Ludwigsburg – Geschichte und Gegenwart eines Herrenhauses in der Uckermark
Von Thomas Dietz – 10/2025
Im Jahre 1987 hat Thomas Dietz als Vikar in der Pfarrstelle Schönfeld seinen Dienst begonnen. Es war seine Wunschpfarrstelle. Seine Großmutter mütterlicherseits – Eva Krause-Bergmann – hatte auf ein Rittergut in Schlesien geheiratet, stammte aber aus der Familie Keibel-Ludwigsburg, die von 1819 bis 1945 das Gut Ludwigsburg bei Prenzlau besaß. Diese Großmutter vermittelte ihm die Liebe zu Land und Leuten und ein damit verbundenes Verantwortungsgefühl. Die Tante seiner Großmutter, Agnes-Julie Boll, geb. Keibel-Ludwigsburg, lebte als Pfarrfrau bis zum Jahr 1914 im Schönfelder Pfarrhaus, in das er nun einzog. Ein früherer Amtsvorgänger von Thomas Dietz, Karl Boll, schrieb 1919: „Wer für den heutigen Tag eine Geschichte Ludwigsburgs schreiben will, der darf nicht von der nackten Frage ausgehen: Wie ist Ludwigsburg entstanden? Denn Ludwigsburg ist ursprünglich ein namenloses Vorwerk des Rittergutes Baumgarten, das aus der Segregation (Vereinzelung) im Jahre 1817 hervorging. Es erhielt erst später den Namen Alt–Ludwigsburg und lag am Wege nach Rixhof. Für unsere Zwecke ist es notwendig, in die Geschichte der Familie Keibel zurückzugreifen, die in mehreren unveröffentlichten Chroniken festgehalten ist, aus denen für diesen Beitrag geschöpft werden konnte“. In diesem Beitrag wird für die Darstellung der Ludwigsburger Geschichte auf ungedruckte Chroniken im Familienbesitz zurückgegriffen und daraus verschiedentlich zitiert.
Pasewalk – Berlin – St. Petersburg – Uckermark: Stationen einer Familie im 18. und 19. Jahrhundert
Ludwigsburg 1819–1945 – Die Geschichte eines uckermärkischen Gutshofes „In Pasewalk am Markte da steht ein Kaufmannshaus, das schickte seine Söhne in alle Welt hinaus. Nur Friedrich blieb im Städtchen und kam zu großer Ehr, heiratet Dörte Ziermann, ein tüchtig Weib in Wehr. Sie nahm den Feuerhaken trieb die Franzosen aus, als diese randalierten im alten Kaufmannshaus. Der erste Sohn, der Karl, heiratet in Luckow ein, Wilhelmine von der Dollen war die Erkorene sein. Der Wilhelm wurde Goldschmied, er ging ins Russenland, nach Onkel Ottos Tode er dort die Heimat fand. Um Ludwig nun den Kleinen, da gab es manche Not, ein Gut wollte man ihm kaufen, wenn sich ein solches bot. Der findge Eidam Witte bot einen Ausweg an: ‚Ich geb euch Bauernhöfe und Kleptow kommt auch noch dran.‘ So ward das Gut erbauet und Ludwigsburg genannt. Der Gutsherr fuhr nach Göritz und warb um Minchens Hand. ‚Mit Gott‘ so sprach man glücklich beim Einzug in das Haus. Auf Gott mögt weiter trauen, sein Segen bleibt nicht aus.“ So begann der Schönfelder Pfarrer seine Darstellung in der als Jahrhundertzeitung 1919 verfassten Chronik von Ludwigsburg. Besucht man den alten Pasewalker Kirchhof, gegenüber dem Hotel Am Park, so fällt einem ganz besonders ein prächtiges Grabmal aus Sandstein auf, das dem Hauptportal direkt gegenübersteht. Es ist das einzige Grabmal, das 2019 noch in Resten vorhanden war. Das hatten die sechs Söhne des Senators Martin Keibel ihrem Vater und ihrer Mutter errichtet. Diese beiden sind die Großeltern des Gründers von Ludwigsburg, Ludwig Ferdinand Keibel. Dieser Martin Keibel ließ sich 1754 im Alter von 24 Jahren, nachdem er von einer damals üblichen und erlebnisreichen Wanderschaft zurückgekehrt war, die ihn bis nach Genf und Paris führte, als sesshafter Kaufmann in Pasewalk nieder und gründete daselbst mit seinem „Fiekchen“ (Sophie) Tauchert einen Hausstand. Dieser Ehe entsprossen dann die in der Familiengeschichte so bekannten sechs Brüder, von welchen im Laufe der Zeit zwei, Heinrich und Gottlieb, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Berlin einträgliche Fabriken gründeten, ein Dritter, Otto, in der russischen Hauptstadt St. Petersburg ein glänzendes Juweliergeschäft betrieb und ein Vierter, Benjamin, sowohl als jugendlicher Offizier am Feldzug gegen die Polen, wie später an den Kriegen gegen Napoleon teilnahm. Der älteste dieser sechs Brüder, Friedrich, war der Vater des uns besonders interessierenden Ludwig Keibel. Als Friedrich geboren wurde, tobte der Siebenjährige Krieg. Gerade das Jahr seiner Geburt (1758) war, gleich dem nachfolgenden, ein recht unheilvolles für das junge preußische Königreich. Wenn auch im Monat August 1758 in der blutigen Schlacht von Zorndorf die Russen geschlagen worden waren, so blieben dieselben, welche überall auf ihren Zügen verwüstende Spuren zurückließen, doch im nahen Pommern stehen; und es erfolgten sodann im Oktober desselben Jahres der so unselige Überfall auf das Preußische Heer durch die Österreicher bei Hochkirch und acht Monate später die noch unglücklichere Schlacht bei Kunersdorf, in welcher Friedrich II. den vereinigten Russen und Österreichern unterlag. Im glücklichen Gegensatz hierzu erscholl bald nachdem der zweijährige Friedrich Keibel sein Brüderchen „Heinrich“ bekommen hatte, (1760), die frohe Kunde von der großen siegreichen Schlacht Zietens über Daun bei Torgau; und bei der Taufe des Bruders „Gottlieb“ (im Jahr 1763) war bereits alles beseligt über den Abschluss des Hubertusburger Friedens, welchem eine lange wohltuende Ruhe im Lande folgte. Als Friedrich Keibel herangewachsen war, blieb er beim Vater in Pasewalk woselbst er sich auch als selbständiger Kaufmann niederließ und mit Dörtchen Ziermann verheiratete. Als eifriger Bürger seiner Vaterstadt beteiligte er sich lebhaft an den Gemeindeangelegenheiten und verwaltete schließlich 20 Jahre lang, bis zu seinem im Jahr 1828 erfolgten Tode, als Administrator die Kirchen und Hospitäler Pasewalks. Er war, wie sein Vater, ein hoch angesehener und weit geachteter Mann. Seine Witwe Dorothea Ziermann überlebte ihn noch um 17 Jahre und ruht auf dem Kirchhofe von Klein Luckow, woselbst sie ihre letzten Jahre verlebte. Dieser Ehe entstammten drei Söhne und zwei Töchter. Die älteste Tochter Auguste heiratete den Rittergutsbesitzer Friedrich Witte auf Baumgarten, den Bruder des Gründers von Wittenhof. Dieser war, wie seine beiden Brüder in Schenkenberg und Wittenhof, zwar ein reicher, aber auch ein flotter Mensch. So brauchte er oftmals Geld. Diesem Umstande und dem Einflusse seiner Frau dürfte es zuzuschreiben sein, dass er das Vorwerk, welches die vorsegrierten (vereinzelten) Ländereien von zehn Bauernhöfen bildeten, die dem Rittergut zugeteilt waren, an den jüngsten Sohn seines Schwiegervaters, seinem Schwager Ludwig Keibel für 40.000 Taler verkaufte. Er machte den Kaufkontrakt aber mit seinem Schwiegervater, der im Namen seines Sohnes den Kauf am 2. November 1819 abschloss. Seit diesem Tage ist Ludwigsburg ein Keibelsches Gut gewesen. Es bestand aber zunächst nur aus den nackten Ländereien, nämlich aus 993 Morgen Ackerland, 63 Morgen Wiesen und 158 Morgen Hütung, zusammen 1.215 Morgen Areal, und es war namenlos.
Die Gründung 1819 bis zum großen Brand 1851
Ludwig Keibel (1796–1862), erst 23 Jahre alt, aber kräftig, stattlich, energisch und charakterfest, hervorragend landwirtschaftlich ausgebildet unter anderem auf der Königlichen Domäne Weselitz und dem Rittergute Göritz, geschult fürs Leben durch die Erfahrungen in den bösen und schweren Zeiten der Franzosenherrschaft, in der aus Frauen Helden wurden, wie seine Mutter Dorothea, die den Unverschämtheiten der Franzosen mit einer großen Kelle voller glühend heißem Pflaumenmus drohend entgegentrat, fasste das Werk mit Fäusten an und bewährte sich als ganzer Mann. Er baute das Gutshaus, Ställe und Scheune an der Stelle auf, wo dieselben heute noch, wenn auch in anderer Gestalt stehen. Er legte den schönen Garten und Park von heute in seiner Grundform an und errichtete mehrere Arbeiterhäuser dicht beim Hofe. Dann gab er seinem Werk den Namen „Ludwigsburg“. Den hat es heute in guten und in bösen Tagen 100 Jahre in Ehren getragen und den wird es, so Gott will, bis in die fernsten Zeiten in Ehren tragen! Nicht Ludwigshof oder Ludwigsfelde sollte es heißen, eine Burg – das Wort kommt her von „bergen” – sollte es sein, in der man sicher wohnt auch in bösen Zeiten, darin aber sollte auch Schutz finden und Hülfe, die ein Recht zur Aufnahme haben, oder in der Not würdig gefunden sind, sich in ihrem Schutz zu flüchten; aber auch eine Ludwigs-Burg, ein Haus, das fest steht auf dem Grunde, auf dem es ein Mann, wie Ludwig Keibel errichtet hat, wo Treue und Glaube sich die Hand reichen und Frömmigkeit des Hauses Zierde ist. Angeregt und begleitet durch den „kleinen Baurath Knoblauch”, den späteren wirklichen Baurath Eduard Knoblauch (1801–1865), einen Verwandten der Familie aus Berlin, baute und wirtschaftete der junge Gutsbesitzer rastlos als Junggeselle, dann fand er in Wilhelmine Zerler, der Tochter des Gutsbesitzers Zerler in Dauer, bei dem er zu der Zeit, da dieser noch Pächter des Rittergutes Göritz war, die Landwirtschaft erlernt hatte, seine Lebensgefährtin. Er heiratete dieselbe am 17. November 1820 in Ludwigsburg. Wer die Gutshäuser und Gutshöfe von Göritz und Ludwigsburg miteinander vergleicht, der findet eine überraschende Ähnlichkeit zwischen beiden. Aus dieser Tatsache folgert der Verfasser, dass das Herz des jugendlichen Landwirtes Ludwig Keibel fest geworden war, er hatte früh gewählt und blieb treu. Er war aber auch ein sinniges Herz, das sich Mühe gab, die Gedanken des geliebten Wesens zu erforschen und geheimen Wünschen nachzugehen. Man vergegenwärtige sich die selige Freude der jungen Ehefrau, als sie am ersten Morgen im neuen Heim ans Fenster trat und auf den Gutshof hinausschaute. Sie kam sich vor, als wäre sie im Vaterhaus, wo sie aufgewachsen war! Dieser Zug des Herzens hat sich am sichtbarsten auf das älteste Kind aus der glücklichen Ehe, den Sohn Albert übertragen, der am 14. Juni 1822 geboren wurde. Unter vielen Beweisen dafür will ich hier nur den einen anführen: Als Albert Keibel später sich selbst eine Lebensgefährtin suchen musste, überreichte er am Verlobungstage seiner Braut einen Heckenrosen-Strauß, den er selbst im Ludwigsburger Garten gepflückt hatte, und so oft hernach der Verlobungstag wiederkehrte, so oft brachte er seiner Julie ein Heckenrosen-Zweiglein von demselben Strauch. Aber so glücklich auch die Ehe zwischen Ludwig Keibel und Minchen Zerler war, sie blieb auch nicht verschont von Leid und Trübsal. Von den Kindern blieben nur vier am Leben:
• Albert, der hernach Ludwigsburg übernahm,
• Fritz, der am 30. Dezember 1832 geboren wurde, Louise Adler heiratete und Administrator in Klein Luckow und Sequester der Uckermärkischen Ritterschaft war,
• Elise, die am 6. September 1850 den Rittergutsbesitzer Julius Flügge auf Blumenhagen bei Pasewalk heiratete, und
• Marie, die sich am 10. November 1848 mit dem Gutsbesitzer Gustav Gansauge vermählte.
Am 9. Oktober 1835 trennte der unerbittliche Tod den Bund zweier Herzen, die sich von Anfang an so gut verstanden hatten und in allem einig waren. Doch eine Gutswirtschaft kann, ohne Schaden zu nehmen, nicht lange eine Herrin entbehren, und ein Kinderherz sucht die mütterliche Liebe und Fürsorge. Es war aber auch des eigenen Herzen Verlangen des im rüstigen Mannesalters stehenden Witwers, als er sich 1836 zu einer zweiten Ehe mit Johanna Lindenberg aus Damme bei Prenzlau entschloss. Gott der Herr hat ihn auch diesmal geführt. Was er suchte und für seine Kinder und seine Wirtschaft brauchte, das fand er in dieser Frau. Beide verstanden sich prächtig, gingen Hand in Hand in der Erfüllung ihrer Pflichten, begegneten einander in herzlicher Liebe und für die Kinder sorgte die neue Mutter so zärtlich und liebevoll, dass diese in späteren Jahren noch erklärten, sie hätten es nie gemerkt, dass sie eine Stiefmutter hatten. Mit großer Schaffensfreudigkeit mehrten die Gatten das irdische Gut. Innig war Ludwig lebenslang mit seinen Vettern der Berliner Keibel-Familie verbunden. Eine angenehme Erholung von der einförmigen Tätigkeit bot in jedem Jahre der Monat Juni, wenn nach der Schafschur die mit Wollsäcken hochbepackten Wagen über Prenzlau und Templin zum Wollmarkt nach Berlin fuhren. Dann ging es in Gemeinschaft mit dem Bruder Carl aus Klein Luckow zum Alexanderplatz, wo unter den, aus Holzbalken gezimmerten und mit Segeltuch überspannten Zelten die Wolle gelagert wurde und der Handel mit den Käufern stattfand, und wo zugleich den beiden Brüdern in dem langen einstöckigen Hause, das seit dem Jahre 1819 dem Onkel Gottlieb Keibel und später der Cousine Wilhelmine Franz gehörte, in großer Gastfreundschaft Quartier gewährt und zugleich kaufmännischer Rat zu Teil wurde. Ludwig engagierte sich zu dem überregional. Zusammen mit den befreundeten oder gar verwandten Landwirten Wilhelm Gysae-Strehlow, Julius Flügge-Blumenhagen und Ferdinand Lindenberg-Damme gründete er den Landwirtschaftlichen Verein Prenzlau, sowie die später so berühmt gewordene Prenzlauer Produktenbörse. Bei allen Fortschritten traf Ludwigsburg unvorhergesehen ein schwerer Schlag. Es war am Sonntag, den 21. April 1851. Ludwig Keibel war zu Besuch beim Amtmann Stoewahs in Nieden, der Sohn Albert, Leutnant der Landwehr im Infanterieregiment Nr. 24 und Gehilfe seines Vaters in der Landwirtschaft, wie das Protokoll des königlichen Landrates vom 22. April 1851 angibt, war zum Amtmann Lindenberg nach Damme gereist, da brach abends 9½ Uhr an der Südseite des Schafstalles ein großes Schadensfeuer aus, das den ganzen Hof bis auf das Wohnhaus einäscherte. Dabei verbrannten über 500 Schafe, viele Schweine und Kleinvieh. Da die mit Stroh gedeckten Gebäude sowie das lebende und tote Inventar sehr niedrig versichert waren, erlitt der Besitzer durch das Feuer, welches ohne Frage durch böswillige Brandstiftung entstanden war, einen großen Verlust.
Statt Stroh- und Ziegeldach – Vergrößerung des Gutes 1851–1864
Die Gram darüber und die großen Schwierigkeiten beim Wiederaufbau des Gutes brachten den 55-jährigen Gutsherren zu dem Entschlusse, schon jetzt bei Lebzeiten, seinem Sohn, Albert Keibel (1822–1893) das Gut zu übergeben. Der Kaufpreis, für den dieser damals Ludwigsburg von seinem Vater übernahm, betrug 69.099 Taler, 23 Silbergroschen und drei Pfennige. So gewissenhaft verfuhren die Keibels, auch wenn es sich um ein Geschäft zwischen Vater und Sohn handelte. Auch das hat sich gut vererbt bis auf diesen Tag! Der neue Gutsherr baute, was Feuersglut zerstört hatte, an derselben Stelle wieder auf, wählte aber als Bedachung überall feste Ziegel. An den Ostgiebel des Schafstalles baute er eine Stellmacherei und daneben ein geräumiges Wohnhaus für seine Eltern. Den von seinem Vater hinter dem Schafstalle angelegten Obst- und Bienengarten verlängerte er in geschmackvoller Weise hinter der neuen Südfront und schuf so einen niedlichen Hausgarten für die alten Leute. Diesen haben sie bis an ihr Lebensende mit rührender Sorgfalt gepflegt. Ludwig pflegte seine Bienen und seine Weintrauben und konnte außer sich über jeden Diebstahl geraten. Er bewehrte seinen Zaun mit Pieken und kam eines Morgens strahlend an mit den Worten „eenen häbk”(niederdeutsch für „einen habe ich bekommen“), als sich jemand beim Stehlen aufgespießt hatte. Aber sehr nachdenklich stimmte es ihn, als sein Neffe Fritz Lindenberg, ein flotter Husar, eines Tages mit dem Pferd über die ganze Palisade hinwegsetzte. Zwei arbeits- und segensreiche Jahre waren vergangen, denn wie der Vater einst, so hatte jetzt auch der Sohn einen schweren Anfang und die Preise waren schlecht; da war der Bau fertig. Dann sah sich Albert Keibel, der inzwischen ins 33. Lebensjahr eingetreten war unter den Töchtern des Landes nach einer Lebensgefährtin um. Er fand diese in der ältesten Tochter des Amtmann Ferdinand Lindenberg in Damme, eines Bruders seiner Stiefmutter Johanna. Am 19. Oktober 1854 schloss er in Damme den Bund der Ehe mit der 18jährigen Julie Lindenberg. Er hatte eine selten glückliche Wahl getroffen, denn es dürfte wenige Ehen geben, die sich so harmonisch und glücklich gestalteten wie diese. Mit großer Achtung und Verehrung schaute die jugendliche Frau zu ihrem großen und stattlichen Mann auf, und mit großer Herzensgüte und fester Hand führte der starke und sichere Mann sein treues Weib durchs Leben. Dazu sagt des Verfassers (Pastor Boll-Schönfeld) Frau Agnes Julie Boll, die jüngste Tochter aus dieser schönen Ehe: „Nach der Vermählung setzten meine Eltern gemeinsam in großer Pflichttreue, Liebe und Gottesfurcht ihre ganze Kraft ein für das Gut, dessen Leute und die eigene Familie.“ Am 4. Dezember 1857 kaufte Albert Keibel das in der Kleptower Feldmark gelegene, mit der Ludwigsburger grenzende Bauerland und den dazugehörigen Masekappschen Bauernhof für 6.450 Taler. Er hat auch späterhin Ludwigsburg vergrößert. Am 6. Oktober 1871 kaufte er 73 Morgen gutes Ackerland, dessen Pächter er bis dahin gewesen war, vom Baumgartner Pastor Ewerth für 7.650 Taler. Verluste in den 1870er Jahren und schlechte Konjunkturen in der Landwirtschaft zwangen den stets vorsichtig und gewissenhaft handelnden Gutsherrn zur größten Sparsamkeit. Hatte er doch für viele zu sorgen. Es blühte im Schoße der Keibelschen Ehe in den Jahren 1855–1868 ein reicher Kindersegen auf. Gott schenkte den Eheleuten neun Kinder, von denen nur eines, der vorletzte, ein zarter Knabe, Richard mit Namen, frühzeitig starb. Die Reihenfolge der Kinder ist folgende: Helene, Anna, Hans, Max, Marie, Elise, Agnes und Georg. Turnen, Klettern, Reiten und Fohlenkehren wurden von allen Geschwistern mit Vorliebe betrieben und die ganze Gesellschaft wurde während der Ferien in Hose und Kittel gesteckt, was „Tante Eickstädter“, Henriette Lindenberg-Eickstedt, geb. Collin zu dem Ausruf veranlasste: „Du hast wohl lauter Jungens“. Später, als die Kinder in die Schule gehen mussten, wurde in der Prenzlauer Wilhelmstraße eine Vierzimmerwohnung gemietet mit Fräulein Mollenhauer als Pensionsmutter. Sechs gesunde Kinder mit großartigem Appetit, wurden von Ludwigsburg aus verpflegt und Mutter Julie erlangte eine große Virtuosität in Verpacken von Braten mit Tunke, Eiern und dergleichen. Alles hatte die sorgliche Mutter im Kopf. So entwickelte sich in der Wilhelmstraße ein ganz fideles Leben, das aber seinen Höhepunkt fand, wenn öfter sonnabends der Omnibus kam und die ganze Pension nach Ludwigsburg holte oder gar zu den Ferien. Die Fahrt auf dem Omnibus, die vor Paketen, Koffern und Kaliten (regionale Bezeichnung für Verpflegungsbeutel aus Bast) oft recht unbequem war, wurde aber stets doch als höchste Seligkeit empfunden. Wenn der Omnibus auf der Chaussee hinter Baumgarten den Berg hinaufkam und die Dächer von Ludwigsburg zu sehen waren, brach Jubel aus. Sonntags war meist Besuch oder es wurde ausgefahren, alle Welt kam gerne und fühlte sich wohl in Ludwigsburg. Im Sommer fuhren die Gäste an den Baumgartner See. Während die Kinder an der „Ludwigsburger Badestelle“ ins abkühlende Wasser sprangen, wurde für die Damen ein Zelt zum Umkleiden aufgestellt. Und wenn es an Julies Geburtstag, am 21. Dezember oft bitter kalt war und dick Schnee lag, kam man zum Feiern. Der Hof war voller Schlitten, im Esssaal prasselte der Kamin und die lange Tafel konnte kaum alle Gäste aufnehmen. Bei Maries Taufe 1861, es war nun schon die fünfte, sollte gespart werden. Und man lud zum Frühstück ein, aber siehe da, es war so gemütlich, dass die Gäste am nächsten Tag um 10 Uhr noch dort waren. Wie gerne man in Ludwigsburg weilte, zeigte auch der 14. Juni 1864 an Alberts Geburtstag, es kamen zu Abend einige Verwandte Herren gratulieren, als man gemütlich beim Glase Wein saß, kam die Nachricht, dass ein kleines Mädchen geboren sei. Da war die Freude groß, zumal Mutter und Kind wohlauf waren. Die Gäste blieben nun noch sitzen und Onkel Schultz-Tornow erzählte später, dass er diesmal das einzige Mal in seinem Leben „duhn” gewesen sei.
Ludwigsburg und die Geselligkeit 1864–1894 – Bau der Chaussee 1878
Sonst wurde überall gespart, das Paar ließ es sich sauer werden und dachte stets daran, für ihre vielen Kinder zurückzulegen. Sie beschränkten ihre Ansprüche und kamen dadurch glücklich über alle schlechten Jahre hinweg, die Andere zu Fall brachten. Den Segen der Einfachheit und Arbeitsamkeit impften sie ihren Kindern ein, als diese ihre eigenen Heime gründeten. Wer diese stattliche Kinderschar großgezogen, jedem einzelnen den Segen einer guten und ausreichenden Erziehung verschafft und so treu für ihn gebetet und gearbeitet hat, dass alle Töchter gut an den Mann kamen und alle Söhne tüchtige und angesehene Männer geworden sind, von dem Menschen braucht man wohl nichts Einzelnes über das Leben in Haus und Beruf zu sagen! Verwandte, Nachbarn und Freunde nicht bloß, nein ein jeder Mensch, der in nähere Beziehung zur Familie Keibel trat, war erstaunt und entzückt über das Familienleben in Ludwigsburg. Ja, Gottes Gnadensonne schien hell und goldig in dieses Haus. Man fühlte es: Hier walten gute Geister und behüten den Segen der Eltern. Ein Wunder aber bleibt es, wie die zarte und behände Mutter, die neun Kindern das Leben geschenkt hatte nach Erfüllung aller Mutterpflichten Zeit und Kraft fand, nicht bloß einer so verzweigten Innen-Wirtschaft, wie es die Ludwigsburger war, vorzustehen und durch persönliches Eingreifen zu regulieren, sondern noch eine mustergültige Geselligkeit zu pflegen und zwar im weitesten Umkreise. Wie oft musste der Tisch noch vergrößert werden, um die Zahl der Gäste zu fassen und der Ruf nach Zimmermann‘sch ist wohl allen Familiengliedern noch im Gedächtnis. Die Selbstverleugnung, die dazu nötig ist, dürfte wohl übermenschlich heißen! Albert und Julie hatten auch andere Interessen, fuhren nach Berlin und gingen ins Theater und in die Oper, sie machten schöne Reisen nach Wien, Venedig, Paris und anderswohin, auf denen sie Gottes Welt mit tiefem Verständnis schauten. Allerdings hatten nicht nur der Ehemann und die Kinder, sondern auch Verwandte und Freunde des Hauses oft das Empfinden, dass größere persönliche Schonung hier am Platze gewesen wäre. Immerhin bleibt aber dem Verfasser das Wort schön und voll berechtigt, dass er einmal in Tornow aus dem Munde der von ihm besonders hoch geschätzten treuen Schwester Mutter Juliens, Frau Rittergutsbesitzer Ottilie Schultz geb. Lindenberg vernahm: „Wenn es im Himmel einen besonderen Platz für die gibt, die sich im Leben in Liebe verzehrt haben, dann gebührt er Mutter Julie Keibel in Ludwigsburg!“ O treue Mutterliebe sei gesegnet und geehrt bis ins tausendste Glied! Es war nur natürlich, dass Ludwigsburg ein Sammelpunkt der beiderseitigen Schwesterfamilien Ottilie Schultz-Tornow und Julie Keibel-Ludwigsburg (beide geb. Lindenberg-Damme) wurde und dass, wenn auch die reizenden und z. T. sehr redegewandten Töchter des Hauses später ihre besondere Anziehungskraft ausgeübt haben mögen, doch alle Verwandten und Nachbarn sich hingezogen fühlten nach Ludwigsburg, das damals in der Blüte des Verkehrs stand. Ein besonders volles Haus und eine besonders große Freude brachte der Besuch der Vettern und des Schwagers jenseits der Ucker. Der Verfasser sieht die prächtigen Menschen noch lebendig vor sich. Da war der Ökonomierat Onkel Richard Keibel-Luckow, ein vornehmer und sehr jovialer Herr, ein großer Hippologe, später sein humorvoller Sohn Paul Keibel-Luckow mit seiner hanseatisch vornehmen Anna geb. Bode, der gute Onkel Rittmeister Wilhelm Keibel-Schwarzensee mit seiner ebenso schönen als geistvollen, stets liebenswürdigen Emilie, geborene von Seel, die herzensgute Tante Elise Flügge-Blumenhagen und dazu die prächtigen Leibessprossen: Stattliche Söhne und Töchter in Klein Luckow, Schwarzensee und Blumenhagen! Doch alles irdische verfällt. Zwar nahm der Verkehr in Ludwigsburg, nach dem im Jahre 1878 die Chaussee (Prenzlau–Brüssow) mitten durch die Feldmark gebaut worden war, noch zu, aber das Alter kam allmählich mit seinen Gebrechen. Wenn auch die bedeutend jüngere Gattin noch recht rüstig blieb, so war doch der Gutsherr gezwungen, sich von den Freuden der Geselligkeit zurückzuziehen. Der älteste Sohn Hans, der in Schulpforta sich als Landwirt bewährt hatte, trat dem Vater helfend zur Seite und es bildete sich hier ein Verhältnis heraus, wie es in Ludwigsburg unter Großvater Ludwig Keibel und seinem Sohn Albert schon einmal bestanden hatte. Allmählich verschlimmerte sich aber das alte Leiden, von dem erst der Tod Albert Keibel am 22. Oktober 1893 erlöste. Nun übernahm die Witwe das Gut und Hans führte seiner Mutter die Wirtschaft, bis er Johannis 1894 dank dem Entgegenkommen seiner Schwestern und deren Ehegatten das Gut für 435.000 M selbst übernahm.
Eine neue Generation tritt an
Hans Keibel (1858–1938) erkannte sofort, dass er den auf ihm lastenden Verpflichtungen gegen seine Mutter und die Geschwister nur dann gerecht werden konnte, wenn er die Ludwigsburger Scholle kräftiger ansprach. Seine Schwester Helene war seit 1876 mit dem Oberleutnant im Inf.Regt.64 Paul Braumüller verheiratet, später Oberstleutnant und Bezirkskommandeur zu Jauer in Schlesien, Elise hatte 1882 den Gutsbesitzer Franz Lindenberg auf Kunkolewo in Westpreußen, Anna 1885 Alexander Boeck, Rittergutsbesitzer auf Mentin bei Parchim und Versicherungs-Generalagent in Berlin, Marie 1889 Wilhelm Jakobs Domänenpächter in Drense und später Rittergutsbesitzer auf Gnewikow bei Neuruppin und Agnes 1892 den Pastor Karl Boll in Schönfeld geheiratet. So kam dann für Ludwigsburg eine ganz neue Zeit. Unermüdlich, rastlos stellte Hans Keibel das eigene Ich in die vorderste Kampflinie und mit kühnem Blick erschaute er die für ihn günstigen Chancen in der heranrückenden Umgestaltung der Dinge. Sein leitender Grundsatz wurde: Für Ludwigsburg alles, für das eigene Ich die größte Sparsamkeit! Er bediente sich dabei der Erkenntnisse der modernen Landwirtschaft Thaers, Liebigs, Schultz-Lupitz u. a. in der Wissenschaft und Praxis der aufsteigenden deutschen Landwirtschaft. Als einer der ersten in der Uckermark führte er die systematische Drainage auf der Feldmark durch. Ja, dank streng intensiver Wirtschaft gelang es dem fleißigen Gutsherrn, dem Ludwigsburger Boden Erträge abzugewinnen, wie man sie bis dahin in der Uckermark nicht erlebt hatte. Bei Allem unterstützte ihn tatkräftig sein Vater, nach seinem Tode die schaffensfrohe Mutter, bis der Sohn erkannte, dass er das Opfer der Liebe nicht länger annehmen dürfe. Da suchte er sich eine Frau und fand dieselbe in der Verwandtschaft jenseits der Ucker. Auf Schwarzensee saß der Rittmeister Wilhelm Keibel, dessen älteste Tochter war vermählt mit dem Hauptmann Siebenbürger, war aber schon Witwe. Von deren drei Töchtern wählte Hans Keibel-Ludwigsburg die zweite. Sie hieß Wanda. Wer damals, wie der Verfasser, Wanda Siebenbürger und die älteste Schwester Else beisammen sah, der musste unwillkürlich an die Stelle im zweiten Kapitel von Fritz Reuters „Ut mine Stromtid” denken, wo es heißt: „Da waren Lining un Mining Nüßlers un segen linkster welt ut mit ehren roden Backen un ehr gelen Hor as en por lütte Druwäppel, de an en Twig wissen wiren.” Das waren Lining und Mining Nüßlers und sahen gerade so aus mit ihren roten Wangen und gelben Haar wie ein Paar rotbäckige Äpfel, die an einem Zweig gewachsen waren. Der Altersunterschied zwischen Hans und Wanda war zwar nicht gering, aber es zeigte sich bald, dass Hamlets Wort: „Schwachheit dein Nam´ ist Weib!“ auf die zierliche junge Gutherrin in Ludwigsburg gar nicht passte. Unterstützt von ihrer treuen Mutter, die nun auch schon von des Lebens Müh und Sorgen ausruht († 28. Dezember 1918 in Swinemünde), führte Wanda Keibel mit fester Hand das Regiment im Hause. Und das war gut, denn die zahlreichen Ämter und Ehrenämter, u. a. im Vorstand der Zuckerfabriken Prenzlau und Strasburg, zwangen den Gutsherren oft auf Reisen zu sein. Was hätte aus Ludwigsburg werden können, wenn da nicht ein fester Wille die Zügel straff gehalten hätte! Es wurden auch mit der Zeit nicht weniger, sondern mehr und umfangreichere Arbeiten von Hans Keibel-Ludwigsburg im Dienst der Landwirtschaft, oft über den Rahmen der Provinz Brandenburg hinausgehend, gefordert. Das gilt ganz besonders von den Pflichten seines Amtes als Distriktdirektor und Taxator der großen Greifswalder Versicherungsgesellschaft, welchen Posten schon sein Vater bekleidet hatte. Mutter Julie Keibel war nach der Heirat ihres Sohnes 1899 in das Großelternhaus gezogen, was für sie freundlich und mollig eingerichtet worden war. Dort lebte sie glückliche Tage, umsonnt von der Liebe ihrer Kinder und Kindeskinder, die nichts Schöneres kannten, als ihre Augen hell zu machen durch das Licht der Freude. Es versammelte sich dort auch oft ein stattlicher Kreis von Verwandten, Freunden und Nachbarn, um die herzlichen Beziehungen zu der ehrwürdigen Matrone aufrecht zu erhalten und weiter zu pflegen. Wie wohl das tat, das konnte ein jeder aus ihren Augen lesen, wenn er die gastliche Schwelle überschritt und den Willkommensgruß empfing. Ein sonniger Abend beschloss das arbeitsreiche Leben Mutter Juliens. Auch im höheren Lebensalter ließ Mutter Julie nicht nach in der Sorge für ihre Kinder. Oft war sie bei diesen zu Besuch in Gnewikow, in Jauer in Schlesien, in Zoppot und in Schönfeld. Auf einer solchen Besuchsreise, die der königlichen Domäne Mühlenhagen bei Treptow an der Tollense (Altentreptow) galt, auf der ihr jüngster Sohn Georg Keibel eine mustergültige Wirtschaft führte, erkrankte sie leider unerwartet sehr schwer. Georg Keibel war seit 1902 mit Margarete Voigt, einer Tochter des Gutsbesitzers Eugen Voigt in Kaulsdorf bei Berlin verheiratet. Am 17. August 1904 erlosch das tatenreiche Leben der Mutter Keibel. Die Überführung nach Ludwigsburg besorgten Georg und Hans gemeinschaftlich. Die feierliche Beisetzung erfolgte, wie bei des Ehegatten Tod unter Teilnahme weitester Kreise der Verwandtschaft und Nachbarschaft am 20. August. Geschwisterlich verlief die Auseinandersetzung zwischen den Erben.
Es wird modern gebaut 1904–1911 – „Der Telephong“ Drense 5
Hans Keibel liebte die Uckermark und hatte Sinn für die Verschönerung der Landschaft und des Besitzes. Er saß noch mitten in der Sorge um eine würdige Ausstattung aller Familiengräber auf dem kleinen Ludwigsburger Kirchhof hinter der großen Parkwiese, als ihn der erste schwere wirtschaftliche Schlag traf. Es war wieder der für Ludwigsburg so bedeutungsvolle 2. November gekommen. Da brannte 4¼ Uhr früh die große Scheune mit dem ganzen Vorrat ab. 430 Fuder Getreide und 120 Fuder vorjähriges Gerstenstroh wurden ein Raub der Flammen. Es war ein Glück für das Gut, dass kein Vieh umkam und dass dank der sparsamen Wirtschaft reichlich Mietenstroh vorhanden war. Leider kam bei den Löscharbeiten einer der besten Knechte, Hermann Kieck, infolge persönlicher Unvorsichtigkeit zu Tode. Als Neugieriger geriet er unter einen einstürzenden Giebel. Sein Tod ging der jungen Gutsherrschaft sehr nahe. Die Scheune wurde von Anfang März bis zur Ernte 1905 wieder aufgebaut. In demselben Jahre baute Hans Keibel für seine Gutsleute ein Schulhaus, damit ihre Kinder nicht länger nach Baumgarten zur Schule laufen sollten. Schon am 24. November 1905 wurde das hübsche, nach einem Entwurf des Architekten Gustav Knoblauch (1833–1916) errichtete Schulhaus in einem feierlichen Akt eingeweiht. Zu dieser Feier waren von Seiten der königlichen Regierung in Potsdam Herr Geheimrat Böckler und Herr Regierungsrat von Bardeleben, der freundliche Protektor des Baues erschienen. Herr Kreisschulinspektor Pastor Funke in Baumgarten leitete die Feier. Die Prenzlauer Zeitung brachte einen längeren Artikel über die Einweihung, in dem es am Schlusse hieß: „Das neue Schulhaus ist ein Schmuckkästchen, wir wünschen, dass Ströme des Segens von ihm ausgehen mögen.“ In dieser Zeit wurde das Telefon angelegt. Es versetzte ganz Ludwigsburg in Aufregung und lange Zeit waren die Hausmädchen nicht zu bewegen ein Gespräch anzunehmen, wenn es klingelte und der Hausherr war nicht da. Das zuständige Postamt war damals Drense. Und da zunächst nur die Güter einen Anschluss erhielten, hatte Ludwigsburg die Nummer fünf. Ein Wunder war es, dass man nach Prenzlau und Pasewalk reden konnte und geradezu ein Ereignis, wenn die Verbindung und Verständigung mit Berlin gut klappte. Jedenfalls war es eine große Sache „durch den Telephong“ zu reden, wie die Leute allgemein sagten. Viele Vorzüge brachte der Fernsprecher. Aber ein Teil der guten alten Zeit war damit begraben. So war auch der Verkehr mit der Nachbarschaft nicht mehr so zwanglos wie früher. Jetzt sagte sich der Nachbar vorher an, während früher plötzlich ein Wagen auf den Hof rollte und ein Kaffeebesuch da war. Es wurden dann keine Umstände gemacht. Natürlich kam es auch mal vor, dass der Besuch aufs leere Nest stieß, dann fuhr man eben zum nächsten Nachbarn oder wieder nach Hause und war zufrieden. Die Hast der heutigen Zeit gab es noch nicht, und das war besser… Zurück zum Jahre 1905. Ludwigsburg war ins Bauen gekommen und damit sollte es fürs Erste nicht aufhören. Ein zwölfjähriges Schulkind, dessen Eltern armseligen Plunderkram riesenhoch gegen Feuersgefahr versichert hatten, legte im großen Leutestall Feuer an. Am 31. Oktober 1905 brannte der Stall ab. An den sofortigen Neubau im Frühjahr 1906 schloss sich ein dringend notwendig gewordener Anbau an das Gutshaus und einige Veränderungen in demselben. Es stellte sich aber bald heraus, dass hiermit nur der Auftakt zu einem großen, harmonisch durchgeführten Umbau des alten Hauses gegeben war. Wieder war es der Baumeister Gustav Knoblauch in Berlin, der den Bauplan entwarf. Kein Zimmer blieb verschont und die Familie hauste drüben in Großmutters Haus, zwischen allen Möbeln in spartanischer Weise. Die Bevölkerung Ludwigsburgs war damals so ehrlich, dass der Geldschrank ruhig stehen bleiben konnte, während die Wände um ihn herum eingerissen wurden. Die Hausfrau hatte schwere Wochen, viele Menschen zu beköstigen, kaum eine Küche und der unendliche Staub und Schmutz erschwerte alles. Dafür wurde sie aber belohnt. Es entstand im Frühjahr/Sommer 1911 ein stattliches Heim mit Heizung und allen Bequemlichkeiten und die alte Einteilung ging nicht verloren. Das Gutshaus hatte mit großem Bad, zwei WCs und Wasseranschluss in den Gästezimmern der oberen Etage, sowie in Wirtschaftsküche und Waschküche für die damalige Zeit eine moderne Wasserversorgung. Gespeist wurde diese aus einem Hochbehälter in einem neuen Turmanbau des Gutshauses, der nun auch ein zweites Treppenhaus ermöglichte. Die schöne Zentralheizung hat sich bisher auch gut bewährt, so dass man die Bausumme von 22.000 Mark als ein gut angelegtes Kapital bezeichnen darf.
Kaisermanöver – Elektrizitätsanschluss 1912 – Es wird weiter gebaut 1911–1914
Der große Umbau war gerade rechtzeitig fertig als im Herbst 1911 in der Uckermark das große Kaisermanöver stattfand und überall auf den Gütern Einquartierung war. Der Kaiser wohnte in Boitzenburg und die Prinzen, die alle irgendeine militärische Stellung hatten, waren auch alle im Manöver. Der Kronprinz und Prinz Eitel Friedrich kamen auf dem Weg nach Schönfeld durch Ludwigsburg und machten kurze Pause auf dem Hof und grüßten freundlich. Mehrmals war die ganze Familie im Pferdewagen unterwegs und hatte viel Verpflegung bei sich und Wein, um bekannte Soldaten, die in Ludwigsburg im Quartier waren, zu bewirten. Erstmalig in einem Manöver war 1911 der Einsatz und die Zusammenarbeit besonders in der Aufklärung mit den Fliegern, den Höheren Stäben und der Kavallerie. Bei Graßmanns in Bündigershof waren in Zelten einige Flugzeuge stationiert. Dies war eine weltbewegende Angelegenheit und jeder sprach davon und war stolz und glücklich, wenn er eine Taube oder einen Albatros gesehen hatte, so nannte man die Vögel. Auch der Zeppelin machte das Manöver mit und man war sich keineswegs klar, wem die Zukunft gehörte, Flugzeug oder Luftschiff. Im Vorfeld des Manövers wurden alle Uniformen der Keibelschen Vorfahren aus der Mottenkiste geholt und im Park in die Sonne gehängt. Das waren ja noch bunte farbenprächtige Uniformen und sie wurden von den Leuten mit Staunen betrachtet. Da waren ja noch die Uniformen aus dem Freiheitskrieg 1813, die rote Husarenuniform, die Garde-Dragoner-Uniform, die hellblaue Husarenuniform, der Attila (Waffenrock) mit gelben bzw. bei der Offiziersuniform mit goldenen Schnüren, dazu lange Lackstiefel mit einer goldenen Borte als Abschluss, die Pelzmütze mit rotem Kolpack und silberner Fangschnur. Zurück zur Bautätigkeit des Gutsherrn. Es sollte aber auch in altüberlieferter Fürsorge für die Gutsleute deren Heim modernen Anforderungen entsprechend neugestaltet werden. So entschloss sich dann der Gutsherr 1912 das alte Familienhaus abzureißen und ein neues Wohnhaus für sechs Familien zu bauen. Auch hierfür lieferte Gustav Knoblauch den Entwurf und leitete hernach den Bau. Am 4. November 1912 zogen die Gutsleute in ihr neues Heim. Und noch eine großartige Erneuerung erfuhr Ludwigsburg 1912. Das gesamte Rittergut mit Wohnhaus, Ställen und Scheunen, Arbeiterhäusern und Schulhaus wurde elektrifiziert! Es war ein unglaubliches Ereignis! An diesen schönen Anfang schloss sich 1913 der Umbau des zweiten Arbeiterhauses für vier Familien. Der Himmel segnete alle diese Arbeiten und Aufwendungen; 1913 war zwar ein schweres, aber doch ein hervorragend gutes Erntejahr. Doch die Freude über den Erntesegen, der sehr reich war, erhielt sofort wieder ihren Dämpfer. Am 26. November brannte der ganze Kuh- und Pferdestall mit darüber gelegenem Kornboden ab. Das Feuer brach gegen 3½ Uhr nachmittags in der Häckselkammer, wo der Motor tätig war, aus. Der Gutsherr war unglücklicherweise an dem Tage in Bröllin zur Jagd. Die Gutsherrin rettete mit den Leuten, soviel in ihren Kräften stand. Sie entwickelte dabei eine staunenswerte Energie und Selbstbeherrschung. Ihrer Umsicht war es vor allem zu danken, dass wenigstens sämtliches Vieh gerettet wurde. Der Brandschaden war aber trotzdem sehr groß. Die Landesfeuersozietät hatte 17.646 Mark Entschädigung zu zahlen, Greifswald 27.705 Mark. Bereitwillig halfen die Nachbarn, vor allem durch Aufnahme des großen Viehstapels: Stege in Klockow nahm 21 große Färsen, Schultz in Tornow nahm 31 kleine Färsen und Bullen, Bethge in Baumgarten nahm zehn kleine Kälber, Hertz in Kleptow nahm vier einjährige Füllen, Boldt in Mönchehof nahm sieben große Füllen, die Schäferei kam zu Otto Müller in Wittenhof. Die Kühe blieben in Ludwigsburg und standen lose im Schafstall, wobei sie natürlich infolge der Unruhe viel Fleisch und Milch verloren. Die Gespanne wurden in einem Schuppen bei der Scheune untergebracht. Der Wiederaufbau wurde gleich im Winter in Angriff genommen. Der altbewährte Baumeister Gustav Knoblauch entwarf wieder die Zeichnung und leitete gemeinsam mit seinem Sohn Arnold Knoblauch (1879–1963) den Bau. Es dürfte wenig Güter in der Mark geben, die ein so stattliches, solides und praktisches Hofgebäude aufzuweisen haben, bei dem alle modernen Errungenschaften auf dem Gebiet ländlicher Hofwirtschaft verwertet wurden. Man merkt diesem prächtigen Werk die restlose Ideengemeinschaft zwischen dem technischen Leiter und dem grundtüchtigen Bauherrn an. Kein Wunder, dass hernach viele Landwirte aus dem ganzen Reich um seinetwillen nach Ludwigsburg gekommen sind und nur Worte der Anerkennung und des Lobes über denselben gefunden haben. Das galt ganz besonders von der Inneneinrichtung des Kornspeichers. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Bauleiter in dem tüchtigen Maurermeister Zastrow in Prenzlau den richtigen Mann für die Ausführung seiner Ideen gefunden hatte. Schon am 26. Juni 1914 konnten die Ställe mit Vieh belegt werden. Ende Juli war der große Bau vollendet. Pferde- und Kuhstall wurden nun direkt durch eine Wasserleitung versorgt. Auf dem Boden des Kuhstalls befand sich ein großes Bassin, welches sich aus einem Brunnen vor dem Speicher nährte. Der gesamte Bau kostete 112.000 Mark.
Aus dem Architekturbüro Knoblauch 1912–1914 Drei Architekten in Berlin und Ludwigsburg: Eduard Knoblauch (1801–1865), Gustav Knoblauch (1833–1916) und Arnold Knoblauch (1879–1963)
Die Familientradition überliefert, dass der kleine Baurat Knoblauch, gemeint ist. Eduard Knoblauch, der sowohl bei der Hochzeit in Klein Luckow 1817 als auch bei der Hochzeit in Ludwigsburg 1820 anwesend war und mit den bautechnischen Entwürfen für die Gestaltung der Gutshöfe bzw. Gutshäuser beauftragt wurde. Eduards Sohn Gustav K. bzw. sein Enkelsohn Arnold K. waren ebenfalls Architekten und entwarfen für die Familie Keibel zahlreiche Gebäude in Ludwigsburg. Hier zu sehen sind in Kopien aus dem Deutschen Architekturmuseum:
Rixhof – Bahnanschluss – zweite große Scheune – Ende der Monarchie – Inflation – Arbeitsstruktur auf dem Gut 1911–1919
Aber nicht nur die äußere Gestalt des ererbten Gutes hob und verschönerte Hans Keibel, er verbesserte auch die Scholle. Im September 1907 wurde der Dauergraben reguliert. Dann verkaufte er an Hermann in Dauerthal Land zur Verbreiterung des Weges dahin. Daran schloss sich 1912 eine Verbreiterung und Vertiefung des Dauergrabens, die als gründlich und ausreichend gelten kann. Dabei wurde die aufgehobene gute Erde über die Wiesen und Koppeln gefahren und ausgebreitet, das gab viel Arbeit, verbesserte aber ungemein die für Ludwigsburg sehr wichtigen Grasflächen. Durch Ankauf von Rixhof und zwei Bauernhöfen von Baumgarten vergrößerte Hans Keibel Ludwigsburg so, dass es heute 1.750 Morgen umfasst und durch verständige Dränage gewann er besonders auf dem Vorwerk Rixhof neuen Ackerboden. Als dann das Projekt einer Kreisbahn von Prenzlau nach Klockow auftauchte, war Hans Keibel einer der ersten, der den großen Vorteil erkannte, den die anliegenden Güter von diesem Bau haben würden. Gern gab er neun Morgen Land unentgeltlich für diesen Zweck hin und erreichte damit, dass Ludwigsburg einen günstig gelegenen Bahnhof bekam. So sehen wir den Gutsherrn, wie er überall mit großer Umsicht waltet und mit nie erlahmender Tatkraft ein glücklicher Mehrer seines Erbes wird. Dabei stand ihm in der Innenwirtschaft mit staunenswerter Ausdauer und rastlosem Fleiße seine sparsame Frau ihm treu zur Seite. Das ist um so viel höher anzuschlagen, als sie durch Erfüllung ihrer Mutterpflichten gezwungen war, alle Kraft für die Erziehung und Pflege ihrer Kinder einzusetzen. Gott der Herr hatte die Ehe durch die glückliche Geburt von fünf Kindern gesegnet. Das älteste war ein Sohn. Er wurde 1901 geboren und heißt Hans Ludwig. Im Jahre 1902 wurde ein Zwillingspaar geboren. Es wurde am Hochzeitstag der Eltern, am 9. Dezember 1902 vom Verfasser dieser Geschichte getauft und erhielt den Namen Karl und Karla. Gott hat sie bald wieder zu sich genommen. Quem di diligunt, adulescens moritur. (Wen die Götter lieben, den töten sie als Jünglinge). Gott der Herr tröstete die trauernden Eltern durch die glückliche Geburt einer kräftigen Tochter. Am 23. März 1904 wurde sie geboren und am 31. März in der Taufe Herta genannt. Sie hatte schon vor der Geburt ihren starken Eigenwillen. Dann folgte 1907 die sanfte und sinnige Ursula nach, die aber doch eine ganze Keibel ist und genau weiß, was sie will. In all dieses Glück und in alles friedliches Schaffen der rastlos fleißigen Ludwigsburger brach 1914 jäh und hart der furchtbare Weltkrieg hinein. Noch gelang es im ersten Kriegsjahr, den Bahnbau zu vollenden. Im Herbst konnten schon die ersten Güter verfrachtet werden und es stellte sich auch bald heraus, dass gerade Ludwigsburg durch die Bahn außerordentlich gewonnen hat. Sie bewährte sich nach einem Urteil des Gutsherrn großartig. Der Krieg brachte auch nach Ludwigsburg viel Unruhe und Sorge, andererseits aber kam auch Hülfe durch zahlreiche gefangene Franzosen und Russen, die im Großeltern-Haus untergebracht waren. Nun hat der grausige Krieg schon über 4 Jahre getobt und unermessliche Opfer gefordert. Die Zukunft Deutschlands ist in tiefstes Dunkel gehüllt. Darum treten auch am 2. November 1919 die Glieder der Familie Keibel und einige Verwandte aus der Nachbarschaft in tiefem Ernst zu einer stillen Gedenkfeier zusammen und „heben ihre Augen auf zu den Bergen, von denen uns Hülfe kommt. Unsere Hülfe kommt von dem Herrn, der auch Ludwigsburg sichtbar gesegnet hat! Ehre sei Gott in der Höhe!“
» Hier endet das Jahrhundertbuch von Ludwigsburg – Fortsetzung durch Agnes Boll geb. Keibel-Ludwigsburg. Diese Aufzeichnungen mit denen sie den Bericht ihres Mannes von 1919 im Jahre 1935 fortschrieb, haben unter der Russenzeit 1945 gelitten. Dieses Buch hatte auf den vordersten Seiten auch mehrere hübsche Zeichnungen, die die Russen ausgerissen haben. «
Seit dem 2. November 1919 bis heute 1935 ist eine Spanne Zeit vergangen. Die Familie Keibel-Ludwigsburg ging mit frischem Mut und „Gott” in das neue „Hundert Jahr” hinein. Ich will versuchen es meinem Manne, Pastor Karl Boll-Schönfeld, der am 14. Dezember 1921 in Prenzlau starb, als weibliches Glied der Familie Keibel-Ludwigsburg, mit 71 Jahren einigermaßen in Familiengeschichtsschreiben gleich zu tun. Nach der Revolution am 9. November 1918 kamen schwere Zeiten über das deutsche Volk, dem Vaterland und seinen Volksernährern. Das deutsche Volk wurde von seinen Nachbarn ausgesogen, an den Rand des Abgrunds gebracht. Es kam der schändliche Versailler Vertrag, der aus Lügen und Hass entstanden war und den die Ebertfreunde unterschrieben haben. Der Vertrag musste eingehalten werden und er sog am Volk. Einzelne Klassen der Systemfreunde, vor allem die Machthaber bezogen glänzende Gehälter und schafften ein Leben an der Oberfläche, als wenn Deutschland der Sieger des Weltkrieges gewesen wäre. Auf den Straßen sah man lauter feine Damen und Herren, Kinder und Kinderwagen und im Hintergrund wuchs das Elend und die Arbeitslosigkeit immer größer. Bis sich endlich im Herbst 1932 alle Kräfte der Rechten zusammenrissen und mit dem wieder neugewählten greisen Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg die autoritäre Gewalt an sich zu reißen versuchten und dem Vaterland rettend beizuspringen. Aber die Nationalsozialisten hatten eine große Zahl Anhänger und wollten nicht mit der Rechten arbeiten, sondern regieren. So entschloss sich dann der Reichspräsident von Hindenburg zum Reichskanzler Adolf Hitler und zum Machthaber des deutschen Volkes zu ernennen. Es kam am 30. Januar 1933 zur Erhebung Deutschlands zum „Dritten Reich”. Diese innerpolitischen Ereignisse griffen auch sehr an das Herz des Volkes, des Landmannes. Nicht verzagend taten in Ludwigsburg Hans und Wanda Keibel ihre Pflicht, dem Staat, den Leuten und der Scholle gegenüber. „Wir Schwestern Herta und Ursula wollen von dieser Seite an die weiteren Niederschriften von Tante Agnes dem Inhalt nach erneut und ergänzt wiedergeben.“ Wir fangen nun wieder von 1918⁄19 an. Wie die überwiegende Mehrheit der Landbevölkerung, ob Rittergutsbesitzer oder Bauern, Handwerker oder Landarbeiter, bejahte unser Vater Hans Keibel die konservative oder Deutsch-Nationale Partei, wie sie nach 1918 hieß. Er, der unter der Regierung der drei letzten deutschen Kaiser gelebt und die Erfolge der Bismarckschen Kanzlerzeit erfahren hatte, war tief erschüttert, als 1918 die Abdankung des Kaisers bekannt wurde, obwohl wir damals täglich mit dieser Nachricht rechnen mussten. Ich vergesse nie, wie er die ganze Familie nach Eintreffen der Zeitung ins Herrenzimmer zu sich rief und uns stumm und ernst die Zeitung reichte. Lange sprachen wir kein Wort, so nahe ging uns allen dieses Ereignis. Vater und Mutter haben richtig gelitten und fühlten wohl, was das für die ganze Entwicklung der Zukunft bedeutete! In den Jahren 1919⁄20 kamen viele Flüchtlinge aus dem Baltikum nach Deutschland, Landwirtsfamilien, die unter den revolutionären Veränderungen Fürchterliches erlebten und nun in Folge der Landreformen in den neugegründeten baltischen Ländern keine Möglichkeiten für ihre weitere Existenz sahen. In Ludwigsburg und Klein Luckow fanden von Vegesacks Aufnahme. So war es lange Zeit eng im Hause. Gleichzeitig setzte nach dem ersten Krieg die schleichende Lohn- und Preiserhöhung ein, die in die furchtbare Inflation von 1921–1924 überging. Die Inflation entwertete das Geld rapide und brachte Armut und Elend über Deutschland. Auch für Ludwigsburg war es eine sorgenreiche, aufregende Zeit; die Lohnzahlungen mit riesigen Bergen von kurzlebigen Geldscheinen waren sehr lästig, das Geld musste möglichst in wenigen Stunden in Sachwerten angelegt sein, da es am nächsten Tage schon nur einen Bruchteil des Wertes hatte. Sehr viele Landwirte handelten nicht gleich nach dieser Erkenntnis und büßten große Werte ein, verschuldeten. Vater Hans aber war ein kluger, praktischer Rechner und überstand mit Ludwigsburg die Inflation besser, denn er hatte vorausschauenderweise alle freien Vermögenswerte in Futter- und Düngemitteln auf seinem großen, vor dem Kriege neu erbauten, hochmodernen Speicher angehäuft, die er nach der Einführung der Rentenmark wieder zu Gelde machen konnte. Darum konnte er auch schon 1925 eine neue zweite Scheune bauen! Vater Hans war trotz seines Alters unermüdlich tätig. Wir entsinnen uns kaum eines Tages, dass er nicht früh zu Beginn der Arbeit auf dem Hofe war. In der Regel hatte er einen ledigen Beamten als ersten Inspektor, einen jüngeren zweiten Inspektor, mehr als Hofbeamten, sowie ein oder zwei Lehrlinge und einen gut eingearbeiteten Statthalter (Vogt). Mit diesem Stab wurde jeden Abend nach dem Essen mindestens eine Stunde lang die Wirtschaft besprochen und jeder einzelne Arbeiter und jedes Gespann für die Arbeit des nächsten Tages genau eingeteilt. Auch für den Fall, dass sich das Wetter ändern sollte, wurde disponiert. Den ganzen Schreibkram, auch die Buchführung machte er lange Zeit allein, bis ihm Hans-Ludwig zur Seite stand.
Arbeitsabläufe in den 1920er Jahre
Nun einige Anmerkungen zu Arbeitsabläufen in den 1920er Jahren, soweit wir uns erinnern: So bald es sich arbeitsmäßig einrichten ließ, wurde der gesamte Gutshof am Sonnabend geharkt und gefegt. Besucher waren sprachlos über die Ordnung auf dem Hof. Gegenüber dem Gutshaus standen in zwei Reihen die über 30 Acker- oder auch Leiterwagen für Pferdebespannung für den täglichen Bedarf bereit.
Kastenwagen – Leiterwagen
Als Transportmittel diente in erster Linie der gute alte hölzerne Kastenwagen, von zwei Pferden gezogen, universell verwendbar für alles, was transportiert werden musste. Die Ackerwagen, oder besser Kastenwagen, wie sie allgemein genannt wurden, konnten der Jahreszeit entsprechend für den jeweiligen Einsatz umgebaut werden. Als Kastenwagen, mit hölzernen leicht schräg gestellten Seitenwänden und je einem herausnehmbaren Schütt vorn und hinten, dienten sie zum Transport von Kartoffeln, Futterrüben, Getreidesäcken, Kohlen und Strohballen. Für die Entladung von Kartoffeln war an jeder Seitenwand eine Klappe eingebaut, durch die das Transportgut über eine Siebrutsche direkt in den Keller gebracht werden konnte. Im Winter wurde die Dunggrube geleert und der Stallmist mit diesen Wagen auf die vorzugsweise gefrorenen Felder gefahren und ausgestreut, so dass bei trockenem Wetter gepflügt werden konnte. Zur Sommerzeit, schon zu Beginn der Heuernte, bestand ein großer Bedarf an Leiterwagen, um leichteres Transportgut wie Heu, Getreidegarben und Stroh von den Wiesen und Äckern abzufahren. Dazu wurden die Wagen von Stellmacher und einem Helfer umgebaut.
Die Drillmaschine Die Bestellung der Felder erfolgte mit einer mehrere Meter breiten „Saxonia“ Drillmaschine. Sie erforderte drei Arbeitskräfte zur Bedienung. Der Kutscher, der die Pferde betreute, ein Mann an der Steuerkurbel, der die Maschine genau in der Spur hielt, und schließlich der Maschinist zur ständigen Kontrolle der Maschine. Er hatte dafür zu sorgen, dass alle Saatröhren offen waren und ausreichend Saatgut in den Boden rieselte, und er musste den Saatkasten rechtzeitig nachfüllen. Da fast jede Getreideart andere Saatöffnungen an der Maschine erforderte und das Rührwerk nach unterschiedlichen Drehzahlen lief, war der Stellmacher beauftragt, die Maschine auf dem Hof „abzudrehen“. Hierzu wurde das Rad, das das Rührwerk antrieb, mit einem Wagenheber angehoben und anschließend unter alle Saatröhren eine Plane ausgebreitet. Es war festgelegt, welche Saatmenge pro Morgen ausgestreut werden sollte. Dem Radumfang entsprechend konnte man nun leicht ausrechnen, nach wieviel Umdrehungen ein Morgen abgefahren war. Jetzt wurde das Saatgut aus der Plane gewogen und man kam zu dem Ergebnis, welches Zahnrad mit der entsprechenden Drehzahl aus dem Sortiment in das Getriebe eingesetzt werden musste, um die erforderliche Menge auszustreuen. Bei den gängigen Getreidesorten waren die Zahlen bekannt, aber bei Erbsen, Zuckerrüben, Bohnen, Mais oder gar Kümmel (!) bedurfte es schon besonderer Sorgfalt, um die genaue Menge Saatgut auszustreuen. Der Drillmaschine folgte mit entsprechendem Abstand die Saategge, wie wir sie nannten. Eine leichte Egge mit sieben Feldern, die von zwei Pferden gezogen wurde, um die Saatfurchen überall gleichmäßig mit Erde abzudecken.
Dung und Düngerstreuer
Der Stallmist vom Viehbestand wurde täglich mit Schubkarren und einer von einem Pferd gezogenen Mistschleppe auf den großen Misthaufen in die Dunggrube gebracht, der bis zum Winter eine beachtliche Höhe erreichte. In den ersten Monaten des Jahres, besonders bei Frost und nicht zu hohem Schnee, stand „Mistfahren“ auf dem Arbeitsplan. Die hartgefrorenen Äcker ließen sich leichter mit den schwer beladenen Mistwagen befahren, die Pferde wurden geschont. Eine Gruppe von Arbeitern war beim Aufladen in der Grube eingesetzt, die vier Gespanne fuhren im Pendelverkehr die beladenen Wagen hinaus auf den Acker, dort wurde in Abständen entladen, und eine weitere Gruppe streute die Dunghaufen auseinander. Mit der Einführung des Kunstdüngers setzte in der Produktion der landwirtschaftlichen Erzeugnisse eine umwälzende Veränderung ein. Man konnte die Äcker je nach Bedarf und der Pflanzenart entsprechend mit Naturdung und zusätzlichem Kunstdünger gezielt düngen und dadurch erheblich bessere Erträge erzielen. In den ersten Jahren dieser Epoche wurde der Dünger mit der Hand ausgestreut, was bei dem aggressiven Material und den chemischen Reaktionen gesundheitliche Schäden an Händen und Augen verursachte. In den 20er Jahren benutzte man Schutzbrillen für die Augen und es gab „Düngeranzüge“ – Overalls – die Kleidung und Körper etwas schützten. Zur gleichen Zeit entwickelte die Landmaschinen-Industrie die ersten Düngerstreuer mit einer Arbeitsbreite von vier Metern. In Ludwigsburg waren damals drei oder vier Maschinen im Einsatz, mit denen hauptsächlich der damals noch pulverförmige Kalkstickstoff ausgestreut wurde. Hier konnte nun ein Mann mit zwei Pferden an einem Tag eine große Fläche gleichmäßig abstreuen, wozu bisher mehrere Arbeiter bei Handstreuung bedeutend mehr Zeit brauchten.
Die Dreschmaschine Unser Vater sprach noch manchmal davon, wie das Getreide in der Scheune auf der Tenne mit dem Dreschflegel gedroschen wurde. Doch das lag für unsere Begriffe weit zurück, vielleicht um 1870 etwa, es ist schwer zu bestimmen. Ungefähr seit 1905 war eine Dreschmaschine im Einsatz, angetrieben von einer Dampflokomobile. Das Getreide brachte man in den heißen Sommermonaten in die Scheunen, die Lagermöglichkeiten reichten jedoch lange nicht aus, und so musste man draußen einen Dreschplatz einrichten. Hier wurden die Erntewagen entladen und in runden Mieten von etwa 15 Metern Durchmesser gelagert und gestapelt, und so angelegt, dass zwischen beiden Mieten eine Durchfahrt von 4 Metern war, um die Dreschmaschine dazwischen fahren zu können und beide Mieten von einem Standort zu dreschen. Bis Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre war in Ludwigsburg eine Dampflokomobile im Einsatz. Sie wurde in Fluchtrichtung zur Dreschmaschine aufgestellt und trieb meistens auch noch die Strohpresse mit an, wenn Aufträge vorlagen und da Stroh in Ballen zur Verladung kam. Die Arbeit des Maschinisten an der Lokomobile begann schon eine Stunde vor der üblichen Arbeitszeit, denn er musste den Kessel anheizen, um mit hohem Dampfdruck die Dreschmaschine anfahren zu können. Später dienten starke Elektromotoren als Antriebsmittel. Auf dem Hof und auch auf dem Dreschplatz wurden Kabel verlegt und Anschlüsse geschaffen, so dass der auf einem Wagen fahrbare Elektromotor überall festgekeilt aufgestellt werden konnte, um Dreschmaschine und Strohpresse zugleich kraftvoll anzutreiben. In der Schmiede waren Kastenwagen gebaut worden, in die das Korn aus dem Dreschkasten lief, es wurde dann zum Speicher gefahren, eine Klappe aufgezogen und das Korn lief in den Keller. Dort konnte man ein Förderband zu einem bestimmten Boden einstellen, womit das Korn schnell rauf transportiert wurde. Auf der anderen Seite der Dreschmaschine, an der Strohschütte, war meistens eine Leihstrohpresse der Firma Eduard Kruckow aus Prenzlau angebaut, die das Stroh zu Ballen von 60 x 60 cm x einen Meter Länge presste. Hier waren an jeder Seite ein Mann beschäftigt mit Trenngabeln und Draht die Ballen zu binden, die am Ende der Gleitbalken von zwei weiteren Männern abgenommen wurden. Diese recht gewichtigen Ballen stapelte man auf bereitstehende Feldbahnloren in vier Lagen etwa 2,40 m hoch. Nach Erfüllung aller Strohlieferaufträge kam der Höhenförderer an die Maschine und es wurde eine viereckige Strohmiete gesetzt. Dazu standen zwei Arbeiter auf der Strohmiete und packten Außenkanten und Ecken fest, denn die Mieten wurden manchmal sechs bis acht Meter hoch. Dieses Stroh diente dem Bedarf an Streugut in den Ställen. Von hier konnte man es über Winter und bis zur nächsten Ernte für den Stallbedarf holen. Die Hauptarbeit in den Wintermonaten war das Ausdreschen der Ernte. Wie bei fast allen landwirtschaftlichen Arbeiten musste auch hier der Arbeitsplatz der Witterung angepasst werden. Bei trockenem Wetter ließen sich die auf dem Dreschplatz stehenden Mieten günstig ausdreschen, bei Regenwetter fuhr man die Dreschmaschine in die Scheune und konnte unabhängig von Regen und Schnee arbeiten. Auch hier kam dann, wie schon berichtet, die Strohpresse zum Einsatz, wobei die Strohballen gleich auf bereitstehende Feldbahnloren geladen wurden. Es bot sich geradezu an, denn die stationären Gleise reichten bis zur Hofeinfahrt, und es bedurfte nur wenig Arbeitseinsatz, um die Gleise mit transportablen Schienen bis zur Strohpresse zu verlängern. Die voll beladenen Lorenzüge blieben auf den Abstellgleisen stehen, bis die Verladung auf die zwischenzeitlich bestellten Eisenbahnwaggons am Ludwigsburger Bahnhof erfolgen konnte. Die Einteilung der Arbeitskräfte an solchen Dreschtagen bedurfte einer sorgfältigen Planung, denn es wurden meistens mehr helfende Hände benötigt, wie vorhanden waren. Das machte sich besonders ab Anfang Dezember bis Ende Februar bemerkbar, wenn die Schnitter aus Polen abgereist waren.
Der Dampfpflug
Ein besonderes Erlebnis war der Einsatz des Dampfluges. Allein der Pfiff der Dampfpfeife, der die Bereitschaft signalisierte, zog die Leute von weit und breit an. Der arbeitsfähige Dampfpflugsatz bestand aus zwei selbstfahrenden Lokomobilen, Dampfpfluglokomobilen genannt, die mit einer unter dem Dampfkessel angeordneten Seilwinde ausgestattet waren. Dazu gehörten weiter ein Kipp-Pflug, ein Mannschaftswagen, zwei Wasserwagen. Beim Dampfpflügen wurde mittels der Seilwinden der Pflug über den Acker gezogen. Die Pfluglokomotiven selbst bewegten sich nur über die Wege am Feldrand, dem sogenannten Vorgewende. Auf dem Pflug saßen zwei Mann, ein Lenker und ein Gehilfe zum Einsetzen und Kippen des Pfluges. Es gab aber noch weitere Bodenbearbeitungsgeräte zum Einsatz mit den Dampfpflugsätzen, insbesondere Grubber. In Ludwigsburg waren Dampfpflüge der Firma Heucke im Einsatz, die in der Regel aus Woldegk geliehen wurden.
Der Transport
Bis zum Bau der Eisenbahn fuhren die Kutscher die mit Getreidesäcken beladenen Kastenwagen bei gutem Wetter die gut zehn Kilometer nach Prenzlau zum Händler oder zur Genossenschaft. Als 1914 die Eisenbahn von Prenzlau nach Klockow ihren Betrieb aufnahm, nutzte Vater die Möglichkeit sofort und ließ Getreide, Kartoffeln, Rüben und Stroh in Ludwigsburg auf dem Rangiergleis an der Haltestelle in Waggons verladen. Der Vorteil war immens. Nun konnten Getreidesäcke, Strohballen, Kartoffeln und Zuckerrüben mit transportablen und verlegbaren Gleisteilen sogar auf dem Acker aufgeladen und problemlos bis an den Eisenbahnwaggon gefahren werden. Auf umgekehrtem Wege ließen sich jetzt Briketts und Steinkohle für die Schmiede, für die Lokomobile und für den Kartoffel-Dampfkessel vom Waggon günstig in die Loren laden und direkt am Kohlenschuppen entladen, denn auch dorthin hatte der Konstrukteur der Anlage feste Gleise legen lassen. Den größten Einsatz hatte die Feldbahn jeden Herbst mit dem Abtransport von Zuckerrüben von den oft regennassen Äckern, was je nach Witterung bis Anfang Dezember dauerte. Die Landarbeiter warfen die Rüben mit der Hand auf Haufen oder in weiterer Entfernung in Tragekasten, mit denen sie dann zu zweit zu den Haufen getragen wurden. Diese Haufen lagerten in Reihen mit 30 Meter Abstand, und die Reihen etwa mit dem gleichen Seitenabstand aufgeschüttet, so dass bei der Abfuhr die Schienen nur 30 Meter weit nach der Seite verlegt werden mussten. So konnten mit geringerem Arbeitsaufwand die Rüben von großen Ackerflächen bei der Abfuhr kräftesparend geladen und abgefahren werden. Für die sehr witterungsabhängigen Getreidetransporte wurden ab 1935 Lastzüge eingesetzt, die das Getreide direkt vom Hof abfuhren.
Die Arbeit auf dem Feld
Akkord-Arbeit
Ein großer Teil der landwirtschaftlichen Tätigkeiten wurden nach Akkordleistung bezahlt. Die Abmessung, Einteilung und Arbeitsüberwachung waren Hauptaufgaben des Statthalters.
Zuckerrüben und Runkeln
Nach dem Hacken mit der Maschine im Pferdezug erfolgte das Verhauen mit der Handhacke – in Abständen von 25 Zentimetern blieben einige der kräftigsten Pflanzen stehen. Im zweiten Arbeitsgang wurden von den einzelnen Pflanzengruppen bis auf die stärkste Pflanze alle übrigen entfernt (verzogen). Diese letztere Arbeit musste kniend durchgeführt werden und erforderte großen körperlichen Einsatz. Jeder Arbeiter bekam abgesteckte Parzellen zugewiesen, die er allein oder mit Familienhilfe zu bearbeiten hatte.
Kartoffeln
Der Bedarf an Arbeitskräften bei dieser rein manuellen Arbeit war groß. Bis Anfang der 1930er Jahre rodete man Kartoffeln mit der dreizinkigen Handhacke und sammelte sie in Weidenkorb-Kiepen, die von den Männern auf einer Schulter getragen und über ein Laufbrett auf bereitstehende Kastenwagen geschüttet wurden. Für jeden Korb gab es eine runde Blechmarke, nach deren Anzahl die Bezahlung erfolgte. Bei dieser Arbeit waren in vielen Familien die Kinder mit ihren helfenden Händen dabei. Der Mann rodete drei Reihen in einem Zuge, während seine Frau mit den Kindern die Kartoffeln einsammelte. Dann trug er die volle Kiepe an den Wagen, rodete weiter, bis die Frau die nächste Kiepe gefüllt hatte. Es war ein hartes Los, besonders bei herbstlich kalter Witterung.
Zuckerrüben und Runkeln roden
Diese Arbeitsvergabe erfolgte in Parzellen – die Rüben mit dem Handheber roden, in Reihe legen, mit dem Hausmesser am Blattkopf abschlagen und die Rüben in Haufen werfen oder in Tragegestellen zusammentragen, so dass sie auf die Feldbahnloren aufgeladen werden konnten. Bei allen Akkordarbeiten lagen die Verdienste gegenüber dem Tagelohn in der Regel erheblich höher. Ab Mitte der 1930er Jahre wurden Kartoffelroder und Rübenpflüge eingesetzt, so dass die Arbeiten körperlich nicht so belastend waren und größere Leistungen erbracht werden konnten.
Wie lebten die Bewohner von Ludwigsburg damals
An dieser Stelle soll ein Daten- und Zahlenbild über die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Lebensweise in jenen Jahren entstehen:
• ca. zehn Landarbeiterfamilien
• ein Schweizer und ein Melker
• ein Maschinist
• ein Kraftfahrer und Kutscher
• ein Schweinemeister
• ein Stellmacher
• ein Nachtwächter
• ein Schmied
• ein Gutsbesitzer
• ein Inspektor und Lehrlinge
• eine Mamsell
• ein Statthalter (zweiter Inspektor)
• vier Haushaltsgehilfinnen
• ein Lehrer
Die Arbeitszeiten
| Jahreszeit | Tägliche Arbeitszeiten (vormittags) | Tägliche Arbeitszeiten (nachmittags) | Wochenstunden |
|---|---|---|---|
| Winter | 8.00–12.00 Uhr | 13.30–16.00 Uhr | sechseinhalb Stunden = Woche 39 Stunden |
| Frühling / Herbst | 7.00–12.00 Uhr | 13.30–17.00 Uhr | achteinhalb Stunden = Woche 51 Stunden |
| Sommer | 6.00–9.00 Uhr, 9.30–12.00 Uhr | 13.30–16.00 Uhr, 16.30–19.30 Uhr | elf Stunden = Woche 66 Stunden |
Dazwischen gab es dem Tageslicht entsprechend noch halbstündliche Veränderungen, z.B. 6.30 Uhr, 7.30 Uhr oder abends 17.30 Uhr, 18.00 Uhr, 18.30 Uhr, 19.00 Uhr. Es galt die Sechs-Tage-Woche. Generell wurde sonntags nicht gearbeitet. Am Sonnabend war spätestens um 18 Uhr Arbeitsschluss.
Der Arbeitsbeginn, die Mittagspause und der Feierabend wurden in Ludwigsburg mit Hammerschlägen auf ein Streichbrett „verkündet“. Eine Zeitlang war auch eine Glocke im Einsatz. Hans-Ludwig ließ später eine elektrische Uhr am Kuhstall installieren.
Der Verdienst in Bargeld
Diese Angaben können nur Anhaltspunkte sein, soweit die Erinnerung diese Daten noch hergibt. Der Stundenlohn für Landarbeiter in Ludwigsburg lag in den 1920er Jahren bis etwa 1935 bei 17 Pfennig, mit kleinen Abweichungen entsprechend der Tätigkeit. In den 1930er Jahren setzte sich bekanntlich die Regierung sehr für das Landvolk als starke Arbeitssäule des Reiches ein und die Stundenlöhne wurden erhöht, sie können dann bei etwa 23 Pfennig gelegen haben. Genauere Angaben sind nicht möglich. Daraus ergaben sich:
| Jahreszeit | Stunden/Woche | Verdienst 1920er Jahre | Verdienst 1930er Jahre |
|---|---|---|---|
| Winter | 39 Stunden pro Woche | 0,17 = 6,63 Reichsmark | 0,23 = 8,97 Reichsmark |
| Frühling / Herbst | 51 Stunden pro Woche | 0,17 = 8,67 Reichsmark | 0,23= 11,73 Reichsmark |
| Sommer | 66 Stunden pro Woche | 0,17 = 11,22 Reichsmark | 0,23 = 15,18 Reichsmark |
Von diesen Beiträgen wurden noch die monatlichen Beiträge zur Krankenversicherung und zur Invalidenversicherung einbehalten, die in damaliger Zeit äußerst gering waren, jeweils zwischen etwa 0,70 Pfennig und 1,50 RM. Außerdem musste monatlich das Geld für den über Zähler abgelesenen Stromverbrauch bezahlt werden. Die Gespannführer und der Kutscher mussten morgens vor der regulären Arbeitszeit die Pferde füttern und versorgen, hierfür wurde ihnen zusätzlich zum Lohn ein „Futtergeld“ gezahlt. Der Schweizer / Melker bekam einen festen Wochenlohn auf Grund seiner langen Arbeitszeit, vielleicht um 20,00 RM und dazu etwas Milchmengenprämie. Die „Dienstmädchen“ im Gutshaushalt bekamen in Ludwigsburg netto 10 RM Wochenlohn. Das war in damaliger Zeit ein beachtlicher Betrag, denn auf den Gütern in der Nachbarschaft wurden nur 8,00 oder 9,00 RM verdient.
Deputat-Leistungen
• freie Wohnung, ca. 300 Quadratmeter Gartenland
• täglich anderthalb Liter Milch sowie je Kind einen halben Liter
• Getreide: zweieinhalb Zentner pro Monat nach Wahl, z. B. einen Zentner Schrot für Schweinemast, einen Zentner Roggen für Brot b. Bäcker (16 Brote), einen halben Zentner Weizen für Hühnerfutter
• Heizmaterial: Briketts (vier x zehn Zentner = 40 Zentner im Jahr), Buchen-Brennholz (drei Kubikmeter)
• Kartoffelland: zwei bis drei Morgen, je nach Anzahl der Kinder, bei der Ernte freie Abfuhr
• Runkel: in Ludwigsburg je Familie 1⁄8 Morgen, fertig gesät
• Grünfutter: von Mai bis August wochentags eine Karre voll zur Schweinemast
• Stroh: frei nach Bedarf
Von den Familien wurden allgemein gehalten: zwei bis vier Schweine, 20–30 Hühner, zehn bis 15 Enten, ein bis drei Ziegen, teilweise Kaninchen. Der Hausgarten war für jede Familie die Hauptversorgungsquelle in den Sommer- und Herbstmonaten. Von den ersten Frühkartoffeln im Juli bis zum späten Kohl bei Eis und Schnee, der Garten gab immer Früchte und Beeren für eine Mahlzeit her. Gemüsegeschäfte gab es in Prenzlau, aber keinesfalls auf einem Dorf in der Uckermark. An erster Stelle in der Bevorratung stand das Einkochen und Konservieren. In kühlen Kellern wurden verschiedene Gemüsearten gelagert, andere in Sand lange frisch gehalten. Jede Familie machte sich auf eigene Art die ihr zur Verfügung stehenden natürlichen Nahrungsquellen nutzbar. Eine besondere Regelung gab es noch: Die an den Brüchern und am Dauergraben reichlich vorhandenen Kopfweiden dienten bekanntlich seit alten Zeiten im waldarmen Kreis Prenzlau als Brennholzquelle. In ungefähr jedem zweiten Jahr wurden ausgesuchte Weiden bei entsprechender Größe gegen eine Gebühr von 1 RM zur Abholzung freigegeben. So konnte jeder seinen Brennholzvorrat etwas aufbessern.
Erntearbeiter – die sogenannten Schnitter aus Polen
Über Jahrzehnte schon kamen saisonbedingt Arbeitskräfte aus Polen in die Uckermark, um das Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Man nannte sie die Schnitter, vermutlich, weil sie früher das Getreide mit der Sense schnitten. In der Regel kam ein Vorschnitter mit Frau und 15–20 weiteren Männern und Frauen um in der Akkordarbeit ihren Verdienst zu machen. Oft kamen Jahr für Jahr dieselben. Als Deputatleistung bekamen sie Milch, Kartoffeln, Holz und Kohle.
Der Viehbestand (1920er Jahre)
• 45 Ackerpferde
• 80 Schweine (einschließlich Zuchtsauen und Ferkel)
• drei Reitpferde
• vier Kutschpferde
• 100 Rinder und Kälber
• 100 Milchkühe (Herdbuch)
• 600 Schafe
• 100 Hühner
• 30 Enten
Mähmaschinen
Mitte/Ende der 1920er Jahre wurden die ersten beiden Traktoren angeschafft. Sie hatten Zapfwellenantrieb, so dass mit ihnen auch die Garbenbinder betrieben wurden. Jetzt wurden fast nicht vorstellbare Tagesleistungen vollbracht. Das Aufstellen der Garben in Hocken zum Austrocknen erfolgte in Akkordarbeit. Von den einzelnen Äckern waren vom Bestellplan her die Flächengrößen bekannt und danach wurde abgerechnet. Der erste Mähdrescher wurde unter der Leitung von Hans-Ludwig Keibel angeschafft. Ludwigsburg war damit eines der ersten Rittergüter der Uckermark, das über solche moderne Technik verfügte.
Die 1920er und 1930er Jahre
Hans Keibel genoss als Sachverständiger und Taxator einen sehr guten Ruf. So kam er zu zahlreichen Ehrenämtern, denen er sich nicht entzog. Insbesondere hatte er schon zu Lebzeiten seines Vaters Albert die Distrikts-Direktion der Greifswalder Versicherungsgesellschaft für die Uckermark als Nachfolger seines Vaters übernommen, als dieser kränkelte und hat diese Tätigkeit von 1890 bis 1935 durchgehalten, nachdem er schon 1934 wegen seines Alters aus dem Aufsichtsrat der gleichen Versicherung ausgetreten war. Man überreichte ihm als Anerkennung für seine Verdienste ein großes, wertvolles, silbernes Tablett. Auch so manches andere schöne Ehrengeschenk hat Vater Hans für seine selbstlose Tätigkeit in Ehrenämtern erhalten. Die schlechte Verkehrslage von Ludwigsburg für die Ausübung seiner Ehrenämter zwang Vater Hans dazu, im Jahre 1923 schon, also mitten in der Inflation, seinen ersten Pkw, einen „Adler” zu kaufen, um die Abwesenheit bei Ausübung der Ehrenämter in für den Betrieb erträglichen Grenzen halten zu können. Der Passion von Vater und Tochter Herta entsprechend und nach damaligem Brauch wurde der örtliche Verkehr aber weiterhin mit Kutschwagen erledigt. Das Auto war nur für weite Fahrten da! Es wurde geschont. Ein Paar von Herta eingefahrene Füchse gingen, soweit es die Ackerarbeit zuließ, als Kutschpferde. Für Fahrten nach Prenzlau, nach Klein Luckow oder Blumenhagen wurde ein sehr hübscher Viererzug benutzt. Die Remise war gefüllt mit sechs oder sieben verschiedenen Fahrzeugen, vom schweren Landauer bis zum leichten Jagd- oder Feldwagen. Sogar eine alte, schwere geschlossene Kutsche mit schwarzer Lederverkleidung gab es noch, mit der Großvater Albert und Julie Keibel schon bis nach St. Petersburg gereist waren um die Verwandtschaft zu besuchen. Und von der Decke hingen mehrere Schlitten.
Die drei Kinder von Hans und Wanda wuchsen inzwischen heran. Der Stammhalter Hans-Ludwig begann die Schulzeit in Prenzlau, besuchte dann das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Stettin, wo er 1921 sein Abiturientenexamen machte. Mit 16 Jahren erlebte Hans-Ludwig einen schweren Typhus, als dessen Folge er zeitlebens körperlich in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt war. Wenn er dennoch seinem schweren landwirtschaftlichen Beruf mit großem Eifer und Erfolg nachging, so war das die Leistung seines starken Willens, mit dem er sich selbst einsetzte. In Stettin wurde er 1917 in der Schlosskirche eingesegnet. Nach dem Abitur folgte zunächst die Lehre auf verschiedenen Gütern, u. a. bei Herrn Gustav Hertz-Kleptow in Krien bei Anklam. Sein anschließend beabsichtigtes Studium in Göttingen musste Hans-Ludwig dann bis April 1925 aufschieben, weil er seinen erkrankten Vater unterstützen musste. Auch im Anschluss an das Studium blieb er Beamter bei seinem Vater Hans, weil dieser immer wieder zu Kuren reisen musste. Es zog aber Vater Hans immer wieder sehr bald zurück zur Wirtschaft, zu Hof und Garten, den er so liebte. Mitten im Garten stand die von Mutter Höfft´sch am Tage der Taufe von Vater Hans gepflanzte Kastanie, die erst im Blumentopf gezogen wurde, nun schon als großer Baum und zeigte alljährlich ihre schönen Kerzen. Im Park die drei Silberpappeln, die Großvater Albert für seine drei Söhne gepflanzt hatte. Zwei waren schon vom Sturm abgebrochen, nur die für Vater Hans stand noch! Dies alles konnte seinem heimatverbundenen Sinn kein noch so schönes Bad ersetzen! Die Töchter Herta und Ursula verlebten ihre Schulzeit in Prenzlau auf dem Oberlyzeum, waren dort in Pension und konnten nur zum Sonntag nach Hause. Sie wurden auch in Prenzlau eingesegnet. Herta ritt gern. Ihr Sinn stand überhaupt mehr zur Außen- als zur Hauswirtschaft! Sie besuchte die Landfrauenschule Luisenhof bei Bärwalde. Nach Ludwigsburg zurückgekehrt ritt sie unermüdlich und gewann verschiedene Turnierpreise. Häufig war sie im Reitkostüm und Damensattel unterwegs. Am 1. Oktober 1923 kam sie aus Tornow zurück, wo sie zu gern mit Onkel Fritz Schultz-Tornow, einem großartigen Hippologen und Ausrichter der Remontemärkte, über Pferde fachsimpelte, als sie in der Kurve vor Kleptow Zeugin des schweren Autounfalls des früheren Regierungspräsidenten von Hannover Curd Graf von Berg-Schönfeld wurde. Schnell steckte sie ihrem Reitpferd „Peter” einen Zettel ins Ohr, band die Steigbügel hoch, so dass dieser nach Ludwigsburg galoppierte und per schriftlicher Botschaft Hilfe holte. Graf Berg starb auf der Chaussee im Angesicht der Kleptower Kirche in den Armen der herbeigeeilten Wanda Keibel. In dieser Zeit wurden in Ludwigsburg viele Hubertusjagden ausgerichtet, die Umtrieb und Vergnügen mit sich brachten. Das Sternreiten begann und brachte viel junges fröhliches Volk am Wochenende nach Ludwigsburg. Selbst von Wedemeyers aus Pätzig und Schönrade in der Neumark nahmen daran teil. In Prenzlau war eine Reit- und Fahrschule eingerichtet worden, in deren Vorstand auch Vater Hans war, bis diese Ende der 1920er Jahre wieder wegen der wirtschaftlichen Notlage der Landwirtschaft eingehen musste. Vater Hans ließ auf einem der Turniere vier schöne Füchse gehen und bekam einen Preis dafür! 1927 verlobte sich Herta mit Walther Gysae aus Strehlow. Es gab große Freude darüber, dass sich zwei altangesessene Uckermärker Familien zusammenfanden. Am 22. September 1927 war die Hochzeit. Es war ein Fest mit so vielen Gästen, dass ein riesiges Zelt gemietet werden musste, welches den nötigen Raum bot. Das junge Paar übernahm das Universitätsgut Friedrichsfelde bei Greifswald (bis zur Enteignung 1945). Ursula half seit 1928 ihrer Tante Erna Siebenbürger während der Sommerszeit in deren Swinemünder Fremdenpension an der Ostsee. Nach deren Tode 1931 setzte sie diese Tätigkeit selbstständig für ihre Mutter fort, die die Pension übernommen hatte. Am 26. Juni 1928 vollendete Vater Hans sein 70. Lebensjahr. Seine Gesundheit hatte sich in den letzten Jahren doch erheblich gebessert, zumal er durch Sohn Hans-Ludwig in jeder Hinsicht sehr entlastet war. Mutter Wanda dagegen war nach wie vor scharf in der Haus- und Gartenwirtschaft eingespannt. Der Jubeltag wurde groß gefeiert. Abordnungen aus Greifswald, Prenzlau und Strasburg, von der Versicherung, den Zuckerfabriken und den landwirtschaftlichen Vereinen kamen, auch aus der Gutsarbeiterschaft, und nachmittags war eine schöne Familienfeier im Kreise der 5 Schwestern des Jubilars, von Verwandten, selbst Onkel Fritz Zahn mit seiner hocheleganten Tante Cläre, der „Fürstin von Jauer” kamen und natürlich die Nachbarn: Hertz-Kleptow, Stege-Klockow, Schultz-Tornow, Müller-Wittenhof, Neumann-Blindow und Nordahl-Schenkenberg. Seit dem Ende der Inflation machte die Wirtschaft wieder tüchtig Fortschritte. Es kam die Aufwertung der auf den Gütern lastenden Hypotheken! Es gelang Vater Hans, diese allmählich abzuzahlen. Daneben aber wurde fleißig verbessert und investiert. Neue Koppeln wurden angelegt, der Schmiedepfuhl wurde ausgebaggert, die alte Schmiedewohnung aus Großvaters Zeiten und die ebenso alte Schmiede wurden neu- bzw. umgebaut, 1925 und 1935, Mutter Wanda bekam an den Garten angelehnt einen neuen Hühnerstall mit Auslauf. Ende 1929 wurde ein neuer PKW „Adler” gekauft. Viele Umstände verursachte die Auflösung des Gutsbezirks! Die Masse des Besitzes kam zur Gemeinde Kleptow, während die zugekauften Baumgartner Ländereien und das Vorwerk zu Baumgarten eingemeindet wurden, wo auch die kirchliche Bindung blieb und die Verantwortung für das Patronat. Dazu kam, dass mit dieser Umgemeindung Ludwigsburg zu zwei Amtsgerichtsbezirken gehörte: Prenzlau und Brüssow. Ostern und Pfingsten kamen die Kinder des Dorfes, es waren um die 30, zum Gutshof. Sie sangen ein Lied und sagten ein Gedicht auf, dann gab es ein Geldstück. Zu Weihnachten gab es außerdem eine große Tüte mit Äpfeln, Nüssen und Pfefferkuchen, ein Spielzeug und etwas zum Anziehen. Das besorgte alles Mutter Wanda. Im Advent fertigte sie dazu mit Hilfe der Mamsell lange Listen an, auf dem jedes Kind mit seinen Größen vermerkt war. Eingekauft wurde in Prenzlau. Die Bescherung fand immer am ersten Christtag in der Eingangshalle des Hauses statt.
Die vierte Generation wirtschaftet, die fünfte wird geboren – Die Flucht 1945
Am 1. Juli 1930 übergab der 72 Jahre alte Vater Hans das Gut Ludwigsburg durch Kaufvertrag an seinen Sohn, den 29 Jahre alten Hans-Ludwig Keibel (1901–1950), nachdem er noch in dem gleichen Jahre die Dorfschule durch Schulstall, Schulbrunnen und Waschküche ergänzt hatte. Es war ein schönes Erbe, welches die Eltern schon bei Lebzeiten dem Stammhalter übergaben! Bis auf drei Gebäude waren Hof und Dorf von den Eltern neu aufgebaut worden! Hans-Ludwig übernahm außer gegenüber seinen Schwestern so gut wie keine Grundschulden oder Hypotheken. Da Hans-Ludwig noch ledig war, blieb im Hause alles beim Alten. Vater Hans machte für seinen Sohn die Buchführung. Der Rückzug aus der Außenwirtschaft mag diesem pensionierten, erfolgreichen Landwirt sehr schwer geworden sein! Für Mutter Wanda war die Umstellung leichter, denn sie behielt die Hauswirtschaft in alter Art, aber damit auch die viele Arbeit! Es muss auch noch eines schweren Unglückes gedacht werden, welches schon im März 1930, also vor der Übergabe, in der Wirtschaft passiert ist. Es zersprang beim Holz Sägen das Blatt der Kreissäge, wobei das abgesprungene Stück einen Arbeiter tötete! Natürlich verursachte dieses Unglück nicht nur Schmerz und Trauer in Familie, Dorf und Gutshaus, sondern auch erhebliche behördliche Schwierigkeiten, die sich aber lösten. Mit zunehmendem Alter sehnte sich Vater Hans nach weiterer Entlastung, nach Ruhe. Er legte – auch infolge der zunehmenden Schwerhörigkeit – nach und nach alle Ehrenämter nieder, was nicht ohne Dank und Anerkennung vor sich ging. Anfang Oktober 1934 wurde in Verbindung mit dem Erntefest das 50-jährige Arbeitsjubiläum von Vater Hans feierlich begangen. 50 Jahre Arbeit in Ludwigsburg! Nach Lehrzeit und vier Jahren Arbeit als Beamter in Schulpforta trat Vater Hans als Beamter im Oktober 1884 an die Seite seines Vaters, nach dessen Tode er zehn Jahre später Eigentümer von Ludwigsburg wurde. Die Feier gestaltete sich sehr eindrucksvoll. Mit der Erntekrone voran zogen Gutsherrschaft und Gefolgschaft zu der neuen blumengeschmückten Halle, die schon in den Jahren zuvor als Tanzsaal benutzt worden war. Hier war ein Altar aufgebaut. Drei Schnitterinnen neben Otto Kriesch stellten sich mit der Erntekrone seitlich daneben auf. Der Baumgartner Pfarrer hielt eine schöne Erntedankansprache und gedachte dabei des Jubilars mit ernsten, schönen Worten. Die Stahlhelmkapelle spielte zu den Chorälen. Nach der Ansprache dankte Hans-Ludwig als Eigentümer seinen Arbeitern für die treue Hilfe bei aller schweren Arbeit, die geschafft werden musste. Er gab den alten Arbeitern Geschenke. Dann überbrachte der Zellenleiter von Ludwigsburg im Namen der Arbeiter dem Jubilar eine große eingerahmte silberne Arbeitsplakette mit der Zahl 50. Anschließend dankte der 76-jährige Vater Hans mit bewegten Worten, betonte, dass das Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erst jetzt, sondern schon immer in Ludwigsburg ein sehr gutes gewesen sei! Kaffeetafel und für die Jugend anschließend Tanz rundeten diese Feier ab. Im September 1935 reisten Hans, Wanda und Tante Agnes mit dem Auto ein letztes Mal nach Schlesien. Anlass war der 80. Geburtstag der ältesten Schwester von Vater Hans, Helene Braumüller, der in Jauer gefeiert wurde. Auf dem Rückweg machten sie Station auf dem Dominium Annenhof bei Sagan, wo Helenes Enkelin Eva Krause-Bergmann geb. Zahn mit ihrem Mann Franz eine hervorragende Wirtschaft führte. Wie schon oben erwähnt, legte Vater Hans als letztes Ehrenamt die schon vom Vater übernommene Distrikts-Direktion der Greifswalder Versicherung für die Uckermark nieder. Bis zu seinem Tode holte man noch gern Rat bei ihm, auf Grund seiner jahrzehntelangen Erfahrungen. Hans-Ludwig aber setzte die Tradition der Väter fort. Saure Wochen – Frohe Feste – Tages Arbeit – abends Gäste! Das war seit jeher der ungeschriebene Leitsatz der Familie Keibel in Ludwigsburg. So wurde fleißig weitergewirtschaftet, alles für die Wirtschaft, spartanisch für die Lebensführung! Gott segne das Haus Ludwigsburg fernerhin! Tante Agnes schloss ihre Niederschrift mit dem Bibelwort: „Dein Wort sei meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinen Wegen! Amen!”
» Wir Schwestern des letzten Gutsherrn Hans-Ludwig Keibel, Herta Gysae und Ursula Keibel, geb. Keibel wollen die Chronik von Ludwigsburg bis zum bitteren Ende vervollständigen. «
Nachdem Tante Agnes Boll die letzten Eintragungen 1935 gemacht hatte, ist viel Leid über Ludwigsburg gekommen. Die Kriegsjahre mit dem traurigen Ausklang, die Flucht, die unsere ganze Familie in alle Winde zerstreute. Am 7. Januar 1936 starb Tante Agnes an Gelbsucht in Prenzlau, wo sie auch begraben ist. 1937 heiratete Ursula den Landwirt Rudolf Keibel auf Schönberg bei Königsberg Nm., einen Nachkommen des Berliner Keibelstammes. Ende Juni 1938 feierte Vater Hans in voller geistiger Frische noch seinen 80. Geburtstag. Am 9.8.1938 starb Hans Keibel in Ludwigsburg an Arterienverkalkung, nachdem er die Jahre vorher wieder viel gekränkelt hatte. Die Aussegnung im Hause erfolgte durch den Baumgartner Pfarrer, die Beisetzung in Anwesenheit hunderter Leute auf dem Familienfriedhof in Ludwigsburg durch Superintendent Dr. Nagel aus Prenzlau. Am 10. Februar 1939 heiratete Hans-Ludwig in deren Elternhause Ursula von Baumbach aus Kirchheim, Kreis Hersfeld (Hessen), Tochter des verstorbenen kgl. preuß. Hauptmannes a. D. Ludwig von Baumbach und seiner Ehefrau Luise, geb. von Keudell. Die Familie von Baumbach gehört dem hessischen Uradel an und hat in Kirchheim ausgedehnten Grundbesitz als Familienbesitz. Hans-Ludwig und Ursula lernten sich in der Nachbarschaft von Ludwigsburg kennen, wo Ursula als Haustochter tätig war. Für Mutter Wanda wurde oben im Hause eine gemütliche Wohnung eingerichtet, sodass sie sich nun aus der Wirtschaft raushalten und die Zügel der jungen Frau abgeben konnte. Dann begann am 1. September 1939 der böse Krieg. Hans-Ludwig, der schon vor dem Kriege eine Wehrübung abgeleistet hatte, wurde am 29. August 1939 eingezogen, tat im Saarland am Westwall, gegenüber der Maginot-Linie, Dienst und wurde auf UK-Antrag am 22. April 1940 nach Hause entlassen. Natürlich wurden zu Kriegsbeginn auch zahlreiche Männer und Pferde aus Ludwigsburg eingezogen, die der Wirtschaft sehr fehlten. Nach Einsetzen der feindlichen Fliegerangriffe auf die Großstädte kamen mehrere Verwandte und auch Fremde mit kleinen Kindern als Evakuierte ins Haus: Während des Krieges wurden aus Hans-Ludwigs Ehe folgende Kinder geboren: Hans-Ludwig Christian 1940, Hans-Peter 1942 und Renate 1944. Für Hans-Ludwig waren die Kriegsjahre nicht leicht. Trotzdem zählte Ludwigsburg immer zu den führenden Gutsbetrieben der Uckermark. Hans-Ludwig hatte ja von klein auf großes Interesse für Maschinen. An den Gebäuden fehlte nichts. So legte Hans-Ludwig sein ganzes Augenmerk auf die Beschaffung neuzeitlicher Maschinen. Er hat den ganzen Betrieb durchtechnisiert. Auch einer der ersten Mähdrescher in der Uckermark gehörte dazu. Die politische Weltlage spitzte sich immer mehr zu. Der Rückzug im Osten hatte 1943 begonnen, das Weihnachtsfest 1944 wurde schon mit großer Sorge um die Zukunft begangen. Unter diesen Umständen konnte des Jubiläums nicht gedacht werden, dass Ludwigsburg am 2. November 1944 nun schon 125 Jahre im Eigentum der Familie Keibel stand. Sowohl das 100. als auch das 125. Jubiläum fielen in schwere Zeiten, aber 1919 ging es aufwärts, 1944 abwärts! Mitte Januar 1945 kamen die ersten Trecks auf den Hof gefahren, überwiegend aus Ostpreußen und Hinterpommern. Auch Hans-Ludwigs Cousine, Eva Krause-Bergmann geb. Zahn, die Enkelin von Helene, hatte sich bereits mit ihrem Annenhöfer Gutstreck aus Schlesien angekündigt, sich aber dann doch für eine südliche Route entschieden. Obwohl die Lage nach dem Durchbruch der Russen an der ganzen Ostfront auch für die Uckermark bedrohlich aussah, wurde noch keine Treckerlaubnis gegeben. Am 2. Februar 1945 kamen die Schönberger mit drei Gummiwagen an, Ursel mit ihren vier kleinen Kindern. Ihr Mann Rudolf war bereits seit 1939 Soldat. Man war froh, dass die Schönberger heil über die Oder kamen, denn die Russen folgte auf dem Fuße nach. Nach kurzer Kampfpause an der Oder drohte auch die Gefahr für Stettin, das geräumt wurde. Aber Treckerlaubnis für Ludwigsburg gab es immer noch nicht! Die Männer durften auf keinen Fall eigenmächtig trecken, denn sie riskierten Standrechtliche Hinrichtung. Ursel-Ludwigsburg wollte mit Kindern gern zu ihrer Mutter nach Kirchheim trecken. Würden sie aber dorthin gelangen? Vom Westen kamen die Amerikaner und vielleicht kämen sie in die Kampflinie! So zögerte sie von Tag zu Tag. Im Übrigen aber setzte sich jeder, der nicht auf eine Treckerlaubnis warten musste oder ohne Treckerlaubnis gekommen war, zeitig nach dem Westen ab. Auf dem Hofe lag auch viel Militär, und Gerüchte wie „die Russen kommen”, „der Russe wird an der Oder aufgehalten” oder „zurückgedrängt” usw. verbreiteten sich. Aber – leider – der Russe kam immer näher und erst ein Tieffliegerangriff am 24. April 1945 auf Prenzlau und Umgebung brachte die Treckerlaubnis, aber das war auch schon die letzte Möglichkeit wegzukommen! Am Nachmittag war noch einmal ein böser Fliegerangriff, wir Frauen mit den Kindern mussten in die Keller und als wir rausdurften, war ein Bordwaffentreffer in das Fenster oben am Nordgiebel eingeschlagen und hatte einen Soldaten verwundet, denn im Hause lag ein SS-Stab. Auch auf dem Hofe war ein Mann verletzt, Pole, ein Fahrer vom Schönberger Treck. Ludwigsburg hatte bisher keine nennenswerten Schäden durch Flieger gehabt. Nur der Schafstall war beschädigt und eine Brandbombe fiel ins Dachgeschoss des Wohnhauses. Das Vorwerk brannte wohl zur Zeit des Treckbeginns ab oder kurz danach. In großer Eile wurden die Wagen gepackt und der ganze Treck mit allen Gutsarbeitern zu 13 Wagen (einschließlich Schönberger Wagen) nebst Trecker, Feldküche und Kutschwagen wurde gegen 22 Uhr, als es dunkel genug war, in Marsch gesetzt. Es war ein wirklich trauriger Abschied von Ludwigsburg!
» Es folgt ein ausführlicher Bericht über den Treck. Er führte über Tornow, Nechlin, Werbelow, Milow nach Strasburg. Ständig erfolgten russische Fliegerangriffe. Überall brannten die Gutshöfe. Glücklicherweise wurde die Feldküche mitgeführt, so dass alle Menschen versorgt werden konnten. In den folgenden Tagen führte der Weg weiter über Woldegk–Friedland, Demmin–Dargun, bei Kambs wurde im letzten Moment vor der Sprengung der Brücke die Warnow überquert, es ging weiter nach Hohen Viecheln, wo dem Treck die ersten Amerikaner begegneten. Diese nahmen ihnen die besten Reitpferde, u. a. den „Künstler” weg. Immer wieder wurde der Treck auseinandergerissen, aber mit größter Mühe gelang es Hans-Ludwig Keibel, ihn immer wieder zusammen zu führen. Schließlich blieb der Treck sechs Wochen in Alt-Meteln. Hans Ludwig und seine Frau standen in größter Anspannung. Überlegungen nach Kirchheim in Hessen weiter zu trecken, wehrte Hans- Ludwig ab, da er seine Ludwigsburger Leute nicht im Stich lassen wollte und er hoffte und hoffte nach Ludwigsburg irgendwie zurückkehren zu können. Dann hieß es plötzlich „Ausgangsperre“, Abzug der Engländer und Kommen der Russen. Am 7. Juli 1945 war es soweit. Von nun an wurde der Treck in seinen Quartieren nahezu ununterbrochen geplündert. Bald hieß es von Seiten der Russen: „Alles zurück!” Mitte Juli ging es über Crivitz, Mestlin, Goldberg, Malchin, Waren los. In Charlottenhof bei Kargow wurde der Treck wieder sechs Wochen zur Zwangsarbeit festgehalten. Dann ging es wieder weiter über Penzlin, Neustrelitz und Feldberg, bis er schließlich die Grenze der Uckermark erreichte. «
Die Enteignung 1945 – Leben in Weggun bis 1950
„Da Weggun der letzte Ort im Kreise Templin war, hörten wir uns vorher um, wie es im Kreise Prenzlau aussieht. Wir erfuhren, dass die Enteignung der Güter ausgesprochen war, deren Besitzer alle eingesperrt wurden. So war es uns klar, dass nur die Ludwigsburger Leute, soweit sie noch mit uns treckten, allein weiterziehen konnten, aber Ursel-Ludwigsburg auf keinen Fall in den Kreis Prenzlau durfte, um wenigstens ihre Pferde und die Sachen auf dem Wagen zu retten. Nachdem wir ein Pferd gegen einen Hammel eingetauscht hatten, der gleich geschlachtet und verteilt wurde und nachdem alles abgefuttert war, setzte sich der Ludwigsburger Treck – diesmal ohne die Schönberger Wagen – wieder in Bewegung. Ursula Keibel-Ludwigsburg suchte sich nun beim Bauern Schulz ein Unterkommen für sich und die Kinder. Dorthin kam später auch Hans-Ludwig, nachdem er aus dem Prenzlauer Gefängnis entlassen war. Dort waren fürchterliche Verhältnisse, die manche der Inhaftierten nicht überlebten. Als man ihn entließ, teilte man ihm nochmals mit, dass er entschädigungslos enteignet sei, er nicht nach Ludwigsburg zurückkehren dürfe, sondern den Kreis Prenzlau zu verlassen hätte. Er hatte bereits in Ludwigsburg selbst schreckliche Tage erlebt, war dort aber schon dabei gewesen, mit den wieder anwesenden und zum Teil fremden Arbeitern zu arbeiten. Eines Tages wurde er vom Felde weg verhaftet und eingesperrt, mit vielen Nachbarn zusammen. (u.a. Schultz-Tornow, Stoewahs-Bröllin, von Winterfeld-Nieden, von Arnim-Sperrenwalde, Collin-Brietzig). Er sah erschreckend elend aus.
» Soweit der Bericht von Ursula Keibel-Schönberg über die gemeinsame Flucht bis zur Ankunft in Weggun. «
Hans-Ludwig Keibel und seine Frau pachteten seit 1946 den Pfarrhof in Weggun. Es war ein schwerer Anfang auf dem abgewirtschafteten Hof, ohne Vieh und ohne Vorräte. Die beiden gingen mit viel Mut und unermüdlichen Fleiß ran und nahmen die ihnen ungewohnte und schwere körperliche Arbeit auf sich. Doch die schwere körperliche Arbeit war zu viel. Nach der Typhus-Erkrankung im 16.Lebensjahr war Hans-Ludwig nie ein kräftiger Mensch gewesen und jetzt durch die Fluchtereignisse und die Enteignung physisch und psychisch geschwächt. Sein Magenleiden verschlimmerte sich. Alles machte sich bemerkbar. Im Winter 1949 war er mehrere Wochen im Prenzlauer Krankenhaus, mit wenig Erfolg. Inzwischen waren seine beiden Schwestern, Herta und Ursel, wiederholt in Ludwigsburg. Dort sah es böse aus. Die zwei Scheunen und der Schafstall waren abgerissen, der wunderschöne Park abgeholzt. Obwohl beide Schwestern nicht abergläubisch sind, sahen sie sich an, als sie feststellten, dass die dritte Silberpappel, die nach Vaters Tode den einen Hauptast durch Sturm verloren hatte, nun auch den letzten Ast eingebüßt hatte, aber vor dem Stumpf abergläubische Leute haltgemacht hatten. Möge er noch einmal ausschlagen!? Der Friedhof bot einen traurigen Anblick. Grabsteine umgestoßen und zertrümmert, Gräber aufgebrochen und verwüstet, von Weidevieh zertrampelt. Von den alten Gutsarbeiterfamilien waren nur wenige in Ludwigsburg zu finden, da nach ihrer Rückkehr ehemalige Wohnungen von anderen Flüchtlingen besetzt waren. So mussten sie sich um eine andere Bleibe in der Umgebung bemühen. Trotzdem wurden die Schwestern sehr herzlich und nett von Otto Kriesch und Frau empfangen und bewirtet, obwohl Otto kurze Zeit vorher große Schwierigkeiten gehabt hatte, weil er nach Mutter Wandas Tod († 19. Dezember 1946 in Weggun) Hans-Ludwig in Weggun besucht hatte. Es wurde ihm verübelt, dass er Verbindung mit dem alten Gutsherrn hielt. Er sollte sogar seine Siedlerstelle los werden. Nur seine Schlagfertigkeit – er hätte sich bei Keibels nach der Dränagelage erkundigt – rettete ihn davor. Den Schwestern wurden von verschiedener Seite noch Möbel oder andere Gegenstände angeboten, die die Leute aus dem Gutshaus geholt hatten. Die Schwestern lehnten aber ab, denn sie hatten ja keine Verwendung dafür. Die alte Kastanie im Garten, die zur Geburt von Vater Hans gepflanzt worden war, stand noch. Das Gutshaus war innen umgebaut für zig Familien. An der Straße zur Chaussee und zum Vorwerk waren Neusiedlerhäuser entstanden, z. T. wohl aus altem Material der abgebrochenen Gebäude. Hans-Ludwigs Leiden hatte sich vorübergehend gebessert. Aber ein Jahr nach dem Krankenhaus-Aufenthalt, Anfang Januar 1950, musste er sich einer Magenoperation unterziehen, an deren Folgen er in Berlin starb. Seine Frau, Ursula, war bei ihm und ordnete die Einäscherung an. Sie setzte die Urne in Weggun auf Mutter Wandas Grab bei. Der vierte und letzte Gutsherr von Ludwigsburg war damit dahingegangen und ruht nicht in Ludwigsburger Scholle. So endet die Geschichte des Keibelschen Familiengutes Ludwigsburg. Vier Generationen hatten um dieses gerungen, hatten all ihre Liebe, Schaffenskraft und Fürsorge in ihre Heimat gesteckt, es zu einem weit hin bekannten Musterbetrieb gemacht und aus ihm heraus die Lenkung der landwirtschaftlichen Belange der engeren und der weiteren Umgebung beeinflusst. Klein Luckow und Ludwigsburg, beide im Eigentum der Familie Keibel, waren die Rittergüter in der Uckermark, die am längsten im Besitz einer bürgerlichen Familie waren, nämlich seit 1817 bzw. 1819. Die Keibels waren vorher Kaufleute, Handwerker, Pastoren. Die nun lebende junge Generation ist wieder aus der Landwirtschaft herausgedrängt. „Wir, die wir in Ludwigsburg gelebt haben, blicken dankbar zurück, dass wir durch all die Wirrnisse nach dem Kriege mit den Kindern heil durchgekommen sind und werden immer mit Stolz und Freude zurückdenken.”
Im Frühjahr 1945 waren folgende Einwohner bzw. Familien in Ludwigsburg:
| Name | Zahl der Familienmitglieder | Beruf/Funktion des Familienvorstands |
|---|---|---|
| Schulrath | 4 | Lehrer |
| Berndt | 4 | Landarbeiter |
| Schützow | 5 | Inspektor |
| Baumann | 3 | Landarbeiter |
| Kriesch | 2 | Landarbeiter |
| Kottwitz | 4 | Landarbeiter |
| Müller | 3 | Landarbeiter |
| Pawzig | 4 | Landarbeiter |
| Blumreich | 7 | Landarbeiter |
| Labes | 7 | Schweizer |
| Milke | 2 | Schweinezucht |
| Kriesch, Otto | 3 | Gespannführer |
| Krahmer | 4 | Landarbeiter |
| Riebe | 3 | Landarbeiter |
| Stöpel | 4 | Gespannführer |
| Siegmann | 2 | Gespannführer |
| Stuwe | 6 | Landarbeiter |
| Funk, Richard | 5 | Stellmacher |
| Kriesch, Wilhelm | 3 | Statthalter |
| Passow | 3 | Schäfer |
| Weckwert | 4 | Gespannführer |
| Kulawik | 6 | Landarbeiter |
| Hubbert | 6 | Landarbeiter und Traktorist |
| Trotnow | 4 | Schweinezucht |
| Bialosek | 7 | Inspektor |
| Braun | 4 | Chefkutscher |
| Wegner | 3 | Gärtner und Jäger (Gattin Postfrau) |
| Drews | 5 | Schmiede |
| Keibel | 6 | Rittergutsbesitzer |
| Insgesamt Einwohner: | 123 |
(aus der Erinnerung von Herbert Drews, Ludwigsburg)
Der Sensationsfund in Pasewalk – eine Taufschale aus St. Petersburg
Im Frühjahr 2016 ist im Gemeindeblatt der Pasewalker St. Marienkirche der folgende Hinweis zu lesen: „Pasewalk im April 2016, bei Umzugsarbeiten wurde in der Baustraße 5 (Alte Superintendentur) die Taufschale unserer Gemeinde von 1862 wiederentdeckt. Es ist die Taufschale, die zu dem originalen Taufstein Stülers gehört, der anlässlich der umfassenden Restaurierung 1862⁄63 mit Altar, Kanzel und Orgelempore zur neuen Ausstattung unserer St. Marienkirche gehört. Nachfolgend werden die Inschriften und Darstellungen wiedergegeben, wie sie auf der Taufschale verzeichnet sind. Im Schalenboden ist als Bildrelief die Taufe Jesu im Jordan durch Johannes dargestellt. Der Himmel öffnet sich und sendet den Heiligen Geist. Um diese Bilddarstellung herum ist das Bibelwort MK: 16 v.16 geschrieben: „WER DA GLAUBET UND GETAUFT WIRD, DER WIRD SELIG WERDEN, WER ABER NICHT GLAUBET, DER WIRD VERDAMET WERDEN.“ Der breite Rand der Schale wird durch vier bildliche Darstellungen der äußeren Ansicht von St. Marien aus den jeweiligen vier Himmelsrichtungen in vier Abschnitte eingeteilt. Innerhalb dieser Abschnitte gibt es 2 umlaufende Inschriften. Zur Innenseite lautet die Inschrift: „PREDIGER AN DER KIRCHE WAREN F. E. FISCHER, SUPERINTENDENT UND PASTOR UND A. I. Th. KUPKE DIACONUS C. F. FRANZ, KIRCHEN ADMINISTRATOR.“ Zum äußeren Rand lautet die Inschrift: „GESCHENKT VON DEM KAISERLIGH RUSSISCHEN HOF=GOLDARBEITER u. RITTER J.W. KEIBEL, IN St. PETERSBURG. DER LUTHERISCHEN St. MARIENKIRCHE IN PASEWALK BEI GELEGENHEIT IRER RENOVIRUNG IM JAHRE 1862“ Die Schale ist aus massivem Silber gefertigt. Sie steht auf vier verzierten Fußelementen, die am unteren, äußeren Schalenboden angearbeitet sind. Auf der Rückseite der Schale befindet sich die Beschriftung, die nochmals Auskunft über den Hersteller sowie Gewichtseinheit und Herstellerstempel (Punze) gibt. Hier ist zu lesen: „W: Keibel“ „St: Petersburg“ „ 11 Pfund 52 Sol. Russisch Gewicht“ (Lot) Es sind drei kleine Stempelzeichen (Punzen) erkennbar. In einem davon erkennt man unzweifelhaft den russischen Doppeladler. Die Taufschale hat einen Außendurchmesser von 59 cm. Die Schalentiefe beträgt 7 cm. Damit ist die Beschreibung der Taufschale beendet. Es bleibt jedoch noch die Frage, wer war der sowohl in der Widmung als auch auf der Rückseite erwähnte J. W. Keibel?“
Keibels als kaiserlich-russische Hofjuweliere
Johann Wilhelm Keibel, Erblicher Ehrenbürger der Stadt St. Petersburg und Hofjuwelier der Zaren, wurde am 11. Juni 1788 als Sohn des Kaufmanns Friedrich Keibel und seiner Ehefrau Dorothea, geb. Ziermann, in Pasewalk geboren. Er ist ein älterer Bruder von Ludwig Keibel, dem Gründer von Ludwigsburg. Wilhelm Keibel übernahm im Jahre 1809 das von seinem Onkel Otto Keibel im Jahre 1797 gegründete Juweliergeschäft in St. Petersburg. Otto Keibel wurde am 2. September 1768 ebenfalls in Pasewalk geboren, war alleinstehend und starb sehr überraschend am 27. April 1809. Er hinterließ ein bedeutendes Vermögen von ca. 100.000 Rubel sowie zahlreiche Schmuckstücke, u. a. mit Gold belegte Pistolen, Schnupftobacksdosen, Ringe mit Diamanten u. ä. In der Biographie „Onkel General“ (Berlin 1873) wird geschildert, wie die beiden Brüder Otto Keibels, Friedrich und Heinrich, nach St. Petersburg reisen, um das Erbe zu sichern. Sie verließen am 8. Juli per Extrapost in einem mit sechs Pferden bespannten Wagen Pasewalk und trafen am 1. August 1809 in St. Petersburg ein. Beiden folgten mit ein wenig zeitlichem Abstand die Söhne Friedrichs, Carl und Wilhelm Keibel. Während Carl bald wieder nach Pasewalk heimkehrte und später das Rittergut Klein Luckow übernahm, verblieb Wilhelm in St. Petersburg und wurde Nachfolger seines Onkels im Geschäft. Er gelangte in St. Petersburg zu großem Ruhm und stand in hoher Gunst des Zarenhofes. Berühmt sind die für die Zarenfamilie angefertigten Fabergé-Eier. Hersteller war die Petersburger Juwelierwerkstatt von Carl Fabergé. Der Vater dieses Carl Fabergé, Gustav Fabergé, auch ein bekannter Goldschmied, ist bei „unserem“ Johann Wilhelm Keibel in St. Petersburg in die Lehre gegangen. Auch ein Teil des Württembergischen Kronschatzes, der heute in Stuttgart zu besichtigen ist, stammt aus der Werkstatt von Wilhelm Keibel. Er gelangte durch die Hochzeiten zweier russischer Großfürstinnen dorthin. Katharina Pawlowna (1788–1819) hatte den württembergischen Kronprinzen, der als König Wilhelm I. (1781–1864) 1816 den Thron in Stuttgart bestieg, geheiratet. Olga Nikolaijewna (1822–1892) ehelichte den Kronpinz, der als Karl I. ab 1864 als König von Württemberg (1823–1891) regierte. Johann Wilhelm Keibel starb am 6. Juni 1862 in St. Petersburg. Die Pasewalker Taufschale ist eine seiner letzten „Werke“. Seine Werkstatt und sein Geschäft sind durch seinen Sohn Julius Eduard Keibel (1825–1882) und später seinen Enkelsohn Albert Constantin Keibel (1854–1910) fortgeführt worden und unter diesem wurde auch das 100-jährige Bestehen der Firma 1897 begangen. Nach dessen Tod im Jahre 1910 wurde der zweite Enkelsohn Wilhelm Keibels, Woldemar Camillo Keibel (1869–1923) das „Familienoberhaupt“ des Petersburger Familienzweiges. Er wurde im Jahre 1917 enteignet, vertrieben und fand Zuflucht bei der Familie seiner Frau auf dem Rittergut Kürtow in der Neumark, das zu diesem Zeitpunkt der Familie von Schlieffen gehörte. Andere Familienmitglieder flüchteten nach Finnland und Schweden. Bis heute leben in beiden Ländern Nachkommen.
Das Knoblauchhaus im Berliner Nikolaiviertel, Poststraße 23 – Ein Museum für die Familien Knoblauch und Keibel
Erfolgreiches „Auswandern“
Als 1827 das Gebäude der Berliner Singakademie, heute Maxim-Gorki-Theater, eingeweiht wurde, notierte der junge Karl Knoblauch unter dem 8. April: „Vormittags zu Schleiermacher, dann Besuch beim Grafen Schulenburg. Mittags Alexanderplatz im Keibel-Franzschen Familienkreis mit Onkel General und Bruder Eduard. Abends mit Klöden und Justizrat Langerhans in die Singakademie, die durch herrliche Musik von Flemming und Zelter ihr neues Lokal einweihte. Auserlesene Gesellschaft: die Königin von Bayern, ihre Tochter und der ganze Hof, außer dem Könige. Rauch, Schleiermacher, Nicolovius, Mendelssohn-Bartholdy begrüßt. Stockung nach beendeter Musik. Der Hof wartet auf die Entfernung des Publikums und so umgekehrt einer auf den anderen.“ Krone, Adel, Bürgertum und Kunst vereinten sich hier in biedermeierlicher Eintracht zur Momentaufnahme in der Zeit des Vormärz. Zu berühmten Persönlichkeiten traten solche, die erst seit wenigen Jahrzehnten Berlin waren und deren Wurzeln in der vorpommerschen und besonders uckermärkischen Geschichte zu suchen sind. Zu ihnen gehören die Keibel und Franz, die sich mit den Knoblauchs und Langerhans verbanden und die Geschicke der preußischen Haupt- und Residenzstadt maßgeblich bestimmen sollten. In Strasburg, wo Martin Keibel 1730 geboren wurde, war die Familie Keibel lange einflussreich. Sein Vater Samuel, 1676 in Hetzdorf, heute Ortsteil der Gemeinde Uckerland, geboren, war um 1700 nach Strasburg gekommen, wo er sich als Meister niedergelassen und 1710 Rebecca Milow, Tochter des Ackerbürgers und Senators Johann Milow, geheiratet hatte. Er starb 1756 als “Amtsmeister des Schneiderhandwerks”. Sohn Martin verließ die Heimatstadt, ging bei einem Nadlermeister in Prenzlau in die Lehre, dann auf Wanderschaft bis nach Genf und Paris und schließlich nach Pasewalk, wo er ein angesehener und wohlhabender Kaufmann wurde. 1804 ernannte ihn der preußische König zum Senator der Stadt Pasewalk. Sechs Söhne gingen aus der Ehe mit Anna Sophie Tauchert (1730–1809), Tochter des Färbers Ernst Tauchert, hervor. Der älteste und der jüngste blieben in Pasewalk. Friedrich (1758–1828) war seit 1808 Administrator der Kirchen und Hospitäler in Pasewalk. Ernst (1774–1854) folgte dem Vater als Kaufmann, besaß aber auch längere Zeit das Gut Schmuggerow bei Anklam. Die anderen vier Söhne zog es in die Ferne. Otto (1768–1809) ließ sich als Goldschmied und Juwelier im russischen St. Petersburg nieder und brachte es mit meisterhafter Kunst zu erheblichem Wohlstand. Benjamin (1770–1835), mathematisch und technisch hochbegabt, trat als Dragoner ins Pasewalker Regiment ein, absolvierte die Potsdamer Ingenieurschule und wurde 17-jährig zum Sekondeleutnant ernannt. Mit nur 24 Jahren erhielt er den berühmten „Pour le Mérite“. Er zeichnete sich bei der Verteidigung der schlesischen Festung Cosel 1806⁄07 ebenso aus wie bei der Belagerung von Longwy und Maubeuge 1815 in den napoleonischen Befreiungskriegen. Als Inspekteur der rheinischen Festungen gilt er als einer der Schöpfer der “Wachten am Rhein”; ihm zu Ehren wurde ein Festungswerk in Saarlouis “Keibel” genannt. Anlässlich seines Abschiedes wurde Benjamin Keibel 1820 zum Generalmajor befördert. Zwei Söhne schließlich gingen nach Berlin. Heinrich (1760–1816) betrieb seit 1795 in der Stralauer Straße 52 eine Seifenfabrik. Er starb kinderlos, Geschäft und Grundstück gingen auf den Neffen Wilhelm Keibel, Sohn von Gottlieb, über. Gottlieb (1763–1838) gründete eine Seidenbandmanufaktur in der Heiligegeiststraße. Er heiratete Henriette (1768–1852), Tochter des Berliner Nadlermeisters und Stadtverordneten Johann Christian Knoblauch. Ihr einziger Sohn Wilhelm Keibel (1792–1860) führte die Seidenfabrikation fort. Gemeinsam mit dem Freund und Maler Wilhelm Wach (1787–1845) kämpfte er von 1813 bis 1815 begeistert als Freiwilliger und Leutnant bei der Landwehr, wofür er das Eiserne Kreuz erhielt. Schon in jungen Jahren war er in der Berliner Kommunalpolitik aktiv, wurde Stadtverordneter, Stadtrat und -ältester. Noch zu Lebzeiten (1858) wurde eine Straße in der Nähe des Alexanderplatzes nach ihm benannt. In diesen Jahren wurden auch zahlreiche familiäre Verbindungen geknüpft, aus denen einige bekannte Persönlichkeiten hervorgingen. Der zitierte Tagebuchschreiber Karl Knoblauch (1793–1859), Enkel von Johann Christian Knoblauch, heiratete 1818 Wilhelm Keibels Schwester Henriette (1798–1821), seine Cousine. Hermann Knoblauch (1820–1895), später Physikprofessor, Rektor der Universität Halle und Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, war ihr Sohn. Gottlieb Keibels Tochter Wilhelmine (1796–1859) verband sich mit Gottfried Franz (1788–1861), einem ebenfalls aus Pasewalk stammenden und in Berlin erfolgreichen Kaufmann und Bankier. Ihrer Ehe entsprang der Sohn Rudolph (1826–1902), der auch Physiker und Professor an der Berliner Universität wurde. Wilhelm Keibels Tochter Anna (1824–1853) heiratete den Arzt, fortschrittlichen Politiker, späteren Reichstagsabgeordneten und Ehrenbürger Berlins Paul Langerhans. Ihr Sohn Paul (1847–1888) wurde auch Arzt, starb jedoch, wie seine Mutter, früh an Tuberkulose. Mit nur 27 Jahren war er zum Professor für Pathologie ernannt worden. Weltberühmt machte den Schüler Rudolf Virchows die Entdeckung der nach ihm benannten „Langerhansschen Inseln“ in der Bauchspeicheldrüse, die die Voraussetzung zur Entwicklung des Insulin bildete. Im Band “Onkel General” (1873) schildert Enkel Ludwig Keibel (1830–1894) den beeindruckenden Zusammenhalt dieser großen Familie. Noch im hohen Alter reiste Großvater Martin nach Berlin, regelmäßig traf man sich in Pasewalk. So auch, als Enkel Karl Keibel (1787–1863) Wilhelmine von der Dollen auf Klein Luckow bei Strasburg heiratete. Am 28. Juli 1817 schrieb Marin Keibel an Sohn Benjamin: „Dein Bruder Gottlieb, seine Gattin, nebst ihrem zukünftigen Schwiegersohn Herrn Knoblauch – selbiger hat einen Punschlöffel gegeben – dessen Braut, und der kleine Baurath Knoblauch kamen am 22. dieses Jahres hier an.“ Der „kleine Baurath Knoblauch“, der damals mit seinen 16 Jahren noch gar keiner war, aber tatsächlich einer wurde, war niemand Geringerer als der später berühmte Architekt Eduard Knoblauch (1801–1865), Bruder von Karl und Baumeister der alten Russischen Botschaft in Berlin Unter den Linden, der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße und auch des Schlosses Vogelsang bei Ueckermünde. Nach dem frühen Tod seiner Eltern Karl (1765–1813) und Luise Knoblauch (1765–1810) hatte der Onkel Gottlieb Keibel die Vormundschaft übernommen. Noch heute erinnern einige Stätten in Berlin an die Geschichte dieser namhaften Familien. Als eines von ganz wenigen Gebäuden des historischen Viertels rund um die Berliner Nikolaikirche hat das „Knoblauchhaus“ in der Poststraße die Zeiten und den Zweiten Weltkrieg überdauert. Hier befanden sich fast 140 Jahre die Geschäftsräume des von Karl Knoblauch 1818 vereinigten Knoblauch-Keibelschen Familienunternehmens. Es ist heute ein Museum. Der an der Prenzlauer Allee gelegene Friedhof der St. Marien- und St. Nikolai-Gemeinde birgt zahlreiche Grabstätten der Familien Keibel, Knoblauch und Franz. Auch Anna Langerhans ruht hier. Benjamin Keibel verbrachte seinen Lebensabend bei der Familie in Berlin. Auch sein Grab findet sich auf diesem Friedhof. Über den Tod hinaus blieb er mit Pasewalk verbunden. Nachdem er 1832 den Kirchen und „milden Stiftungen“ 120 Taler hatte zukommen lassen, erhielten 1843 die Schulen und die Armenkasse je 1552 Taler für Lehrmittel und zur freien Verwendung. Der Höheren Bürgerschule in Pasewalk vermachte er 120 Bände seiner Bibliothek sowie seine Mineraliensammlung. Quelle: SCHRÖDER 2011
Das Knoblauchhaus
Im Juni 1759 erwarb der zu Wohlstand gekommene Nadlermeister Johann Christian Knoblauch, Enkel eines aus Oberungarn geflüchteten Protestanten, ein in der Poststraße 23 stehendes Fachwerkhaus. Das Gebäude war in einem so schlechten Zustand, dass er es abreißen und an dessen Stelle einen Neubau errichten ließ. Über 170 Jahre hat den Familien Knoblauch und Keibel dieses Haus gehört. Aus ihren Reihen gingen Kaufleute, Architekten, Politiker und Wissenschaftler hervor. Das Haus ist eines der ganz wenigen erhaltenen Berliner Bürgerhäuser. Seit 1989 ist es ein Museum, das zum Stadtmuseum Berlin gehört. Seine Arbeit wird von einem Förderkreis unterstützt, dem auch viele Nachkommen der beiden genannten Familien angehören. Ausgehend von den ehemaligen Bewohnern erzählt dieses Haus von Familiensinn und dem Engagement für das Berliner Gemeinwesen. Die Ausstellung zeigt bürgerliche Wohnkultur der Biedermeierzeit.
Der Friedhof der Familie Keibel im Ludwigsburger Park
In den Jahren 1819⁄1820 errichtete Ludwig Keibel das nach ihm benannte Rittergut Ludwigsburg. Als im Jahre 1824 seine Tochter Luise Adelhaid starb, wurde der Wunsch des Elternpaares umgesetzt und hinter dem Gutspark ein Familienfriedhof errichtet. Er befindet sich auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von Linden. Früher war er noch von einer kleinen Trockenmauer aus Feldsteinen umgeben und mit einer Pforte versehen. In den Jahren 1824–1941 fanden hier insgesamt 19 Beisetzungen statt. In der Regel handelte es sich um Angehörige der Familie Keibel, Verwandte oder vertraute Hausangestellte. Im Jahre 1945 ist der Friedhof verwüstet worden. Sämtliche Gräber wurden aufgebrochen und die Grabsteine zerstört. Anfang der 1990er Jahre wurde der Friedhof in schlichter Weise neugestaltet. Ein Findling vom Ludwigsburger Acker erinnert an alle Angehörige der Familie Keibel, die hier begraben sind. Auf der Rückseite des Findlings befindet sich der Spruch: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“ (Evangelisches Gesangbuch, Lied 317, Strophe 3).
| Person, an die erinnert wird | Alter | Sterbejahr |
|---|---|---|
| Luise Adelhaid Keibel, Erste Tochter des Rittergutsbesitzers Ludwig Keibel | neun Monate, 19 Tage | 1824 |
| Emilie Mathilde Franziska Keibel, Dritte Tochter des Rittergutsbesitzers Ludwig Keibel | 17 Tage | 1828 |
| August Schulz, Hauslehrer | 32 Jahre | 1831 |
| Julius Hermann Keibel, Dritter Sohn des Rittergutsbesitzers Ludwig Keibel | einen Monat | 1834 |
| Wilhelmine Keibel, geb. Zerler, Ehefrau des Ludwig Keibel | 36 Jahre | 1835 |
| Ludwig Gustav Keibel, erster Sohn aus der zweiten Ehe des Ludwig Keibel | einen Tag | 1838 |
| Ludwig Keibel, erster Rittergutsbesitzer auf Ludwigsburg | 65 Jahre | 1862 |
| Beate Frederike Tugendreich Schulz, Tante der zweiten Ehefrau von Ludwig Keibel | 94 Jahre | 1864 |
| Johanna Keibel, geb. Lindenberg-Damme, zweite Ehefrau des Ludwig Keibel | 64 Jahre | 1867 |
| Richard Keibel, dritter Sohn des Rittergutsbesitzers Albert Keibel | ein Jahr, drei Monate, vier Tage | 1868 |
| Adolf Birkenstaedt, Sohn des Christian Birkenstaedt, Rittergutspächter zu Cremzow, und der Anna, geb. Lindenberg-Damme | zwei Jahre, sieben Monate | 1869 |
| Albert Keibel, zweiter Rittergutsbesitzer auf Ludwigsburg | 71 Jahre, vier Monate, acht Tage | 1893 |
| Karl Ferdinand Keibel, zweiter Sohn des Rittergutsbesitzers Hans Keibel | zwei Monate, 21 Tage | 1903 |
| Karla Keibel, erste Tochter des Rittergutsbesitzers Hans Keibel | drei Monate, 29 Tage | 1903 |
| Julie Keibel, geb. Lindenberg-Damme, Ehefrau des Rittergutsbesitzers Albert Keibel | 68 Jahre, sieben Monate, 27 Tage | 1904 |
| Max Keibel, königlich preußischer Hauptmann, Sohn von Albert und Julie Keibel | 56 Jahre, sechs Monate, 18 Tage | 1916 |
| Hans Keibel, dritter Rittergutsbesitzer auf Ludwigsburg | 80 Jahre | 1938 |
| Alexander Boeck, Kaufmann, Rittergutsbesitzer auf Mentin bei Parchim | 88 Jahre | 1941 |
| Anna Boeck, geb. Keibel, Tochter von Albert und Julie Keibel | 84 Jahre | 1941 |
Ludwigsburg wurde nach der entschädigungslosen Enteignung der Familie Keibel 1945 aufgesiedelt, später eine LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) gegründet, die zeitweise getrennt als zwei Betriebe in Pflanzen- und Tierproduktion wirtschaftete. In der Nachfolgezeit der Wende erfolgte eine Liquidation. Heute werden die Flächen des ehemaligen Rittergutes Ludwigsburg durch die Feldfrüchteproduktionsgesellschaft Ludwigsburg mbH unter Leitung von Herrn Rüdiger Müller bewirtschaftet. Vom einstmals stattlichen und wunderschönen Gutshof sind nur noch wenige Gebäude erhalten. Die kommunale Gemeinde Schenkenberg, zu der Ludwigsburg gehört, hat den Speicher als Begegnungszentrum hergerichtet und den Hof parkartig gestaltet. Das Gutshaus wurde durch den neuen Eigentümer – die Kommune – zunächst als Unterkunft für ca. 100 Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten, später als Schule und Kindergarten, als Gaststätte und Arztstützpunkt, sowie für Wohnungen genutzt. Mitte der 1990er Jahre begann der Leerstand. Schließlich wurde das Haus nur noch sporadisch von der Kirchengemeinde und dem Landfrauenverein genutzt. Zunehmend verfiel es. Nachdem die Kommune im Dezember 2008 das Haus und ein Teil des Parkes zum Verkauf ausschrieb, bewarb sich die Kirchengemeinde mit dem Konzept eines „Betreuten Wohnens“. Gegen andere Bewerber setzte sich die Kirchengemeinde durch und erwarb das Haus im Jahre 2009. Am 2. November 2014, am 195 Jahrestag der Gründung Ludwigsburgs, wurde das Gutshaus als Evangelisches Seniorenzentrum mit „Betreutem Wohnen” in Dienst genommen. Zu danken ist den Nachkommen von Helene Julie Braumüller geb. Keibel-Ludwigsburg und Anna Boeck geb. Keibel-Ludwigsburg (beides Schwestern des vorletzten Besitzers Hans Keibel), die der Kirchengemeinde vollständig den Kaufpreis spendeten und die Einrichtung und den Unterhalt des Hauses unterstützen.