Stadtentwicklung von Bernau bei Berlin

Von Marlies Schulz – 12/2020

Bernau – im Mittelalter der wichtigste Ort des Barnim – profitierte im 19. Jahrhundert von der Nähe zur florierenden Großstadt Berlin. Enge Wirtschaftsbeziehungen förderten besonders die Textilindustrie. Auch die gute Verkehrsanbindung trug dazu bei, dass die Stadt schnell über ihre mittelalterlichen Grenzen hinaus wuchs. Als Endbahnhof einer Berliner S-Bahn-Linie wurde Bernau im 20. Jahrhundert auch zu einem wichtigen Pendlerwohnort und Naherholungsziel. Von Weltkriegszerstörungen weitestgehend verschont, war Bernaus Altstadt in den 1970er Jahren Musterbeispiel und Demonstrationsobjekt sozialistischer Altstadtgestaltung: Der zwar verfallende, aber in der Substanz erhaltene historische Stadtkern wurde zum großen Teil abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt. Bernau ist heute brandenburgisches Mittelzentrum. Wie in der Vergangenheit profitieren Wirtschaft und Stadtentwicklung von der Nähe zu Berlin – die Einwohnerzahl wuchs von 1991 bis 2014 durch starken Zuzug erheblich und sie wächst weiter.

Die Stadt Bernau wurde um 1230 gegründet. Der älteste Teil der Stadt befindet sich im Bereich rund um die Marienkirche. Südöstlich davon erfolgte eine planmäßige Siedlungserweiterung mit Marktplatz und einem gitterförmigen Straßennetz.

Abb. 1: Der Pulverturm mit einem erhaltenen Teil der Stadtmauer
Abb. 1: Der Pulverturm mit einem erhaltenen Teil der Stadtmauer (Foto: Stadt Bernau bei Berlin, 2008)

Die günstige Lage an einer wichtigen Handelsstraße, die Spandau bzw. Berlin mit der Oder und mit Stettin verband, förderte die wirtschaftliche Entwicklung. Die Stadt wurde zum wichtigsten Ort im zentralen Barnim, befestigt mit Wällen, Gräben und hohen Feldsteinmauern. Wichtigstes Erzeugnis war das Bernauer Bier, das unter anderem bis nach Berlin, Eberswalde und nach Stettin geliefert wurde.

Im 15. Jahrhundert ereigneten sich mehrere Brände, die Teile der Stadt zerstörten. Bemerkenswert ist, dass die Stadt 1432 der Belagerung durch die Hussiten dank seiner starken Befestigung widerstehen konnte. Noch heute wird jedes Jahr feierlich der Niederlage der Hussiten mit einem großen Festumzug durch die Innenstadt gedacht. Im 16. und 17. Jahrhundert erlebte Bernau mehrere Pestwellen. Auch durch kriegerische Ereignisse nahm die Bevölkerung stark ab und die Wirtschaft litt sehr.

Im 18. Jahrhundert veränderte sich die Wirtschaftsstruktur grundlegend: Die jahrhundertelang betriebene Bierbrauerei und der Bierhandel gingen zurück. Dagegen gewannen der Ackerbau und die Textilproduktion an Bedeutung. Durch den Zuzug von ausländischen Spinnern entstanden z. B. eine Samt- und Seidenmanufaktur und eine Kattun- und Leinenmanufaktur. An der Wende zum 19. Jahrhundert wurde Bernau kreisfreie Stadt (Immediatstadt). Während der Zeit Napoleons wirkten sich häufige Einquartierungen von Truppen negativ auf die Wirtschaft aus.

Ab Beginn des 19. Jahrhunderts erweiterte Berlin seinen Einfluss auf die umliegenden Gebiete, was in Bernau zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führte. Durch den Zuzug von Berliner Baumwollspinnern gewann etwa die Textilproduktion weiter an Bedeutung. Die neu entstandenen Fabriken (Handschuh-, Woll- und Seidenfabriken) lieferten vorrangig nach Berlin. Ende des 19. Jahrhunderts war das Handschuhgewerk nach der Textilindustrie der wichtigste Industriezweig der Stadt.

Abb. 2: Stadtentwicklung von Bernau 1770–2017 (zur Ansicht der Einzelbilder bitte anklicken)
Abb. 2: Stadtentwicklung von Bernau 1770–2017 (zur Ansicht der Einzelbilder bitte anklicken) (Quelle: IfL)

Im Jahre 1842 wurde Bernau Bahnstation der neuen Bahnstrecke Berlin–Stettin. Die wirtschaftliche Entwicklung und die verbesserte Verkehrsanbindung führten dazu, dass die bisher kleinen Vorortsiedlungen außerhalb der Stadtmauer sich ausweiteten und zu Stadtteilen wurden. Die technische und soziale Infrastruktur verbesserten sich.

1891 wurde Bernau in den Berliner Vorort-Schienenverkehr eingebunden. Mit der 1924 erfolgten Inbetriebnahme einer elektrisch betriebenen Bahn, der späteren Berliner S-Bahn, die in Bernau endete, stieg durch Zuzug die Einwohnerzahl der Stadt und damit auch die Zahl der Pendler, die nach Berlin zur Arbeit fuhren. Es entstanden neue Wohnsiedlungen. Im Norden der Stadt wurde 1928–1930 die Bundesschule des SPD-nahen ADGB errichtet.

Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 veränderte sich die Stadt immens. Sie wurde Garnisonsstadt. Eine Luftnachrichtentruppe der Wehrmacht wurde hier stationiert. In den Jahren von 1939 bis 1942 entstand entlang der Schwanebecker Chaussee und am Schönfelder Weg auf großen Flächen das Heeresbekleidungsamt Bernau (Hauptamt und Nebenlager) der Wehrmacht, in dem mehr als 1.000 Personen beschäftigt waren. Ab 1943 gab es in der Stadt ein Außenlager des KZ Sachsenhausen.

Im Zweiten Weltkrieg blieb Bernau von Kriegszerstörungen weitgehend verschont. Die Stadt wurde im April 1945 von der Roten Armee eingenommen. Die militärischen Flächen nutzten 1945 bis 1991 die sowjetischen Streitkräfte.

Im Jahre 1952 erhielt die Stadt die administrative Funktion einer Kreisstadt. Auch industriell wurde sie aufgewertet. Beispielsweise wurde eine Großbäckerei und in den 1960er Jahren ein Schichtpressstoffwerk errichtet. Auf dem Gebiet der Gemeinde Bernau wurde von 1958 bis 1960 eine Siedlung errichtet, die unter dem Namen „Waldsiedlung Wandlitz“ bekannt ist. In der Siedlung lebten bis 1989 die höchsten SED-Parteifunktionäre der DDR in Einzelhäusern in einer streng bewachten Parallelwelt. Der Name Wandlitz wurde zu einem Synonym für das Herrschaftssystem der SED.

Ende der 1970er Jahre begann ein sehr konsequenter und verheerender Eingriff in die Struktur des von der mittelalterlichen Mauer umgebenen Altstadtkerns. Als Beispielplanung für die Rekonstruktion von Altstadtkernen in der DDR gedacht, erfolgte ein Flächenabriss, das heißt ganze Straßenzüge mit vielen alten Gebäuden wurden abgerissen, Wohnungen in Plattenbauweise errichtet und nur wenige alte Gebäude wurden modernisiert. Die damit geschaffenen städtebaulichen Kontraste und Disharmonien prägen noch heute die Altstadt von Bernau. Nur einige denkmalgeschützte Gebäude sind erhalten geblieben, wie zum Beispiel das Steintor mit „Hungerturm“, das „Henkerhaus“ und die Stadtpfarrkirche St. Marien.

Abb. 3: Blick vom Külzpark auf das Steintor
Abb. 3: Blick vom Külzpark auf das Steintor (Foto: Micha Winkler, 2013)

Die Wiedervereinigung führte in Bernau zu tiefgreifenden Veränderungen, darunter nicht zuletzt zu einer massiven Deindustrialisierung. Industrielle Gewerbe sind heute nur in sehr geringen Umfang in der Stadt vertreten. Handwerk, Handel und Dienstleistungen bilden den Schwerpunkt der Bernauer Wirtschaft, die regionale Bedeutung besitzt. Charakteristisch ist eine kleinteilige Gewerbestruktur. Es gibt drei Gewerbegebiete. Die Zahl der sozialpflichtig Beschäftigten am Arbeitsort ist in den letzten Jahren gestiegen. Waren es 2008 rund 9.000 Personen, so betrug die Zahl 2018 rund 11.000 Personen. Es sank gleichzeitig die Arbeitslosenquote von 19 % im Jahre 1992 auf 3,2 % im Jahr 2018. Charakteristisch ist, dass der Arbeitsmarkt durch eine hohe Zahl von Auspendlern geprägt ist, die höher ist als die Zahl der Einpendler. Rund 75 % der am Wohnort lebenden sozialpflichtig Beschäftigten arbeiten in anderen Gemeinden bzw. in Berlin. Sie nutzen die günstige Verkehrsanbindung der Stadt. Ab 2009 wurden der Bahnhof (S-Bahn, Regional- und Fernverkehr) und der Bahnhofvorplatz umfassend modernisiert und umgestaltet. Seit 2013 gibt es ein Fahrradparkhaus mit rund 560 Stellplätzen. Außerdem gibt es zwei Autobahnabfahrten der Bundesautobahn A11.

Im Dienstleistungsbereich erfolgte eine Spezialisierung auf die Gesundheitswirtschaft. Vier große Kliniken (Immanuel Klinik Herzzentrum Brandenburg, Epilepsieklinik Tabor, Brandenburg Klinik Berlin-Brandenburg, Kindernachsorgeklinik Berlin-Brandenburg Gemeinnützige GmbH) und die Hoffnungsthaler Anstalten im Ortsteil Lobetal bestimmen dieses Profil. Eine der Kliniken befindet sich in der Waldsiedlung Wandlitz. Im Bereich Gesundheitswirtschaft sind rund 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Das Handelsangebot konzentriert sich auf zwei benachbarte Teilräume der Stadt. Die historische Innenstadt ist durch kleinteilige individuelle Angebote gekennzeichnet, wobei der bedeutendste sowohl nach der Fläche als auch nach dem Umsatz die 1996 errichtete Bahnhof-Passage mit einem vielfältigen Branchenmix (75 Geschäfte) ist.

Auch der administrative Status von Bernau veränderte sich. Die Stadt verlor 1993 im Zuge der Gebietsreform des Landes Brandenburg die Funktion einer Kreisstadt. Im gleichen Jahr wurde die Gemeinde Birkholz in die Stadt eingemeindet. 2001 erfolgte die Eingemeindung der Gemeinde Ladeburg, 2002 die der Gemeinden Börnicke und Lobetal und 2003 die der Gemeinde Schönow. Im Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg ist Bernau als Mittelzentrum mit historischem Stadtkern eingestuft worden. Der Mittelbereich umfasst die Stadt Bernau bei Berlin sowie die Gemeinden Ahrensfelde, Panketal, Wandlitz und Werneuchen.

Abb. 4: Bernau von Südosten
Abb. 4: Bernau von Südosten (Foto: Peter Gärtner, 2015)

In Bernau lebten 2014 rund 40.000 Einwohner. Die Gemeinde hatte in der Zeit von 1991 bis 2014 einen Einwohnerzuwachs von 49,2 % zu verzeichnen (auf dem Gebietsstand von 2005), der vor allem durch den Suburbanisierungsprozess bedingt ist. Die Einwohnerzahl ist weiterhin vor allem durch weiteren Zuzug, da die Bilanz der natürlichen Bevölkerungsbewegung negativ ist, gestiegen.

Die Bevölkerungszunahme führt auch weiterhin zu einer starken Ausweitung der Siedlungsfläche. Viele Berliner, besonders junge Familien, zogen und ziehen in die neuen Wohngebiete mit mehrgeschossigen Wohngebäuden und in Einfamilienhausgebiete. Ein Beispiel für ein neu errichtetes Wohngebiet ist der Wohnpark Friedenstal. Zur Anbindung an dieses neue Wohngebiet wurde 1997 die S-Bahnstation Bernau-Friedensthal, errichtet. Der Wohnungsmarkt der Stadt ist durch eine hohe Dynamik gekennzeichnet.

Einen weiteren Schwerpunkt der baulichen Aktivitäten nach 1990 bildeten die Sanierung des historischen Stadtkerns und der Bernauer Stadtmauer. Die Stadtmauer ist von 1990 bis 2010 umfassend saniert und modernisiert worden. Im Sanierungsgebiet Stadtkern wurden von 1992 bis 2017 20,3 Millionen Euro investiert. Gegenwärtig erfolgen Investitionen besonders im Sanierungsgebiet Gründerzeitring. Die räumliche Trennung der Stadtverwaltung auf sieben Standorte bedingte den Neubau eines Verwaltungsgebäudes in der Stadtmitte. Nach einem Bürgerentscheid begannen 2017 die Arbeiten für das neue Rathaus von Bernau. Es wird im Rahmen der Städtebauförderung mit Mitteln des Bundes und des Landes Brandenburg gefördert. Anfang des Jahres 2019 war Richtfest. 2020 erfolgte die Einweihung.

Ein bauliches Schmuckstück der Stadt ist die 1930 errichtete ehemalige Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau, die aufwendig saniert wurde und heute von der Handelskammer Berlin genutzt wird. Sie wurde 2017 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen und ist Teil der bereits seit 1996 bestehenden Welterbestätte Bauhaus.

Die von den sowjetischen Streitkräften genutzten Gebäude und Flächen der Stadt werden seit Anfang der 1990er Jahre nach dem Abzug der Truppen zum großen Teil noch nicht genutzt. Die insgesamt 250 ha Konversionsflächen (ohne Schönower Heide) sind teilweise mit Altlasten belastet. Gegenwärtig werden die Flächen neuen Nutzungen zugeführt, so werden bspw. Wohnungen in alten Kasernen errichtet.

Im Jahr 2017 hat die Stadt ein integriertes Stadtentwicklungskonzept (INSEK) beschlossen, das die Entwicklungsziele für die mittel- und langfristige Stadtentwicklung festlegt. Ziel ist die Steuerung des Einwohnerzuwachses mit seinen Auswirkungen auf die Siedlungsentwicklung und die Anforderungen an die technische und soziale Infrastruktur.


Empfohlene Zitierweise

Marlies Schulz: “Stadtentwicklung von Bernau bei Berlin” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/80_b_131-stadtentwicklung-bernau/, Stand 07.12.2020

Quellen und weiterführende Literatur

  • Baudenkmal Bundesschule Bernau e.V. (Hrsg., 2015): Bewahren – sanieren – Nutzen. 25 Jahre Engagement für das Bauhaus-Denkmal Bundesschule Bernau (= Beiträge zur Bau- und Nutzungsgeschichte 8). – Bernau.
  • Bernauer Stadtmarketing GmbH (o.J.): Bernau bei Berlin. Gesunde Stadt. – Bernau.
  • BÜLOW, Karl (2001): Chronik Stadt Bernau 1945–2000, Teil I–III. – Bernau.
  • MARCINEK, Joachim; SADLER, Wolfgang und Lutz ZAUMSEIL (1995): Von Berlin in die Mark Brandenburg (= Geographische Bausteine, Neue Reihe 41; Exkursionsführer 1). – Gotha.
  • THURN, Manfred (2014): Stadtmauer und Wallanlagen, Denkmalgerechte Rekonstruktion und Instandsetzung 1990–2010. Hrsg. von der Stadt Bernau bei Berlin, Bürgermeister und Stadtplanungsamt. – Bernau.
  • WIPPRECHT, Ernst (2009): Erhaltung brandenburgischer Altstädte während der DDR-Zeit – eine ständig hoffnungsloser werdende Aufgabe, in: WendePunkte. Die Wiederentdeckung der historischen Stadtkerne, S. 26-33. – Potsdam.

Bildnachweise

  • Titelbild: Luftbild von Bernau im Frühjahr von Südosten (Foto: Peter Gärtner, 2015)
  • Vorschaubild: Stadtentwicklung von Bernau 1770–2017 (Quelle: IfL)