Tornow als Privatgestüt in einem Film der Landwirtschaftskammer der Mark Brandenburg von 1924
Von Thomas Dietz – 10/2025
Im Jahre 1924 hat die Landwirtschaftskammer der Mark Brandenburg einen Film über die Zuchtstätten des Brandenburger Warmblutpferdes gedreht. Der Ausschnitt, der in Tornow gedreht wurde, blieb erhalten, wenn auch Bruchstücke fehlen.
Als Thomas Dietz 1987 in Schönfeld als Vikar begann, entdeckte die Cousine seiner Großmutter Marie Kube, geb. Schultz-Tornow, ihre Heimat wieder. Sie war am 26. August 1915 in Tornow geboren worden. Die Familien Keibel-Ludwigsburg und Schultz-Tornow waren eng miteinander verwandt. Im Jahre 1988 besuchte sie, die inzwischen südlich von Hamburg lebte, erstmals nach über 40 Jahren ihre alte Heimat und ihren Familienbesitz Tornow. Fortan setzte sie diese Besuche bis zu ihrem Tod am 17. Februar 2011 in Rosengarten-Langenrehm jährlich fort. Zum Jahrhundertfest 2008 hatten die Tornower Einwohner sie gebeten gemeinsam mit der Dorfältesten Selma Krauss, geb. Hubbert, einen Gedenkstein zu enthüllen. Zu diesem Fest hatte Marie Kube einen Film mitgebracht, der Tornow, insbesondere die hochanerkannte Pferdezucht, zeigt. Der Film wurde am Festtag abends in der Kirche gezeigt. Die Kirche war überfüllt. Der Film musste ungefähr 50mal angehalten werden, weil jeder von Marie Kube wissen wollte, ob dieser oder jener sein Großvater ist. Unvergesslich die Stimmung! Marie Kube ist mit ihrem Vater und ihren Brüdern am Schluss des Filmes als junges Mädchen zu sehen.
Bereits zu Weihnachten 1992 hatte Marie Kube, geb. Schultz-Tornow, für ihre Familie ihre Erinnerungen an die Filmaufnahmen 1924 niedergeschrieben. Sie seien hier nachstehend wiedergegeben:
Ein Film aus dem Jahre 1924 über die Tornower Pferdezucht und seine Hintergründe
„Im Jahre 1924 hat die Landwirtschaftskammer der Mark Brandenburg einen Film über die Zuchtstätten des Brandenburger Warmblutpferdes gedreht. Der Ausschnitt, der in Tornow gedreht wurde, blieb erhalten, wenn auch Bruchstücke fehlen. Bald nach dem Kauf von Tornow hat mein Ur-Urgroßvater Karl Friedrich Lindenberg den Grundstein für die Tornower Pferdezucht gelegt, die durch gute und schwere Zeiten sorgfältig fortgeführt und ausgebaut wurde. Während auf den Gütern der Umgebung zumeist Kaltblüter die Feldarbeit machten, waren in Tornow nur Warmblüter im Einsatz. Manche bäuerlichen Betriebe kauften gern mal Arbeitspferde in Tornow, damit der Sohn auch mal reiten konnte. Kutsch- und Reitpferde wurden verkauft. Hengste nach strengster Auswahl nach Neustadt an der Dosse verkauft. Der Verkauf von Remonten, jungen Pferden für die Kavallerie und Artillerie, war nach dem Ersten Weltkrieg durch das stark verkleinerte Heer fast zum Erliegen gekommen. Es wurde erst später wieder eine gute Einnahmequelle. Die Remontemärkte in Tornow, wo auch andere Züchter mit ihren dreijährigen Fohlen hinkamen, waren immer ein großes Ereignis. Ein Landwirt aus der Stettiner Gegend, der das Geschehen einmal mitbeobachtete (die sehr kritische Musterung der Pferde) sagte: „Also Herr Schultz, ich verdiene mein Geld leichter, ich pflanze Tulpenfelder und bring die Tulpen nach Stettin und kein Mensch mäkelt dran rum. Ich brauch mich nicht drei Jahre lang um jedes Tier zu sorgen.“ Ja, da fängt eben die Passion an, die seit vielen Generationen in der Familie steckt…
Zu dem Film: Seht Ihr das Storchennest auf der alten Scheune beim Kornabladen auf den Elevator? Das Bild auf der Koppel entstand, wo heute der See ist. Es war nur ein Teich in der Mitte, um den herum ein tolles Wettrennen stattfand, wenn die Fohlen im Frühjahr zum ersten Mal wieder rauskamen. Auch die Schafe wurden gezeigt. Es war eine eingetragene Stammherde (ich meine Merino-Schafe). Die Rindviehzucht ergänzte in den Koppeln gut die Pferdezucht, weil Kühe alles nehmen, was Pferde stehenlassen. Es gab immer Rivalitäten zwischen den Oberhäuptern von Pferde-, Schaf- und Kuhstall. Jeder wollte das beste Heu, das beste Stroh. Erich Hass, bei dem ich den größten Teil meiner Kindheit im Stall verbrachte, zeigt die Mutterstuten. Er war der Verantwortliche für die Pferde, Karl Seefeld (kriecht vor den Fohlen her) war der Fohlenmeister. Er sorgte für sie wie für seine Kinder, klaute Eier aus dem Hühnerstall und freute sich diebisch, wenn sie so richtig tobten. Die jungen Hengste spielen in einem Auslauf, wo heute der Speicher steht. Die Bilder von den Mutterstuten mit Fohlen sind am Schäferpfuhl gemacht. Durch den Teich gingen alle Pferde abends nach der Arbeit zum Kühlen und Säubern der Beine. Die Koppel mit dem Strohdachunterstand war am Weg nach Schenkenberg und zog sich weit hin. Um die Beständigkeit im schweren Zug zu zeigen, wird vor die Lokomotive gespannt, die den Dreschkasten und auch im Winter die Kreissäge antrieb. Es wird der Brandenburger Stutbuchbrand gezeigt, den die Pferde auf die Hinterbacke bekamen. Das B und der Brandenburger Adler. Bei den Mutterstutenfamilien seht Ihr mich voller Stolz meine Freia halten. Eine damals schon betagte Stute, die mal Reitpferd war und treu mit mir durch Dick und Dünn ging. Die alte Fortuna erinnere ich genau, sie durfte im Alter einfach frei rumlaufen, wo sie wollte, und suchte sich irgendwo das beste Gras. Bezeichnend: Als Fortuna mal auf die Stallgasse äppelte, nachdem ich grade gefegt hatte, sagte ich „Schwein“ zu ihr. Das hörte mein Vater und ich bekam einen der wenigen ernsthaften Anschnauzer. Das alte, ehrwürdige Tier! So war das. Nun seht Ihr unsern Vater mit seinen Kindern, im Hintergrund die Bernhardiner, die immer zu Tornow gehörten. Dann könnt Ihr sehen, wie die ganze Belegschaft beritten gemacht wurde. Mein Vater hatte mit seinen jüngeren Arbeitern einen der ersten ländlichen Reitervereine gegründet. Sie bestanden später meist in den Bauerndörfern aus den Bauernsöhnen. Kutscher Walter in Tornow war Reitlehrer an der Kavallerieschule in Hannover gewesen und gab, wenn nicht ganz dringende Arbeit war, einmal in der Woche den jungen Leuten Reitunterricht. Da war nachmittags für Pferde und Reiter frei. Im Winter fand das in der Scheune statt, wo ein großer Teil mit Sand und Bande als Reithalle ausgebaut war. Es kam dort das Korn rein, was zuerst gedroschen wurde. Im Sommer wurden sonntags und an Pfingsten große Ausritte gemacht und wenn es durch die Dörfer ging, wurde gesungen. Manchmal gab es Aufregung, weil die Bernhardiner sich hintergeschlichen hatten und sich dann mit Dorfkötern bissen. Hans und ich waren übrigens immer „die Letzten“! Friedrich als Großer vorne. Es sind noch einige Bilder von der Tierschau in Prenzlau, wo dann die vielen Silbersachen gewonnen wurden. Es kommen noch einige Bilder von der Zucht von dem sehr populären Onkel Paul Keibel aus Klein Luckow. Die Stute Disa (Schimmel) ist auf einem Pferdebild, das in meinem Treppenhaus hängt. Nach dem Tod von Onkel Paul ging die Zucht ein. Er hatte die anerkannt allerbesten Pferde.“
Zum Jahrhundertfest im September 2008 hatte Marie Kube auch ihre Erinnerungen an das Leben und den Alltag auf dem Gut Tornow in ihrer Kindheit und Jugend festgehalten und diese nach den Ereignissen im Jahreslauf geordnet. Die Beschreibung dieses Gestüts im Nordosten der Mark Brandenburg auf halber Strecke zwischen Berlin und Stettin vermittelt uns heute eine Vorstellung vom Alltag der Menschen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Als authentisches Zeugnis einer Zeitgenossin wird der Text hier unverändert wiedergegeben:
„Das Leben in Tornow vor 90 Jahren bis zum Ende des Krieges, aufgezeichnet von Marie Kube, geb. Schultz-Tornow, im Sommer 2008”
Schmiede
Die Tornower Bevölkerung bestand aus ca. 22 Arbeiterfamilien, dazu gehörten der Schmiedemeister Kolberg (die kleine, alte Schmiede stand am Schäferpfuhl), ferner dem Stellmachermeister Köhn. Er hatte eine kleine Werkstatt auf dem Hof. Als in den 1920er Jahren dann die neue Schmiede gebaut war, hatten beide beste Arbeitsmöglichkeiten mit modernen Maschinen. Sie bauten Wagenräder für die Ackerwagen, es gab noch keine Gummiwagen, viele nützliche Geräte und Reparaturen für den Betrieb. Meister Kolberg beschlug die ca. 50 Arbeitspferde und pflegte die Hufe der Fohlen. Der Schäfermeister Frank hatte drei Schafherden und drei Hütehunde, die er selbst ausbildete und mit ihnen manchen Hütewettbewerb gewann.
Milchwirtschaft
Die Oberschweizer im Kuhstall wechselten öfter. Sie haben die 60 Kühe noch mit der Hand gemolken. Einem Schweizer wurde gekündigt, weil er in den Milcheimer spuckte. Er ging dann zu Bolle nach Berlin. Den Berlinern ist seine Spucke ganz gut bekommen. Die Milch wurde jeden Morgen in Kannen nach Prenzlau gefahren, jahrelang von Blumreich. Wenn er die Milch in der Molkerei abgeliefert hatte, gingen seine Pferde von allein zum „Grünen Baum“, einer Gastwirtschaft in Prenzlau. Dort stärkte er sich. Manchmal zu gründlich, aber die Pferde kannten ja den Weg. Als darin die Autos kamen, konnte er nicht einsehen, dass die Straße ihm nicht mehr allein gehörte und machte selten Platz. Als bei einer Fahrprüfung nach dem schwierigsten Verkehrshindernis zwischen Prenzlau und Pasewalk gefragt wurde, sagte ein Prüfling: „Der Tornower Milchwagen!“ Man meinte aber die S-Kurve bei Blindow. Als einzige tägliche Verbindung nach Prenzlau, musste Blumreich öfter Besorgungen (z.B. Ersatzteile für Maschinen) erledigen. Groß waren Enttäuschung und Ärger, wenn er manchmal sagte: „Hävk vargäten!“. Als er 65 Jahre wurde, forderte er weiter zu fahren und tat es auch. Er meinte, wenn er pensioniert wird, würde er sterben. Das wollte keiner!
Pferdezucht
Die Pferdezucht betreute Erich Haß. Es gab um die 16 Mutterstuten. Manch einer aus der Umgebung oder gar aus Prenzlau oder Pasewalk kam im Sommer sonntags vorbei, um die Stuten mit ihren Fohlen am Schenkenberger Weg zu beobachten. Die Fohlen besorgte Karl Seefeld. Er lebte für seine Fohlen. Für seine Lieblinge klaute er Eier aus dem Hühnerstall und gab sie ins Futter, damit sie schön blank wurden. Wenn die Fohlen in die Koppel rasten, schlug er vor Vergnügen selber hinter aus.
Erfolg der Pferdezucht war der Verkauf von Remonten für das Militär. Der Remontenmarkt war auf dem Hof Dazu kamen die Landstallmeister der Gestüte, Pferdezüchter und Offiziere nach Tornow. Die Fohlen, dreijährig wurden auf korrekte Gangart, gesundes Herz und Augen geprüft. War der Test bestanden, wurde eine Nummer mit Kreide auf den Rücken geschrieben, das hieß verkauft. Wenn sie dann vom Hof gingen, war es schmerzlich für die, die sie betreut hatten. Geeignete Hengste wurden an das Gestüt in Neustadt an der Dosse verkauft. So gingen jedes Jahr ca. zehn Fohlen vom Hof. Der Rest wurde für die Feldarbeit gebraucht. Manche wurden auch noch als Reit- oder Kutschpferd verkauft.
Die Pferdezucht hatte mit dem Kauf von Tornow im Jahre 1842 durch meinen Ur-Urgroßvater Friedrich Lindenberg begonnen. Er nahm seine einzige Enkelin Ottilie Lindenberg, deren Mutter bei ihrer Geburt gestorben war, zu sich. Sie erbte Tornow und bewirtschaftete es mit ihrem Mann, Emil Schultz. Dann folgte mein Vater Fritz Schultz und zuletzt wirtschaftete mein Bruder Friedrich, der 1942 gefallen ist (Gedenkstein im Tanger). Bis zum Ende hat mein Vater mit 77 Jahren den Betrieb leiten müssen.
Schule
Zu den Tornower Bürgern gehörte der Lehrer Penn. Die neu gebaute Schule hatte einen großen Klassenraum. Hinten saßen die Großen und machten schriftliche Arbeiten, während wir Kleinen vorne unterrichtet wurden. Wenn die Großen Lesen übten, lasen sie uns vor. Gesungen wurde gemeinsam. Das klappte alles.
Gastwirtschaft
Es gab dann den Gastwirt Herrn Pagels, den Großvater von Martin Herholz. Er hatte alles, vom Hering bis zur Schuhcreme und Abwischlappen. Nur eines hatte er nicht: Ich war noch klein, als mein Bruder mir fünf Pfennig gab und sagte: Hol mal von Pagels für einen Sechser Haumichblau. Als ich arglos Herrn Pagels meinen Wunsch sagte, streichelte er mir über den Kopf und sagte: Das kriegst Du bei mir nicht! Die Heringstonne und alles, was kühl stehen musste, war im Keller. Wenn er von da was holte, wurde im Fußboden eine Klappe hochgehoben und er stieg auf eine Leiter in den Keller. Neben der Gaststube war ein Saal, wo Hochzeiten und andere Feste gefeiert wurden. Gern gingen die Männer in der Mittagspause oder zu Feierabend kurz zu ihm und tranken einen „Grünen“ (einen preisgünstigen Pfefferminzschnaps). Herr Pagels hatte eine Anlage, mit der er Selterwasser herstellte, indem er Kohlensäure in Leitungswasser mischte.
Arbeit und Leben auf dem Gut
Zu jeder Arbeiterwohnung gehörte ein Garten und ein Stall. Darin wurden Hühner, Enten und Schweine gehalten. Meistens wurden zwei gemästet, eines zum Schlachten und eines zum Verkauf. Gänse konnten in Tornow nicht gehalten werden, wo Gänse laufen, da frisst kein Pferd. Der jetzige See unterhalb des Dorfes war eine große Koppel mit zwei Teichen. Erst als die Dränage nicht mehr gepflegt wurde, entstand der See. Ist auch schön, wo die Koppel nicht gebraucht wird. Jede Familie bekam morgens frische Milch, Menge nach Familienstand. Die Rentner bekamen auch alle Naturalien, auch die Witwen, sie behielten ihr Wohnrecht, mussten nur manchmal in eine kleinere Wohnung ziehen. Jeden Monat gab es Brotkorn und Futter für ihr Vieh. Im Frühjahr wurde ihnen Kartoffelland zugemessen und alle bekamen Brennholz zum Kochen und Heinzen. Das Holz wurde aus der Caselower Heide geholt. Da fuhren die Gespanne im Winter in aller Frühe los, ein weiter, oft mühsamer Weg wegen Schnee und Glatteis. Bei all diesen Naturalien war der Stundenlohn gegenüber den Stadtarbeitern natürlich gering. Den Lohn gab es wöchentlich. Die Meister bekamen Monatslohn. Der Schäfermeister erhielt Prämien für verkaufte Wolle, deren Preis von der Qualität abhing. Wenn Regen drohte, kamen die Schafe schnell in den Stall, weil die Wolle durch Nässe Schaden nahm. Haß und Seefeld waren am Verkauf von Pferden beteiligt, der Oberschweizer an der Güte und Menge der abgelieferten Milch. Es gab noch den Gärtner, der den großen Obst- und Gemüsegarten bearbeitete, der zur Beköstigung vieler Menschen diente. Am Weg nach Schönfeld war eine Sauerkirschenallee, die der Gärtner mit den Dorfjunges einmal durchpflückte für die Gutsküche, Danach wurden die Bäume an die Dorfbewohner zum Nachpflücken verlost.
Kirchliche Feste
Die Konfirmanden gingen zu Fuß nach Baumgarten zum Unterricht. Die Einsegnung war in der Tornower Kirche. Die Konfirmanden gingen dann nachmittags von Haus zu Haus und wurden beschenkt, manchmal leider auch mit Schnaps. Im Gutshaus gab es Kaffee und Kuchen. Die Jungen hatten ihren ersten dunklen Anzug an, an dem Tag wurde auch die erste Zigarre geraucht. Die Jungen wollten am liebsten gleich ein Gespann Pferde haben. Das bekamen sie später. Erst gab es leichte Arbeit.
Ostern und Pfingsten kamen die Kinder, es waren um die 35, zum Gutshof. Sie sangen ein Lied und sagten ein Gedicht auf, dann gab es ein Geldstück. Zu Weihnachten gab es außerdem eine große Tüte mit Äpfeln, Nüssen und Pfefferkuchen, ein Spielzeug und etwas zum Anziehen. Silvester kam der Pelzbock. Es wurde ein junger Mann ganz mit Stroh umwickelt, am besten Erbsenstroh, das mit einem hohen Büschel auf dem Kopf endete. Er wurde an der Kette geführt von einem Mann mit einer großen Peitsche mit der er gekonnt knallte, die weitere Begleitung hatte Steigbügel, mit denen sie klapperten, ein Ziehharmonikaspieler war dabei und hatte einen großen Korb, da kamen die „Pelze“ rein. So nannte man die Pfann- und Schürzkuchen, die einen Pelz aus Zucker hatten. Es sah auch grauslich aus, wenn das große Ungetüm dann tanzte und auch immer mal einen Zuschauer umarmte.
Schützenfest
Schützenfest war immer am ersten Pfingsttag. Der Pastor war damit erst nicht einverstanden. Da in Tornow stets an den zweiten Festtagen Gottesdienst war, meinte er, dann wollen die Leute ausschlafen und gehen nicht zur Kirche. Nachdem versprochen wurde, dass sie doch kommen würden, war die Festfolge genehmigt. Leider schliefen dann viele beim Gottesdienst ein, aber sie waren da!
Zum Schützenfest wurde mittags die Blaskapelle vom Bahnhof Dauer abgeholt. Nach einem Ständchen auf dem Hof bekamen sie Mittagessen. Danach wurde der vorjährige Schützenkönig abgeholt. Der Schützenzug marschierte mit Musik durchs Dorf zum Schützenplatz, eine Koppel unterhalb des Dorfes mit meistens blühenden Obstbäumen. Der Schießstand war aufgebaut und ein Tanzboden, geschmückt mit Birkengrün. Die Männer schossen um die Königswürde. Es gab keinen Vogel, sondern einfache Schießscheiben, da ging es um die meisten Ringe. Es gab auch keine Schützenuniform. Dunkle Anzüge und weiße Hemden waren die Festkleidung. Die Jacken hingen dann bald an den Bäumen. Die Mädchen, Frauen und Kinder tanzten derweil schon und allmählich gesellten sich die Männer dazu.
Das Erntefest
War die Ernte eingebracht, Ende August, dann wurde Erntefest gefeiert. Nach Ständchen und Mittagessen holte die Kapelle die Erntekrone ab. Wilhelm Behm war Vormäher. Auf einer langen Aufstakforke trug er die Erntekrone, neben ihm die Mädchen, die sie gebunden hatten, aus Kornhalmen mit bunten Schleifen. Dahinter kamen dann der lange Zug aller Arbeiter und zuletzt die Kinderschar. Die Mädchen trugen dann die Krone ins Haus und sagten ein passendes Gedicht auf. Unter der Krone hielten sie einen Teller, in den die Geldstücke gelegt wurden. Der Gutsherr dankte allen für ihre Arbeit und für eine gute Ernte. Dann ging er auf den Tanzboden, ein geschmückter großer Raum auf einem Kornboden, wo die fein geschrubbten Holzdielen mit Kerzenspänen bestreut waren, damit er schön glatt war. Die Kinder konnten darauf schlittern. Es gab erst mal Kaffee und Kuchen. Dann kamen die Ehrentänze und danach ging es richtig los. Es wurden auch Rheinländer und Kreuzpolka getanzt. Das hob die Stimmung. Die Kreuzpolka: Siehste woll, da kümmt er, lange Schritte nimmt er, siehste woll, da isser schon, der besoffene Schwiegersohn!!!!!!!!
Auch polnische Schnitter, die zum Rübenhacken und zur Ernte kamen, hatten ihre besonderen Tänze. Dann wurde das Bierfass angestochen. Gegen Abend gab es Unmengen belegter Brote und Brötchen. Im Dunkeln eine Polonaise über den ganzen Hof, mit Musik. So ging es bis in die Nacht. Das Vieh wurde vor dem Ausschlafen gefüttert.
Der Reiterverein
1923 gründete mein Vater mit den jungen Männern aus dem Dorf den Reiterverein Tornow. Durch die Anspannung mit Warmblütern waren genug geeignete Pferde vorhanden – auch ein guter Reitlehrer, der Kutscher Walter, er war Reitlehrer an der Kavallerieschule in Hannover gewesen. In einer Scheune war ein großes Fach als Reitbahn ausgebaut, mit Sandboden und Bande. Wenn nicht Erntezeit oder dringende Feldarbeit war, fand hier einmal in der Woche der Reitunterricht statt. Es waren um 16 junge Männer. Als es in Prenzlau in der kleinen Heide wieder Turniere gab, zeigten sie Abteilungsreiten und eine Quadrille. Das wurde mit Begeisterung belohnt. Es gab damals noch keine weiteren Reitervereine im Kreis.
Im Sommer wurden sonntags weite Ausritte gemacht. Pfingsten ging es in die Caselower Heide. Wurde durch einen Wald oder durch die Dörfer geritten, waren fröhliche Lieder zu hören. Die Dorfbewohner kamen vor die Tür und hatten Freude.
Neue Häuser, Maschinen und Fahrzeuge
Im Laufe der Jahre wurden drei neue Mehrfamilienhäuser, das Schulhaus, die Schmiede und Stellmacherei, die neue Scheune, der Tiefstall für das Jungvieh und der Speicher gebaut.
Der Tiefstall und die Scheune wurden später abgerissen und aus dem Material bauten sich einige Tornower Häuser. Eine vernünftige Verwertung. Sie wären sonst eingefallen. Es wurden zwei Trecker angeschafft, für die Emil Bauermeister zuständig war. Die Gummiwagen dazu waren eine große Erleichterung. Ein Motorwagen, der an die Starkstromleitung angeschlossen werden konnte, trieb den großen Dreschkasten an und löste die Dampfmaschine ab.
In der Schmiede war ein Kastenwagen gebaut, in den das Korn aus dem Dreschkasten lief, er wurde dann zum Speicher gefahren, eine Klappe aufgezogen und das Korn lief in den Keller. Dort konnte man ein Förderband zu einem bestimmten Boden einstellen, womit das Korn schnell rauf transportiert wurde. Solche Dinge knobelte immer mein Bruder aus. Das waren alles Erleichterungen für Menschen und Pferde. Es war dann auch ein Auto angeschafft, die Kutschpferde wurden damit abgelöst. Alfred Blum fuhr das Auto, arbeitete auch oft mit einem Trecker und war überall dabei, wo etwas zu reparieren war.
Zweiter Weltkrieg
1939 als der Krieg begann war es mit dem normalen Leben in Tornow vorbei. Sorge und Trauer zogen ein. Die Männer mussten zum Militär, viele von Ihnen kamen nicht zurück. Serbische, belgische und russische Kriegsgefangene halfen bei der Arbeit. Ochsen wurden als Zugkraft eingesetzt, Treibstoff gab es kaum und viele Pferde waren eingezogen. So kämpfte man sich durch bis zum Ende. Da kamen dann die Vierhöfer als Flüchtlinge aus Pommern. Sie wurden von den Tornowern gut aufgenommen und ihre Nachkommen· sind richtige Tornower geworden. In einem langen Treck ging dann die Flucht (32 Gummiwagen) nur noch bis Mecklenburg, da waren die Russen schon über uns.
Es wurden die Wagen geplündert und Pferde ausgespannt. Mühsam ging es zurück. In Tornow herrschten Polen und Russen. Das Vieh, Kühe, Schafe, Pferde, Fohlen alles wurde abgetrieben. Tornow war leer. So allmählich haben die Tornower vieles aufgebaut. Wenn man ins Dorf kommt, sieht es gepflegt und wohnlich aus. Laternen und der gute Straßenbelag tragen zu dem guten Bild bei. Die Kirche ist restauriert, die Orgel ist neu und der Friedhof gepflegt und würdig. Nur auf den Gutshof darf man nicht sehen. So will man wünschen, dass die Tornower auch weiterhin gute und schlechte Zeiten überstehen und in 100 Jahren wieder gefeiert werden kann.“