Themenbereiche Wirtschaft & Verkehr

Die Entwicklung des Tabakanbaus im Untereichsfeld

Von Ulrich Harteisen – 11/2018

Auf den fruchtbaren Böden der Goldenen Mark im Untereichsfeld wurde seit Mitte des 17. Jahrhunderts bis Ende des 20. Jahrhunderts Tabak angebaut. Die Einführung des Tabakanbaus sollte der durch den Dreißigjährigen Krieg stark geschädigten Landwirtschaft einen neuen Impuls geben und der Bevölkerung im Eichsfeld als eine neue Einkommensquelle dienen. Der Tabakanbau entwickelte sich schnell zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor, auch weil der Anbau auf den im Eichsfeld üblichen kleinen Parzellen (Realteilungsgebiet) gut möglich war.

Der Tabakanbau erreichte seine Blütezeit und größte Flächenausdehnung im Untereichsfeld im Zeitraum zwischen 1870 und 1940. Im Jahr 1920 pflanzten im damaligen Kreis Duderstadt 2.338 Anbauer auf 206,45 ha Fläche Tabak an. Setzt man die Zahl der Tabakanbauer in Bezug zur Gesamttabakanbaufläche wird deutlich, welche geringe Fläche je Anbauer für den Tabakanbau genutzt wurde und dennoch sicherte der Tabakanbau dem Landwirt ein wichtiges Zusatzeinkommen.

Vermarktungsprobleme Anfang der 1920er Jahre waren ausschlaggebend für die Gründung der Tabakverwertungsgenossenschaft Untereichsfeld mit Sitz in Westerode. Die Genossenschaft, die in den Verkaufsverhandlungen eine viel stärkere Position als der einzelne Anbauer hatte, handelte die Preise aus und übernahm für die beteiligten Pflanzer den Absatz. Diese Form der gemeinsamen Vermarktung sicherte den Absatz und das Einkommen der Pflanzer. Mit der Gründung der Tabakverwertungsgenossenschaft verbunden waren auch vielfältige Anstrengungen zur Verbesserung der Tabakqualität. Dieses Ziel verfolgte auch der 1933 gegründete Mitteldeutsche Tabakbauverband mit Sitz in Duderstadt. In den 1930er Jahren wurde die bisher übliche Lufttrocknung des Tabaks an Gebäudewänden und in offenen Schuppen umgestellt auf eine künstliche Trocknung in Röhrentrockenschuppen.

Röhrentrockenschuppen in Westerrode, aufgenommen um 1950
Röhrentrockenschuppen in Westerrode, aufgenommen um 1950 (Quelle: Müller 2007, S. 95)

Die ersten Tabaktrockenschuppen zur künstlichen Heißlufttrocknung des Tabaks, auch bezeichnet als „Duderstädter Öfen“, wurden in den Jahren 1934 in Mingerode und Obernfeld im Untereichsfeld aufgebaut. Mit dem Bau des Röhrentrockenschuppens, so benannt nach den darin verlegten Heizrohren, wurde im Untereichsfeld das erste erfolgreiche Verfahren einer künstlichen Tabaktrocknung in Deutschland entwickelt. Die künstliche Trocknung verkürzte nicht nur die Trocknungszeit von fünf Monaten auf fünf Tage, sondern erleichterte auch erheblich den Arbeitsprozess, denn ein Umhängen des Tabaks war nicht mehr erforderlich, zudem verbesserte die künstliche Trocknung auch noch die Qualität des Tabaks. Die Entwicklung des Röhrentrockenschuppens, die im Untereichsfeld ihren Ursprung hatte, stellt eine bedeutende Innovation der Tabakverarbeitung dar und führte im Eichsfeld zu einem letzten großen Boom des Tabakanbaus.

Die markanten Tabaktrockenschuppen standen schon bald in jedem Dorf des Untereichsfelds, ihre Zahl erhöhte sich bis zum Jahr 1958 auf 274. Der Niedergang des Tabakanbaus im Untereichsfeld begann 1954 / 55 mit einer Viruserkrankung der Tabakpflanzen. Es fehlten zunächst resistente Tabaksorten. Als diese dann Anfang der 1960er Jahre zur Verfügung standen, breitete sich die Blauschimmelkrankheit aus und führte zu enormen Qualitätsverlusten. In der Folge wurde der Tabakanbau im Untereichsfeld nach 300 Jahren kontinuierlichem Anbau weitgehend eingestellt. 1985 wurde in den Dörfern Werxhausen und Bodensee noch einmal mit dem Anbau von Tabak begonnen, aber der Anbau lohnte sich am Ende nicht und wurde mittlerweile wieder eingestellt.

Ehemaliger Tabaktrockenschuppen in Seulingen
Ehemaliger Tabaktrockenschuppen in Seulingen (Foto: Ulrich Harteisen)

300 Jahre Tabakanbau im Untereichsfeld haben ihre Spuren hinterlassen. Noch heute finden sich in vielen Dörfern des Untereichsfeldes die charakteristischen Tabaktrockenschuppen. Im Rahmen einer Inventarisierung wurden in den 1990er Jahren noch ca. 90 Tabaktrockenschuppen in den Dörfern des Untereichsfeldes erfasst. Die Massivbauten aus Ziegelsteinen heben sich von der ansonsten vor allem durch Fachwerk geprägten ländlichen Architektur deutlich ab. Die Tabaktrockenschuppen sind Zeugnisse einer bemerkenswerten Wirtschafts- und Technikgeschichte und erinnern an eine wichtige landwirtschaftliche Tradition, die etwa 300 Jahre den Landwirten im Untereichsfeld ein wichtiges Zusatzeinkommen gesichert und zu einem gewissen Wohlstand in den Dörfern beigetragen hat. Leider ist der Zeugniswert der Tabaktrockenschuppen durch Entkernung und Umnutzung (Garage, Geräteschuppen), die immer mit einer Entfernung der Heizungsanlagen und Schornsteine verbunden waren, stark beeinträchtigt.


Empfohlene Zitierweise

Ulrich Harteisen: “Die Entwicklung des Tabakanbaus im Untereichsfeld” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/79_b_102-tabakanbau-im-untereichsfeld/, Stand 29.11.2018

Quellen und weiterführende Literatur

  • BODMANN, Josef (2009): Die Entwicklung des Tabakanbaus im Untersechsfeld. Eine Epoche geht zu Ende, in: Eichsfelder Heimatzeitschrift 53, Heft 10, S. 369–371.
  • MÜLLER, Andreas (2007): Das „Gold des Untereichsfeldes“, in: Arbeitsgemeinschaft der Ortsheimatpflegerinnen und -pfleger im Untereichsfeld (Hg.): Historischer Alltag in den Dörfern des Untereichsfeldes. – Duderstadt, S. 89–100.
  • HAUFF, Maria u. Hans-Heinrich EBELING (Bearb., 1996): Duderstadt und das Untereichsfeld. Lexikon einer Landschaft. – Duderstadt.

Bildnachweise

  • Vorschau- und Titelbild: Tabakanbau (Foto: Ulrich Harteisen, Quelle: Ausstellung im Heimatmuseum Duderstadt)