Thietmar von Merseburg über die heilige Quelle

Von Michael Strobel und Thomas Westphalen – 12/2022

Heute als solcher nicht mehr erkennbar war der ehemalige Paltzschener See in vorchristlicher Zeit für die Einheimischen von zentraler Bedeutung. Thietmar von Merseburg beschreibt ihn als Orakelsee, der drohende Krisen „durch Blut und Asche“ verkündet habe. (Thietmar von Merseburg, Chronik, I, 3). Seine Bedeutung wird auch durch seinen zeitgenössischen Namen unterstrichen. Glomuzi meint sowohl den See als auch die umgebende Landschaft – die heutige Lommatzscher Pflege.

„Glomuci (Lommatzsch) ist eine nicht weiter als zwei Meilen von der Elbe entfernte Quelle; sie speist einen See, der nach Versicherungen der Einheimischen und Bestätigung durch viele Augenzeugen häufig wunderbare Erscheinungen hervorbringt. Wenn die Eingeborenen Ruhe und Frieden zu erwarten haben und der Boden die Frucht nicht versagt, erfreut er, bedeckt mit Weizen, Hafer und Eicheln, die Herzen der sich oft an ihm versammelnden Einwohner. Brechen dagegen wilde Kriegsstürme los, gibt er durch Blut und Asche im Voraus gewisse Kunde vom künftigen Ausgang. Ihn verehren und scheuen alle Einwohner mehr als Kirchen, wenn auch in ungewisser Erwartung. Von ihm also ist der Name des Gaus abgeleitet, der sich von der Elbe bis an die Chemnitz erstreckt.“

Dieser Schilderung geht in der Chronik Thietmars von Merseburg die Erwähnung eines erfolgreichen, um das Jahr 900 durgeführten Kriegszuges Heinrichs l. in das „von Deutschen ‚Deleminci’, von den Slawen aber ‚Glomaci’“ genannte Land voraus (TRILLMICH 1957, S. 7).

Die Lommatzscher Pflege und der Paltzschener See spielen in der Chronik indessen keine zentrale Rolle. Unklar ist, ob der Bischof auf seinen drei von ihm in den Jahren 1012, 1015 und 1017 erwähnten Fahrten nach Meißen den See streifte oder ihn nur aus Erzählungen kannte. Dass er dennoch Kunde von dem See erhielt, unterstreicht dessen Bedeutung für die Einwohner der Lommatzscher Pflege. Immerhin handelt es sich um einen der wenigen schriftlichen Hinweise auf die religiösen Verhältnisse aus der Zeit der beginnenden Christianisierung, also zwischen etwa 1000 und 1200. Auch die archäologischen Hinterlassenschaften, die die religiösen Bräuche dieser Zeit widerspiegeln, vermitteln noch kein schlüssiges Bild. Es deutet sich jedoch an, dass sich die Hinwendung zum christlichen Glauben über einen längeren Zeitraum hingezogen und erst mit der hochmittelalterlichen Kirchspielorganisation ihren Abschluss gefunden haben muss (WESTPHALEN 2021, S. 22).

Abb. 1: Blick auf den ehemaligen Paltzschener See nach Dörschnitz mit dem vergrasten „Seegraben“.
Abb. 1: Blick auf den ehemaligen Paltzschener See nach Dörschnitz mit dem vergrasten „Seegraben“. (Foto: Michael Strobel, Landesamt für Archäologie Sachsen, aufgenommen am 21.11.2022)

Der See dürfte von den Einwohnern in jedem Fall als etwas Besonderes wahrgenommen worden sein, handelt es sich doch um eines der wenigen Standgewässer Sachsens. Ob durch eine Quelle gespeist, wie von Thietmar erwähnt, oder ausschließlich durch Niederschlagswasser angefüllt, lässt sich nach der 1807 eingeleiteten Trockenlegung nicht mehr feststellen. Der von Thietmar geschilderte Farbwechsel des Wassers im Paltzschener See klingt plausibel. Dass er Anlass bot, die Geschehnisse der näheren Zukunft daraus abzuleiten, ist angesichts der zeitweisen spektakulären Rotfärbung des Wassers nachvollziehbar, solange man die Ursachen für dieses Phänomen nicht kannte. Verantwortlich dafür war die Grünalge Haematococcus pluvialis. Sie schützt sich mittels Astaxanthin, einem natürlichen, rötlich-violettem Karotinoid vor UV-Strahlung, kaschiert also ihr Chlorophyll, kann aber auch grün aussehen. Sie ist nicht selten und lebt in flachen Gewässern. Bei ungünstigen Lebensverhältnissen bildet sie runde, intensiv rote Aplanosporen, d.h. unbegeißelte, einzellige Fortpflanzungskörper, in Massen und verursacht so die Rotfärbung (IBS 2022). Möglicherweise spielt die überlieferte Orakelfunktion darauf an, denn die die Rotfärbung bei den Algen auslösenden Stresssituationen können durch witterungsbedingte Trockenphasen hervorgerufen werden und diese wiederum Ursache für Minderernten gewesen sein. Auch ist es denkbar, dass trockenere Witterungen wegen der besseren Wegbarkeit in bewegten Zeiten wie in den Jahren vor 1018, dem Sterbejahr des Merseburger Bischofs, Kriegszüge förderten.

Abb. 2: In der Kartenmitte ist„der Paltzscher See“ und der „Seegraben“ eingetragen.
Abb. 2: In der Kartenmitte ist„der Paltzscher See“ und der „Seegraben“ eingetragen. (Quelle: Freiberger Meilenblätter F 120 und F 121 nach 1821)

Obwohl in der heutigen ausgeräumten Agrarlandschaft der Lommatzscher Pflege von dem einstigen Gewässer fast keine Spuren mehr vorhanden sind, ist es gelungen, den See zweifelsfrei zu lokaliseren. Danach befand er sich in einer abflusslosen Senke nahe der Ortschaften Paltzschen und Dörschnitz, deren Einzugsgebiet 150 ha umfasste, und aus dem in normalen Niederschlagsjahren bis zu 90.000 m³ Wasser in die ca. 4 ha umfassende Mulde fließen konnten (SPEHR 2011, S. 91). Diese Annahme geht allerdings davon aus, dass das Abflussgeschehen im Offenland erfolgte. Welche hydrologischen Verhältnisse in bewaldeter Landschaft anzunehmen sind, lässt sich nicht sagen. Es ist jedoch anzunehmen, dass deutlich weniger Oberflächenwasser in den See gelangte als in unbewaldeter historischer Zeit. Das Fehlen von typischen Seesedimenten könnte ein Hinweis darauf sein, dass der See tatsächlich erst mit der Rodung des Waldes ab dem 10. Jh. entstand. Aus wenigen Berichte und Akten aus dem 18. Jh. lässt sich ablesen, dass der See bis zur Trockenlegung im frühen 19. Jh. ständig wasserführend war, allerdings in Abhängigkeit vom Niederschlag mit wechselnden Wasserständen. Bis um 1700 war er für die lokale Versorgung mit Frischfisch von Bedeutung. Mit der Trockenlegung wurde im Jahr 1807 begonnen, als man an der Flurgrenze zwischen Paltzschen und Dörschnitz mit dem Bau eines Entwässerungsgrabens, des „Seegrabens“, begann, der bis 1823 auf 340 m Länge erweitert wurde. Spätestens 1838 war der See vollständig trockengelegt (NAUMANN 2006, S. 22f.). Der „Seegraben“ ist bis auf eine Länge von 120 m im Zuge einer Komplexmelioration 1984 vollständig verrohrt worden. Dass ein letztes Teilstück im Westen offenblieb, ist der Intervention eines Archäologen zu verdanken (SPEHR 2011, Anm. 246). Damit erinnert paradoxerweise das Bauwerk, das maßgeblich zum Verschwinden des Sees beigetragen hat, noch heute an den „Heiligen See“ von Paltzschen.


Empfohlene Zitierweise

Michael Strobel und Thomas Westphalen: “Thietmar von Merseburg über die heilige Quelle” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/83_b_106-thietmar-heilige-quelle/, Stand 10.12.2022

Quellen und weiterführende Literatur

  • IBS, Jürgen: frdl Mitteilung v. 22.01.2022
  • NAUMANN, Günter (2006): Der Paltzschener See, in: Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz 2/2006, S. 14–24.
  • SPEHR, Reinhard (2011): Gana – Paltzschen – Zehren. Eine archäologisch – historische Wanderung durch das Lommatzscher Land, – Dresden 2011.
  • TRILLMICH, Werner (1957): Thietmar von Merseburg – Chronik. Ausgewählte Schriften zur Deutschen Geschichte des Mittelalters (= Freiherr vom Stein–Gedächtnisausgabe 9). – Darmstadt.
  • WESTPHALEN, Thomas (2021): Wann kam die Kirche zum Friedhof? In: Mütze, Dirk Martin Mütze (Hg.): Die Dorfkirche in Sachsen, Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Institution (= Kohrener Schriften 5), S. 9 – 22.

Bildnachweise

  • Titelbild: Der ehemalige Paltzschener See ist heute eine ausdruckslose Agrarlandschaft. Links oben ist als gelber Streifen der Rest des ab 1807 zur Entwässerung angelegten „Seegrabens“ erkennbar. Die dunkle Einfärbung in der Bildmitte markiert die tiefste Stelle des ehemaligen Sees (Foto: Otto Braasch für LfA, 1995)
  • Vorschaubild: Die bis zu 26 bis 70 µm großen Blutalgen (Haematococcus pluvialis) waren für die spektakuläre Rotfärbung des Paltzschener Sees verantwortlich (Foto: Jürgen Ibs)