Die Rezeption der Zoolithenhöhle und Moggaster Höhle am Ende des 18. Jahrhunderts
Von Hartmut Heller – 09/2019
Die Höhlen der Frankenalb waren um 1800 durchaus kein Neuland mehr, keine terra incognita. Ein Magister Hofmann hatte 1595 in Latein Hexameter über ehedem (!) Erdgeister im „Höhlen-Versteck … des Babenberger Gebirges“ verfasst, und J. Bonius (1602) meinte, im Gaillenreuther Loch Schädel und Knochen vieler Pferde gesehen zu haben. Überörtlich im Gespräch war damals aber kaum erst ein Dutzend dieser Höhlen – Gaillenreuth, Moggast, Zahnloch bei Pottenstein, Zeubacher Höhle bei Waischenfeld (bald Försterhöhle), Klaussteinhöhle, Kühloch im Ailsbachtal –, die meisten dicht beisammen über dem Wiesenttal im sog. Muggendorfer Gebürg. Das Wagnis sie zu betreten war bereits gemildert, denn man konnte sich, wie Bergführer in den Alpen, da und dort auch schon ortskundige Einheimische als Begleiter mieten.
Insgesamt lässt sich die Rezeption bis etwa 1830 in vier Linien gliedern: a) Naturwissenschaftliches Forscherinteresse bis Paris und England, b) Ökonomische Verwertungen, c) Früher Tourismus und d) Künstlerisch-literarische Romantisierungen.
a) Naturwissenschaftliches Forscherinteresse bis Paris und England
Es lässt sich feststellen, dass erst das Buch des Pfarrers Johann Friedrich Esper aus Uttenreuth bei Erlangen mit dem Titel „Ausführliche Nachricht von neuentdeckten Zoolithen unbekannter vierfüsiger Thiere und denen sie enthaldenden, so wie verschiedenen andern denkwürdigen Grüften der Obergebürgischen Lande des Markgrafenthums Bayreuth“, erschienen 1774, die Höhlen der Fränkischen Schweiz schlagartig weltbekannt machte, insbesondere die Gaillenreuther Zoolithenhöhle (Abb. 1). Autodidaktisch etablierten sich nun im Schulterschluss die Speläologie als Teilgebiet der Geomorphologie und die Paläontologie, die Beschäftigung mit der Tierwelt der Vorzeit, zu eigenständigen Wissenschaftsdisziplinen. Erlanger Studenten taten es Esper in den Wiesentalb-Höhlen nach, z. B. der Mediziner Rosenmüller, der Zoologe G. A. Goldfuß, die Brüder Andreas und Rudolph Wagner (publ. 1829–1852). Sehr interessiert zeigte sich in Darmstadt Kriegsrat und Goethe-Freund J. H. Merck.
Espers Buch, sogleich auch ins Französische übersetzt, erregte aber genauso schnell internationale Aufmerksamkeit. Pariser Gelehrte um Cuvier und Buffon und Londons Royal Society erbaten sich Anschauungsbeispiele dieser Zoolithen, was der ohnehin englandaffine Markgraf Alexander (abgedankt 1791) großzügig bewilligte; der Louvre besitzt Teile davon bis heute. Aus England reisten Koryphäen wie der Geologe William Buckland mit zwei Kollegen im Juli 1816, Viscount William Cole und Sir Philip de Malpas Egerton 1829 sogar für einige Wochen persönlich an und nahmen allerlei Fundstücke nach London und Oxford mit. Wissenschaftliche Abhandlungen folgten. Nachgrabungen in der Zoolithenhöhle finden noch bis zur Gegenwart statt.
b) Ökonomische Verwertungen
Weniger bekannt ist, dass aber längst auch schon die Einheimischen umliegende Höhlen zu eigenem Nutzen betraten. Bauern holten daraus Höhlenlehm (den man massenhafter Tierverwesung statt recte der Kalkverwitterung zuschrieb) als fruchtbaren Dünger auf ihre Wiesen; tablettenartig gepresst zu sog. Heilerde terra sigillata (wie vom Veldener Geisloch im Pegnitztal) hat man ihn hier offenbar nie.
Gut verkaufen ließen sich fossile Bärenzähne; zermahlen sei das Wundermedizin vom sagenhaften Einhorn (unicornu fossile). Jetzt, nach Esper, kam weiter hinzu, dass man solche Bärenzähne, Schädel (Abb. 2) sowie Tropfsteine in noch viel größerem Stil auch profitabel in alle Welt an sammelnde Fossilienliebhaber und Naturalienkabinette veräußern konnte, was das Herumwühlen in Höhlen, Raubgräberei also, noch massiv steigerte. Das zu verhindern, setzte Markgraf Alexander schließlich 1784 zur Aufsicht sogar einen Höhleninspektor ein. Doch wurde dieser Inspektor J. G. Wunder, wohnhaft in Muggendorf, zuletzt selbst verdächtigt, illegal Fundgut nach auswärts verscherbelt zu haben. In Franken, Prof. Goldfuß nahm seine Kollektion 1818 nach Bonn mit, blieb von riesigen Fundmengen außer an der Universität Erlangen am Ende fast nichts zurück!
c) Früher Tourismus
Über reinen Besichtigungstourismus geben erhaltene Gästebücher einiger alter Wirtshäuser, z. B. in Muggendorf oder Waischenfeld, erste Auskunft. Seit Esper waren Höhlen angesagt. Auch Tieck und Wackenroder, die geliebten Urväter des Fränkische-Schweiz-Fremdenverkehrs, nahmen am Schlusstag ihres Pfingstritts 1793 noch kurz die – ebenfalls bereits von Esper visitierte – Streitberger Schönsteinhöhle (Notiz „unbequem“) (Abb. 3) und weitere drei Kleinhöhlen mit.
Zahlen zum Umfang solchen Betriebs liegen für diese Zeit noch nicht vor. Aber es spricht für wachsenden Bedarf, dass schon G. A. Goldfuss 1810 und dann 1829 der Bamberger Historiker Joseph Heller gedruckte Reiseführer vorlegten; letzterer behandelte neben Gaillenreuth und Moggast auch fast alle anderen der nun schon 46 bekannten Höhlen um Muggendorf und für welche man zum Besuch Leitern, Seile, Fackeln, einen Ariadnefaden und eventuell einen Führer brauche. Aufsehen erregte, dass 1829 sogar Bayernkönig Ludwig I., als er Gast bei Graf Schönborn auf Burg Rabenstein war, das Kühloch im Ahorntal besuchte, – freilich um den Preis, dass das Planieren eines würdigen Festplatzes vor der Höhle darunterliegende Fundschichten zerstörte.
d) Künstlerisch-literarische Romantisierungen
Wesentlichsten Anteil daran, die neue Popularität dieses Landstrichs Fränkische Schweiz zu begründen und zu steigern, hatten außerdem Künstler und Literaten. Das gilt übrigens für viele Ziele, die nun im 19. Jahrhundert ins Licht von (Urlaubs-)Reisenden rückten. In Kupfer- und Stahlstichen formten bildende Künstler dabei das Felsen-, Burgen- und Höhlenmilieu immer noch ein bisschen bizarrer, als es ohnehin schon ist. Der Sammler K.-H. Bauer konnte 1967 in Bamberg allein 121 Blätter mit solchen Höhlendarstellungen zeigen, 16 Mal dabei die Zoolithenhöhle, 10 Mal die Moggaster Höhle (Abb. 4), noch öfter die dramatische Riesenburg (34) (Abb. 5). Und bekannte Schriftsteller, die bei Frankenfahrten zwischen Nürnberg und Bayreuth auch nie die Höhlen versäumten, z. B. Arndt 1798, Fürst Pückler 1834, Immermann 1837, erschreckten sich dort – wie sie es in ihren gedruckten Reisetagebüchern beschreiben – ganz grauslich vor Höllenrachen und Riesengebein in diesen Unterwelten. Doch war das vermutlich nicht mehr als der typisch überemotionalisierte Ton der Romantik damals. Denn oft noch am selben Tag stiegen sie munter ins nächste solch fürchterliche Tropfsteinlabyrinth ein, um sich dort – literarisch – erneut schlimm zu ängstigen.