Heilbad Heiligenstadt – Hochwassermarke vom 26. Mai 1852 am Geisleder Tor
Von Tobias Reeh und Mathias Deutsch – 11/2018
In Heiligenstadt speist die stark hochwassergefährdete Geislede, die zuvor das Wasser des Pferdebachs aufgenommen hat, die Leine. Bedingt durch Starkregen, Unwetter oder auch Schneeschmelzen liefen im Stadtgebiet immer wieder schwere Hochwasser ab (z. B. 1852, 1886, 1909, 1946, 1947, 1956 und 1981). Historisches Text- und Bildmaterial sowie Hochwassermarken ermöglichen aussagekräftige Einblicke in die entsprechenden Extremereignisse.
Die Einzugsgebietsgröße für den Bereich der Leine bis Heiligenstadt sowie der Geislede beträgt ca. 215 km². Bemerkenswert ist, dass die Leine in diesem Bereich auf 244 m ü. NHN (Bezugspunkt: Pegel Heilbad Heiligenstadt) fließt, die umliegenden Anhöhen hingegen bis auf 460 m ü. NHN (Iberg) südlich und bis auf 377 m ü. NHN (nahe Günterode) nördlich von Heiligenstadt hinaufreichen.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sowohl infolge von Starkregen bzw. Unwettern als auch während der Schneeschmelze immer wieder schwere Hochwasser ablaufen, obwohl die Laufstrecke der Leine bis nach Heiligenstadt gerade einmal 15 km und ihr durchschnittlicher Wasserstand nur rund 30 cm bei einer Durchflussmenge von 1,3 m³/s beträgt. Als katastrophale Hochwasser sind beispielsweise die Ereignisse in den Jahren 1886, 1909, 1946, 1947, 1956 und 1981 anzusprechen. So belief sich die maximale Durchflussmenge am Pegel Heiligenstadt am 4. Juni 1981 auf rund 42,8 m³/s.
Durch eine Hochwassermarke am Geisleder Tor (‚Alte Torwache‘) wird an ein noch weiter zurückliegendes extremes Hochwasser vom 26. Mai 1852 erinnert. Hierüber finden sich in zahlreichen Ortschroniken sowie zeitgenössischen Pressemeldungen eingehende Informationen. Das Abflussereignis von 1852 wird in der Literatur als „[…] wohl verheerendste Unwetterkatastrophe“ des 19. Jahrhunderts bezeichnet (Gödecke 2008, S. 72f.). In Anlehnung an die sogenannte „Thüringische Sintflut“ von 1613 spricht Goldmann sogar von einer „Zweiten Sintflut des Eichsfeldes“ (GOLDMANN 1926, S. 39).
Die hydrometeorologische Situation im Frühjahr 1852 ist anhand der Quellen sowie verschiedener Untersuchungen rekonstruierbar. „Seit dem 20. Mai zogen heftige Gewitter über das Land. Der Frühling des Jahres 1852 war von einer Kältewelle im April geprägt, wogegen im Mai ein Wetterumschwung einsetzte und zu warmen Temperaturen führte […]“ (KLINGEBIEL 1926, S. 97ff.). So entlud sich am 26. Mai 1852 gegen 17 Uhr ein besonders heftiges Gewitter mit Starkregen und Hagel. Dabei sei „[…] das Fallen des Regens und Hagels und Heulen des Sturmes so mächtig gewesen […], dass man das darüber berstende Krachen der Blitzschläge überhörte“ (GÖDECKE 2008, S. 73). Das Gewitter dauerte ca. eine Stunde, und „[…] ausgehend von der Obereichsfelder Höhe drängten gewaltige Wassermassen in verschiedene Richtungen zu Tal […]“ (GÖDECKE 2008, S. 73). Betroffen waren neben dem Heilbad Heiligenstadt vor allem auch Dingelstädt, Kefferhausen, Küllstedt, Helmsdorf und das Geisledetal. Hier verzeichnete man sogar Todesfälle sowie große Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur (Brücken, Verkehrswege etc.). Der Starkregen führte zudem zu Erosionserscheinungen auf den ackerbaulich genutzten Hängen. Tiefer liegende landwirtschaftliche Nutzflächen wurden hingegen mit Sedimenten (Sand, Kies, Steine) bedeckt und konnten erst nach mühevoller Beräumung wieder genutzt werden. „Der Gesamtschaden des Unwetters vom 26. Mai 1852 für das Eichsfeld belief sich auf etwa 800.000 Taler“ (GÖDECKE 2008, S. 75).
Aus landschafts- bzw. umweltgeschichtlicher Perspektive ist noch anzumerken, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von staatlicher Seite Maßnahmen zum Erosionsschutz ergriffen wurden. Hierzu gehörten im Obereichsfeld insbesondere die Anlage von Flutgräben, die Verbauung von Erosionsrinnen und auch die Aufforstung sogenannter „kahler Bergflächen“ im Rahmen des „Eichsfeldfonds“.