Prof. Dr. Otto Jacob Max Hilzheimer (1877–1946) – der erste Landesbeauftragte für Naturschutz in Berlin und auf dem Barnim

Von Michael Gödde – 12/2020

Vor einhundert Jahren – zum 1. Oktober 1920 – wurde Berlin durch ein Gesetz mit seinen Nachbargemeinden und -kreisen zu Grossberlin verschmolzen (Bodenschatz u. Brake 2017). Erst später änderte sich die Schreibweise zu Großberlin. Die flächenhafte Ausdehnung ist heute fast identisch mit der damaligen und umfasste seinerzeit 878 km². Die Einwohnerzahl belief sich auf 3,8 Millionen Einwohner, heute leben in Berlin mit über 3,7 Millionen (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2019) beinah so viele Menschen wie im Jahr 1920.

Die Metropole hatte mit einem unbeschreiblichen Wachstum zu kämpfen und platzte bildlich gesprochen aus allen Nähten. Neben den sozialen und hygienischen Problemen mussten nicht zuletzt Wohnraum, Straßen und Strukturen für Ver- und Entsorgung geschaffen werden. Der südliche Barnim hatte in diesem Wachstumsszenario eine wichtige Rolle mit seinen Stadtgutflächen, ausgedehnten Waldbeständen, zahlreichen Gewässern und in Teilen 100 Jahre lang als Rieselfeld für die Verrieselung von Abwassern (Steinhardt 2015).

Abb. 1: Topografische Karte mit dem Naturschutzgebiet Kalktuffgelände am Tegeler Fließ 1927 bis 1937
Abb. 1: Topografische Karte mit dem Naturschutzgebiet Kalktuffgelände am Tegeler Fließ 1927 bis 1937 (Quelle: Kartensammlung der Geographischen Zentralbibliothek im IfL)

In der Weimarer Zeit gewann der Naturschutz allmählich an Kontur. Durch die Gründung des Volksbundes Naturschutz und die damit verbundene breite Einbeziehung von weniger privilegierten Schichten wuchs der Einfluss des Naturschutzes. So konnten förmlich nach der Änderung des Feld- und Forstpolizeigesetzes im Jahr 1920 Naturschutzgebiete ausgewiesen werden (Frohn 2006). Im Fokus standen Seeufer und aus Rücksicht auf die Volksgesundheit Flächen in unmittelbarer Nähe zur Stadt. Es ist davon auszugehen, dass es allerdings im Magistrat Berlin an den Strukturen und Menschen haperte, die sich dieser Aufgabe annehmen konnten. Die anfangs territorial zuständige Brandenburgische Provinzialstelle war offensichtlich wenig Stadt-affin und forderte, eine eigene Berliner Stelle für Naturdenkmalpflege einzurichten. Der Volksbund legte eigene Vorschläge zum Aufbau der städtischen Stelle mit Hinweisen, welche Gruppierungen dort vertreten sein sollten, vor. Die Bemühungen zeitigten mit einer eigenen Kommission für Naturdenkmalpflege in Berlin 1927 Erfolg. Max Hilzheimer wurde als deren ehrenamtlicher Kommissar – als erster Naturschutzbeauftragter Berlins – berufen (Oberste Naturschutzbehörde Berlin).

Abb. 2: Prof. Dr. Otto Jacob Max Hilzheimer (1877–1946)
Abb. 2: Prof. Dr. Otto Jacob Max Hilzheimer (1877–1946) (Quelle: Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen. Bestand: Zool. Mus. Signatur: B I/492, Porträt Max Hilzheimer)

Max Hilzheimer war beruflich Abteilungsleiter im Märkischen Museum und Säugetierkundler, der sich international mit alten Haustierrassen befasste. Mit dem Naturschutz verband ihn vor allem, dass er ab 1926 beim Volksbund Naturschutz Vorträge hielt und mit Hans Klose als Leiter der Brandenburgischen Stelle in der Folge eng zusammenarbeitete (Frohn 2020).

Max Hilzheimer lag es weniger an Zivilisationskritik wie den Naturschützern außerhalb der Großstadt und er hatte eigene Vorstellungen vom Naturschutz in der Stadt: Er wollte Naturschutz verstärkt als Bildungsarbeit verstanden wissen und die Menschen nicht aus den naturnahen und schützenswerten Flächen (der Heimatnatur) fernhalten oder gar aussperren. Seine Auffassung war, dass es die Natur nicht rettet, wenn man vermehrt Schutzgebiete ausweist, sondern dass sich vielmehr das Bewusstsein der Menschen ändern muss, damit sie respektvoll mit der Natur umgehen. Zu seinem Verständnis gehörte es, dass sich Menschen draußen in der Natur und in der Stadtnatur erholen und die Wohlfahrtswirkungen der Natur genießen können (Frohn 2020). Im heutigen Sinne wären das die Ökosystemleistungen, die die Natur für den Menschen bereithält.

Auch sonst war Hilzheimer ein aufmerksamer Beobachter und Lehrer: Noch immer aktuell sind seine Ausführungen zum Laubharken, das er geißelte, weil es sich für die Vogelwelt negativ auswirkt. Hilzheimer äußerte sich für die Sicherung von naturschutzwürdigen Landschaften oder gegen die Entnahme von Grundwasser und gegen Mülldeponien auf Moorstandorten.

1931 äußerte sich Hilzheimer zum Zweck der Vogelschutzgebiete in der Großstadt, er befasst sich mit Schutzzielen und Schutzgütern und sieht bereits die Notwendigkeit von Pflegemaßnahmen zur Verhinderung der Sukzession auf Moorstandorten (Frohn 2020).

Das alles hinderte Max Hilzheimer allerdings nicht daran, Schutzgebiete auszuweisen, zu erforschen und zu betreuen (Oberste Naturschutzbehörde Berlin). Bekannt sind: Großer Stein bei Buchholz, Fauler See in Weißensee, Moore im Spandauer Forst, Großer Rohrpfuhl, Kleiner Rohrpfuhl, Köpenicker Dammforst und Vogelfreistätte Insel Imchen bei Kladow. Mit dem Kalktuffgelände bei Schildow hat er im Berliner Teil des länderübergreifenden Naturparks Barnim ein sehr bemerkenswertes Schutzgebiet untersucht und für dessen Unterschutzstellung gesorgt. 1940 lief das Gebiet im Amtsblatt für den Polizeipräsidenten unter Naturschutzgebiete Schildow, Kalktuff-Gelände am Tegeler Fließ (Oberste Naturschutzbehörde Berlin). Das Kalktuffgelände wurde Jahrzehnte später im Jahr 1989 auf Grundlage der Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz der DDR als Landschaftsschutzgebiet Westbarnim und Tegeler Fließ einstweilig unter Schutz gestellt. Nach der Wiedervereinigung wurde es der EU-Kommission insbesondere wegen seiner kalkhaltigen Quellen und Kalktuffe und einer Windelschneckenart als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet gemeldet und 2017 als Naturschutzgebiet Kalktuffgelände am Tegeler Fließ neu verordnet (Oberste Naturschutzbehörde Berlin). Dass insgesamt die Meldung von Flora-Fauna-Habitat-Gebieten und auch von Vogelschutzgebieten gemäß der beiden EU Richtlinien „Habitat Directive“ und „Bird Directive“ in Berlin zu einer deutlichen Zunahme von geschützten Flächen führte, wird in Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2016) veranschaulicht.

Abb. 3: Die Karower Teiche
Abb. 3: Die Karower Teiche (Foto: Peter Gärtner 2015)

Zu anderen Schutzgebieten auf der Barnimer Hochfläche im Berliner Teil des länderübergreifenden Naturparks Barnim gehören ferner (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2007) das Naturschutzgebiete Ziegeleigraben/Albtalweg, das durch den Bezirk Reinickendorf 1960 gesichert wurde, die Karower Teiche, die 1994 zum Naturschutzgebiete erklärt wurden, 1995 das Naturschutzgebiete Idehorst und 1997 das Naturschutzgebiete Mittelbruch.

Das Naturschutzgebiete Bogenseekette und Lietzengrabenniederung wurde im Jahr 2002 gesichert, das NATURA 2000-Gebiet Schlosspark Buch und angrenzende Waldfläche erfuhr den Schutz als Naturschutzgebiete nicht zuletzt wegen der Heldbockvorkommen im Jahr 2016. Zuletzt wurde 2017 die Verordnung des Naturschutzgebietes Niedermoorwiesen am Tegeler Fließ aktualisiert (Oberste Naturschutzbehörde Berlin).

Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war nicht die Städtische Stelle für Naturschutz, sondern der Polizeipräsident für die Verordnung der Schutzgebiete zuständig. Heutzutage wird analog verfahren. Nachdem beispielsweise der Landesbeauftragte eine Unterschutzstellung empfiehlt und vorbereitet, wird die Unterschutzstellung als Verordnung durch die zuständige Senatsverwaltung durchgeführt. Der Unterschied liegt darin, dass nicht mehr der Polizeipräsident für die Umsetzung des Naturschutzgesetzes zuständig ist, sondern das im Senat Berlin zuständige Senatsmitglied (Oberste Naturschutzbehörde Berlin).

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit Hilzheimers liegt in der Beschäftigung mit dem Landschaftsbild (Frohn 2020), das aus heutiger Sicht ein wichtiges Kriterium für Fragen der Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft darstellt. Hilzheimer beschreibt seine Sicht auf Seeufer, wie am Tegeler See und auf unverbaute Landschaften ohne Fabrikschlote oder Überlandleitungen und macht deutlich, dass es für die Allgemeinheit wichtig ist, das Landschaftsbild zu berücksichtigen.

Das Spektrum seiner Arbeiten umfasste außerdem Fachvorträge auf Tagungen, Veranstaltungen an Volkshochschulen, Beratungen der Park- und Forstverwaltung oder der Polizei, ferner verfasste er Gutachten und Aufsätze.

Max Hilzheimer wurde 1936 als Sohn jüdischer Eltern aus dem Amt des Naturschutzkommissars verdrängt und aus dem Dienst beim Märkischen Museum entfernt, zudem wurden ihm die bürgerlichen Rechte entzogen und er wurde auch von ehemaligen Kollegen und Naturschützern drangsaliert (Frohn 2020). Das Naziregime überlebte er nur mit Hilfe seiner Ehefrau Walburga, die sich couragiert und intensiv kümmerte als er zwei Schlaganfälle erlitt. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges erlag Max Hilzheimer den Folgen eines dritten Schlaganfalls. Er starb am 10. Januar 1946 aufgrund von seit 1936 einsetzenden rassenpolitischen Verfolgungen durch das nationalsozialistische Deutschland. Er ist ein Verfolgter des NS-Terrorregimes und wegen seiner Leistungen als Wissenschaftler, Herausgeber und Naturschützer erinnerungswürdig.

Danksagung

Die Kenntnisse zu Max Hilzheimer entstammen einem Rechercheauftrag, der von Dr. Hans-Werner Frohn, Geschäftsführer der Stiftung Naturschutzgeschichte, Königswinter, im Auftrag der Obersten Naturschutzbehörde Berlin 2019 erarbeitet wurde. Es ist beabsichtigt, im Rahmen der Würdigung von Max Hilzheimer die Arbeit von Hans-Werner Frohn 2020 öffentlich zur Verfügung zu stellen.


Empfohlene Zitierweise

Michael Gödde: “Prof. Dr. Otto Jacob Max Hilzheimer (1877–1946) – der erste Landesbeauftragte für Naturschutz in Berlin und auf dem Barnim” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/80_b_125-otto-jacob-max-hilzheimer/, Stand 07.12.2020

Quellen und weiterführende Literatur

  • Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2019): Statistischer Bericht A I 5 – hj 1 / 19, Einwohnerinnen und Einwohner im Land Berlin am 30. Juni 2019.
  • BODENSCHATZ, Harald u. Klaus BRAKE (Hg., 2017): 100 Jahre Groß-Berlin. Band 1: Wohnungsfrage und Stadtentwicklung, Edition Gegenstand und Raum. – Berlin.
  • FROHN, Hans-Werner (2006): Naturschutz macht Staat – Staat macht Naturschutz. Von der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen bis zum Bundesamt für Naturschutz 1906 bis 2006 – eine Institutionengeschichte, in: Frohn, Hans-Werner und Friedmann Schmoll (Hgg.): Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006 (Naturschutz und Biologische Vielfalt Bd. 35). – Münster-Hiltrup, S. 55-341.
  • FROHN, Hans-Werner (2020): Max Hilzheimer (1877-1946). Eine „deutsche“ Naturschutz-Biographie. Leiden an Deutschland – Leid durch Deutschland. Im Auftrag des Landes Berlin (in Druckvorbereitung).
  • Oberste Naturschutzbehörde Berlin, nicht publizierte Unterlagen und Handakten (Einsichtnahme 2020).
  • Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (2007): natürlich Berlin. Naturschutz- und NATURA 2000 Gebiete in Berlin. – Berlin.
  • Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (2016): Naturbarometer Berlin 2015. Stadtnatur: Berlins Biologische Vielfalt. – Berlin.
  • STEINHARDT, Uta (2015): Erholungsnutzung und Naturschutz auf ehemaligen Rieselfeldern - Fallbeispiel Hobrechtsfelde, in: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) u. Institut für Landschaftswasserhaushalt (LWH, Hgg.): Gereinigtes Abwasser in der Landschaft. Ein Orientierungsrahmen für strategische Entscheidungsprozesse. – Müncheberg, S. 13-17.

Bildnachweise

  • Titelbild: Naturschutzgebiet Kalktuffgelände am Tegeler Fließ (Foto: Peter Gärtner 2019)
  • Vorschaubild: Die Eichwerder Moorwiesen im Tegeler Fließ (Foto: Andrea Brodersen)