Die Hobrechtsfelder Wirtschaftsbahn
Von Matthias Manske – 12/2020
1835 fuhr die erste Eisenbahn in Deutschland. Das beginnende Industriezeitalter ist untrennbar mit dem Siegeszug der „großen“ Eisenbahn verbunden – und umgekehrt. Weniger im Fokus stehen dabei die zahlreihen kleinen Feld-, Wirtschafts- oder sogenannten transportablen Bahnen. Gemeinsam ist ihnen eine wesentlich geringere Spurweite und eine einfachere Bauweise. Ihre Verbreitung begann erst um 1880, als schon ein recht dichtes Streckennetz der großen Eisenbahn vorhanden war. Für die kleinteilige Erschließung von Räumen und die Lösung lokaler Transportprobleme sind diese Bahnen dennoch nicht selten von erheblicher Bedeutung gewesen – so auch in Hobrechtsfelde.
Für die Bewirtschaftung des Stadtgutes Hobrechtsfelde war ein einfaches und dennoch ökonomisches Transportsystem notwendig. Das Straßennetz war zwar in und um Berlin befriedigend ausgebaut, es fehlten jedoch vor allem die Querverbindungen zu den Stadtgütern Schmetzdorf, Albertshof und Blankenfelde. Außerdem benötigte man Transportmöglichkeiten zum Sägewerk in Hobrechtsfelde (für das Holz aus den umliegenden Wäldern), sowie zu den großen Wirtschaftsflächen der Rieselfelder, auf denen Landwirtschaft betrieben wurde.
Daraufhin wurde das Stadtgut Hobrechtsfelde ab ca. 1906 folgerichtig mit einem seinerzeit modernen Feldbahnsystem in der am häufigsten verwendeten Spurweite von 600 mm ausgestattet. Die Verlegung erfolgte im Gutshof fest versenkt innerhalb der Pflasterung. Verbunden wurden sämtliche Bereiche des Gutes wie Sägewerk, Schlachthaus, Ställe und Speicher. An Straßenübergängen und anderen stark belasteten Stellen wurden je drei Schienen zu einem Strang vereint. Außerhalb des Gutes verliefen die Gleise fast ausschließlich parallel zu den Straßen und Wegen auf fünf Meter langen Gleisjochen mit je fünf Stahlschwellen. Größere Unebenheiten wurden durch Einschnitte und Dämme ausgeglichen. Drei Hauptstrecken verbanden weitere Standorte der Stadtgüter, dazugehörige Höfe (Vorwerke) sowie die Hoffnungstaler Anstalten in einem Umkreis von ca. 20 km.
Die Schienen verliefen von Hobrechtsfelde
- vorbei am Gorinsee über Anglersruh (heute „Bello Inn“) in den Bernauer Stadtforst
- über Schönow, Schmetzdorf und Ladeburg nach Lobetal und weiter nach Albertshof
- entlang der Hobrechtsfelder Chaussee und Bucher Straße über Blankenfelde bis Rosenthal.
In Rüdnitz und Berlin-Buch bestand Anschluss an die Berlin–Stettiner und in Blankenfelde an die Reinickendorf–Liebenwalder–Groß Schönebecker Eisenbahn.
Hinzu kamen mobile Strecken. Beschloss man z.B. im Goriner Forst (Jagen 125) Holz zu ernten, wurde eine sogenannte Kletterweiche auf die vorhandenen Gleise gelegt und weitere transportable Gleise angeschlossen. Je nach System konnten dies ein oder mehrere Arbeiter verrichten.
Transportiert wurden u.a. Kartoffeln, Rüben, Heu, Getreide, Futter und Dung. Aus Berlin kamen Pferdeäpfel, Kunstdünger und Kohlen. Für längere Baumstämme, Bretter oder Bohlen wurden zwei zweiachsige Wagen zu einer Einheit verbunden. Großabnehmer für landwirtschaftliche Produkte waren die Bucher Kliniken.
Nach heutigem Kenntnisstand wurden die Fahrzeuge nur von Pferden gezogen, obgleich schon damals motorbetriebene Feldbahnloks existierten. Wie ein Kutscher stand der Zugführer auf dem ersten Wagen und dirigierte die meist schweren Kaltblüter. Gebremst wurde mit einer Handbremse (in Spindelausführung). Auf Abschnitten mit starkem Gefälle wurden die Pferde abgekoppelt bis der oder die Bremser den Verband zum Halten brachten.
Neben dem Güterverkehr gab es zeitweise auch regelmäßige Personentransporte. Überliefert sind Krankentransporte während des Ersten Weltkriegs vom Bucher Bahnhof in die umliegenden Kliniken. In den 1930er Jahren wurden Arbeiter von gleicher Stelle nach Hobrechtsfelde gebracht. Bekannt sind auch Kirmes- oder Kremserfahrten zu besonderen Anlässen.
In den 1930er Jahren erreichte das Feldbahnsystem mit rund 60 km seine größte Ausdehnung. 1936 wurde durch den Bau der Reichsautobahn nach Stettin der östliche Gleisabschnitt nach Lobetal und Albertshof unterbrochen. Durch den Zweiten Weltkrieg wurde das Feldbahnnetz ab 1942 um weitere Strecken und Fahrzeuge dezimiert. Mit Sicherheit fand Hobrechtsfelder Feldbahn-Material auch bei den Berliner Trümmerbahnen weitere Verwendung.
In der Nachkriegszeit wurden die Anlagen in Hobrechtsfelde und Lobetal-Albertshof getrennt weiter betrieben. Die Nutzung beschränkte sich in Hobrechtsfelde auf Fütterungs- und Dungtransporte. Die Modernisierung der in die Jahre gekommenen Stallgebäude mit Futterbändern, Abflusskanälen, Güllewagen und moderner Kälberaufzuchtstation beendete Mitte der 1970er Jahre den Betrieb der Gleisanlagen des nun Volkseigenen Gutes.
Bis zur Wende und den darauffolgenden Straßenbaumaßnahmen fanden sich noch viele Spuren der Feldbahn auch außerhalb des Gutshofs. Die typischen dreischienigen Straßenquerungen konnten am Gorinsee, in Anglersruh, an der Bundesstraße 2 vor Rüdnitz und in Berlin-Buch bis in die 1990er Jahre und teilweise noch später beobachtet werden. In Lobetal, Albertshof und weiteren ehemaligen Gütern sind noch heute Gleisreste oder -spuren in der Pflasterung erkennbar. Mit der Stilllegung fiel das Gut und seine umfangreichen Gleisanlagen in einen Dornröschenschlaf und war Vandalismus sowie Verfall ausgesetzt. Obwohl seit den 1990er Jahren als technisches Denkmal ausgewiesen, wurde ein Großteil der Gebäude nebst Schienen und Fahrzeugen abgerissen bzw. verschrottet.
Die Gründung des Naturparks Barnim 1999 und die Entwicklung touristischer Angebote beendete diese Phase. Die alte Haupttrasse der Bahn von der heutigen Stadtgrenze Berlins vorbei am Gut Hobrechtsfelde, entlang der Schönwalder Chaussee bis zum Schönower Friedhof wurde zu einem beliebten Rad- und Skaterweg ausgebaut. 2011 errichtete die Gemeinde Panketal an dieser Trasse in Hobrechtsfelde ein Denkmal, das die verkehrsgeschichtliche Bedeutung der Feldbahn würdigt – an der Entwicklung der umgebenden Gemeinden, insbesondere aber des Berliner Nordens hatte sie einen wichtigen Anteil.