Vom Rieselfeld zum Erholungswald – die Vogelwelt im Spiegel der Umgestaltung
Von Roland Lehmann, Jens Scharon, Bernhard Schonert – 12/2020
Das Ende der Abwasserverrieselung führte mit der völligen Umgestaltung der Landschaft um Hobrechtsfelde auch zu einer grundlegenden Veränderung des Lebensraums für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Mit der Trockenlegung und Planierung der Rieselflächen verloren etwa viele Wasservögel zunächst ihren Rückzugsraum. Gerade das Beispiel der Vogelwelt zeigt aber auch, wie aus diesem Verlust durch den gezielten Umbau der Landschaft nach und nach ein Gewinn wurde: Die strukturreiche halboffene Waldlandschaft ist heute ein weithin bekannter Lebensraumschwerpunkt, in dem auch zahlreiche gefährdete Vogelarten eine Heimat gefunden haben. Diese besondere Lebensraumvielfalt muss durch eine aktive Gestaltung der Landschaft erhalten werden.
Zu Rieselfeldzeiten ein Magnet für Sumpf- und Wasservögel
Während des aktiven Rieselfeldbetriebs waren die Flächen mit ihren wechselnden Abwasserständen sowie den nahrungs- und deckungsreichen Schlammflächen vor allem während der Zugzeiten ein Magnet für Enten und Regenpfeiferartige. Bis zu 31 dieser Watvogelarten wurden nachgewiesen. Tagesmaxima von 450 Krickenten oder 300 Löffelenten, 350 Kampfläufern, 380 Bekassinen, 55 Dunklen Wasserläufern oder 100 Grünschenkeln zeigen beispielhaft die enorme Bedeutung der ehemaligen Rieselfelder als Rastplatz durchziehender Enten und Watvögel. Die Rieselfelder waren ein bedeutender Ersatz für natürliche Feuchtgebiete, deren Fläche beständig sinkt.
Zusammen mit den Durchzüglern wurden auf dem Hobrechtsfelder Rieselfeld über 180 Vogelarten festgestellt. Mit zahlreichen Holunder- und Brombeerbüschen auf den Dämmen zwischen den Rieselparzellen bot das Gebiet auch verschiedenen Sperlingsvögeln Brutmöglichkeiten und während des Herbstzuges Nahrung. Neben Goldammer und Baumpieper war hier auch der Neuntöter ein häufiger Bewohner.
Die Ablösung der Rieselfelder
1985 wurde die Wasseraufleitung auf das Hobrechtsfelder Rieselfeld eingestellt. Anschließend setzten die Planierungsarbeiten ein, welche das Gebiet grundlegend veränderten, auch für die Vogelwelt. Die Schadstoffbelastung der Böden schloss eine landwirtschaftliche Nutzung aus und so wurden die Flächen aufgeforstet. Bis zur 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987 entstand im Nordosten der Stadt ein rund 1.400 Hektar großer Erholungswald, der den Bucher Forst wieder mit den weiter nördlich gelegenen Waldgebieten verbinden sollte.
Allerdings etablierte sich nur auf etwa 40 % der Aufforstungsfläche ein geschlossener Baumbestand. Es entstand ein Mosaik aus Baumflächen, Gras- und Staudenfluren. Das Ergebnis war eine halboffene Landschaft, wie man sie in Mitteleuropa kaum noch vorfindet; ein seltener Lebensraum für zahlreiche in ihrem Bestand bedrohte Vögel.
Ein kleiner Teil der ehemaligen Rieselparzellen wurde im Rahmen eines Umweltentlastungsprogramms zu Reinigungsteichen entwickelt, die seit 2005 vom Klärwerk Schönerlinde mit Klarwasser versorgt werden. Die Versorgung mit Wasser und der Durchfluss durch das Gebiet in Richtung Lietzengrabenniederung und Karower Teiche erfolgt über den Lietzengraben und verschiedene noch vorhandene Grabensysteme. Trockenheit auf der einen und Reinigungsteiche auf der anderen Seite führten zu einer bemerkenswerten Veränderung der Brutvogelwelt im Gebiet, die seit 1992 gut dokumentiert ist. Der „Hobrechtswald“ mit der angrenzenden Lietzengrabenniederung ist inzwischen wieder zu einem Lebensraumschwerpunkt der Vogelwelt geworden und auch den Vogelkundlern im Ausland gut bekannt.
Der Wandel in der Vogelwelt – der „Hobrechtswald“ wird wieder artenreich
Von 1992 bis 2014 stieg die Zahl der im Gebiet brütenden Arten deutlich an. Waren bei der Erfassung 1992 noch 39 Brutvogelspezies nachgewiesen worden, so waren es 2004 schon 52 und 2009 sogar 66 Arten. Im Zeitraum 2004 bis 2014 wurden insgesamt 84 Spezies als Brutvögel nachgewiesen. Am häufigsten sind nach wie vor Goldammer und Baumpieper als zwei Vertreter halboffener Landschaften.
Betrachtet man den Anteil gefährdeter Arten an der Gesamtartenzahl ergibt sich folgendes Bild: Aus dem Anhang I der europäischen Vogelschutzrichtlinie wurden bisher neun besonders schützenswerte Arten als Brutvögel nachgewiesen: Eisvogel, Heidelerche, Kranich, Neuntöter, Rohrdommel, Rohrweihe, Sperbergrasmücke, Wespenbussard und die Zwergdommel. Weitere 15 Arten sind in den Roten Listen von Berlin bzw. von Deutschland aufgeführt. Zehn weitere Spezies stehen in den sogenannten Vorwarnlisten. Damit sind insgesamt 40 % aller im Gebiet als Brutvögel registrierten Arten in Berlin, in Deutschland bzw. europaweit als gefährdet eingestuft. Allein durch diese Konzentration zeigt sich die herausragende Bedeutung des Gebietes als Lebensraum für gefährdete Vogelarten.
Obwohl die Artenzahl, die Zahl der Brutreviere insgesamt und die Zahl der gefährdeten Vogelspezies seit 2006 etwa gleich geblieben sind, muss auf eine negative Entwicklung aufmerksam gemacht werden. Die Zahl der gefährdeten Brutvogelarten ist zwar gleich geblieben, aber ihre Revierzahlen gehen zurück.
Dies geschieht vor allem bei den Bewohnern der offenen und halboffenen Landschaft, einige davon sind mittlerweile auch schon ganz verschwunden. Mit Heidelerche, Neuntöter und Sperbergrasmücke sind gleich drei Arten des Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie betroffen (vgl. Abb. 10).
Der Grund hierfür ist der Verlust ihrer Lebensräume. Die offenen und halboffenen Flächen wachsen natürlicherweise allmählich zu. Sie werden vor allem von ausbreitungsstarken nichtheimischen Arten wie dem nordamerikanischen Eschenahorn oder der Kanadischen Goldrute besiedelt. Der Flächenanteil der Rohbodenstandorte und Ruderalflächen ist von 44 % im Jahr 2003 auf 25 % im Jahr 2011 zurückgegangen.
Diese Entwicklung soll durch Beweidung aufgehalten und teilweise auch rückgängig gemacht werden. Bei den aktuellen Besatzdichten ist das jedoch illusorisch. Es grasen einfach zu wenige Tiere auf einer zu großen Fläche.
Dem Verlust von Offenflächen auf der einen Seite stehen Zugewinne im Bereich der Waldlebensräume entgegen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass hier auch die Revierzahlen in den letzten Jahren angestiegen sind.
Ein großer Teil der Mitte der 1980er Jahre angepflanzten Pappelbestände etwa ist im Absterben begriffen. Das verstärkt anfallende Totholz führt zu einem Anstieg der Anzahl an Höhlenbrütern.
So haben beispielsweise die Bestände von Buntspecht, Kleinspecht und Weidenmeise deutlich zugenommen. Die Weidenmeise ist in Berlin stark gefährdet und auf sich zersetzendes Holz angewiesen, in das sie ihre Höhlen baut.
Eine Bereicherung für das Gebiet war die Aufleitung von Klarwasser in die wieder hergestellten Reinigungsteichgruppen und in den Lietzengraben. Arten wie Rohrdommel, Zwergdommel, Rohrweihe, Knäkente, Reiherente, Wasserralle, Teichhuhn und Rohrschwirl wurden inzwischen als Brutvögel nachgewiesen.
Der Hobrechtswald im Vergleich
Vergleicht man die rund 3 km² Hobrechtswald mit dem Umfeld kommt Erstaunliches zum Vorschein. In Abb. 15 ist die Fläche mit der Zahl ihrer Brutvogelarten für den Zeitraum von 2004 bis 2014 in Relation zu größeren Gebieten dargestellt: zum Messtischblatt 3346 – Berlin Buchholz, in dem sich der Hobrechtswald befindet, zur Stadt Berlin und zur Bundesrepublik Deutschland.
Für diese Flächen ist die Zahl der Brutvogelarten bekannt. Deutlich mehr als die Hälfte aller Brutvogelarten Berlins wurden in den letzten 10 Jahren auf nur 300 Hektar aufgeforsteter ehemaliger Rieselfelder um Hobrechtsfelde nachgewiesen. Bezogen auf Deutschland ist es fast ein Drittel.
Der Hobrechtswald ist ein Schwerpunkt vogelkundlicher Artenvielfalt. Die Ursache hierfür ist der kleinflächige Wechsel sehr verschiedener Lebensräume von trocken bis feucht, von hoch bis niedrig, von dicht bis lückig. Um dieses seltene und wertvolle Strukturmosaik zu erhalten, müssen vor allem die offenen und halboffenen Landschaften bewahrt werden. Ohne Beweidung oder menschliche Eingriffe werden sie allmählich von Eschenahorn, Goldrute und Landreitgras erobert. Hierfür braucht es dringend ein angepasstes Konzept.
Auch wenn viele Ornithologen den Verlust der Schlamm- und Feuchtflächen der ehemaligen Rieselfelder beklagen, sind im Hobrechtswald neue Lebensräume entstanden, die sich mit ihren Brutvogelbeständen sehen lassen können. Diese seltene Lebensraumvielfalt gilt es zu erhalten.