, ein traditionelles fränkisches Schlachtschüsselessen am Montag – und selbstverständlich stehen die Kirschen und ihre zahlreichen Veredlungsprodukte, allen voran die Liköre, Brände und Geiste, im Mittelpunkt des Interesses. Bei sonnigem Wetter ist das Fest in Oberfranken schlichtweg Kult, es zieht seit Jahren eine wachsende Besucherzahl an.

Abb. 6: Das Logo der Ausschilderung des Pretzfelder Kirschenwegs
Abb. 6: Das Logo der Ausschilderung des Pretzfelder Kirschenwegs (Quelle: Roland Lindacher)

Der Kirschenanbau ist auch bei weiteren touristischen Angeboten gut vertreten. Neben den am Anfang erwähnten individuellen Ausflügen ins Forchheimer Land während der Kirschblüte um Ostern herum, kann man auch als Wanderer einen 9 km langen, eigens ausgeschilderten Kirschenweg um Pretzfeld gehen (Pretzfeld-Kellerwald-Diederichstein-Wannbach-Hagenbach-Pretzfeld, vgl. Abb. 6) oder im westlichen Hangbereich des Walberla den Kirschblütenwanderweg Kirchehrenbach (Kirchehrenbach-Wiesenthau-Schlaifhausen-Mittelehrenbach-Dietzhof-Kirchehrenbach) erwandern.

Abb. 7: Blühende Kirschbaumplantage bei Untertrubach in Reih und Glied, die wenig mit dem Landschaftsbild der Streuobstbestände gemein hat
Abb. 7: Blühende Kirschbaumplantage bei Untertrubach in Reih und Glied, die wenig mit dem Landschaftsbild der Streuobstbestände gemein hat (Foto: Herbert Popp)
Abb. 8: Junge Kirschbaumpflanzung auf der Hochfläche bei Wohlmannsgesees
Abb. 8: Junge Kirschbaumpflanzung auf der Hochfläche bei Wohlmannsgesees (Foto: Herbert Popp)
Abb. 9: Kirschbaumplantage mit Tröpfchenbewässerung und Gestell für die Plastiküberdachung bei Oberlindelbach
Abb. 9: Kirschbaumplantage mit Tröpfchenbewässerung und Gestell für die Plastiküberdachung bei Oberlindelbach (Foto: Herbert Popp)

Empfohlene Zitierweise

Martin Feulner und Herbert Popp: “„Das größte zusammenhängende Süßkirschenanbaugebiet Mitteleuropas“: Kirschkulturen, Kirschblüte und Kirschenfest um Pretzfeld” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/81_b_116-suesskirschenanbaugebiet/, Stand 19.09.2019

Quellen und weiterführende Literatur

  • DIMPFL, Hans (1971): Intensivkulturen im Forchheimer Land. Eine agrargeographische Untersuchung. – Diss. Erlangen 1971.
  • DIX, Norman (1934): Die Fränkische Schweiz. Das Verkehrsmuseum Nürnberg mit Dix-Film München. Land und Leute der Fränkischen Schweiz, in: DB-MUSEUM NÜRNBERG (2006): Die Fränkische Schweiz. Tonfilm 1934. – Nürnberg (DVD).
  • GENUSSREGION OBERFRANKEN e.V. (Hg., o.J.): Kirschen aus der Fränkischen Schweiz. – o.O. (= www.genussregion.oberfranken.de/spezialitaeten/spezialitaeten_von_a_bis_z/k/508/kirschen_aus_der_fraenkischen_schweiz/details_39.htm)
  • HOFMANN, Jochen Alexander (2014): Obstlandschaften 1500–1800. Historische Geographie des Konsums, Anbaus und Handels von Obst in der Frühen Neuzeit. – Bamberg (= Bamberger Geographische Schriften, Sonderfolge, Bd. 11)
  • JANSCHEK, Thomas & Alexandra WAUER (2010): Ein antikes Edelgewächs – Geschichte und Geschichten. – LWF Wissen 65, S. 74–79 (= https://www.lwf.bayern.de/mam/cms04/wissenstransfer/dateien/lwfwissen65-kirschen-antike.pdf)
  • LANDKREIS FORCHHEIM (Hg., 2015): Obstinformationszentrum Fränkische Schweiz mit Versuchsanlagen. – Forchheim.
  • TAUSENDPFUND, Walter (2016): Zum Obstanbau in der Fränkischen Schweiz, in: Die Fränkische Schweiz, H. 3, S. 4–5.

Bildnachweise

  • Titelbild: Kirschblüte am Kellerwald, oberhalb von Pretzfeld (Foto: Herbert Popp)
  • Vorschaubild: Süßkirschen im Landkreis Forchheim (Foto: Tourismuszentrale Fränkische Schweiz/Trykowski)