Am Wasser in die Havelniederung. Eine Radtour durch den Naturpark Barnim

Von Kerstin Bosse – 12/2020

Wasser prägt den westlichen Bereich des Naturparks, die Havelniederung, die gleichzeitig Teil des gleichnamigen Landschaftsschutzgebietes „Obere Havelniederung“ ist. Wasser verbindet auch die Exkursionspunkte. Auf der Tour werden die Veränderungen der Talsandniederung durch menschliche Nutzung ebenso deutlich wie die kulturhistorische Entwicklung der Region entlang der Wasserstraßen und Seen. Trotz des Ausbaus der Gewässer für die Schifffahrt sind auch noch naturnahe Relikte wie der Tieflandbach „Schnelle Havel“ erhalten geblieben.

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Routenverlauf

S Bahnhof Lehnitz – Lehnitzsee – Gedenkstätte Sachsenhausen – Oder-Havel-Kanal – Friedrichsthal – NSG und FFH-Gebiet „Schnelle Havel“ – FFH-Gebiet „Kreuzbruch“ – Ortsteil Kreuzbruch – Liebenwalde – FFH-Gebiet „Langer Trödel“ – Zerpenschleuse

Einleitung

Als die Gletscher der Weichselvereisung zu schmelzen begannen, entstand durch das abfließende Schmelzwasser eine feuchte Talsandniederung. Verbleibende Eisreste wurden als „Toteis“ begraben und blieben nach dem Auftauen als Seen zurück, wie z.B. im Falle des Lehnitz- oder des Grabowsees.

Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) warf die Entwicklung der Region stark zurück. Ihre Wiederbesiedlung ging im 17. Jahrhundert nur allmählich voran. Auf Initiative der kurfürstlichen Landesherren wurden Arbeitskräfte aus unterschiedlichen Gebieten angeworben. Für deren Ansiedlung entstanden Kolonistendörfer wie Friedrichsthal oder Zerpenschleuse und Streusiedlungen wie Kreuzbruch.

Abb. 1: Havelniederung bei Neuholland
Abb. 1: Havelniederung bei Neuholland (Foto: Frank Liebke, 2004)

Die Urbarmachung der feuchten Niederung geht auf eine Verfügung König Friedrich Wilhelms I. aus dem Jahr 1717 zurück. Auch für deren Umsetzung kamen zahlreiche Siedler in die Mark. Daher muss bereits im 18. Jahrhundert von einer starken Entwässerung der Niederung ausgegangen werden. Tiefgreifende Veränderungen des Wasserhaushaltes erfolgten ab den 1960er Jahren. Seit dieser Zeit wurde der Grundwasserspiegel in der Feuchtniederung so weit abgesenkt, dass großflächig Ackerbau betrieben werden konnte. Mit diesen Meliorationsmaßnahmen ging auch eine großflächige Zerstörung der Niedermoorböden einher.

Ebenso wurde im 18. Jahrhundert mit dem Ausbau der Fließgewässer zu Kanälen begonnen. Ein Relikt des natürlichen Abflusssystems ist die Schnelle Havel. Allerdings wurde auch der Verlauf und Wasserstand dieses Tieflandbaches reguliert. Anfang des 20. Jahrhunderts reichte die Kapazität der historischen Kanäle nicht mehr aus, sodass der Oder-Havel-Kanal angelegt wurde. Entlang dieser neuen Wasserstraße entwickelten sich Industriestandorte wie Oranienburg, Liebenwalde und Eberswalde, für die separate Stadtführungen angeboten werden.

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Mit dem Einsatz von Dampfschiffen und zunehmender Industrialisierung reichte die Kapazität des Finowkanals als Verbindungsweg zwischen Oder und Havel nicht mehr aus, sodass ab 1906 mit dem Bau der Oder-Havel-Wasserstraße begonnen wurde. Die 1914 als „Hohenzollernkanal“ eröffnete Wasserstraße trägt seit 1945 die Bezeichnung Oder-Havel-Kanal.

Abb. 2: Oder-Havel-Kanal bei Oranienburg
Abb. 2: Oder-Havel-Kanal bei Oranienburg (Foto: Frank Liebke, 2002)

Für seinen Bau wurden historische Kanalabschnitte wie der Malzer Kanal sowie natürliche Gewässer wie die Faule Havel einbezogen. Der Kanalneubau zeigt die Fortschritte der Wasserbaukunst seit Errichtung des Finowkanals mit mehreren international höchstrangigen Ingenieur-Bauwerken. Beispiele sind der 28 m hohe Ragöser Damm (lange Zeit der weltweit höchste Kanaldamm), eine Treppenschleuse aus vier hintereinander geschalteten Kammern, die zwischen Scheitel- und Oderhaltung eine Höhendifferenz von 36 Metern überwand und das Schiffshebewerk bei Niederfinow mit einer Hubhöhe von 36 Metern.

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Abb. 3: Lehnitzsee
Abb. 3: Lehnitzsee (Foto: Frank Liebke, 2007)

Der 2,3 km lange Lehnitzsee ist als sogenannter Toteissee ein Überbleibsel der letzten Eiszeit. Heute ist er Teil der 1914 fertig gestellten Oder-Havel-Wasserstraße und wird sowohl von Transportkähnen als auch von Freizeitbooten befahren.

Mit der Anbindung Oranienburgs an den Berliner Vorortverkehr 1891 entwickelte sich der Ort mit seiner landschaftlich reizvollen Umgebung zu einer attraktiven Villenstadt und beliebten Sommerfrische für Berliner. Um den Lehnitzsee entstanden zahlreiche Ausflugslokale und ein reger Freizeitschiffsverkehr zog die Gäste an.

Trotz der starken Nutzung blieb am nordost- und nordwestlichen Ufer der naturnahe Wald erhalten. In stattlichen Baumhöhlen brüten hier die auffällig schwarz-weißen Schellenten. Biber und Fischotter passieren den See, um in naturnahe Bereiche zu gelangen.

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Als Zeugnis des staatlich organisierten Terrors der Nationalsozialisten ist die Gedenkstätte Sachsenhausen erhalten geblieben. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 war ein Absturz der Stadt Oranienburg verbunden. Im Zentrum der Stadt entstand eines der ersten Konzentrationslager, welches 1936 durch das „Modell-Lager Sachsenhausen“ abgelöst wurde.

Abb. 4: Eingangstor zur Gedenkstätte Sachsenhausen
Abb. 4: Eingangstor zur Gedenkstätte Sachsenhausen (Foto: Andrea Brodersen, 2016)
Abb. 5: Hof der Gedenkstätte Sachsenhausen
Abb. 5: Hof der Gedenkstätte Sachsenhausen (Foto: Andrea Brodersen, 2016)

In der Gedenkstätte erinnern heute Relikte des Konzentrationslagers und historische Dokumentationen an die Gräueltaten des Nationalsozialismus. Bis 1945 waren hier etwa 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende starben an Hunger, Krankheiten und Misshandlungen oder wurden hingerichtet. Einen Tag vor der Befreiung des Lagers durch polnische und sowjetische Soldaten wurden ca. 33.000 Häftlinge auf Todesmärsche getrieben, wobei Tausende starben. Knapp 3.000 Kranke hatte die SS im Lager zurückgelassen. Sie wurden am 22. und 23. April 1945 befreit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte der sowjetische Geheimdienst ca. 60.000 Wehrmachtsangehörige, NS-Funktionäre, aber auch politisch unliebsame Personen nach Sachsenhausen, die bis 1950 teilweise ohne Verurteilung hier eingesperrt waren. Von ihnen starben mindestens 12.000.

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1350 erstmals unter dem Namen Grabsdorf erwähnt, wurde der in der Havelniederung gelegene Ort 1691 von Kurfürst Friedrich III. gekauft und nach seinem Namen in „Friedrichsthal“ umbenannt. Der Kurfürst, seit 1701 König Friedrich I., ließ hier ein Jagdschloss mit einem weitläufigen Park errichten. Für dieses Vorhaben mussten die Bauern ihre Höfe aufgeben, sodass im Ort 1701 keine Bauern und Kossäten mehr lebten. Die Nachfolger König Friedrich I. hatten wenig Interesse an dem Schloss, sodass es nach seinem Tod verfiel.

Abb. 6: Kirche in Friedrichsthal
Abb. 6: Kirche in Friedrichsthal (Foto: Andrea Brodersen, 2016)

Ab 1752 wurden 20 Kolonistenfamilien in Friedrichsthal angesiedelt. Sie bezogen die dem Schloss vorgelagerten Kavaliershäuser. 1782 warb Friedrich II. weitere Kolonisten aus der französischen Schweiz für den Betrieb einer Uhrenmanufaktur an und ließ eigens für sie neue Häuser errichten. Doch war das Uhrenhandwerk zu wenig lukrativ, sodass es im 19. Jahrhundert wieder eingestellt wurde.

Auch heute noch kann die damalige Anordnung der Kavaliershäuser um den heutigen Dorfplatz nachempfunden werden. Die Dorfkirche wurde erst 1897 fertig gestellt. Nach dem Vorbild der Potsdamer Pfingstkirche von Ludwig von Tiedemannn und Franz Jaffé entworfen, gehört sie zu den qualitätsvollsten neogotischen Sakralbauten der Region.

Einen Aufschwung erhielt der Ort durch den Anschluss an die Eisenbahnlinie Berlin–Rostock. Hiermit entstanden zahlreiche Wohn- und Sommerhäuser um den alten Dorfkern sowie auch die Siedlung Neu-Friedrichsthal.

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Abb. 7: Luftbild des NSG Schnelle Havel
Abb. 7: Luftbild des NSG Schnelle Havel (Foto: Peter Gärtner, 2014)
Abb. 8: Im NSG Schnelle Havel
Abb. 8: Im NSG Schnelle Havel (Foto: Frank Liebke, 2005)

Östlich des Oder-Havel-Kanals bietet sich immer wieder ein Blick in die Offenlandschaft der Havelniederung, in die sich die Havel und Schnelle Havel eingeschnitten haben. Bereits im 18. Jahrhundert wurde begonnen, die Feuchtniederung trocken zu legen. Zur intensiveren Nutzung der Flächen erfolgten ab den 1960er Jahren tiefgreifende Entwässerungen, sodass die Moorböden heute zum Teil stark zerstört sind. Zum Schutz und zur naturnahen Entwicklung der Schnellen Havel mit dem angrenzenden Feuchtgrünland und Wald wurden die Flächen als Naturschutzgebiet und europäisches FFH-Gebiet ausgewiesen. Die Niederung ist ein bedeutendes Brut-, Rast- und Nahrungsgebiet für zahlreiche Vogelarten.

Station 6: FFH-Gebiet „Kreuzbruch“ zur Kartenansicht >>

Abb. 9: Das FFH-Gebiet Kreuzbruch
Abb. 9: Das FFH-Gebiet Kreuzbruch (Foto: Andrea Brodersen, 2016)

Der mit Stieleichen, Buchen, Hainbuchen und (in feuchten Bereichen) Erlen durchsetzte Mischwald war ursprünglich ein sehr feuchter Waldkomplex. Schon in der Schmettauschen Karte von 1767 war der Wald von Gräben durchzogen, um das Gebiet forstwirtschaftlich zu nutzen. In den 1970er Jahren wurde das Entwässerungssystem weiter ausgebaut. Heute sind einige Gräben außer Nutzung, um den Grundwasserstand im Gebiet anzuheben. Die naturnahen Altholzbestände sind europaweit geschützt. Im Gebiet brüten Schreiadler, Fischadler und Schwarzstorch und auch der Mittel- und der Schwarzspecht sind nahezu flächendeckend vertreten.

Station 7: Ortsteil Kreuzbruch (Stadt Liebenwalde) zur Kartenansicht >>

Kreuzbruch entstand als typisches Beispiel einer Streusiedlung aufgrund einer Verfügung König Friedrich Wilhelms I. von 1717. In der Verfügung wird angeordnet, die Ländereien „Creutzbruche und Wahse“ für Vieh- und Wiesenwirtschaft urbar zu machen. Hierfür wurden vorrangig Schweizer angesiedelt. Sie errichteten einzeln stehende Gehöfte, die zwischen den Höfen genügend Platz für die Viehwirtschaft ließen.

Abb. 10: Das Dorf Kreuzbruch
Abb. 10: Das Dorf Kreuzbruch (Foto: Frank Liebke, 2005)

Die Trockenlegung der feuchten Niederung stellte für die Schweizer eine derartige Herausforderung dar, dass viele trotz achtjähriger Abgabenbefreiung ihren Hof wieder aufgaben. Die Höfe übernahmen Bauern aus dem Niederrheingebiet, die zuvor das Bruchland um Neuholland erfolgreich urbar gemacht hatten.

Die Landwirtschaftsflächen rund um Kreuzbruch geben einen Eindruck von dem Aufwand der Trockenlegung. Zahlreiche Entwässerungsgräben mussten angelegt werden und prägen heute noch die Landschaft. Die zunehmend intensivere Nutzung mit schweren Maschinen ab den 1960er Jahren erforderte eine Vertiefung der Gräben. Durch die starke Entwässerung wurde der Moorkörpers zerstört, was eine Verschlechterung der Wasser- und Nährstoffspeicherung zur Folge hatte.

Station 8: FFH-Gebiet „Langer Trödel“ zur Kartenansicht >>

Abb. 11: Langer Trödel in Zerpenschleuse
Abb. 11: Langer Trödel in Zerpenschleuse (Foto: Frank Liebke, 2008)

Zwischen Liebenwalde und Zerpenschleuse verläuft mit 10 km der längste schleusenlose Abschnitt des Finowkanals. Nach der Eröffnung des heutigen Oder-Havel-Kanals 1914 wurde die Zerpenschleuse zugeschüttet und die ehemaligen Zugbrücken wurden durch Dämme ersetzt. Vom Wort „Treideln“ abgeleitet, wurde dieser Abschnitt im Volksmund „Langer Trödel“ genannt.

Abb. 12: Biberfraßspur
Abb. 12: Biberfraßspur (Foto: Frank Liebke, 2008)

Nachdem diese Teilstrecke vom Finowkanal abgeschnitten war, entwickelte sie sich zu einem Kleinod. Froschbiss und Krebsschere bildeten auf dem Wasser einen üppigen Pflanzenteppich und Biber und Fischotter nutzen ihn als Verbindungsgewässer bzw. siedeln hier. Aufgrund der Bedeutung des Gewässers für den Biber und Fischotter erhielt dieser Gewässerabschnitt als FFH-Gebiet europäischen Schutzstatus.

2016 wurde der Lange Trödel wieder an den Finowkanal angeschlossen, sodass Boote nun wieder ungehindert vom Voßkanal Richtung Finowkanal passieren können. Übernachtungs- und Rastmöglichkeiten bietet die Marina in Liebenwalde.

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Abb. 13: Historische Ansicht vom Finowkanal in Zerpenschleuse von 1910
Abb. 13: Historische Ansicht vom Finowkanal in Zerpenschleuse von 1910 (Quelle: Archiv Barnim Panorama)

Zerpenschleuse entstand aus Kolonistensiedlungen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts angelegt wurden. Mit dieser Maßnahme beabsichtigte Friedrich II., die durch den Dreißigjährigen Krieg entvölkerte Region wieder zu erschließen. Noch heute säumen den Langen Trödel typische Kolonistenhäuser. Die traufständigen, eingeschossigen Wohnbauten lösten ab dem 18. Jahrhundert die bisher giebelseitigen Häusertypen im ländlichen Raum ab. Ein Großteil der Siedler verdiente seinen Unterhalt als Schiffer, die allerdings mit der Eröffnung des Oder-Havel-Kanals 1914 ihren Erwerb verloren, da der Finowkanal für die Binnenschifffahrt kaum noch von Bedeutung war.

Abb. 14: Zerpenschleuse
Abb. 14: Zerpenschleuse (Foto: Frank Liebke, 2008)

Auffällig zwischen der Häuserzeile entlang des Langen Trödels ist die Ziegelfachwerkkirche von 1844 / 1845. Der wohl von August Soller entworfene Bau gilt als ein spätes Beispiel einer Fachwerkkirche und wurde mit Elementen der Tudor-Gotik gebaut. Ihre äußere Hülle konnte durch eine Sanierung des Fachwerks in den 1990er Jahren wiederhergestellt werden. Leider ist mit der Auswechslung der Gefache die Innenwandgestaltung größtenteils verloren gegangen. Die für eine Kirche ungewöhnliche Farbwahl der Bauzeit findet sich nur noch an der Orgel und der Kanzel.


Empfohlene Zitierweise

Kerstin Bosse: “Am Wasser in die Havelniederung. Eine Radtour durch den Naturpark Barnim” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/80_e_506-am-wasser-in-die-havelniederung/, Stand 07.12.2020

Quellen und weiterführende Literatur

Bildnachweise

  • Titelbild: Zerpenschleuse (Foto: Frank Liebke, 2008)
  • Vorschaubild: An der Havel in Oranienburg (Foto: Frank Liebke, 2008)