Brauchtum in alten und jüngeren Fotos: Trachten, Fasnacht, Osterbrunnen, Kirchweih, Prozessionen

Von Hartmut Heller – 09/2019

Bilder sagen mehr als bloße Worte. Das Thema Brauchtum in der Fränkischen Schweiz soll hier deswegen anhand von historischem Bildmaterial illustriert werden: alten Stichen und Lithographien, Fotos, Filmausschnitten – d. h. optischen Erfassungen durch Zeichner, Maler, Kameraleute. Aber sagen Bilder wirklich stets mehr aus als Worte? Man muss kritisch damit umgehen und bedenken, dass darin jenseits authentischer Dokumentation auch künstlerische Freiheit, schöne Inszenierung, historische Rückblicke sowie auch Wunschbilder zwischen ideologischer Tendenz oder gar Verfälschung zum Ausdruck kommen können.

Trachten

Bestes Beispiel dafür sind die Trachten. Georg August Goldfuß schreibt darüber 1810: „Die gewöhnliche Kleidung der Männer besteht aus kurzen Hosen [= Kniebundhosen, v. Verf.], Jacken oder leinenen Kitteln. Am Sonntag tragen sie schwarze Tuchröcke, schwarze lange Westen mit Aermeln darunter, einen Hut mit drey Ecken und unter diesem ein Käppchen von Tuch oder Leder“ (S. 351).

Abb. 1: Aus einem Trachtenbuch vom Ende des 19. Jahrhunderts: Das Blatt Fränkische Schweiz zeigt unten damals noch weithin so zu Festen getragene Frauengewänder, daneben einen alttraditionell gekleideten Herrn, im Kopfbogen darüber aber Männer bereits vorwiegend in langen Hosen und statt Dreispitz auch schon moderne Zylinder, Kappen oder andere breitkrempige Hüte, wie sie von den Städten her inspiriert wurden.
Abb. 1: Aus einem Trachtenbuch vom Ende des 19. Jahrhunderts: Das Blatt Fränkische Schweiz zeigt unten damals noch weithin so zu Festen getragene Frauengewänder, daneben einen alttraditionell gekleideten Herrn, im Kopfbogen darüber aber Männer bereits vorwiegend in langen Hosen und statt Dreispitz auch schon moderne Zylinder, Kappen oder andere breitkrempige Hüte, wie sie von den Städten her inspiriert wurden. (Quelle: KRETSCHMER 1982, S. 110, Erstauflage 1887)
Abb. 2: Hummelgauer Hochzeitszug in traditioneller Aufstellung (Reihenfolge: Geistlichkeit, Brautführer mit bändergeschmücktem Degen, Braut am Arm ihrer beiden Brautjungfern, ein zweiter Brautführer mit bändergeschmücktem Degen, der Bräutigam, dahinter beider Anverwandte und weitere männliche und weibliche Gäste), Holzstich von Josef Puschkin 1874
Abb. 2: Hummelgauer Hochzeitszug in traditioneller Aufstellung (Reihenfolge: Geistlichkeit, Brautführer mit bändergeschmücktem Degen, Braut am Arm ihrer beiden Brautjungfern, ein zweiter Brautführer mit bändergeschmücktem Degen, der Bräutigam, dahinter beider Anverwandte und weitere männliche und weibliche Gäste), Holzstich von Josef Puschkin 1874 (BAURIEDEL u. BAURIEDEL 2012, S. 17, Holzstich von 1874)
Abb. 3: Ein Trachtenumzug in Effeltrich, der die alte Tradition betont
Abb. 3: Ein Trachtenumzug in Effeltrich, der die alte Tradition betont (Foto: Hartmut Heller, 4. April 1988)

Am Ende des 19. Jahrhunderts zeigt uns Albert Kretschmers Großes Buch der Volkstrachten noch immer dieses Männerbild, allerdings bereits etwas vielfältiger durchmischt auch mit langen Beinkleidern (Pantalons) und unterschiedlicheren Hutformen (Abb. 1). Einen Hummelgauer Hochzeitszug nach Sitte und Brauch der Alten stellte ein Holzstich des Malers Josef Puschkin 1874 ähnlich dar (Abb. 2). In Wahrheit aber begann damals schon zu gelten, was der intensiv vor Ort recherchierende fränkische Heimatforscher Dr. Eduard Rühl 1936 notierte: „Die Männertracht […] ist tot. Was noch da ist, wird gelegentlich bei Festen und Aufzügen noch hervorgeholt, sonst aber kleidet sich der Bauer städtisch“ (S. 217).

Es ist also ein Akt ausdrücklich nostalgischer Trachtenerneuerung, wenn brauchpflegerisch gesonnene Männer in Orten der Fränkischen Schweiz seit ca. 1970 / 1980 z. B. für Fronleichnamsprozessionen oder sonstige Umzüge wieder ganz gewollt traditionell mit neugeschneiderten Kniehosen-, roten Kurzwesten- und Dreispitztracht aufzutreten anfingen, während ihre Alltags- oder Sportkleidung natürlich seit Jahrzehnten ganz anders ist (Abb. 3 Effeltrich). Und schon 1927 war es wohl eine glatte Inszenierung, dass ein Tourismuswerbefilm der Deutschen Reichsbahn einen perfekt altgewandeten Hochzeitszug durch das Dorf Pinzberg bei Forchheim laufen ließ (Abb. 4), was erst recht für die Hochzeit mit Trachten in Effeltrich aus dem Jahr 1934 zutrifft (Abb. 6). Komplett als Inszenierung zu interpretieren ist wohl die Präsentation trachtentragender Menschen in Muggendorf, auch wenn im Vorspann behauptet wird: „Die malerische Altvätertracht wird noch vielfach getragen“ (Abb. 7). Allein schon die Mitwirkung des Heimat- und Volkstrachten-Vereins Muggendorf an dem Film spricht für diese Sicht.

Abb. 4: Dorfbevölkerung vor der alten Schmiede in Pinzberg, Landkreis Forchheim  – Vergleichsmotiv zum Film „Abb. 5: Hochzeitszug Pinzberg von 1927“. Man beachte, dass auf dem wohl eher zufälligen und alltäglichen Foto die Frauen noch sämtlich trachtenmäßig gekleidet sind, während die Männer schon städtisch daherkommen.
Abb. 4: Dorfbevölkerung vor der alten Schmiede in Pinzberg, Landkreis Forchheim – Vergleichsmotiv zum Film „Abb. 5: Hochzeitszug Pinzberg von 1927“. Man beachte, dass auf dem wohl eher zufälligen und alltäglichen Foto die Frauen noch sämtlich trachtenmäßig gekleidet sind, während die Männer schon städtisch daherkommen. (Quelle: GÖHRING 1911, S. 11)

Abb. 5: Hochzeitszug Pinzberg 1927

Quelle: DB Museum Nürnberg, Länge: 1:04 Min., Die 1926 gedrehte und 1927 veröffentlichte Filmsequenz „Bauernhochzeit in Pinzberg“ lässt eine Festgruppe an der alten Schmiede vorbeiziehen (vgl. auch dasselbe Motiv auf der Abb. 4). Sämtliche im Zug vertretenden Akteure und sogar eine größere Zahl der am Straßenrand platzierten Zaungäste tragen Tracht. Unter den weiblichen Teilnehmern am Zug erkennt man an deren Spitze die unverheirateten jungen Frauen an ihrem Kopfschmuck, dem Hohen Kranz, der als Braut- oder Jungfernkrone anzusehen ist.

Abb. 6: Hochzeit Effeltrich 1934

Quelle: DB Museum Nürnberg, Länge: 3:24 Min., Die 1933 gedrehte und 1934 veröffentlichte Filmsequenz stellt eine Hochzeit in Effeltrich mit trachtentragenden Menschen dar. Der Ausschnitt beginnt vor der Dorfkirche, im Innenhof der Kirchenburg, der zugleich als Friedhof dient. Dort werden zunächst Frauen im eifrigen Gespräch abgebildet. Deutlich erkennbar sind die jungen unverheirateten Mädchen mit der Kopfbedeckung des Hohen Kranzes und die verheirateten Frauen mit weißen Kopftuch. Erste Männer werden sichtbar, die allesamt einen Zylinder tragen. Noch in der Kirchenburg wird ein erster Böllerschuss abgegeben. Nun verlässt der Hochzeitszug die Kirchenburg und begibt sich durch das Dorf bis in das Haus, in dem die Hochzeit stattfindet, angeführt von der Blaskapelle und gefolgt von den zylindertragenden Männern, den kranztragenden Jungfrauen und den verheirateten Frauen mit weißem Kopftuch. Vor dem Hochzeitshaus wird das Brautpaar empfangen, indem man ihm je ein Glas Wein zur Begrüßung kredenzt. Erneut werden mehrere Böllerschüsse abgegeben, und die ganze Hochzeitsgruppe begibt sich in das Haus hinein. Als angenehm kann man empfinden, dass – obwohl der Film bereits Mitte 1933 gedreht worden ist – noch keinerlei Uniformen oder Braunhemden das Bild stören.

Abb. 7: Trachtentragende in Muggendorf um 1930

Quelle: Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld, Länge: 0:42 Min., Die Sequenz des Films aus Muggendorf, der vermutlich Anfang der 1930er Jahre entstanden ist, beginnt mit dem Texteinstieg „Die malerische Altvätertracht wird noch vielfach getragen“. Danach werden fünf Personen abgebildet, je zwei Männer und zwei Frauen in Tracht sowie ein Mann ohne Jacket. Die Szene ist künstlich gestellt und wurde offenbar speziell auf Wunsch des Fotografen vorgenommen.

Abb. 8: Tracht im Wiesenttal bei Rabeneck, Stahlstich von W. Schroll
Abb. 8: Tracht im Wiesenttal bei Rabeneck, Stahlstich von W. Schroll (Quelle: Staatsbibliothek Bamberg, Probedruck, I T 135 / 105, Foto: Gerald Raab)
Abb. 9: Ältere Frau aus dem Ailsbachtal vor 1885
Abb. 9: Ältere Frau aus dem Ailsbachtal vor 1885 (Quelle: Germanisches Nationalmuseum, Volkskundliche Sammlung, Bestand BA (o. Nr.))
Abb. 10: Postkarte mit Trachten tragenden unverheirateten jungen Frauen in Effeltrich (1933)
Abb. 10: Postkarte mit Trachten tragenden unverheirateten jungen Frauen in Effeltrich (1933) (Quelle: Archiv Herbert Popp)

„Die Weiber“, fuhr Goldfuß 1810 fort, „tragen sich an den Sonntagen ebenfalls schwarz, haben den Kopf mit einem weißen Tuch umwunden, und ein anderes über die Schulter geworfen“ (S. 351). Abstufungen in eine Trias nach Wertigkeit der Stoffe: Werktagskluft (blaue Waar), Sonntagstracht (bunte Waar = hochgeschlossener Seidenkittel, Seidenschürze, einfacher Rock, geblümtes Kopftuch) und eine noch reichere Festtracht, dazu für Bräute eine Flitterkrone (hoher Kranz), so beschreibt es die Literatur des 20. Jahrhunderts als typisch, klangen damals noch nicht an. Kretschmer am Ende des 19. Jahrhundert ordnet diese Üppigkeit durch einen Rosenkranz in den Fingern der linken Frau zu Recht konfessionell besonders den katholischen Dörfern zu.

War das nun bodenständige Kleidung, wie wir gerne meinen? Vorsichtig haben wir da einiges hinzuzufügen: Pantalons waren als Gruppensignal der Sansculottes der Französischen Revolution entsprungen, während der eng taillierte, oben tief offene Grundschnitt der Frauentracht dem höfischen Rokoko folgte, mit Stoffarten wie z. B. Seide, die nicht die heimischen Weber produzierten, sowie mit Samtbändern, Perlen und Flitterzeug, die großenteils jüdische Hausierer, versorgt etwa über die Leipziger Messe, von Hof zu Hof feilboten. Und im Wort Schubbn für das weit ausgeschnittene Ärmeljäckchen wirkte sogar orientalischer Einfluss nach (vgl. OSMAN 1982, 58: arab. gubba = Baumwollunterkleid > frz. Jupe, dt. Schaube > nhd. Joppe)

Abb. 11: Frau und Mädchen aus Effeltrich in großer Festtracht
Abb. 11: Frau und Mädchen aus Effeltrich in großer Festtracht (Quelle: SCHMIDT 1942, vor S. 369)
Abb. 12: Effeltrich: Frauen in Tracht beim Verlassen der Wehrkirche nach dem Gottesdienst
Abb. 12: Effeltrich: Frauen in Tracht beim Verlassen der Wehrkirche nach dem Gottesdienst (Foto: Hartmut Heller, 23. April 1973)
Abb. 13: Effeltrich im Generationenwandel: Alte Frau in Sonntagstracht und dahinter modern gekleidete junge Frau
Abb. 13: Effeltrich im Generationenwandel: Alte Frau in Sonntagstracht und dahinter modern gekleidete junge Frau (Foto: Hartmut Heller, 4. April 1988)

Lichterfest

Abb. 14: Archival von 1759 über die Art und Weise, wie die „10stündige Anbetung“ im Bistum Bamberg zu praktizieren ist, Seite 1. Für die weiteren Seiten bitte auf das erste Bild klicken.
Abb. 14: Archival von 1759 über die Art und Weise, wie die „10stündige Anbetung“ im Bistum Bamberg zu praktizieren ist, Seite 1. Für die weiteren Seiten bitte auf das erste Bild klicken. (Quelle: Erzbischöfliches Archiv Bamberg, AEB Rep. 4 / 3 Nr. 19 / 8)

Den Ursprung des Pottensteiner Lichterfestes kann man genau benennen: 1759 verfügte der Bamberger Erzbischof Adam Friedrich v. Seinsheim, dass in allen Kirchengemeinden seines Bistums alljährlich reihum eine Woche der Ewigen Anbetung zu zelebrieren sei, die jeweils um 17 Uhr mit einer Prozession um die Kirche, dann bald verlängert durch den ganzen Ort enden solle (Abb. 14). Für Pottenstein wurden dafür zunächst Tage im August, seit 1831 im Januar und erst Anfang des 20. Jahrhunderts nochmal neu Dreikönig bestimmt. Das lässt folgern, dass man vor 1831 die Prozession wohl kaum schon ab 17 Uhr, noch im vollen Sommerlicht, mit einer künstlichen Illumination der umliegenden Talhänge begleitete. Dort, wie es heute geschieht, im Voraus fleißig an die tausend Holzstöße aufzuschichten und diese dann im Nachtdunkel zu lodernden Feuern zu entzünden, hat daher vermutlich frühestens nach der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen. Noch jünger sind weitere Ausschmückungen, z. B. Bethlehemstern, Kreuz und Rosenkranz.

Trotz dieser Zeitnähe nahmen dann aber schon wenig später NS-Parteigänger die brennenden Scheiterhaufen zum Anlass, das ganze Geschehen umzudeuten als Relikt uralter germanischer Sonnwendfeiern, die es jetzt wieder richtig zu restituieren gelte. Begrifflich neutralisiert zum Lichterfest, das besonders attraktiv ist, wenn Schnee liegt, hat es dann auch 1945 überdauert – und zieht nun schon seit Jahrzehnten alljährlich aus der ganzen Metropolregion Zuschauer in Massen an, geschätzt oft 10.000–15.000, Pkws wie Busse, was natürlich nie ohne auch erhebliche Verkehrs- und Parkplatzprobleme abgeht. Und kein Jahr vergeht, ohne dass nicht auch die regionale Presse ein Foto vom Pottensteiner Lichterfest brächte, ein im Ort sehr willkommener Werbefaktor.

Abb. 15: Lichterfest von Pottenstein am 6. Januar, fotografiert von Norden aus
Abb. 15: Lichterfest von Pottenstein am 6. Januar, fotografiert von Norden aus (Foto: Tourismuszentrale Fränkische Schweiz)
Abb. 16: Lichterfest in Pottenstein 2016: Die Holzstöße am Hang, bevor sie entzündet werden
Abb. 16: Lichterfest in Pottenstein 2016: Die Holzstöße am Hang, bevor sie entzündet werden (Foto: Herbert Popp, 6. Januar 2016)
Abb. 17: Prozession durch die Straßen des Städtchens am Tag der Ewigen Anbetung
Abb. 17: Prozession durch die Straßen des Städtchens am Tag der Ewigen Anbetung (Foto: Thomas Bernard)

Die Prozession als religiöse Handlung im Städtchen selbst findet dabei ungleich weniger Aufmerksamkeit. Doch bietet auch sie sehenswerte Schauelemente, z. B. Heiligenfiguren, alte Zunftfahnen der Maurer und Schuhmacher, Lichterbögen sowie an vier Stellen Triumphpforten, deren Originale Pottensteiner Handwerker stifteten aus Dank, dass sie beim Stadtbrand 1736 heil gerettet worden waren.

Fastnacht

Als im frühen 20. Jahrhundert Städter im Geist der Heimatbewegung sich vermehrt auch für die Lebensweisen auf dem Lande interessierten, fiel ihnen nicht nur besonders im Alemannischen, sondern z. B. auch im fränkischen Effeltrich ein altüberkommenes Straßenfastnachtstreiben mit Strohbären und Weißnarren auf. Der Freiburg-Münchner Volkskundler D.-R. Moser sah darin ein ursprünglich auch von der Kirche geduldetes, ja sogar direkt inspiriertes Gut-Böse-Spiel (civitas Dei vs. civitas diaboli), bei dem natürlich, wie beim Nürnberger Schembartlauf, lehrhaft zum Schluss Teufel und Hölle unterliegen mussten.

Abb. 18: Effeltricher Fasalecken in den 1930er Jahren
Abb. 18: Effeltricher Fasalecken in den 1930er Jahren (Foto: SCHMIDT 1942, nach S. 384)
Abb. 19: Effeltricher Fasalecken auf ihrem Weg durchs Nachbarstädtchen Baiersdorf, 1930er Jahre
Abb. 19: Effeltricher Fasalecken auf ihrem Weg durchs Nachbarstädtchen Baiersdorf, 1930er Jahre (Foto: SCHMIDT 1942, nach S. 384)
Abb. 20: Effeltricher Fasaleckenzug um 1930: Eingefangene Mädchen – rußgeschwärzt
Abb. 20: Effeltricher Fasaleckenzug um 1930: Eingefangene Mädchen – rußgeschwärzt (Foto: STROBEL 1936, nach S. 92)

Im 19. Jahrhundert setzten sich dagegen eher agrarkultische Erklärungsmuster durch, d. h. man versuchte nun, alte – und, wie man gern dazudachte, schon heidnische – Bräuche mehr aus dem für die Bauersleute so existentiell wichtigen Jahreszeitengang zu verstehen. Der Strohmann wurde nun als Winter identifiziert, der dem nachrückenden Frühling in Gestalt der Weißnarren zu weichen habe. Der Erlanger Volkskundedozent Dr. Rühl fand den Brauch, der nicht vor 1900 dokumentierbar ist, hierzulande 1929 nurmehr in Effeltrich so vor: Ohne jedes System jagten die weißen Fasalecken (mundartlich Fosaleggen, im Spott auch Baascheißer genannt) am Faschingsdienstag durch die Straßen und schwärzten eingefangenen Mädchen mit Ruß das Gesicht, ein paar Strohbären trotteten irgendwo hinterher. Der Idee des Winteraustreibens folgend war nun Rühl es, der dieses Tun zu einem Zug ordnete: die Strohgestalten (= Winter) vorweg, dahinter in Reihe peitschenknallend nachdrängend gut ein Dutzend frühlingshafter Fasalecken (Abb. 18–19). Erst 1952 fügte man dann auf Anregung des Ortsapothekers, eines Schlesiers, auch die Trachtenmädchen als Gruppe in den Zug ein und lässt vorweg noch Blasmusik mitmarschieren (Abb. 20).

Seit wann die Akteure schließlich in einem zweiten Handlungsteil (heute per Lastwagen) ins benachbarte Baiersdorf hinüberwechseln, um dort die Strohgewänder in die Regnitz zu werfen, d. h. den Winter zu ertränken, bzw. seit 1946 zu verbrennen und paarweise über dieses Feuer zu springen, ist mit ersten Hinweisen auf ca. 1880 dennoch unklar, seit 1952 und bis über 1990 hinaus fand solches nurmehr im Hof der Jahnturnhalle statt. Der dabei zu hörende rätselhafte Ruf Allamoschee dürfte dem Französischen entstammen, vielleicht allez messieurs (so der 1885 gegründete Burschenverein Zufriedenheit, seit 1978 Fosanochtsverein Allamoschee) oder allez marcher (nach der Marseillaise).

Abb. 21: Effeltricher Fasalecken: Einbinden eines Strohbären
Abb. 21: Effeltricher Fasalecken: Einbinden eines Strohbären (Foto: Hartmut Heller, 21. Februar 1982)
Abb. 22: Effeltricher Fasalecken
Abb. 22: Effeltricher Fasalecken (Foto: Hartmut Heller, 9. Februar 1975)
Abb. 23: Effeltricher Fasaleck
Abb. 23: Effeltricher Fasaleck (Foto: Hartmut Heller, 21. Februar 1989)

Um auch auswärtige Zuschauer anzulocken, hat man diesen Umzug mittlerweile seit Jahren vom Montag und innerorts noch Dienstag auf den Faschingssonntag vorverlegt. Man kann bereits dabei sein, wenn in der Baumschule Kupfer die Bärenburschen in dicke Strohbündel eingeschnürt werden, während die Fasalecken, auch da sind nur Unverheiratete zugelassen, meist familienintern in ihre weißen Hosenanzüge samt roten Trägern und Gürteln sowie hohen bunt gebänderten Hüten aus immergrünem Buchs und dazu eine lange Peitsche eingekleidet werden (Abb. 21–23). Andernorts in der Fränkischen Schweiz, z. B. Ebermannstadt, sind hier ebenfalls noch für die 1930er Jahre erinnerte Fosalecken und Flecklesdiebe inzwischen verschwunden.

Ein dritter, durchaus indiziengestützter Erklärungsansatz, den auch bereits Rühl selbst sah, war, dass das Ganze zunächst gar kein Fastnachtsbrauch gewesen sei, sondern sich ableite aus einem symbolischen, schlimme Pestzeiten nachspielenden Todaustragen zu Mittfasten bzw. einem festlichen Sommereinholen der Dorfjugend am darauf folgenden Sonntag Lätare (4. Fastensonntag), blieb am Ort unbeachtet.

Osterbrunnen

Seit wann gibt es überall in der Fränkischen Schweiz die, wie es dazu meist heißt, traditionsreichen Osterbrunnen, das heißt den Brauch, auf den Tag der Auferstehung Jesu hin die Dorfbrunnen und andere Wasserstellen mit Fichtengrün, Eiergirlanden, Papierblumen und bunten Bändern zu zieren? Wir wissen es nicht. Früheste Erzähl- oder Bildquellen dazu fanden sich bisher nicht vor der Wende zum 20. Jahrhundert, exakt erst 1909 noch ganz bescheiden im Aufsesser Ortsteil Haag. Engelhardsberg datiert auf 1915. Auch für die 1930er und 1940er Jahre erwähnen es Autoren nur sehr marginal.

Abb. 24: Osterbrunnen Engelhardsberg 2016
Abb. 24: Osterbrunnen Engelhardsberg 2016 (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 25: Erläuterungstafel zur Osterbrunnentradition in Engelhardsberg
Abb. 25: Erläuterungstafel zur Osterbrunnentradition in Engelhardsberg (Foto: Herbert Popp, 2016)

Wenn der Gedankengang stimmt, dass die Bewohner der so quellenarmen fränkischen Karsthochflächen damit fürs nächste Jahr um genügend Trinkwasser bitten, beten, es gewissermaßen magisch herbeizaubern wollten, müsste es andererseits eigentlich ein alter Brauch sein, jedenfalls weit vor der Zeit, als Wasserleitungsbau ab den 1950ern die Albdörfer endlich von diesem Problem erlöste. Sollte es doch ein in jüngerer Zeit entstandener Brauch sein, hätte der unter anderem als Burgenforscher in der Fränkischen Schweiz engagierte Arzt Dr. Kunstmann unrecht. Dieser hatte um 1950 um Engelhardsberg einige österlich dekorierte Brunnen entdeckt (Abb. 24–25) und diese als Reste eines ursprünglich viel weiter verbreiteten Brauches verstanden. Daher erschien es ihm sinnvoll, diesen Brauch unbedingt zu erhalten und flächenhaft zu erneuern. Gelungen ist ihm sein werbender Aufruf geradezu explosiv. Denn der fügte sich damals zusammen mit der zeitgleich – zumal von städtischen Bildungsschichten – propagierten größeren Idee der Dorf(wieder)verschönerung. Brunnenfege nach dem Winter, viele Eier auszublasen, sie zu färben oder auch motivreich zu bemalen und schließlich in der Nacht vor Ostern damit die Brunnen zu behängen, übernahmen und übernehmen, von Ort zu Ort anders, mal ältere Frauen, mal Kirchengruppen und noch öfter von ihren Lehrern angeleitete Grundschulklassen.

Abb. 26: Der Osterbrunnen von Bieberbach
Abb. 26: Der Osterbrunnen von Bieberbach (Foto: Herbert Popp, 2016)

1955 waren es 16, 1960 schon 61 und 2013 sogar 194 Orte, die nun zusammen über 400 geschmückte Osterbrunnen vorweisen. Rekordhalter mit über 11.000 Eiern und deshalb seit 2000 ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen, ist Bieberbach (Gem. Egloffstein) (Abb. 26).

Auf diesem Weg hat sich der Brauch freilich auch deutlich verändert. Er luxurierte: Die Osterbrunnen wurden Attraktionen für viele Touristen(busse) aus ganz Deutschland. Für sie schmückt man die Wasserstellen nun oft schon vor dem Palmsonntag und baut erst nach drei Wochen wieder ab. Weil echte Hühnereier so zerbrechlich sind, ersetzt man sie da und dort durch Plastikeier. An manchen Plätzen zeigen sich zudem Tendenzen der Überdekoration, z. B. mit zusätzlichen Plüschhasen-Ensembles, oder auch der Kommerzialisierung durch Imbissstände oder gar heischende Geldsammelbüchsen. Und auch jene Kritiker unter den Einheimischen bekamen recht, die warnten, bei zu viel Werbung könnte sich dieser schöne Regionalbrauch bald auch beliebig in andere Gegenden verbreiten.

Abb. 27: Heiligenstadt (Ldkr. Bamberg)
Abb. 27: Heiligenstadt (Ldkr. Bamberg) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 28: Pottenstein (Ldkr. Bayreuth)
Abb. 28: Pottenstein (Ldkr. Bayreuth) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 29: Streitberg (Ldkr. Forchheim)
Abb. 29: Streitberg (Ldkr. Forchheim) (Foto: Herbert Popp, 2016)

Abb. 30: Affalterthal (Ldkr.Forchheim)
Abb. 30: Affalterthal (Ldkr.Forchheim) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 31: Dürrbrunn (Ldkr. Bamberg)
Abb. 31: Dürrbrunn (Ldkr. Bamberg) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 32: Azendorf (Ldkr. Kulmbach)
Abb. 32: Azendorf (Ldkr. Kulmbach) (Foto: Herbert Popp, 2016)

Neben dem auf Rekord abzielenden und extrem kommerziell ausgerichteten Fall Bieberbach (mit zahlreichen Busbesuchen, Bratwurst- und Kuchenverzehr auf Bierbänken sowie Kaffee-, Bier- und Schnapsverkauf, einem mobilen Toilettenhäuschen und einer Touristeninfo (u. a. zum Erwerb von Fotopostkarten und einschlägiger Literatur über den Osterbrunnen)) und dem dagegen sehr unspektakulär angelegten Beispiel Engelhardsberg mit seinen Pensala (wo das Schmücken erst am Vorabend des Osterfests erfolgt) finden wir bis heute viele österlich dekorierte Dorfbrunnen, die in ihrer Gestaltung und der Wahl der ausgeblasenen Eier noch sehr der Tradition verpflichtet sind (Abb. 27–32).

Abb. 33: Hohenpölz (Ldkr. Bamberg)
Abb. 33: Hohenpölz (Ldkr. Bamberg) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 34: Birkenreuth (Ldkr. Forchheim)
Abb. 34: Birkenreuth (Ldkr. Forchheim) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 35: Obertrubach (Ldkr. Forchheim)
Abb. 35: Obertrubach (Ldkr. Forchheim) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 36: Steinfeld (Ldkr. Bamberg)
Abb. 36: Steinfeld (Ldkr. Bamberg) (Foto: Herbert Popp, 2016)

Eine weitere Gruppe von Osterbrunnen, hier Abb. 33–36, ist zwar ebenfalls noch unmittelbar mit Wasser verknüpft, spielt aber bereits mit diesem Medium: In dem wasserarmen Hochflächendorf Hohenpölz tritt der Brunnen selbst zurück (und ist im Foto nur mit seinem Pumpschwängel zu erkennen), es gibt hier nur weiß- oder rotgefärbte Eier, zum Teil in Körben präsentiert und wir lesen ergänzend die Botschaft „Frohe Ostern“. Der heute in der Werbung als einer der schönsten Osterbrunnen gelobte Brunnen von Birkenreuth hatte die heutige Funktion früher nicht. Nachdem er als Instrument der Trinkwasserversorgung ausgedient hatte, findet er heute als Osterbrunnen eine sympathische Folgenutzung, sogar mit Überdachung im Brunnenhäuschen. Der Bezug zum Wasser wird besonders eng gespannt an einem der beiden Osterbrunnen in Obertrubach, befinden sich doch die Schmuckgirlanden hier gleich über dem Quelltopf der im Karst entspringenden Trubach. Und auch der Osterbrunnen in Steinfeld hat einen Standort gewählt, der eng mit Wasser verknüpft ist, jedoch überhaupt keinen Brunnen besitzt. Vielmehr befindet er sich am Quellaustritt der Wiesent am Ortsrand.

Abb. 37: Hochstahl (Ldkr. Bayreuth)
Abb. 37: Hochstahl (Ldkr. Bayreuth) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 38: Sachsendorf (Ldkr. Bayreuth)
Abb. 38: Sachsendorf (Ldkr. Bayreuth) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 39: Dobenreuth (Ldkr. Forchheim)
Abb. 39: Dobenreuth (Ldkr. Forchheim) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 40: Behringersmühle (Ldkr. Forchheim)
Abb. 40: Behringersmühle (Ldkr. Forchheim) (Foto: Herbert Popp, 2016)

Die hier zusammengestellten Beispiele (Abb. 37–40) sind kreative Neuinterpretationen von Osterbrunnen. Einesteils wird noch zurückgegriffen auf Elemente der Tradition des Osterbrunnenschmückens, andererseits werden völlig neue Elemente für den Osterbrunnen verwendet. In Hochstahl finden wir die gestalterisch-ästhetisch sehr ansprechende Lösung mit nur zwei Ostereierfarben: hellgrün und rot. Der Brunnen selbst ist aufwendig geschmückt. Die Eier sind aber nur aus Kunststoff. In Sachsendorf steht der Dorfbrunnen neben einer Kapelle und dem Kriegerdenkmal. Hier, mitten im Dorf, werden als Zierelemente vier geschmückte Bögen angelegt. In Dobenreuth wirbt die Institution, die die Arbeit des Brunnenschmückens übernommen hat, der Edelweißverein, mit den Insignien von Jesus (JHS) und stellt somit einen religiösen Bezug her. Der Betonbrunnen von Behringersmühle wirbt mit den Fahnen Frankens und Bayerns.

Abb. 41: Weiden (Ldkr. Lichtenfels)
Abb. 41: Weiden (Ldkr. Lichtenfels) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 42: Weingarts (Ldkr. Forchheim)
Abb. 42: Weingarts (Ldkr. Forchheim) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 43: Stierberg (Ldkr. Bayreuth)
Abb. 43: Stierberg (Ldkr. Bayreuth) (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 44: Hohenmirsberg (Ldkr. Bayreuth)
Abb. 44: Hohenmirsberg (Ldkr. Bayreuth) (Foto: Herbert Popp, 2016)

Manche Osterbrunnen werden sogar ohne Brunnen (oder nur mit randlichem Bezug zu ihm) angelegt (Abb. 41–44). Die Freude am Schmücken und die Verschönerung des Dorfes dominieren. Es handelt sich aber um Allerwelts-Arrangements. Weiden auf der Albhochfläche besitzt gar keinen Brunnen, gestaltet aber eine zentrale Dorfstelle, wo sich früher die Hüle befand, mit eiergeschmückten Bögen und Osterhasen. In Weingarts ist zwar der Brunnen noch der Bezugspunkt für den Schmuck des Ortes. Aber daneben wurden weitere Schmuckelemente hinzugefügt, darunter auch ein Osterhasenpaar. In Stierberg hat man den Eindruck, das gezeigte Arrangement sei einer Weihnachtskrippe ähnlich – aber eben inhaltlich auf Ostern bezogen. Dem aufwendig erstellten Ensemble fehlt indes jeglicher Bezug zu Wasser und zu einem Brunnen. In Hohenmirsberg wird ein Teil des örtlichen Kinderspielplatzes für den Osterschmuck verwendet. Dessen Einzelteile haben allerdings gar nichts mit der regionalen Ostertradition zu tun, sogar die Eier sind nur ein unauffälliges Element am Rande. Ausgesägte Holzfiguren und die Beschriftung „Frohe Ostern“ dominieren das Ensemble.

Walberlafest

Abb. 45: Franz Karl Freiherr von Münster, Bericht über das Walberlafest, 1822, durch klicken auf das erste Bild gelangen Sie zu weiteren Bildern.
Abb. 45: Franz Karl Freiherr von Münster, Bericht über das Walberlafest, 1822, durch klicken auf das erste Bild gelangen Sie zu weiteren Bildern. (Quelle: von Münster 1822)

Auf dem mächtigen vom Albrand abgetrennten Zeugenberg östlich von Forchheim, amtlich Ehrenbürg (so schon 1360), im Volksmund nur das „Walberla“ genannt, wurden durch Grabungen bereits Besiedlungsphasen um 4000 v. Chr. (Jungsteinzeit), 1300–800 v. Chr. (Bronzezeit, damals einer der größten Wohnplätze in Bayern, geschützt durch eine drei Meter hohe Trockensteinmauer), um 520 v. Chr. (ca. 5.000 Bewohner starkes, erneut von einem dicken Steinwall umgürtetes Handelszentrum der Kelten) und schließlich zur Römerzeit 300 n. Chr. (Burg und kleine germanische Häuseransammlung) nachgewiesen. Vielleicht hatte es zeitweise sogar kultischen Rang.

Über die Kontinuität hin zum heutigen Walberlafest könnte man indes nur fabulieren. Dieses leitet sich allein aus christlichen Wurzeln ab, als nämlich vor ca. 1360 am nördlichen Plateaurand eine erste Kapelle gebaut wurde, wo zudem bereits vorher, archivalisch bezeugt, kleine Jahrmärkte abgehalten worden waren. 1697 wurde diese Kapelle auf Veranlassung der Herren von Wiesenthau durch das heutige im Kern gotische Kirchlein ersetzt, das man der Heiligen Walburga weihte, vormals im 9. Jahrhundert Äbtissin des Klosters Heidenheim. Und bald wurde es üblich, dass aus allen katholischen Nachbarorten regelmäßig große Prozessionen dort hinaufzogen – dies galt noch im frühen 19. Jahrhundert (vgl. Text vom Walberlafest des FREIHERR VON MÜNSTER 1822, Abb. 45).

Abb. 46: Das Walberlafest im Jahr 1904 auf einer alten Postkarte
Abb. 46: Das Walberlafest im Jahr 1904 auf einer alten Postkarte (Quelle: Archiv Herbert Popp)
Abb. 47: Walberlafest 1909
Abb. 47: Walberlafest 1909 (Quelle: Archiv Herbert Popp)
Abb. 48: Walberlafest 1910
Abb. 48: Walberlafest 1910 (Quelle: Archiv Herbert Popp)
Abb. 49: Walberlafest 1913
Abb. 49: Walberlafest 1913 (Quelle: Archiv Herbert Popp)
Abb. 50: Walberlafest 1920er Jahre
Abb. 50: Walberlafest 1920er Jahre (Quelle: Archiv Herbert Popp)
Abb. 51: Walberlafest 1961
Abb. 51: Walberlafest 1961 (Quelle: Archiv Herbert Popp)
Abb. 52: Walberlafest 2010
Abb. 52: Walberlafest 2010 (Foto: Thomas Gohla, https://schlaifhausen.com/)

Das wiederum sahen bald auch Händler als Chance, diese Besucherströme für einen Jahrmarkt zu nutzen am 1. Mai, dem Ehrentag der Heiligen Walburga, seit 1907 verschoben auf das erste Maiwochenende. Zu dessen frühesten nicht religiös motivierten Gästen gehörten dann schnell auch, obwohl das vier Stunden Fußmarsch verlangte, Studenten der nahen Universität Erlangen, was nach einer Notiz von 1804 zur Folge hatte, dass jetzt „die wahre Andacht einer groben Lustbarkeit gewichen sei“ mit „laufen, saufen, raufen“. Zu den Spezialitäten dieses Jahrmarkts gehörte, dass man dort auch Haushalts- und Landwirtschaftsgeräte bekam, Hafner, Hutmacher und bis zu 200 Schuhmacher ihre Waren feilboten, Bamberger Gärtner als Mitbringsel Blumensträußchen und Süßholzringe verkauften, Wirte reichlichen Bier-, Wein- und Punschausschank und Bratwurst- oder Geflügelverzehr unter freiem Himmel organisierten und früh auch schon Moritatensänger, Karussells (Erstbeleg 1821), Marionettentheater (Tagebuch GRAF VON PLATEN 1824) und sonstige Fierantenbuden für Vergnügen sorgten. Wie lebhaft es dort z.B. schon 1904 zuging, zeigt eine alte Postkarte (Abb. 46). Ganz analog sind die Eindrücke vom Walberlafest auch für die Jahrzehnte danach, wie eine Sequenz von alten Postkarten deutlich macht (Abb. 46–52). Für 1926 (veröffentlicht 1927) ist uns auch ein erster Schwarz-Weiß-Stummfilm überliefert, der das Treiben rund um das Walberlafest darstellt. Besonders eindrucksvoll an diesem Dokument ist, dass nun die meisten Besucher mit der Bahn bis zum Bahnhof Kirchehrenbach oder mit dem Fahrrad anreisen [Abb. 53 und 54: Filmsequenzen: Walberlafest 1927 und 1934].

Heute ist dieses Erscheinungsbild fast noch unverändert ähnlich zu erleben, freilich bei Schönwetter mit oft noch größeren Besuchermassen (1811 ca. 5.000, zum Teil am Vorabend übernachtend in Kirchehrenbach, heute an die 50.000 Menschen) und einer 2008 illegal von Kirchehrenbach heraufgeführten Asphaltstraße, was arg kollidiert mit dem hier eigentlich ausgewiesenen Natur- und Landschaftsschutzgebiet.


Abb. 53: Walberlafest 1926

Quelle: DB Museum Nürnberg, Länge: 3:56 Min., Abb. 53: Die Filmsequenz von 1927 beginnt mit dem Texteinstieg „… bei Kirchehrenbach grüßt die Ehrenbürg (das Walberla)“. Es wird zunächst das Walberla gezeigt, über dem Ort Kirchehrenbach gelegen, auf dessen Flur im Vordergrund Gemüseanbau zu erkennen ist. Es folgt die textliche Erläuterung des Events des Walberlafestes, der mit den Worten „Anfang Mai strömen Tausende von Menschen aus ganz Franken zur Ehrenbürg, der Stätte des uralten Walpurgisfestes, um dort die Walberlas Kirchweih zu feiern“ in die folgenden Filmszenen einführt. Der Film beginnt mit der Eisenbahnlinie im Bereich des Bahnhofs von Kirchehrenbach. Ein vollbeladener Zug hält hier, aus Richtung Forchheim kommend, und es steigt eine große Zahl von Menschen, vielfach mit Rucksack ausgestattet, aus. Auch Kinder sind unter den Aussteigenden. Die Kleidung der Menschen, die nun flott vom Bahnhof in Richtung zum Walberla schreiten, ist erstaunlich festlich, Männer tragen vielfach Hut und Krawatte, Frauen Sonntagskleider mit weißen Kragen. Aber auch Wanderstöcke sind zahlreich sichtbar. Die Frauen spannen ihre Schirme beim Aufstieg als Sonnenschirme auf, noch im Tal erkennt man auch zahlreiche Personen, die mit dem Fahrrad angereist sind. Es folgt ein Blick zum Plateau des Walberla mit seiner Kapelle. Erkennbar sind große Mengen von Menschen, die sich auf dieser Fläche aufhalten und in kleinen Grüppchen hier lagern. Neben der Kapelle erkennt man eine Schiffsschaukel. Natürlich fehlen auch Bettler unter den zahlreichen Besuchern nicht. Ein Künstler, der das Treiben auf seiner Leinwand künstlerisch festhält, ist ebenso vertreten wie der an vielen Stellen erkennbare Bierkonsum aus Maßkrügen. Lebkuchenherzen und Bratwürste werden zum Verkauf angeboten, Musikanten (mit Violine und Gitarre) spielen zur Unterhaltung der Menschen, Bier wird an eigenen Theken verkauft. Natürlich fehlen auch hier nicht mehrere Frauen, die in Trachten gewandet sind. Dann beginnt der Abstieg der Menschen hinunter ins Tal, wobei zwar ein Teil bereits das Walberla verlässt, während andere erst jetzt aufsteigen.

Abb. 54: Walberlafest 1934

Quelle: DB Museum Nürnberg, Länge: 2:47 Min., Abb. 54: Die Filmsequenz über das Walberlafest von 1934 beginnt mit einem Gedicht von Viktor von Scheffel, in dem das Treiben des Walberlafestes mit recht holprigen Worten beschrieben wird. Wie schon in der Filmsequenz von 1927 beginnt die Szene mit der Ankunft des dampflokgetriebenen Zuges in Kirchehrenbach, daneben aber auch vieler Radfahrer, die ihr Gefährt neben dem Bahnhof parken. Nun geht es zu Fuß weiter: bergauf zum Walberla-Plateau, das im Überblick mit der Vielzahl hier lagernder Menschengruppen abgebildet wird. Erneut kann man eine sehr heterogene Kleidung der Menschen erkennen: vom Lederhosenträger mit Rucksack bis zum Anzugträger mit Krawatte. Gut erkennbar sind die zeltartig überdeckten Stände, in denen allerlei Waren feilgeboten werden. Musikanten spielen auf, ein Eisverkäufer ist bei seiner Arbeit erkennbar, Bratwürste werden angeboten zum Preis von 15 Pfennigen, Lebkuchenherzen mit der Aufschrift „Gruß vom Walberla“ werden offeriert, Eisportionen werden verkauft. Die Filmsequenz schließt mit dem Menschengewimmel auf dem Walberla rund um die Kapelle herum.


Kirchweih

Höchstes weltliches Fest ist allerorten die Kirchweih (mundartlich Kerwa) – nach dem Gottesdienst eine besondere Mahlzeit daheim oder im Wirtshaus, Verwandtenbesuche, noch immer vielleicht ein Karussell, Süßwarenverkaufsstände oder eine Schießbude auf dem Dorfplatz. Aufklärungszeitliche Versuche, alle Kirchweihen des Landes kostensparend auf einen einzigen zugleich Erntedank-September- oder Oktobertermin zu konzentrieren (Allerweltskerwa), ließen sich nicht durchhalten. So ziehen sich die Kirchweihfeste, keineswegs immer genau bezogen auf das historische Datum, an dem die jeweilige Kirche einst feierlich konsekriert wurde, durch den ganzen Sommer bis in den Frühherbst.

Dabei geht das richtige Aufstellen eines fränkischen Kirchweihbaumes, der alljährlich erneuert wird, heute noch genauso vonstatten wie wohl schon vor hundert und zweihundert Jahren: Die Dorfburschen, d. h. die Gruppe der noch ledigen jungen Männer, schlagen im Wald eine möglichst hohe und geradwüchsige Fichte, holen sie mit einem Langfuhrwerk ins Dorf, entasten und, seltener, schälen sie bis auf einen Restwipfel, bringen daran bunt flatternde Bänder, oft noch einen Kranz und vor allem auch ein hierzulande meist rot-weißes Fähnlein an. Dann kommt der schweißtreibende Kraftakt, meist vor dem Dorfwirtshaus, diesen Baum mit gekreuzten Holzscheren auf Kommando des Burschenführers Schritt um Schritt senkrecht hochzustemmen, in ein vorgefertigtes Bodenloch gleiten zu lassen und ihn dort standsicher zu verkeilen. Am Beispiel von Kirchehrenbach ist diese Zeremonie für das Jahr 2000 durch Günter Anderl fotographisch dokumentiert (vgl. Abb. 55–63).

Abb. 55
Abb. 55 (Foto: Günter Anderl, 2000)
Abb. 56
Abb. 56 (Foto: Günter Anderl, 2000)
Abb. 57
Abb. 57 (Foto: Günter Anderl, 2000)
Abb. 58
Abb. 58 (Foto: Günter Anderl, 2000)

Die Zeremonie des Kerwabaumaufstellens erfolgt nach streng definierten Abläufen. Zunächst wird der zum Aufstellen auserkorene Baum in einem Zug feierlich ins Dorf gebracht. An der Spitze wird ein Bierkasten transportiert, und zwar in einer Schubkarre (Rowern), eskortiert von einem Kranzträger. Dahinter schließt sich die Blaskapelle an, die für die zünftige Musik beim Einzug sorgt (Abb. 55). Dahinter wird das wichtigste Element, der Kerwabaum, mit dem Traktor auf einem Wagen gefahren, beidseits begleitet von Kerwaborschen, die mit Bändern geschmückte Bierkrüge mit sich tragen (Abb. 56). Der Kerwabaum kommt nun am Festplatz an. Gut erkennbar sind die Pensala (Bänder), mit denen er geschmückt worden ist (Abb. 57). Vor dem Standort, wo der Baum aufgestellt werden soll, wird er vom Wagen genommen (Abb. 58).

Abb. 59
Abb. 59 (Foto: Günter Anderl, 2000)
Abb. 60
Abb. 60 (Foto: Günter Anderl, 2000)

Eine Traube junger Männer, erneut die Kerwaborschen, beginnt nun, den Baum (um den man nicht vergessen hat, einen Kranz mit Schmuckbändern anzubringen) gemeinsam und unter Anleitung aus der Waagerechten in mehreren Phasen in die Senkrechte zu befördern, also aufzurichten. Hierzu wird das Baumende zunächst auf das Loch, in dem er platziert werden soll, ausgerichtet (Abb. 59). Nun wird der Baum mit Hilfe von gekreuzten Stangen Schritt für Schritt steiler gestellt (Abb. 60). Es lässt sich leicht erkennen, dass das Aufrichten viel Kraft erfordert. Nun ist der Baum bereits mit seinem Ende im Loch platziert, in dem er stehen wird. Der Grad des Aufrichtens ist inzwischen so steil, dass nur noch die Feinarbeit erforderlich ist.

Abb. 61
Abb. 61 (Foto: Günter Anderl, 2000)
Abb. 62
Abb. 62 (Foto: Günter Anderl, 2000)
Abb. 63
Abb. 63 (Foto: Günter Anderl, 2000)

Der Kerwabaum wird nun mit seitlich eingeklemmten Stämmen stabilisiert. Dabei ist immer Sorge dafür zu tragen, dass er senkrecht steht (Abb. 61). Diese Feinarbeit des Verkeilens und Geradestellens erfordert volle Konzentration. Am Ende ist dann der schon fast erfolgreich aufgestellte Kerwabaum zu erkennen. Nun muss nur noch mit den gekreuzten Stangen das vertikale Stehen des Baumes, kombiniert mit einer endgültigen Sicherung des Standes, erfolgen (Abb. 62–63).

Abb. 64: Der Schäfer mit dem zum Betzentanz geschmückten Hammel in Effeltrich
Abb. 64: Der Schäfer mit dem zum Betzentanz geschmückten Hammel in Effeltrich (Quelle: Schmidt 1942, nach S. 368)

Historisch bedeutete das, dass die zuständige Territorialherrschaft so, deshalb die Fahne, ihr Hoheitszeichen setzte und sichtbar machte, wer z. B. die Eichmaße der Bierkrüge zu kontrollieren und allgemein während der Kirchweihtage hier die Polizeigewalt auszuüben hatte. Heute sind derlei Zusammenhänge weitgehend vergessen. Es genügt, dass man mancherorts noch immer am Sonntag mit Trachtenträgern zu Gruppentänzen (Plantänzen) unter dem Kerwabaum aufspielt und am Kirchweihmontag hier den Betzn austanzt (Abb. 64). Dabei unterbricht z. B. ein herumgereichter Wecker plötzlich den Tanz, das Paar, das ihn im Moment gerade in Händen hält, gewinnt das als Preis ausgesetzte Schaf, darf es für sich behalten und ggf. schlachten, muss bzw. müsste aber dafür nach der Tradition hernach als Gegengabe die übrigen Tänzer zu einem Essgelage oder mindestens einem Umtrunk einladen.

Weiterreden könnte man noch über mancherorts früher auch durchgeführte Kirchweihumzüge (Abb. 65 Filmsequenz Muggendorf, ca. 1930), bei denen fastnachtsähnlich Leute und Geschehnisse verspottet wurden, über die zum Teil sehr derben Kerwaliedla, über typisches Kirchweihgebäck wie z. B. die eckigen oder runden (katholischen) Knieküchle, Urrädla und sonstige Festspeisen usw.

Abb. 65: Filmsequenz „Heinz: Kerwaumzug in Muggendorf“ von ca. 1930

Quelle: Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld, Länge: 1:23 Min., Abb. 65: Die Filmsequenz des Amateurfilms von Heinz beginnt mit den Einführungsworten „Die Kirchweih!“. Eine Blaskapelle zieht im Dorf Muggendorf voran, gefolgt von der Bevölkerung. Wir lesen als weitere Hinweisinformation: „Mit Musik geht’s zum Dorf hinaus, die Kirchweih auszugraben“. Einige wenige Menschen mit Trachten sind zu erkennen. Es folgt der nächste erläuternde Hinweis: „Und wenn sie ausgegraben, winkt allen der rechte Kirchweihschluck einheimischen Biers.“ Man sieht Biertrinkende aus der Gießkanne und aus großen Krügen, Frauen mit Trachten werden eingespielt (es sind übrigens die gleichen wie in der Filmsequenz über die Trachten, Abb. 7). Erneut folgt eine Kommentierung der danach folgenden Bilder „Mit Hallo geht’s nun durchs ganze Dorf.“ Nach der Blaskapelle folgt eine Rowern mit einem Bierfass und maßkrugschwenkenden Kerwaborschen. Die nächste Textinschrift lautet: „Juhuuu…!“ und führt zu einer Szene, in der mehrere Menschen, wieder teilweise mit Tracht, Bier aus großen Krügen trinken. Obwohl die Filmsequenz fotografisch und hinsichtlich ihrer Erläuterungen recht amateurhaft ist und trotz des Einblendens zahlreicher Trachtenmotive natürlich keine authentisch-traditionelle Kirchweih wiedergibt, ist doch auch diese filmische Inszenierung für den heutigen Betrachter interessant.

Tanzlinden

Abb. 66: Limmersdorf: Einzug der Kapelle mit den Tanzpaaren
Abb. 66: Limmersdorf: Einzug der Kapelle mit den Tanzpaaren (Foto: Herbert Popp, 2016)
Abb. 67: Limmersdorf: Tanz unter der Linde
Abb. 67: Limmersdorf: Tanz unter der Linde (Foto: Herbert Popp, 2016)

Aber nicht überall in der Fränkischen Schweiz wird zur Kirchweih ein solcher Kerwabaum aufgerichtet: In einigen Orten am Nordsaum zum Main hin, nämlich Limmersdorf, Peesten und Langenstadt, dienen derselben Funktion sog. Tanzlinden, die schon dem 17. Jahrhundert entstammen und teilweise in jüngerer Zeit durch Nachpflanzungen ergänzt wurden. Dort wird, mindestens seit 1729, nicht nur unter der dichten Laubkrone getanzt, sondern es ist den künstlich flach gezogenen Hauptästen im ersten Stock zusätzlich noch ein, über eine Treppe zugänglicher, Bretterboden als obere Tanzfläche aufgelegt. Gepflegt und benutzt wird diese auch noch in der Gegenwart (Abb. 66–68). Im Westen der Fränkischen Schweiz besitzen Effeltrich, Hetzles und Wichsenstein ähnliche in die Breite gerüstgestützte uralte Linden, in denen jedoch vermutlich nie auch im Obergeschoss getanzt wurde. Unter dem Baum luden aber auch hier Tische und Bänke zu Geselligkeit und Tanz ein.

Maibäume

Daneben trifft man da und dort zudem auch Maibäume nach oberbayerischer Art an, mit blauweiß geringeltem Stamm und Zunftzeichen, Wappen u. ä. als zierenden Auslegern, die meist viele Jahre lang stehen bleiben. Nicht zuletzt der nationalsozialistische Einfluss der 1930er Jahre hat sie auch hier propagiert. Den im Oberland beliebten Brauch, dass feindliche Burschen aus einem Nachbardorf den Kirchweih- bzw. Maibaum heimlich zu stehlen versuchen, was Schande und Spott über das betroffene Dorf brächte, weshalb die Einheimischen oft auch nachts Wachen aufstellen, kennt Franken dagegen kaum. Mistelbach und Gesees im Hummelgau scheinen hier eine Ausnahme zu machen (sie wurden allerdings als Vereine mit dem Ziel des Maibaumaufstellens erst 1980 gegründet). Sprachlich unscharf und sachlich unrichtig sprechen heute auch viele Einheimische den klassischen Kirchweihbaum als Maibaum an.

Prozessionen

Katholische Frömmigkeit in der Fränkischen Schweiz drückt sich u. a. in vielen Prozessionen aus. So beispielsweise innerörtlich als figurenreiche Karfreitagsprozession barocken Stils wie in Neunkirchen am Brand. Andernorts finden Prozessionen zur Palmweihe statt, allerdings in diesen Breitengraden mit Weidenkätzchen. Weiterhin finden am Vorostersonntag sowie an Fronleichnam Prozessionen statt, oft zugleich mit einer erweiterten Flursegnung. In jüngerer Zeit entstand die Hollfelder Lichterprozession an Maria Himmelfahrt (15. August), die wohl auf ein Gelübde aus dem Jahr 1945 zurückgeht, durch welches sich die Bewohner vor den letzten Kämpfen des Zweiten Weltkriegs zu schützen versuchten.

Abb. 68: Eine Wallfahrtsgruppe aus Effeltrich kurz vor Erreichen der Basilika von Gößweinstein (1. Juni 2019)
Abb. 68: Eine Wallfahrtsgruppe aus Effeltrich kurz vor Erreichen der Basilika von Gößweinstein (1. Juni 2019) (Foto: Herbert Popp)
Abb. 69: Wallfahrt vor der Basilika
Abb. 69: Wallfahrt vor der Basilika (Foto: Andreas Bornschlegel)
Abb. 70: Wachsmenschen als Votivgaben
Abb. 70: Wachsmenschen als Votivgaben (Foto: Andreas Bornschlegel)

Weiter über Land ziehende Wallfahrten richteten und richten sich in der Fränkischen Schweiz vor allem auf die 1610 kühn einem Felsen aufgesetzte Vierzehnheiligenkirche Gügel nahe der Giechburg, nach St. Anna in Weilersbach, woraus das Forchheimer Annafest entstand, und noch mehr zur Basilika Hl. Dreifaltigkeit in Gößweinstein, die 1730–1739 unter Fürstbischof Friedrich Carl v. Schönborn von Balthasar Neumann erbaut wurde. Die Herkunft des dortigen Gnadenbildes Krönung Mariens, das man dem (symbolhaft die Trinitätslehre widerspiegelnden) dreigliedrigen barocken Hochaltar von 1740 / 1745 einfügte, ist unklar, der Beginn dorthin zielender Wallfahrten ebenso. Ab dem 17. Jahrhundert trafen pro Jahr, gelockt auch durch mehrfach von Päpsten und Kardinälen gewährte Ablassversprechen, immer mehr Pilgerzüge ein ─ 1662 waren es 27, 1765 schon 42. Abschwünge folgten im 19. Jahrhundert. 1992 / 1997, zählt man immer noch um 142 – dabei je 50 bis 200 Teilnehmer, nicht wenige davon im jungen Alter, das sind stattliche und neuerdings sogar wieder steigende Mengen. Gemischt sind wohl heute ihre Motive: Anrufung in Nöten, religiös gedachtes Freizeitopfer, Gemeinschaftspflege, sportliche Herausforderung. 40 % der Gruppen rücken noch immer, wie früher, Wallfahrtsführer bzw. Vorbeter mit ortseigener Standarte voran, in reinen, oft mehrtägigen Fußmärschen an. 41 % kombinieren Wander- und Busstrecken. Der Trinitatis-Sonntag vor Pfingsten (30 % aller Kommunionsempfänger) und das Kirchweih-Wochenende Ende September bilden die Haupttage. In Jahresgesamtzahlen aber wurden die Gößweinstein-Wallfahrer zwischen 1915 (70.000–80.000) und 1972 / 1991 (Durchschnitt 16.500) doch auch schon deutlich weniger. Als Einzugsgebiet kann man fast unverändert den großen Raum zwischen Steigerwaldvorland und Oberpfalz bzw. in Nord-Süd-Linie von Coburg/Kronach bis Nürnberg und Neumarkt beschreiben, wobei mancher Ort auch mal zwischen Gößweinstein, Vierzehnheiligen oder Dettelbach am Main als Ziel alterniert.

2008 eröffnete dazu sehenswert im alten Mesnerhaus links neben der Kirche ein modernes Museum der Gößweinstein-Wallfahrt. Es zeigt u. a. Beispiele ab 1743 gedruckter Wallfahrtsbücher, Berichte von hier verorteten Mirakeln, Relikte zweier Bruderschaften, des biographisch so zwiespältigen Eulogius Schneiders Dreifaltigkeitslied sowie Votivgaben in Silber, Holz und Wachs. Einmalig sind dabei die 78 schon primär in Glaskästen gestellten Votivgaben von Wachsmenschen aus der Zeit von 1880 bis 1955, d. h. vollfigurig und in prächtiger Heimattracht nachgebildete Kinder bzw. Jungerwachsene, für die ihre Familien damit den Himmel um Hilfe baten (Abb. 71). Statistisch gesehen hat Gößweinstein die größte Dreifaltigkeitswallfahrt Deutschlands.


Empfohlene Zitierweise

Hartmut Heller: “Brauchtum in alten und jüngeren Fotos: Trachten, Fasnacht, Osterbrunnen, Kirchweih, Prozessionen” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/81_b_106-brauchtum-in-alten-und-juengeren-fotos/, Stand 19.09.2019

Quellen und weiterführende Literatur

  • Trachten
  • APPELT, Walther u. Birgit JAUERNIG (2018): Oberfrankens Trachten. – München.
  • BAURIEDEL, Ingrid u. Rüdiger BAURIEDEL (2009): Die Tracht der Hummelbauern (= Schriften zur Heimatpflege in Oberfranken, Reihe I: Geschichte und Museumswesen 6). – Bayreuth.
  • BAURIEDEL, Rüdiger (2012): Die Hummelhochzeit im Jahre 1887. Eine Zusammenstellung in Berichten und Bildern zur 125jährigen Wiederkehr. ─ o.O.
  • BURGER, Hans (1927): Die Fränkische Schweiz. Ein Verkehrs- und Landschaftsfilm. Verfasst und aufgenommen vom Verkehrsmuseum Nürnberg, in: Die Fränkische Schweiz. Der historische Film aus dem DB-Museum Nürnberg. DVD mit Begleitheft, Nürnberg 2006. https://www.dbmuseum.de
  • DIX, Norman (1934): Die Fränkische Schweiz. Tonfilm, produziert vom Verkehrsmuseum Nürnberg mit Dix-Film München, in: Die Fränkische Schweiz. Der historische Film aus dem DB-Museum Nürnberg. DVD mit Begleitheft, Nürnberg 2006. https://www.dbmuseum.de
  • Förderkreis Fränkische Schweiz-Museum (Hg., 2014): Land und Leute im Wiesenttal (Fränkische Schweiz). Historischer Heimatfilm von W. Heinz, Muggendorf, DVD von 43 Minuten. – Pottenstein. https://fraenkische-schweiz-museum.de
  • GOLDFUSS, Georg August (1810): Die Umgebungen von Muggendorf. ─ Erlangen.
  • GÖHRING, Ludwig (1911): Führer durch die Fränkische Schweiz und ihre Vorberge: Hetzlas, Gräfenberger Gegend, Lange Meile, Ziegenfelder Tal u.s.w. 7. Aufl. – Erlangen.
  • GRIEBEL, Armin (1991): Tracht und Folklorismus in Franken (= Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 448). – Würzburg.
  • KRETSCHMER, Albert (1982): Das große Buch der Volkstrachten. ─ Eltville (ND der Erstauflage vom Ende des 19. Jh.).
  • OSMAN, Nabil (1982): Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft. – München.
  • RÜHL, Eduard (1936): Zur Frage der Volkstrachten-Pflege, in: Blätter für Schulpraxis und Erziehungswissenschaft, hg. v. N.S. Lehrerbund Gau Franken 47 (H. 6), S. 29–33.
  • SCHEMMEL, Bernard (Hg., 1988): Die Entdeckung der Fränkischen Schweiz im Spiegel der Graphik. – Forchheim.
  • SCHMIDT, Gustav (Hg. 1994): Oberfränkisches Brauchtum in alter und neuer Zeit. – Bayreuth.
  • Zweckverband Fränkische Schweiz-Museum (Hg., 1994): Die Trachtenvielfalt der Fränkischen Schweiz im Wandel (= Ausstellungskatalog des Fränkischen Schweiz-Museums 4). – Bayreuth.

  • Lichterfest in Pottenstein
  • WIRTH, Susanne (1992): Das Lichterfest in Pottenstein am Dreikönigstag. Unveröff. Zulassungsarbeit zur 1. Staatsprüfung für das Lehramt an Grundschulen in Bayern. – EWF Nürnberg.

  • Effeltricher Fasalecken
  • BISCHOFF, Johannes (1953): Baiersdorf. Entwicklungsgeschichte einer fränkischen Kleinstadt. – Baiersdorf.
  • DEUERLEIN, Ernst (1960): Fasalecken 1960. Mußte das sein?, in: Erlanger Bausteine zur fränkischen Heimatforschung 7, S. 18–22.
  • DÜNNINGER, Josef (1959): Sitte und Brauchtum, in: Conrad SCHERZER (Hg.): Franken. Land, Volk, Geschichte und Wirtschaft, Bd. 2. – Nürnberg, S. 147–190.
  • Jw (1986): Bilden Pestzeiten den Hintergrund? Vortrag Dr. Franz Schmolke, in: Erlanger Nachrichten 28.1.1986.
  • KRIEGELSTEIN, Alfred (Hg.) mit Beiträgen von Rudolf KIMBERGER und Franz SCHMOLKE (1986): Jahreslauf. Brauchtum in Mittelfranken (= Mittelfränkische Heimatkunde 4). – Bad Windsheim.
  • RÜHL, Eduard (1937): Die Effeltricher „Fasalecken“. Ein Beitrag zur Volkskunde der Ostmark, in: Die Fränkische Alb. Zeitschrift des Fränkischen Albvereins, S. 21–24.
  • SCHMIDT, Friedrich Heinz (1942): Bodenständiges Brauchtum als Bewahrer arteigener Überlieferung, in: Hans SCHERZER (Hg.): Gau Bayreuth. Land, Volk und Geschichte, 2. Aufl. – München, S. 364–367.
  • STROBEL, Hans (1936): Bauernbrauch im Jahreslauf (= Deutsches Ahnenerbe II. Abt. Bd. 1). – Leipzig.
  • THEILER, Karl (1973): Brauchtum in Ebermannstadt, in: Georg FÖRTSCH, A. GIRSIG u. A. SCHÖN (Hg.): Ebermannstadt. Ein Heimatbuch. – Bamberg. S. 252–259.
  • WAGNER, Eberhard (1988): „Heut ist Mittfasten…“. Vom Laetare-Brauchtum in Franken, in: Frankenland 40, S. 43–44.

  • Osterbrunnen
  • KUNSTMANN, Hellmuth (1958): Der Osterbaum an Quellen und Dorfbrunnen. – Kulmbach.
  • LÖWISCH, Reinhard (2013): 100 Jahre Osterbrunnen in der Fränkischen Schweiz. Berichte in der Lokalpresse Nordbayerische Nachrichten, Fränkischer Tag, Nordbayerischer Kurier. – Manuskript Fränkische-Schweiz-Verein (= http://www.loewisch.com/reini/heimatkunde/Osterbrunnen_fraenkische_schweiz.pdf).
  • RÜHNAGEL, Helga u. Philipp HÜMMER (2014): Osterbrunnen in der Fränkischen Schweiz. 4. Aufl. – Ebermannstadt.
  • SCHILLINGER, Claudia (1987): Osterbrunnen in der Fränkischen Schweiz. – Bamberg.
  • SCHILLINGER, Claudia (2000): Fränkische Osterbrunnen. Volksbrauch und Volkskunst. – Bamberg.
  • SCHMIDT, Gustav (Hg., 1994): Oberfränkisches Brauchtum in alter und neuer Zeit. – Bayreuth.
  • http://www.trachtenverband-bayern.de/news-reader/items/Osterbrunnen.html (4.2.2018)
  • http://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/zwischen-spessart-undkarwendel/osterbunnen (4.2.2018)
  • http://br.de/franken/inhalt/kultur/osterbrunnentour-franken100.html (4.2.2018)

  • Walberlafest
  • BURGER, Hans (1927): Die Fränkische Schweiz. Ein Verkehrs- und Landschaftsfilm. Verfasst und aufgenommen vom Verkehrsmuseum Nürnberg, in: Die Fränkische Schweiz. Der historische Film aus dem DB-Museum Nürnberg. DVD mit Begleitheft, Nürnberg 2006. https://www.dbmuseum.de
  • DIX, Norman (1934): Die Fränkische Schweiz. Tonfilm, produziert vom Verkehrsmuseum Nürnberg mit Dix-Film München, in: Die Fränkische Schweiz. Der historische Film aus dem DB-Museum Nürnberg. DVD mit Begleitheft, Nürnberg 2006. https://www.dbmuseum.de
  • ECKERT, Josef (1903): Bleistiftzeichnungen vom Treiben auf dem Walberla.
  • FICK, Johann Christian (1812): Historisch-topographisch-statistische Beschreibung von Erlangen und dessen Gegend mit Anweisungen und Regeln für Studierende. – Erlangen (Nachdruck Erlangen 1977).
  • MÜNSTER, Franz Karl Freiherr von (1822): Die Ehrenbürg bei Forchheim. Ein Walburgis-Geschenk für dahin Reisende. – Bamberg (Nachdruck Erlangen 1981 = Bibliotheca Franconica 7).
  • RÜHL, Eduard (1955): Volkstümliche Bergfeste in Ostfranken (= Erlanger Bausteine zur fränkischen Heimatforschung 2). – Erlangen.
  • http://www.schlaifhausen.com/index.php?top=walberla&content=Kulturgeschichte
  • http://www.fsv-ev.de/heimatkunde/walberla-fest.html (30.1.2018)

  • Kirchweih
  • GOLLWITZER, Friedrich (1927): Die Tanz- und Platzlinden im Bezirk Kulmbach, in: Fränkische Heimat 6, S. 180.
  • HEINZ, Wilhelm Anton (ca. 1928–34): Land und Leute im Wiesenttal. Versuch eines Heimatfilms. Unter Mitwirkung des Heimat- und Volkstrachten-Vereins Muggendorf. 2. Teil, in: Förderkreis Fränkische Schweiz-Museum (Hg., 2014): Land und Leute im Wiesenttal, Fränkische Schweiz. Stummfilm (DVD). – Pottenstein. https://fraenkische-schweiz-museum.de
  • WAGNER, Karin (1971): Kirchweih in Franken. Studien zu den Terminen und deren Motivationen. – Erlangen 1971.
  • Tourismusverein „Rund ums Walberla“ (o.J.): Brauchtum rund ums Walberla (= https://www.walberla.de/walberla/brauchtum.html)

  • Prozessionen/Wallfahrten
  • AUER, Horst M. (2011): Lichterprozession erscheint in einem neuen Licht (betr. Hollfeld), in: Erlanger Nachrichten vom 9. August 2011, S. 14.
  • BRÜCKNER, Karl (1906): Geschichte der Burg, Wallfahrt, Pfarrei und Marktgemeinde Gößweinstein. – Ebermannstadt.
  • DIPPOLD, Günter (Hg., 1998): Gößweinstein. Sakrale Mitte der Fränkischen Schweiz. – Staffelstein.
  • HELLDORFER, Ludwig (1974): Gößweinstein. Burg, Amt, Kirche, Gemeinde. – Gößweinstein.
  • POSCHARSKY, Peter (2001): Die Kirchen der Fränkischen Schweiz. – Erlangen.
  • SCHEMMEL, Bernhard (1989): Die Wallfahrt nach Gößweinstein, in: Geschichte am Obermain 17, S. 105–125.
  • URBAN, Regina (2008): Unterwegs im Wallfahrtsmuseum Gößweinstein. Museumsführer. – Nürnberg.

Bildnachweise

  • Titelbild: Ausschnitt aus einem Osterbrunnen – Bieberbach 2016 (Foto: Danner 2016)
  • Vorschaubild: Pinzberger Trachten (Quelle: Herbert Popp, Postkartenarchiv)