Stiftsberg Heiligenstadt
Von Mario Küßner – 11/2018
Für die frühmittelalterliche Entwicklung im Obereichsfeld war der Stiftsberg in Heiligenstadt von größter Bedeutung. Nach der Eingliederung der südlichen sächsischen Gebiete in das fränkische Reich gab es hier bereits am Ende des 8. Jahrhunderts oder zu Beginn des 9. Jahrhunderts sehr wahrscheinlich einen fränkischen Königshof, der auch schon früh zum Erzbistum Mainz gekommen sein dürfte, bevor in Heiligenstadt um 1100 eines von vier thüringischen Archidiakonaten des Erzbistums gegründet wurde. Zwischen 973 und 1169 hielten sich Otto II., Otto III. und Friedrich I. in Heiligenstadt auf und urkundeten hier. Dafür waren geeignete Baulichkeiten auf dem Stiftsberg unabdingbar.
In den 1990er Jahren sind im Vorfeld von Baumaßnahmen unter der Leitung von Wolfgang Timpel und Roland Altwein umfangreiche archäologische Ausgrabungen im Areal westlich der Martinskirche und in dieser selbst durchgeführt worden, deren Ergebnisse alle Erwartungen übertrafen. Westlich der Kirche traten mittelalterliche Hinterlassenschaften in einer Tiefe von zwei bis drei Metern unter der heutigen Geländeoberfläche auf. Die ältesten mittelalterlichen Befunde sind Holzbauten des 8./9. Jahrhunderts, die zumindest teilweise Brandeinwirkung aufwiesen und von W. Timpel einem karolingischen Königshof zugewiesen werden. Über diesen frühen Resten ist eine bis zu 0,5 m mächtige Kulturschicht abgelagert worden. Ab dem 10. Jahrhundert sind dann darüber vier saalartige Steingebäude mit qualitätsvoll ausgeführtem Mauerwerk errichtet worden. Die älteste Halle maß 19 m x 6 m und wurde von Holzständerbauten flankiert. Bereits dieses Bauwerk besaß eine Fußbodenheizung mit außenliegendem Ofen. Eine im 11./12. Jahrhundert existierende Halle von 22 m x 7 m hatte einen nahezu quadratischen Annex im Norden, der möglicherweise ein Wohnturm war. Die großen Bauten waren zweigeschossig und verfügten neben einem Saal über Wohnräume im Obergeschoss.
Im und um den Komplex herrschaftlicher Bauten fand man einheimische Keramik bis zum 8. Jahrhundert., aber auch Importe aus Nordhessen, dem Weserbergland und dem Rheingebiet. Unter den Kleinfunden sind besonders eine Vielzahl von Schreibgriffeln und Reste von knöchernen Kästchen- und Griffbeschlägen sowie eine um 970 geprägte Münze zu nennen, die alle auf den besonderen zentralen Charakter des Platzes verweisen.
Zahlreiche Einzeluntersuchungen, die zwischen 1997 und 2001 im Inneren und im direkten Umfeld der Martinskirche durchgeführt wurden, ließen schnell auf vielfältiges und zeitlich tiefgestaffeltes Baugeschehen schließen. Im Süden konnten offene, im Norden mit Steinplatten abgedeckte Steinplattengräber dokumentiert werden. Im Osten des gotischen Chores fanden sich schließlich einige Kopfnischengräber. Im östlichen Kirchenbereich sind Reste einer Ringkrypta mit einem monolithischen Sarkophag als Reliquienbehältnis – der Heiligen Sergius und Bacchus sowie Aureus und Justinus – aufgefunden worden. Der Bautyp der Ringkrypta passt zeitlich gut mit der für die Mitte des 9. Jahrhundert überlieferten Überführung der Reliquien beider erstgenannter Heiliger zusammen, während die Reliquien der beiden letztgenannten erst später nach Heiligenstadt überführt worden sind.
Timpel und Altwein können insgesamt drei bis vier mittelalterliche Kirchenbauten unterscheiden: Phase I als Saalkirche mit Apsis (Basilika mit Rechteckchor und Vierung oder Zellenquerbau), Phase II mit einem basilikalen Langhaus, Querhaus und der Ringkrypta (dies bedeutet eine Datierung etwa Mitte 9. Jahrhundert), möglicherweise eine Phase IIa mit kleineren Veränderungen und Phase III mit Abbruch des Querhauses und dem Beginn des gotischen Neubaus. Aus der Datierung für Phase II folgt, dass bereits spätestens in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts hier auf dem Stiftsberg ein großer repräsentativer steinerner Kirchenbau bestanden hat. Die postulierte Phase IIa könnte mit der Errichtung des Martinsstiftes zusammenhängen und wäre wohl Anfang des 11. Jahrhunderts zu datieren, während der Beginn der Phase III frühestens 1276 anzusetzen wäre.
Die frühe Steinkirche und die mit Reliquien versehene repräsentative Kirche der Phase II unterstreichen die große Bedeutung des Ortes, auf die bereits die Aufenthalte von Königen und Kaisern und die hier stattgefundenen Bischofsweihen hinweisen. Mit seiner Grenzlage zwischen dem thüringischen und hessischen Gebiet einerseits und sächsischen Gebieten andererseits und formalen sowie bauzeitlichen Parallelen weiter nördlich und nordwestlich ist die Ausrichtung auf die Missionierung der Sachsen mittelbar auch aus dem archäologischen Befund selbst abzuleiten.