Auf den Spuren der historischen Radsportstätten in Leipzig
Von Martin Stephan – 06/2015
Im Jahr 1882 begann die Entwicklung des professionellen Radsports in der Stadt Leipzig. Es etablierten sich sportliche Funktionsräume, in denen Mensch und Maschine erstmals vereint im Wettkampf antraten.
„Wenn wir von einigen seltenen Spielplätzen um die Jahrhundertwende absehen, waren die ersten Spielplätze in Deutschland die Radrennbahnen“, so berichtete Diem, der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen im Jahre 1920 (Diem 1920: 35). Dies trifft auch auf die Stadt Leipzig zu, deren historische Entwicklung der Radsportanlagen im Folgenden grob skizziert werden soll.
Die erste Radrennbahn wurde im Leipziger Zoo 1882 errichtet. Diese galt als Notbehelfsbahn und war durch regen Zuspruch in der Bevölkerung stets ausverkauft. Ein ähnliches Phänomen kann man in Berlin beobachten, wo ebenfalls im Zoologischen Garten die ersten Rennen ausgetragen wurden. Die meisten Zuschauer waren Mitglieder des zuvor gegründeten Leipziger Bicycle-Club aus dem Jahre 1881. Die Wahl des Standortes entsprang aus dem Wesen der Industrialisierung, denn einerseits waren die Straßen in einem sehr schlechten Zustand und andererseits entstanden als Gegenreaktion zahlreiche Parks und Gärten. Diese wurden dabei oftmals zur sportlichen Betätigung genutzt.
Nach nur zwei Jahren hegten die Mitglieder des Leipziger Bicycle-Clubs den Wunsch nach einer eigenen Radrennbahn und veröffentlichten aus diesem Grund eine Annonce. Nachdem ein passendes Gelände gefunden und gepachtet wurde, nämlich das Gelände an der ehemaligen Gaststätte Moritzburg, welche bisher für Meetings genutzt wurde, baute der Verein den ersten sportlichen Funktionsraum, die Moritzburger Radrennbahn. Anlass des Baus war dabei die Gründung des Deutschen Radfahrer-Bundes, eines Dachverbandes, der einheitliche Wettfahrbestimmungen schuf und damit den Radsport immer weiter professionalisierte. Deutschlands beste Fahrer kamen nach Leipzig und weihten diese gut ausgestattete Bahn 1884 ein. Jedoch lief der Pachtvertrag sehr schnell aus, sodass der Club mit dem Amt der Stadt Leipzig um eine neue Fläche für den Radsport verhandelte.
Rasch einigte man sich auf das Gelände westlich des Cottawegs und errichte 1891 / 92 den Verein Sportplatz Leipzig. Dieser Sportplatz, der für mehrere Sportarten zu Verfügung stand, wurde aufgrund der Nähe zum Hauptbahnhof, der Straßenbahnanbindung und der Nähe zum Palmengarten errichtet. Zahlreiche Weltmeister- und Europameisterschaften, an denen bis zu 18 Staaten teilnahmen, prägten die Zeit, des im Volksmund so genannten ‘Lindenauer Zements’.
Außerdem wurde die Innenfläche der Radrennbahn von dem Verein für Luftschifffahrt zum Befüllen von Luftballons genutzt. Stets versuchte man, dort eine Mischung aus Leistungssportszentrum und Park zu gestalten und ließ Bäume, Pflanzen oder Gärten anlegen. Es gab auch um 1920 erste Pläne für den Bau eines Stadions auf dem Areal, welche jedoch verworfen wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg zäunte man das Sportzentrum ein, es wurden Einfahrtsstraßen angelegt, Kassengebäude aufgestellt, ein Gastwirtschaftsraum errichtet und eine Flutlichtanlage gebaut. Aus der Sportstätte wurde ein hochtechnisierter, arbeits- und kostenintensiver Funktionsbau. Der Sportplatz ist bis heute prägend für die Sportstadt Leipzig: In jüngster Vergangenheit hat der Fußballclub RB Leipzig auf diesem Gelände sein Trainingszentrum eingerichtet.
Parallel zum Sportzentrum am Cottaweg entstand auf dem alten Messegelände im Achilleion 1927 eine Winterbahn, um auch in den Wintermonaten der radsportbegeisterten Bevölkerung Rennen anzubieten und Trainingseinheiten das ganze Jahr über zu ermöglichen. Diese Ausstellungshalle diente zu Zeiten der Messe für die Präsentation von Werkzeugmaschinen. Eine Kooperation des Vereins Sportplatz Leipzig mit der Messeverwaltung ermöglichte erste Radrennen in dieser Halle. Neben Boxkämpfen und Leichtathletikveranstaltungen fanden dort auch Sechs-Tage-Rennen statt. Jedoch musste diese Bahn aufgrund eines Wettkampfbetruges wieder abgebaut werden.
1938 wurde der Verein Sportplatz Leipzig von den Nationalsozialisten abgerissen. Das Gelände sollte für eine Gutenbergausstellung dienen, welche jedoch niemals umgesetzt wurde. Der Abriss dieser Bahn zur Blütephase des Radsports in Leipzig wurde als Zäsur für die Radsporthochburg wahrgenommen.
Man versuchte mittels dreier Sportplätze das Radrennen am Leben zu halten: Radrennen trug man nun im Stadion Probstheida, auf dem Sportplatz Schleußig und im Südoststadion aus. Der Radsport wurde damit in Richtung Peripherie abgedrängt. Das heutige Bruno-Plache-Stadion (Stadion Probstheida) lag in Probstheida, der Sportplatz Schleußig im gleichnamigen Stadtteil und das Südoststadion befand sich im Stadtteil Stötteritz. Der Bau ging aus der Gründung des Leipziger Sportamtes hervor und wirkte damit dem Verbot der Gründung von Radsportclubs aus der Zeit des Nationalsozialismus entgegen.
Alle drei Sportplätze wurden gleichzeitig für den Fußball und die Leichtathletik genutzt. Dabei sollen die Stadien in Schleußig und Probstheida kurz Erwähnung finden. In Probstheida spielte damals der erste deutsche Fußballmeister VfB Leipzig und in Schleußig wurden ein Jahr nach Kriegsende sogar schon wieder Bahnmeisterschaften ausgetragen. Jedoch konnte sich keine der Bahnen richtig etablieren und der BSG Stahl Süd-West, der über finanzielle Mittel verfügt, baute an der Windorfer Straße im Südwesten der Stadt eine Aschebahn, die die nächste Phase des Radsports in Leipzig einleitete.
Aus dieser Aschebahn wurde 1949 die Alfred-Rosch-Kampfbahn erbaut, auf der im Jahr 1951 nach dreizehnjähriger Pause vor 15.000 Zuschauern wieder der Preis der Stadt Leipzig ausgetragen wurde. Das Gelände erhielt einen Sozialtrakt, Instrumente für elektronische Zeitmessung sowie Lichtanlage und die Zuschauertribüne für 20.000 Menschen. Später entstanden eine Sportlergaststätte, Umkleidekabinen, Bäder, Duschen, Arztzimmer, Sportbüro, Mechanikerwerkstätten und Übernachtungsmöglichkeiten. Jedoch litt der Radsport unter der Materialknappheit und der Sportpolitik der DDR-Regierung. Die Organisation von Rennen und Vorbereitungen für Olympia liefen nicht so ab, wie erhofft, sodass das Image Leipzigs als Radsporthochburg auf internationaler und nationalen Bühne schwand.
Auch das Errichten einer Winterbahn, wie es sie im Achilleion gegeben hatte, mißlang. Aufgrund von Materialproblemen musste diese 1963 wieder abgebaut werden. Auch eine Umbenennung der Alfred-Rosch-Kampfbahn in Leipziger Radrennbahn, in der später zahlreiche Ereignisse stattfanden (Oldienacht von RSA, Radfahrschule für Kinder, Inlinefahren), konnte dem Bahnradsport nicht aus der Krise helfen.
Gegenwärtig ist die Radrennbahn in einer schwierigen Situation. Ein Rechtsstreit, wodurch die Stadt den Pachtvertrag des Geländes aufheben wollte, zwang den Sächsischen Radfahrerbund zur endgültigen Räumung und Abgabe der Radrennbahn sowie aller Werkstätten und Garagen an die Stadt. Damit ist die Zukunft des Radsports in Leipzig sehr ungewiss.
Diese Skizzierung der Radsportstätten in der Stadt Leipzig lässt deutlich die Parallelität zur Popularität des Radsports erkennen. Je beliebter eine Sportart ist, desto zentraler wird diese in einer Stadt angesiedelt. Dies trifft sowohl Anfang des 20. Jahrhunderts für den Radsport auf dem Gelände am Cottaweg als auch Anfang des 21. Jahrhunderts auf die Sportstätten des Fußballclubs RB Leipzig zu. Im Radrennen wurde der Nachwuchs nicht gefördert und aktuelle Dopingereignisse brachten die traditionelle Sportart auf ein Abstellgleis. In diesem Zusammenhang ist eine Popularisierung des Fußballs feststellbar, welche den Radsport als beliebte Sportart ablöste.