Die Entwicklung der Vorstädte im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts

Von Luise Grundmann – 06/2015

Der Anlage mittelalterlicher Vorstädte vor den vier Stadttoren sowie eines Ringes von Bürgergärten vor den Befestigungsanlagen folgte bei zunehmendem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum im 18. und 19. Jahrhundert ein planmäßiger Ausbau weiterer Vorstädte. Eine besondere baugeschichtliche und architektonische Bedeutung haben die teilweise bis heute erhaltenen konzentrisch um die Altstadt angelegten Quartiere der Gründerzeit. Bei teilweiser Nutzung der großen barocken Gartenanlagen entstanden planmäßig Wohnviertel, öffentliche Gebäude für Verwaltung, Medizin, Kunst, Bildung und Verkehr sowie Fabrikkomplexe der graphischen Industrie.

Die Bebauung der an die Altstadt angrenzenden Flächen blieb auch nach Beseitigung der Befestigungsanlagen bis Ende des 18./ Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Ausfallstraßen in den mittelalterlichen Vorstädten beschränkt, die man nach den Haupttoren der Stadt bezeichnete: Im Norden die Hallische Vorstadt vor dem Hallischen Tor bis zur Parthe mit der Gerbersiedlung, im Osten die Grimmaische Vorstadt um den befestigten Grimmaischen Steinweg und die Quergasse, im Süden die Petersvorstadt um den Peterssteinweg und die Nonnenmühle sowie im Nordwesten die Rannische Vorstadt an der Elster und Pleiße um den Rannischen Steinweg mit den älteren Siedlungskernen Alte Burg, Mühlgrabensiedlung, Jacobsparochie und Naundörfchen (11. bzw. 12. Jahrhundert). Neben den Wohnhäusern und handwerklich genutzten Gebäuden lagen an den beiden Flüssen im Westen vier Mühlenanlagen: Nonnen-, Thomas-, Barfuß- und Angermühle sowie Hospitäler und Vorwerke (Pfaffendorf, Brandvorwerk, Schimmels Vorwerk, Große Funkenburg). Die unbebauten Flächen zwischen der Altstadt und den anschließenden Feldern der angrenzenden Dörfer wurden vorwiegend als Bürgergärten genutzt, einige wurden zu prächtigen barocken Anlagen gestaltet (Thema: Barockgärten).

Stadtentwicklung (Vorstädte) im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts

Stadtentwicklung (Vorstädte) im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts (IfL)

Statistische Angaben in einer Karte von 1788 weisen für die Vorstädte etwa 550 Gebäude und über 8000 Vorstadtbewohner aus. Wirtschaftlicher Aufschwung durch Messe, frühe Industrialisierung, einhergehend mit Bevölkerungswachstum, drängten um 1840 zu einer flächenhaften Stadterweiterung, die sich zunächst nur auf den hochwasserfreien vorstädtischen Arealen in Richtung Osten und Süden günstig realisieren ließ. Bürgerliche Wohnbauten und öffentliche Gebäude entstanden in der Grimmaischen Vorstadt (Dresdener Straße, Querstraße und Johannisgasse) sowie durch einen planmäßigen Ausbau der neuen sogenannten Ostvorstädte Marienstadt und Friedrichstadt, die sich zum Ausgangspunkt der graphischen Industrie, des Verlagswesens und des Mietwohnungsbaus als sogenanntes Graphisches Viertel entwickelten. Auch südlich der Grimmaischen Vorstadt entstand 1840–1864 ein Mischgebiet mit graphischem Gewerbe und Wohnungsbau auf bisherigen Gartenanlagen und Abbauflächen (u.a. der barocke Großbosische Garten und Teile des Johannistals) in einem als Johannisvorstadt bezeichneten Areal. Impulse zur Stadterweiterung gingen von der Anlage von sechs Kopfbahnhöfen im östlichen bzw. südöstlichen und nördlichen Vorstadtbereichen aus: Dresdener (1839), Magdeburger (1840), Bayerischer (1842), Thüringer (1856), Berliner (1859) und Eilenburger Bahnhof (1872).

Die westlich und südwestlich der Altstadt gelegenen vorstädtischen Flächen in der Elster- und Pleißenaue konnten wegen der Überschwemmungsgefahr zunächst nur als Garten- und Wiesenland genutzt werden. Flussregulierungen und Geländeaufschüttungen ermöglichten erst nach 1840 einen teilweisen Ausbau zunächst der Inneren und später der Äußeren Westvorstadt nach der schrittweisen Parzellierung der großen Gartenanlagen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (Richters oder Gerhards, Kleinbosischer oder Lehmanns Garten, Lurgensteins, Apels oder Reichelts Garten sowie Rudolphs Garten). Nach 1860 verdichteten sich die inneren Vorstädte als Mischgebiete mit Wohngebäuden, Handwerks-, Handels-, Gewerbe- bzw. Fabrikanlagen sowie für öffentliche Gebäude. Als vorwiegend gründerzeitlich geprägte Wohnviertel entstanden Ende des 19. Jahrhunderts Bachstraßen- und Waldstraßenviertel sowie die Innere Südvorstadt, nach 1890 das Musikviertel mit Wohn- und Repräsentativgebäuden.

Empfohlene Zitierweise

Luise Grundmann: “Die Entwicklung der Vorstädte im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/78_B_103-aelteste-wachstumsringe-der-stadt/, Stand 29.06.2015

Quellen und weiterführende Literatur

  • Hetzel, G. u. W. Brückner (um 1864): Leipzig und die im Osten angrenzenden Dörfer, 1:7 000 (Stadtgeschichtliches Museum SGM L 158). – o.O.

  • Hetzel, G. u. W. Rentsch (1879): Leipzig mit Pferdebahnlinien, 1:7 000 (Stadtgeschichtliches Museum SGM L 191 A). – o.O.

  • Krätzschmer, Friedrich (1840): Neuester Plan der Stadt Leipzig. Nach den besten Quellen bearbeitet, 600 Ellen (Stadtgeschichtliches Museum SGL L 122). – o.O.

  • Lange, J.E. (1788): Neuer Grundriss der Chursächs. Handels-Stadt Leipzig. Mit Verzeichnis und Statistik, 150 Ruthen (Stadtgeschichtliches Museum Leipzig L80). – o.O.

Bildnachweise

  • Titelbild und Vorschaubild: Leipzig. Blick vom Rathausturm, historische Ansichtskarte (Archiv für Geographie, IfL, PKL-W.V.012)