Kleindenkmale in der Kulturlandschaft. Der Geleitstein zwischen Frieda und Großtöpfer

Von Katharina Najork, Tobias Reeh und Mathias Deutsch – 11/2018

Kleindenkmale sind bemerkenswerte, oftmals aber kaum beachtete Bestandteile unserer Kulturlandschaft. Sie finden sich sowohl in Städten und Dörfern als auch an Straßenrändern, in Wäldern und in der Feldflur. Hierzu gehören beispielsweise alte Stein- und Wegekreuze, Meilen- und Geleitsteine sowie Gedenksteine, die z.B. an herausragende Hochwasser erinnern. Nicht zuletzt weil sie von regionalgeschichtlich bedeutsamen Ereignissen künden, auf ehemals rechtsverbindliche Festlegungen hinweisen oder einen Bezug zum wirtschaftlichen und religiösen Leben unserer Vorfahren haben, handelt es sich um schützenswerte Kulturdenkmale. Dieser Beitrag richtet seinen Fokus auf einen alten Geleitstein, der an der Straße zwischen Frieda (Hessen) und Großtöpfer (Thüringen) steht.

Kleindenkmale prägen das Bild unserer heutigen Kulturlandschaft, wenngleich sie nicht immer auf den ersten Blick ins Auge fallen oder sogar gänzlich übersehen werden. Als Untergruppe der Kulturdenkmale stehen sie unter Denkmalschutz und sind u. a. an Straßen und Wegen oder an Feldrainen und in Wäldern zu finden. Derart in die Landschaft eingebettet und „vor Ort verwurzelt“ erzählen sie von vergangenen Ereignissen, die „Aspekte des Alltagslebens unserer Vorfahren [beleuchten]“ (KAPFF u. WOLF 2000, zitiert nach SCHMIDT 2006, S. 153). Auch werden von ihnen weniger die Ereignisse der „großen Weltgeschichte“, sondern vielmehr Geschehnisse oder rechtliche Festlegungen bekundet, die einen lokalen Bezug aufweisen. So erinnern viele Kleindenkmale beispielsweise an ehemalige Rechts- sowie Verkehrsstrukturen, tragisch verunglückte oder sogar ermordete Personen oder sind Zeichen der Frömmigkeit.

In einem Waldgebiet südlich von Flinsberg kündet ein gut erhaltener Gedenkstein von den Aufforstungen in den 1920er Jahren. Die Inschrift lautet: HIER FANDEN IM JAHRE 1922 IM ABGEHOLZTEN KAHLREVIER DEN EINZIGEN SCHATTENPLATZ UND MUT ZUR AUFFORSTUNG. TILO UND BARBARA VON WILMOWSKY.
In einem Waldgebiet südlich von Flinsberg kündet ein gut erhaltener Gedenkstein von den Aufforstungen in den 1920er Jahren. Die Inschrift lautet: HIER FANDEN IM JAHRE 1922 IM ABGEHOLZTEN KAHLREVIER DEN EINZIGEN SCHATTENPLATZ UND MUT ZUR AUFFORSTUNG. TILO UND BARBARA VON WILMOWSKY. (Foto: Mathias Deutsch)

Zwar liegt bisher noch keine allgemeingültige Definition zu Kleindenkmalen vor, es können aber einige grundlegende Abgrenzungen vorgenommen werden. Anders als die Bezeichnung es vermuten lässt, erfolgt eine Einordnung gegenüber anderen Denkmalarten nicht ausschließlich über die Größe des jeweiligen Denkmals. Vielmehr ist es der regionale Bezug, der für Kleindenkmale charakteristisch ist. Es handelt sich also um „ortsfeste, von Menschen [geschaffene] Objekte aus Stein, Metall oder Holz […], die von kulturellem, künstlerischem, von volkskundlichem oder geschichtlichem Wert oder Interesse sind“ (SCHMIDT 2006, S. 153). Innerhalb des Kleindenkmalbestands lassen sich die verschiedenen Subkategorien zumeist nach dem Zweck der Errichtung unterscheiden, wobei den oben genannten Aspekten wie Recht, Verkehr und Religion eine große Bedeutung beigemessen wird.

Grenz- und Vermessungssteine gelten als Rechtsdenkmale, da sie der Markierung von Grenzverläufen dienten und Einflussbereiche bzw. Territorien von Herzögen, Bischöfen, Äbten oder Gutsherren abgrenzten. Allerdings beschränkte sich das durch Grenzsteine ausgewiesene Recht nicht auf das Eigentumsrecht, sondern schloss darüber hinaus auch Landnutzungsrechte wie die „Trift- und Weidegerechtigkeiten“, Jagd- und Fischereiberechtigungen sowie Bergbaunutzungsrechte ein. Um Rechtsbrüchen (z.B. Grenzsteinversetzungen) vorbeugen zu können, wurden unter den Grenzsteinen sogenannte „Zeugen“ in Form von Tonplättchen vergraben.

In Küllstedt stehen am Hang bei der Straße An der Trift drei Steinkreuze, wobei ein Kreuz nur noch als vierkantiger Stumpf erhalten ist. Die als Bonifatiuskreuze bezeichneten Kleindenkmale weisen eine gotische Kreuzform auf
In Küllstedt stehen am Hang bei der Straße An der Trift drei Steinkreuze, wobei ein Kreuz nur noch als vierkantiger Stumpf erhalten ist. Die als Bonifatiuskreuze bezeichneten Kleindenkmale weisen eine gotische Kreuzform auf (Foto: Mathias Deutsch)
Zu den eindrucksvollen Zeugnissen der Eichsfelder Verkehrsgeschichte gehört u. a. ein preußischer Meilenstein an der Ortsverbindungsstraße (L 1005) Geisleden-Kreuzebra
Zu den eindrucksvollen Zeugnissen der Eichsfelder Verkehrsgeschichte gehört u. a. ein preußischer Meilenstein an der Ortsverbindungsstraße (L 1005) Geisleden-Kreuzebra (Foto: Mathias Deutsch)

Ebenfalls als Rechtsdenkmal werden Sühnesteine klassifiziert. In Form von Kreuzsteinen bzw. Steinkreuzen erinnern sie an begangene Straftaten wie Mord oder Totschlag. Im Vordergrund steht hierbei die Buße des Täters, da ein solches Verbrechen nach mittelalterlicher Rechtsauffassung privatrechtlich ausgehandelt wurde, indem der Täter als Zeichen seiner Sühne ein Steinkreuz errichtete (oder errichten ließ). Diese Art von Vergleichsverfahren war vor allem zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert üblich. Die sogenannten Bildstöcke können als Denkmale der religiösen Frömmigkeit angesprochen werden. Diese Kleindenkmalform ist vorwiegend in katholisch geprägten Regionen (somit auch im Eichsfeld) vorzufinden und mahnt zum Innehalten und stillen Gebet.

Verkehrsmale wie Wegweiser oder Pilgersteine lassen heute Rückschlüsse auf ehemalige Verkehrs- und Handelsstrukturen zu. Die auf alten Wegweisern angegebenen Entfernungen in Wegstunden, Meilen oder Kilometern beispielsweise ermöglichen eine ungefähre Datierung. Neben einer zeitlichen Eingrenzung können durch Wegweiser ferner räumliche Aussagen bezüglich des Verlaufs ehemaliger Verkehrs-, Handels- oder Pilgerstraßen vorgenommen werden. Auch frühere Poststraßen lassen sich anhand von Distanz- oder Postmeilensäulen rekonstruieren. Nicht nur aus verkehrsgeographischer Perspektive, sondern auch hinsichtlich der regionalen Territorialentwicklung sind die heute noch vorhandenen sogenannten Meilensteine sehr interessant. Analog zu den Wegweisern geben sie Distanzen an, der Hinweis bezieht sich jedoch immer auf die Entfernung zur Hauptstadt des jeweiligen Herrschaftsgebietes.

Ebenso sind die sogenannten Geleitsteine den Verkehrsmalen zuzuordnen und lassen Rückschlüsse auf ehemalige Territorialrechte zu. Sie markieren Straßen, „auf denen dem Herrscher ein Geleit gestellt werden musste“ (Geleitstraßen) (SCHMIDT 2006, S. 157). Auch anderen Reisenden (wie z.B. Handelsfahrzeugen) wurde ggf. Geleitschutz gewährt, wofür Zölle erhoben oder Geleitgeld gefordert wurde. Trotz des Geleitschutzes war Straßenraub im Mittelalter jedoch keine Seltenheit. Darum sicherten die im Voraus für den Geleitschutz zu entrichtenden Zahlungen den Überfallenen (zumeist Händlern und Fuhrleuten) auch Leistungen in Form von Schadenersatz zu.

Blick auf die Landstraße 3467 in Richtung Frieda, rechts im Bild der Geleitstein
Blick auf die Landstraße 3467 in Richtung Frieda, rechts im Bild der Geleitstein (Foto: Mathias Deutsch)

Ein überaus bemerkenswerter Geleitstein befindet sich zwischen der nordhessischen Gemeinde Frieda (Werra-Meißner-Kreis) und der Thüringer Ortschaft Großtöpfer (Landkreis Eichsfeld). Das wenige Meter neben der Landstraße 3467 an der ehemaligen innerdeutschen Grenze stehende Kleindenkmal weist noch heute darauf hin, dass es sich hierbei um eine einstige Geleitstraße handelt. Den Zeitpunkt der Aufstellung gibt Riebeling (1981, S. 46) mit „etwa 1540“ an. Im Gegensatz dazu wird u.a. auf der offiziellen Webseite der Gemeinde Großtöpfer als Jahr der Errichtung 1583 genannt und dazu bemerkt, dass man 1731 einen neuen Geleitstein „in anderer Form“ aufstellte.

Der am Rande eines Waldstücks an der Straße Großtöpfer-Frieda stehende Geleitstein
Der am Rande eines Waldstücks an der Straße Großtöpfer-Frieda stehende Geleitstein (Foto: Mathias Deutsch)

Der mit einem Wappen (Hessischer Löwe) geschmückte Sandstein trägt die Inschrift: GELEITSTEIN / K H (= Kurfürstentum Hessen). Die Maße des Kleindenkmals betragen 280 cm x 60 cm x 60 cm. In den Jahrzehnten der Zugehörigkeit Friedas zu Hessen kam dem Geleitstein eine große rechtliche Bedeutung zu. Die durch den Stein markierte Straße verband das Kurfürstentum mit dem Eichsfeld, das lange Zeit zu Kurmainz gehörte. Das hatte zur Folge, dass bei einer Reise des Erzbischofs und/oder seiner Gefolgsleute in das Eichsfeld der Durchzug durch hessisches Territorium unumgänglich war. Nach der Kürung jedes Erzbischofs zog dieser mit seinem Tross, wozu neben der Leibwache u.a. der Kanzler, der Hofmeister und der Kämmerer gehörten, durch Hessen in das Eichsfeld, „um sich dort huldigen zu lassen“ (RIEBELING 1981, S. 47). Darüber hinaus musste der Mainzer Erzbischof immer wieder in das Eichsfeld aufbrechen, um dort seinen Regierungsgeschäften nachgehen zu können. War eine Reise des Erzbischofs nicht möglich, schickte er als Vertretung seine höchsten Beamten und Ritter. Dem hessischen Landgrafen wurde somit die Aufgabe zuteil, ein Geleit für den Schutz des Erzbischofs und seines Gefolges zu entsenden. Jedoch profitierte davon nicht nur der Erzbischof, sondern auch für den hessischen Landgrafen war dies ein lohnendes Geschäft. Somit begleitete sein Geleit die Durchreisenden nunmehr bis zum genannten Geleitstein nahe Frieda bzw. Großtöpfer. Da der Geleitstein lediglich 20 Zentimeter von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt steht, war er jahrzehntelang nicht oder nur unter Lebensgefahr zugänglich. Heute jedoch kann man das beeindruckende Kleindenkmal wieder problemlos von einem nahe gelegenen Parkplatz aus erreichen.


Empfohlene Zitierweise

Katharina Najork, Tobias Reeh und Mathias Deutsch: “Kleindenkmale in der Kulturlandschaft. Der Geleitstein zwischen Frieda und Großtöpfer” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/79_b_120-kleindenkmale-im-eichsfeld/, Stand 29.11.2018

Quellen und weiterführende Literatur

  • BLASCHKA, Martina; PLATE, Ulrike und Reinhard WOLF (2017): Kleindenkmale in Baden-Württemberg. Anleitung zur Erfassung und Dokumentation. 6. Aufl. – Stuttgart.
  • DEUTSCH, Mathias und Karl-Heinz PÖRTGE (2009): Hochwassermarken in Thüringen. – Erfurt.
  • Forschungsgruppe Meilensteine e.V. (Hg., 2017): Meilensteine sind Denkmale der Verkehrsgeschichte. Schützt und bewahrt sie! (Flyer). – Bernau.
  • KAPFF, Dieter und Reinhard WOLF (2000): Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser – Kleindenkmale in Baden-Württemberg. – Stuttgart.
  • KNAUSS, Jürgen (2000): Flur- und Kleindenkmale: wenig beachtete Objekte der Kulturlandschaft (= Hefte zu Geographie und Geschichte der Kulturlandschaft 5). – Crimmitschau.
  • RIEBELING, Heinrich (1981): Historische Verkehrsmale in Hessen. Ein topographisches Handbuch zur Verkehrsgeschichte. – Dossenheim, Heidelberg.
  • SAALFELD, Karlfritz (1995): Kleindenkmäler im Werra-Meißner-Kreis. Eine erste Dokumentation (= Schriften des Werratalvereins Witzenhausen 28). – Witzenhausen.
  • SCHMIDT, Klaus-Jürgen (2006): Kleindenkmale in Südniedersachsen – kulturgeschichtliche Zeichen in der Landschaft, in: HILLEGEIST, Hans-Heinrich (Hg.): Heimat- und Regionalforschung in Südniedersachsen. Aufgaben – Ergebnisse – Perspektiven. – Duderstadt, S. 152–160.
  • STÖRZNER, Frank (1992): Aus Stein gehauen …: Die Klein- und Flurdenkmale von Erfurt und seiner Umgebung. – Erfurt.
  • STÖRZNER, Frank (2016): „Ertruncken im Wasser alda“ – Klein- und Flurdenkmale mit Wasserbezug in Thüringen, in: Landeshauptstadt Erfurt, Stadtverwaltung und Volkskundliche Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen (Hg.): Lebenselixier Wasser. Kultur – Alltag – Geschichte(n). – Erfurt, S. 58–82.
  • http://www.geismar-eichsfeld.de

Bildnachweise

  • Vorschau- und Titelbild: Geleitstein an der Straße Großtöpfer-Frieda (Foto: Mathias Deutsch)