Räumliche und zeitliche Aspekte der Bevölkerungsentwicklung der Fränkischen Schweiz von 1840–2011
Von Doris Schmied – 09/2019
Die bloße Feststellung eines moderaten Wachstums der Bevölkerung in der Fränkischen Schweiz seit 1840 lässt zahlreiche Fragen offen. Denn dieses Wachstum erfolgte weder kontinuierlich noch in allen Gebietsteilen gleichartig. Deswegen wird hier anhand einer Serie von Karten für verschiedene Phasen der Bevölkerungsentwicklung versucht, den pauschalen Befund zu differenzieren und zu vertiefen.
Bei der Interpretation der Ergebnisse wird unterschieden zwischen Gemeinden im Kerngebiet der Fränkischen Schweiz (das sind die 30 Gemeinden, die vollständig im definierten Untersuchungsraum liegen), und solchen im Randgebiet (das sind Gemeinden, die teilweise und meistens sogar überwiegend außerhalb der Fränkischen Schweiz liegen und die nur in einem Teilareal zum untersuchten Gebiet zu rechnen sind). Beispiele dafür sind Ebensfeld, Bad Staffelstein, Lichtenfels, aber auch Hirschaid, Forchheim oder Pegnitz.
Bei einem ersten Blick auf die Bevölkerungsentwicklung in der Fränkischen Schweiz, auf Basis der von 1840–2011 durchgeführten Volkszählungen, kann festgestellt werden, dass in fast allen unterschiedenen Zeitpasen insgesamt ein leichtes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen ist, außer im Zeitraum 1950–1961, der einen Bevölkerungsrückgang aufweist. Er folgt indes auf eine Phase 1939–1950, die einen außergewöhnlichen Bevölkerungsanstieg verzeichnete. Der Zusammenhang zwischen beiden Phasen ist leicht erklärbar: In der Endphase des Zweiten Weltkrieges waren infolge der Bombenangriffe in den Städten viele Menschen „aufs Land“ geflüchtet oder deportiert worden bzw. nach Kriegsende Menschen zum bloßen Überleben aus den zerbombten Städten zugewandert. Mit der Normalisierung der Lebensverhältnisse verließen die meisten dieser „Zuwanderer“ die Region aber wieder.
Trotz des generellen Zuwanderungstrends erkennt man erhebliche räumliche Unterschiede für die zwei Gebietskategorien Kerngebiet und Randgebiet, die man auch übersetzen kann mit „ländlich geprägt und eher peripher gelegen“ bzw. „teilweise städtisch geprägt, in wirtschaftlich prosperierenden Räumen gelegen“. Beschränkt man sich auf das Kerngebiet, sind zwischen 1870 und 1925 deutliche Verlustraten feststellbar (Tabelle 1). Es ist dies die Periode, in der viele Angehörige der armen ländlichen Sozialschicht bzw. der jüdischen Bevölkerung in die Städte abwanderten oder in die Neue Welt emigrierten.
1840–1871 | 1871–1900 | 1900–1925 | 1925–1939 | 1939–1950 | 1950–1961 | 1961–1970 | 1970–1987 | 1987–2011 | |
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Kerngebiet | 1,2 | -7,2 | (-6,5) | (6,5) | 35,2 | -11,6 | 6,1 | 0,5 | 9,8 |
Randgebiet | 6,5 | 8,1 | 10,1 | 7,5 | 42,4 | 2,2 | 7,5 | 6,3 | 10,8 |
Gesamtgebiet | 3,9 | 0,8 | (2,9) | (7,1) | 39,6 | -3,1 | 7,0 | 4,3 | 10,5 |
(Quelle: eigene Berechnung nach BAYERISCHES LANDESAMT FÜR STATISTIK, Statistik kommunal, 2015. ‒ Zahlen in Klammern: unvollständig aufgrund von fehlenden bzw. fehlerhaften Daten für Egloffstein und Gößweinstein.)
Im Folgenden werden die einzelnen Phasen der Bevölkerungsentwicklung zwischen jeweils zwei Volkszählungen genauer dargestellt:
Zwischen 1840 und 1871 blieb die Bevölkerungszahl der meisten Gemeinden fast unverändert (Abb. 1). Positiv entwickelten sich einige Gemeinden am Rand der Fränkischen Schweiz, vor allem in der Umgebung von Bayreuth, Bamberg und Lichtenfels. Nur wenige Gemeinden schrumpften trotz zweier einschneidender Abwanderungswellen aufgrund wirtschaftlicher Not (1838–1841 und 1852–1857, SCHAUB 1989, zitiert nach WOLF & TAUSENDPFUND 1997, S. 45), die u.a. die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten deutlich dezimierten. Besonders betroffen waren Orte mit einem relativ hohen Anteil jüdischer Bevölkerung (Altenkunstadt, Pretzfeld, Buttenheim), bei denen die Abwanderung in andere deutsche Städte, vor allem aber nach Nordamerika besonders stark war und bis Ende des 19. Jahrhunderts anhielt.
In der Zeit zwischen 1870 und 1900 kam es zu einer dritten Abwanderungswelle (1880–1886, ibid., Abb. 2), sodass viele Gemeinden im Kerngebiet der Fränkischen Schweiz, vor allem in der nördlichen Hälfte und in einem Streifen von Gemeinden östlich von Forchheim bis nach Plech, deutliche Bevölkerungsverluste hinnehmen mussten. Dies hatte erneut Folgen für die Landwirtschaft, aber auch das Bauhandwerk, den Lebensmittelbereich und andere Berufe. Positiv entwickelten sich dagegen einige Randgemeinden, die im Zuge des Übergangs von der handwerklichen zur industriellen Produktion nach der 1868 im Königreich Bayern erfolgten Einführung der Gewerbefreiheit neue Arbeitsplätze boten. Das betraf vor allem Forchheim (Textil-, Papier- und Folienbranche), Lichtenfels (Holzindustrie, Korbflechterei, Weberei), Pegnitz (Eisengießerei) und Hirschaid (Güterumschlag durch die Lage am Ludwig-Donau-Main-Kanal und die Ludwig-Süd-Nord-Bahn, Korbflechterei).
Zwischen 1900 und 1925 (Abb. 3) stagnierten die meisten Gemeinden in ihrer Bevölkerungszahl bzw. mussten leichte Verluste hinnehmen, wobei die Todesfälle durch den Ersten Weltkrieg und die Spanische Influenza eine Rolle gespielt haben dürften. Größere Verluste verzeichneten nur wenige Gemeinden (Plech, Hiltpoltstein, Thurnau), größere Gewinne konnten ‒ abgesehen von Glashütten ‒ eher randlich liegende Kerngemeinden oder Randgemeinden am Obermain und in Regnitz-Nähe verzeichnen. Dabei begann der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur (neue Stichbahnen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre) den Anschluss bestimmter Gemeinden an die größeren Städte des Umlands zu verbessern und so auch die demographische und wirtschaftliche Entwicklung zu verändern.
Als Folge der veränderten Rahmenbedingungen für die Erreichbarkeit verlief die Bevölkerungsentwicklung zwischen 1925 und 1939 differenzierter (Abb. 4): Auch wenn die Mehrzahl der Gemeinden weiterhin stagnierte, nahm die Zahl der Gemeinden im Kerngebiet mit Bevölkerungsverlusten zu (darunter Stadelhofen und Wonsees), während gleichzeitig die Zahl der eher randlich gelegenen Gemeinden mit Bevölkerungsgewinnen (z.B. Mistelbach, Weißenohe, Pegnitz, Hetzles) stieg.
Zu der größten demographischen Veränderung kam es zwischen den beiden Volkszählungen 1939 und 1950 (Abb. 5). Die Gemeinden der Fränkischen Schweiz verzeichneten ‒ trotz der etwa 6.000 im Zweiten Weltkrieg Gefallenen (FRÄNKISCHE SCHWEIZ MUSEUM TÜCHERSFELD 2015) ‒ eine drastische Bevölkerungszunahme von teilweise bis über 50 % und in einem Fall (Wiesenttal) sogar über 60 %. Diese wurde im Wesentlichen durch zwei Immigrationsgruppen verursacht: Zum einen flohen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Städter aus den zerbombten Städten aufs Land (selbst Saarländer wurden in die Fränkische Schweiz evakuiert und Hamburger Kinder in KLV-Lager in die Region „verschickt“, ibid.), zum anderen wurden viele Flüchtlinge aus den Ostgebieten in Dörfern einquartiert, was zur Überfüllung und zeitweise gewissen sozialen Spannungen führte. Flüchtlinge und Vertriebene veränderten in zahlreichen Orten jahrhundertelange Konfessionsgrenzen und gaben als Arbeitskräfte, aber auch als Unternehmer wichtige wirtschaftliche Impulse (z.B. Textilfabriken Palme in Glashütten und Horn in Pegnitz, Sportmoden Adolf Riedl GmbH, Habla Chemie in Mistelbach).
In der Zeit von 1950 bis 1961 (Abb. 6) erfolgte im Kerngebiet der Fränkischen Schweiz ‒ als Gegenbewegung zu den 1940er Jahren ‒ eine deutliche Abwanderung der Bevölkerung; diese zog (wieder) in die im Aufbau befindlichen nahegelegenen Städte oder sogar in andere wirtschaftlich besser gestellte Regionen. Nur wenige Gemeinden konnten ihre Bevölkerungszahl halten oder sogar leicht wachsen. Am stärksten war die Bevölkerungszunahme in den Randkommunen im Westen, wo Neubausiedlungen entstanden, in denen sich viele Flüchtlinge/Vertriebene ansiedelten (z.B. Regnitzau in Hirschaid, Lichteneiche in Memmelsdorf).
Von 1961 bis 1970 (Abb. 7) stagnierte eine Reihe von Gemeinden im Kerngebiet (und auch im bisher wachstumsorientierten Obermain-Gebiet), viele Gemeinden ‒ v.a. im Südwesten und Westen ‒ konnten aber deutliche Bevölkerungsgewinne verzeichnen. Das lag teilweise daran, dass von 1955 bis 1969 ganz Deutschland einen Babyboom und durch die geburtenstarken Jahrgänge ein natürliches Bevölkerungswachstum erlebte. Außerdem waren die 1960er Jahre nicht nur der Beginn der Wohnsuburbanisierung auf der Basis privaten Pkw-Besitzes, die bis heute anhält, sondern auch die Hochzeit der Förderung des ländlichen Raumes, was sich auch auf die Bevölkerungsentwicklung der Fränkischen Schweiz auswirkte.
Größere Industrieunternehmen errichteten Zweigbetriebe in ländlichen Gemeinden (z.B. Hollfeld), was eine Abwanderung verhinderte oder sogar Zuwanderung generierte. So produzierte AEG beispielsweise in Gräfenberg und auch in Gößweinstein, wo das Unternehmen das renovierungsbedürftige Kurhaus in ein Wohnheim für 100 (!) türkische Arbeitnehmerinnen umfunktionierte. Nur wenige Gemeinden am Nordrand der Fränkischen Schweiz (Wattendorf, Kasendorf, Wonsees) verzeichneten Bevölkerungsverluste.
Von 1970 bis 1987 (Abb. 8) entwickelte sich die Bevölkerung sehr heterogen, denn die Rahmenbedingungen veränderten sich erneut. In den 1970er und 1980er Jahren führten die Ölkrise und das Ende des deutschen Wirtschaftswunders zu Veränderungen der Arbeitsplatzsituation. Betriebe zogen sich aus dem ländlichen Raum oder in Gebiete mit Zonenrandförderung zurück, was die Arbeitsplatzsituation in einigen Gemeinden verschlechterte (Beispiel Hollfeld). Gleichzeitig veränderte sich die Verkehrsinfrastruktur: die Stilllegung von Eisenbahnstrecken ließ einige Orte in ihrer Entwicklung zurückfallen, während die in der Nähe von Städten und an neuen oder verbesserten Straßen („Frankenschnellweg“ A73 und B22 / später A70) gelegenen Orte von der Verlagerung des Verkehrs auf die Straße profitierten.
Bei der Bevölkerungsentwicklung zwischen 1987 und 2011 (Abb. 9) vermischten sich verschiedene Prozesse. Die Suburbanisierung hielt weiter an, was sich besonders bei den Bevölkerungsgewinnen der Gemeinden zeigt, die an den Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen, an Bamberg und an Bayreuth anschließen. Positiv beeinflusst wurde die Bevölkerungsentwicklung auch durch den Zuzug von Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung, worüber es allerdings keine Daten gibt. Gleichzeitig begann sich der „demographische Wandel“ bemerkbar zu machen, der die zukünftige Bevölkerungsentwicklung entscheidend beeinflussen wird.