Das Dorf Kalteneber. Kirche, Kleinbahn und "Kolchose"

Von Torsten W. Müller – 11/2018

Das Eichsfeld ist eine ländliche Gegend, zu der 160 Dörfer gehören. Der Ort Kalteneber kann mit seiner dörflichen Struktur, die durch religiöse Denkmale und landwirtschaftliche Bauten geprägt ist, exemplarisch für viele eichsfeldische Landgemeinden stehen. Die Exkursion führt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Dorfes.

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Von Heilbad Heiligenstadt, der Hauptstadt des Eichsfeldes, sind es nur 9 Kilometer in Richtung Süden – durch den Stadtwald – bis zum Höhendorf Kalteneber auf der obereichsfeldischen Muschelkalkplatte. Nur wenige Eichsfelder Berge ragen über den Ort hinaus, denn er erreicht eine Höhenlage von fast 500 Metern. Die Lage scheint auch den Namen des Dorfes bestimmt zu haben, denn deutlich sind die zeitweise niedrigeren Temperaturen im Vergleich zu den tiefer gelegenen Dörfern auszumachen. Die im Oberdorf gelegenen Wasserstellen – in Stein gefasste Brunnenteiche – sind auf der wasserarmen und wasserdurchlässigen Höhe von besonderer Wichtigkeit, auch wenn sie nach dem Bau der Wasserleitung 1904 ihre Bedeutung verloren haben.

In Kalteneber leben derzeit 374 Einwohner, von denen 90 % katholisch sind. Diese für Mitteldeutschland besondere konfessionelle Eigenart prägte das Dorf und seine Geschichte. Mit ihrem festgefügten Werte- und Normensystem bot die Kirche die primäre Orientierung im Alltag der Menschen. Die Gläubigen fühlten sich von einer tief verwurzelten Frömmigkeit und Glaubenspraxis getragen; ein dichtes Geflecht katholischer Institutionen wie z.B. Pfarrhaus, Konfessionsschule oder Vereine und Presseorgane prägte Zeiterfahrung und Lebensstil von Kindern und Jugendlichen ebenso wie der Erwachsenen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die starke Bindung der Katholiken an ihre Lebens- und Gemeinschaftsformen wirkt sich bis heute auch auf die Wahlen aus. Den Nationalsozialisten und den Kommunisten blieb in Kalteneber der politische Durchbruch versagt. So wählten beispielsweise 65 % der Einwohner 1933 die katholische Zentrumspartei und nur 17 % die NSDAP. Bei der Bundestagswahl 2017 war die CDU die stärkste Partei mit 49 % der Stimmen; 2013 hatten noch 71 % die CDU gewählt. Kalteneber ist seit dem 1. Juli 1991 Ortsteil von Heilbad Heiligenstadt.

Station 1: Katholische Dorfkirche zur Kartenansicht >>

Katholische Kirche St. Nikolaus
Katholische Kirche St. Nikolaus (Foto: Torsten W. Müller)
Katholische Kirche St. Nikolaus
Katholische Kirche St. Nikolaus (Foto: Torsten W. Müller)

Mitten im Dorf steht die katholische St.-Nikolaus-Kirche, die – wie alle katholischen Gotteshäuser des Eichsfeldes – grundhaft saniert ist und einen sehr gepflegten Eindruck macht. Sie wurde 1866 / 67 neu erbaut unter Einbeziehung des alten Kirchturms von 1793. Die Dorfbewohner haben stets für eine würdevolle Ausgestaltung ihres Gotteshauses gesorgt. Viele Opfer an persönlicher Arbeitsleistung und Geld wurden erbracht, um eine angemessene Feier des Gottesdienstes zu ermöglichen; nie war die Kirche in einem ruinösen Zustand oder vernachlässigt. Im Inneren befanden sich nacheinander mehrere Altäre entsprechend des jeweiligen Zeitgeschmacks, von denen nur einzelne Skulpturen übrig geblieben sind. Zuletzt wurde 2005 nach einer umfangreichen Renovierung ein neuer Zelebrationsaltar konsekriert. Als „Wohnung Gottes unter den Menschen“ und Versammlungsraum der Kirchengemeinde erfüllt die Kirche noch heute ihren Zweck. Im Durchschnitt besuchen 30 Prozent der Katholiken des Dorfes den Sonntagsgottesdienst (Stand 2016), womit Kalteneber den Bundesdurchschnitt der katholischen Gottesdienstbesucher weit übersteigt.

Station 2: Katholisches Pfarrhaus zur Kartenansicht >>

Pfarrhaus des Dorfes mit dem Jesusmonogramm IHS auf dem Dach
Pfarrhaus des Dorfes mit dem Jesusmonogramm IHS auf dem Dach (Foto: Torsten W. Müller)

Direkt neben der Kirche befindet sich das Pfarrhaus, das 1873 im Fachwerkstil errichtet wurde und dem jeweiligen Ortsgeistlichen als Wohnung diente. Nachdem der Religionsunterricht in der Schule endgültig verboten wurde, richtete man in einem Nebengebäude des Pfarrhofes und nach 1991 im Erdgeschoss des Pfarrhauses einen eigenen Raum für Katechese, Pastoral und Kirchenchorproben ein. Die landwirtschaftlich genutzten Gebäude – wie Ställe und Scheune – wurden abgerissen. Im Dorf bestand vom 12. / 13. Jahrhundert bis 2008 eine katholische Pfarrei mit eigenem Seelsorger. Fast täglich wurde in der Kirche die Heilige Messe durch den Ortspfarrer gefeiert. Der Priestermangel in Deutschland hat es mit sich gebracht, dass Kalteneber seit 2008 von Heiligenstadt aus betreut wird und das Pfarrhaus keinen eigenen Pfarrer mehr beherbergt.

Station 3: Anger zur Kartenansicht >>

Dorfanger und Gasthaus
Dorfanger und Gasthaus (Foto: Torsten W. Müller)
Gasthaus und Anger in den 1950er-Jahren
Gasthaus und Anger in den 1950er-Jahren (Quelle: Katholische Pfarrgemeinde St. Marien Heiligenstadt, Pfarrarchiv Kalteneber)

Zum alten Kern des Haufendorfes Kalteneber gehören neben der Kirche und der Schule auch der Anger, das Gemeindebackhaus und das Gemeindegasthaus. Der Anger – ursprünglich ein ummauerter Versammlungsplatz mit einem steinernen Tisch für dörfliche Gerichtshandlungen und einem Lindenbestand – war die Stätte der profanen Zusammenkünfte, der Beratungen, der Rechtshandlungen, der Volksfeste und Feierstunden. In Kalteneber wird der Anger halbkreisförmig von einer Sandsteinmauer umgeben. Der Angertisch ist leider verschwunden, die alte Linde wurde 1990 gefällt und durch eine neue ersetzt. Vom Anger führt eine Treppe zum Gasthaus und zum Saal, der Ort der Kirmesfeierlichkeiten ist, die in Kalteneber besonders festlich und über drei Tage hinweg – am zweiten Wochenende nach dem Fest Mariä Heimsuchung – begangen werden.

Station 4: Bauernhaus zur Kartenansicht >>

Geburtshaus des Pädagogen Dr. Lorenz Kellner
Geburtshaus des Pädagogen Dr. Lorenz Kellner (Foto: Torsten W. Müller)

Durch die Lorenz-Kellner-Straße gelangt man an der Ecke zur Flussstraße zu einem typischen Fachwerkhaus des Eichsfeldes, das aus der Zeit um 1620 stammt. Dies Wohnhaus Nr. 1a trägt eine Gedenktafel, die darauf aufmerksam macht, dass in diesem Gebäude der hochgeschätzte Dr. Lorenz Kellner am 29. Januar 1811 geboren wurde. Kellner war Schulrektor, Seminarlehrer und Schulrat; er gilt als der bedeutendste katholische Pädagoge des 19. Jahrhunderts und als führender Methodiker des Deutschunterrichts. Kellner setzte sich energisch für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Hebung des Lehrerstandes ein. Stiftungen und Vereinigungen hielten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts seinen Namen in Ehren. In der Lindenallee Heiligenstadts setzte der „Katholische Lehrerverband des Deutschen Reiches“ Kellner 1897 ein Denkmal. Lorenz Kellner ist der berühmteste Sohn des Dorfes Kalteneber.

Station 5: Bahnhof zur Kartenansicht >>

Aus dem ehemaligen Empfangsgebäude des Bahnhofes entstand nach 1990 ein Dorfgemeinschaftshaus
Aus dem ehemaligen Empfangsgebäude des Bahnhofes entstand nach 1990 ein Dorfgemeinschaftshaus (Foto: Torsten W. Müller)

Von 1914 bis 1947 war Kalteneber an die Bahnstrecke Heiligenstadt-Schwebda mit einem eigenen Bahnhof angeschlossen. Die preußische Regierung unterstützte ab 1910 den Bau einer Eisenbahnstrecke im südlichen Eichsfeld, da sie sich davon eine nachhaltige Verbesserung der bestehenden Verhältnisse – besonders der landwirtschaftlichen Betriebe – erhoffte. 1912 wurde mit dem Bahnbau begonnen. Die Firma Otto Leppin warb dazu Arbeiter aus allen Teilen Deutschlands, aus Böhmen, Österreich, Galizien, Kroatien, Dalmatien, Serbien, Bosnien und Italien an, von denen allein in Kalteneber 2.000 untergebracht waren. Die Gesamtstrecke dieser Nebeneisenbahn konnte am 1. Oktober 1914 dem Verkehr übergeben werden. Der Zugverkehr war jedoch relativ dürftig. Mehr als drei Zugpaare verkehrten kaum. Zwar waren betrieblicherseits auch alle Voraussetzungen für das Verkehren von Güterzügen gegeben, doch sind bis auf einige Ausnahmen die wenigen Wagenladungen auf der Strecke den für die Beförderung von Reisenden dienenden Zügen mitgegeben worden. Das Ende der Kleinbahn kam 1947. Die Schienen wurden auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht als Reparationszahlungen demontiert und wohl in die Sowjetunion verbracht. Das ehemalige Empfangs-Gebäude dient heute als Dorfgemeinschaftshaus.

Station 6: LPG und Agrarbetriebe zur Kartenansicht >>

Landwirtschaftliche Großbauten aus der Zeit der kommunistischen Ära prägen das Dorfbild
Landwirtschaftliche Großbauten aus der Zeit der kommunistischen Ära prägen das Dorfbild (Foto: Katholische Pfarrgemeinde St. Marien Heiligenstadt, Pfarrarchiv Kalteneber)

Am Ortsrand – direkt hinter dem ehemaligen Bahnhof – entstanden seit Ende der 1950er Jahre durch die staatlich forcierte Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft und die damit verbundenen Konzentrationen und Spezialisierungen in der Tier- und Pflanzenproduktion großräumige Stallanlagen sowie eine Milchviehanlage. Die hiesige LPG erbrachte im nationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Erträge. Verantwortlich hierfür waren die ebene Feldflur, ausreichender Niederschlag und fachmännische Betriebsführung unter Nutzung neuester agrarökonomischer Erkenntnisse. Der damit in Verbindung stehende Futteranbau erzielte Spitzenleistungen bei der Milchproduktion.

In Supermärkten und Fleischereien der Region wird Schmand als Süßrahmspezialität angeboten. Er hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen Produkt der Lebensmittelindustrie aus den Kühlregalen
In Supermärkten und Fleischereien der Region wird Schmand als Süßrahmspezialität angeboten. Er hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen Produkt der Lebensmittelindustrie aus den Kühlregalen (Foto: Torsten W. Müller)

Nach 1990 bildeten sich aus der LPG zwei bedeutende, thüringenweit anerkannte Agrarbetriebe, die noch heute bestehen und sich auf Feld- und Viehwirtschaft spezialisiert haben. In den Gebäuden am Bahnhof siedelte sich die „AGROMA AG“ an, die sich auf die Haltung von Kühen, Rindern, Mastbullen und Schweinen konzentrierte. Die gemolkene Milch wird als „Eichsfelder Schmand“ vermarktet. Eichsfelder Schmand ist ein Süßrahmprodukt ohne Zusatz von Fremdstoffen mit einem Fettgehalt von 52 % und erfreut sich als Brotaufstrich bzw. zur Verfeinerung von Soßen und Salaten großer Beliebtheit.

Station 7: Freilandkreuzweg und Klus zur Kartenansicht >>

Der Freilandkreuzweg in der Feldflur von Kalteneber
Der Freilandkreuzweg in der Feldflur von Kalteneber (Foto: Torsten W. Müller)

Geht man die Flussstraße hinauf, an einem imposanten Fachwerkhaus mit Mainzer Rad am Sockel als Zeichen der fast eintausendjährigen Zugehörigkeit Kaltenebers zum Kurfürstentum und Erzbistum Mainz vorbei, so gelangt man in die Bergstraße und fast am östlichen Ortsausgang in den Klusweg. Hier beginnt einer der ältesten Freilandkreuzwege des Eichsfeldes, der seine Entstehung vermutlich den Reformbemühungen der Jesuiten verdankt. Bereits 1747 wurde er mit sieben Stationen aus Sandsteinen eröffnet und 1768–1770 um sechs Stationen erweitert. Die Stationshäuschen zeigen auf Reliefbildern Szenen aus dem Leidensweg Jesu von seiner Verurteilung bis zu seinem Tod.

Die Kaltenebersche Klus bildet den Endpunkt des Freilandkreuzweges
Die Kaltenebersche Klus bildet den Endpunkt des Freilandkreuzweges (Foto: Torsten W. Müller)

Den Abschluss des ca. 800 Meter langen Weges bildet die „Kaltenebersche Klus“, eine über quadratischem Grundriss von sieben mal sieben Metern angelegte Kapelle, die von mächtigen Linden umstanden wird. Sie wurde 1768 fertig gestellt und beherbergt eine wertvolle Kreuzigungsgruppe. Über dem Torbogen steht eine lateinische Inschrift, deren Übersetzung lautet: „Fern sei es aber, mich zu rühmen, außer im Kreuz unseres Gottes“. Die Kapelle liegt an der alten Geleitstraße zwischen Heiligenstadt und Eschwege. Für die Pilger zum wichtigsten eichsfeldischen Wallfahrtsort, den Hülfensberg, war die Kapelle von besonderer Bedeutung, denn von hier aus konnten sie erstmals ihr ersehntes Wallfahrtsziel sehen.


Empfohlene Zitierweise

Torsten W. Müller: “Das Dorf Kalteneber. Kirche, Kleinbahn und "Kolchose"” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/79_e_505-das-dorf-kalteneber/, Stand 29.11.2018

Quellen und weiterführende Literatur

  • PROCHASKA, Walter (1975): Kalteneber und sein Name. In: Eichsfelder Heimathefte 15, S. 352–357.
  • GODEHARDT, Helmut (2007): Landsteuerzahler aus den Dörfern des Amtes Gleichenstein und den Duderstädter Kespeldörfern in den Jahren 1547 / 48, in: Eichsfeld-Jahrbuch 15, S. 29–41.
  • ANHALT, Peter u. Hermann SCHÜTTEL (2005): Alle Freilandkreuzwege im Eichsfeld. – Heiligenstadt.
  • GODEHARDT, Helmut u. Manfred KAHLMEYER (1986): Die schönsten Dorfanger des Eichsfeldes. – Heiligenstadt.
  • LAUERWALD, Paul (1988): Die Eisenbahn im Eichsfeld. Zur Geschichte eines Verkehrsmittels in unserer Heimat, hg. v. Rat der Stadt Heiligenstadt. – Heiligenstadt.
  • LUCKE, Rolf-Günther et al. (2011): Die Kirchen im Eichsfeld. Kirchen- und Kunstführer, 2. Aufl. – Duderstadt.
  • MÜLLER, Erhard (1989): Die Ortsnamen des Kreises Heiligenstadt. – Heiligenstadt.
  • OPFERMANN, Bernhard (1958): Die kirchliche Verwaltung des Eichsfeldes in seiner Vergangenheit. Ein Handbuch mit 5 Karten. – Leipzig.
  • RASSOW, Walter (1909): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Heiligenstadt (= Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen 28). – Halle.
  • KEPPLER, Josef (2002): Heilbad Heiligenstadt im Eichsfeld. – Heiligenstadt.

Bildnachweise

  • Vorschaubild: Das Dorf Kalteneber auf einer Luftaufnahme vom Mai 2017 (Foto: Matthias Werner)
  • Titelbild: Gasthaus und Anger in den 1950er-Jahren (Quelle: Katholische Pfarrgemeinde St. Marien Heiligenstadt, Pfarrarchiv Kalteneber)