Entstehung und Wandel des sozialistischen Musterdorfs Dedelow

Von Sebastian Kinder – 10/2025

Dedelow steht exemplarisch für die tiefgreifenden Umbrüche ländlicher Räume im Osten Deutschlands im 20. Jahrhundert. Vom Gutsdorf der Familie von Arnim über die sozialistische Muster-LPG der DDR bis hin zur agrarisch geprägten Nachwendegesellschaft spiegelt der Ort politische und wirtschaftliche Systemwechsel wider. Die Transformationen brachten Modernisierung und Strukturverlust zugleich – und zeigen, wie eng Landschaft, Gesellschaft und Ideologie in der Geschichte des Dorfes miteinander verflochten sind.

Bis zum Zweiten Weltkrieg war Dedelow ein klassisches Gutsdorf, das wirtschaftlich und sozial vollständig auf das Rittergut der Familie von Arnim ausgerichtet war. Diese herrschaftliche Struktur bestimmte das Dorfleben: Wohnverhältnisse, Arbeitsbeziehungen und die Gestaltung der Agrarlandschaft waren vom Gutsbetrieb geprägt.

Mit der sowjetischen Besatzung nach 1945 erfolgte die sogenannte demokratische Bodenreform, bei der der Großgrundbesitz enteignet wurde. Das Land wurde an landlose Bauern und Umsiedler verteilt. Im Fall Dedelows übernahmen 87 Neubauern die Landwirtschaft, von denen 22 auf dem Vorwerk Steinfurth angesiedelt wurden. Bereits 1948 begannen Bauprogramme für neue Wohnhäuser (RÖVER 2004).

In den 1950er und 1960er Jahren erlebte Dedelow eine zweite, tiefgreifende Transformation – dieses Mal im Zuge der sozialistischen Kollektivierung. 1952 wurde die LPG „Paul Scholz“ gegründet, gefolgt von weiteren Zusammenschlüssen. Diese Entwicklung war Teil einer staatlich orchestrierten Umgestaltung des gesamten ländlichen Raums in der DDR. Dedelow wurde dabei zu einem Musterfall der sozialistischen Landwirtschaft erklärt, an dem sich andere Gemeinden orientieren sollten (WOLFF, 2010). Ziel war es, nicht nur die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, sondern auch das gesellschaftliche Leben umzugestalten. „Die Umgestaltung war nicht nur wirtschaftlich gemeint, sondern zielte auf die Erzeugung eines neuen Dorflebens“ (WOLFF 2010, S. 31).

Abb. 1: Schrägluftaufnahme der Ortsmitte von Dedelow. Blickrichtung NO. Links die ehemalige Schule, davor die Brachflächen nach Abriss von Funktionsgebäuden, das leer stehende ehemalige Kaufhaus und rechts die typischen Geschosswohnungsbauten an der Woldegker Straße.
Abb. 1: Schrägluftaufnahme der Ortsmitte von Dedelow. Blickrichtung NO. Links die ehemalige Schule, davor die Brachflächen nach Abriss von Funktionsgebäuden, das leer stehende ehemalige Kaufhaus und rechts die typischen Geschosswohnungsbauten an der Woldegker Straße. (Foto: Sebastian Kinder)
Abb. 2: Geschosswohnungsbauten in der Woldegker Straße in Dedelow. Blickrichtung O.
Abb. 2: Geschosswohnungsbauten in der Woldegker Straße in Dedelow. Blickrichtung O. (Foto: Sebastian Kinder)
Abb. 3: Das ehemalige Schulgebäude in der Ortsmitte von Dedelow wird heute als Kita und Hort genutzt und bietet Räume für die Gemeindebibliothek und Vereine. Sie ist das letzte genutzte Gebäude der ehemaligen Ortsmitte des sozialistischen Musterdorfs.
Abb. 3: Das ehemalige Schulgebäude in der Ortsmitte von Dedelow wird heute als Kita und Hort genutzt und bietet Räume für die Gemeindebibliothek und Vereine. Sie ist das letzte genutzte Gebäude der ehemaligen Ortsmitte des sozialistischen Musterdorfs. (Foto: Sebastian Kinder)

Besonderes Gewicht erhielt Dedelow ab Mitte der 1960er Jahre, als der LPG-Vorsitzende und Volkskammer-Abgeordnete Friedrich Clermont umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen durchsetzte. In Dedelow entstanden ab 1964 mehrgeschossige Wohnblocks, um die Wohnverhältnisse zu modernisieren und dem wachsenden Bedarf an Wohnraum in dem stark wachsenden Ort gerecht zu werden. Die Eröffnung einer Polytechnischen Oberschule, einer Kaufhalle und eines Horts im Jahr 1971 markierte den Höhepunkt der infrastrukturellen Umgestaltung. Die Bevölkerung stieg rasant: von 236 Personen (1933) auf über 1 200 im Jahr 1989. Die hohen Investitionen in Wohnen und soziale Infrastruktur waren Ausdruck des staatlichen Willens zur Angleichung von Stadt- und Landlebensverhältnissen.

Die industrielle Landwirtschaft in Dedelow führte zu massiven landschaftlichen Eingriffen. RÖVER (2004) bezeichnet Dedelow als ein „Kernbeispiel für die flächenhafte Homogenisierung der Agrarlandschaft“. Besonders auffällig war die systematische Melioration der Quillowniederung, verbunden mit der großflächigen Entwässerung der Böden. Der Bau einer Milchviehanlage mit einer Kapazität von über 3.600 Rindern – vergleichbar mit den Spitzenbetrieben der DDR – verdeutlicht den agrarischen Gigantismus dieser Zeit. Der Bedarf an wissenschaftlicher Begleitung der Prozesse mündete 1972 in die Einrichtung einer Versuchsstation des Forschungszentrums für Bodenfruchtbarkeit der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR in Dedelow. Es entstand ein Standort angewandter Forschung und Beratung, der zu einem Kristallisationspunkt für agrartechnische Innovationen im ländlichen Raum der DDR wurde (ZALF 2020). Feldbauliche Versuche standen im Mittelpunkt, u.a. zur Intensivierung der Tierhaltung. Bodenforschung wurden in Dedelow durchgeführt (RÖVER 2004). Seit den 1980er Jahren wurden die Wirkungen der intensiven Landschaftseingriffe durch Kartierung und Messungen an Lysimeteranlagen analysiert. Die Station bleibt bis heute ein regionaler Hotspot des Wissenstransfers.

Abb. 4: Erich Honecker besuchte am 1. Juli 1972 die neu errichtete Milchviehanlage in Dedelow.
Abb. 4: Erich Honecker besuchte am 1. Juli 1972 die neu errichtete Milchviehanlage in Dedelow. (Bildarchiv des Uckermärkischen Geschichtsvereins)
Abb. 5: Das Leben in den Dörfern der sozialistischen Planwirtschaft sollte schrittweise an das Leben in den Städten angeglichen werden. Deshalb entstanden auch auf dem Land Plattenbauten und moderne Schulen.
Abb. 5: Das Leben in den Dörfern der sozialistischen Planwirtschaft sollte schrittweise an das Leben in den Städten angeglichen werden. Deshalb entstanden auch auf dem Land Plattenbauten und moderne Schulen. (Bildarchiv des Uckermärkischen Geschichtsvereins)

Nach dem Beitritt der Länder der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 kam es zu einem drastischen Systembruch. Die LPG wurde aufgelöst, die zentralen Einrichtungen der DDR-Wirtschaft auf marktwirtschaftliche Strukturen umgestellt. 1991 wurde die LPG Pflanzenproduktion Dedelow in die Agrargesellschaft Uckermark AG überführt, von der sich zwei Drittel der 1.025 Anspruchsberechtigten auszahlen ließen, während der Rest zu Miteigentümern wurde.

Die AG übernahm die wirtschaftliche Führung in der Region und gründete vier spezialisierte Tochterunternehmen, darunter die Agrarprodukte Dedelow GmbH, die etwa 4 000 ha Fläche bewirtschaftet, sowie die Öko-Land GmbH, die für Gewässerunterhaltung zuständig ist. Die wirtschaftliche Konsolidierung der Agrarbetriebe konnte den sozialen Niedergang aber nicht aufhalten, und für viele ländliche Bewohner bedeutete die Transformation nicht Fortschritt, sondern Verlust von Arbeit, Struktur und Sinn (Gerlach 1997). Zwischen 1999 und 2012 sank die Einwohnerzahl Dedelows von 1 193 auf 822 – trotz der Nähe zur Kreisstadt Prenzlau. Plattenbauten wurden abgerissen, wie der „Lehrerblock“ an der Woldegker Straße im Jahr 2012. Die Schule wurde bereits 2007 geschlossen. Der Einzelhandel verschwand fast vollständig. 2012 wurden das Gemeindezentrum und die Turnhalle abgerissen, bereits 2008 erfolgte der Rückbau des Ledigenwohnheims. Schon 1995 wurden die Kinderkrippe und der Kindergarten zusammengelegt. Im Jahr 2000 zog die Kita in die Grundschule ein und übernahm dort auch den Schulhort. 2007 wurde allerdings auch die Grundschule wegen mangelnder Schülerzahlen geschlossen. 2004 schloss die örtliche Arztpraxis, und 2012 stellte schließlich auch das ehemalige Landhotel der LPG seinen Betrieb ein. Die agrarisch begründete wirtschaftliche Stabilität reicht nicht aus, um den Funktionsverlust der dörflichen Infrastruktur zu kompensieren (RÖVER 2004). Die Jugend ist fast vollständig abgewandert. Die heute noch sichtbaren Milchviehanlagen, Siloanlagen und Maschinenhallen prägen das Ortsbild – doch das „sozialistische Dorf“ ist stark geschrumpft.

Abb. 6: Bauliche Entwicklung des Dorfes Dedelow 1953, 1989, 2025 (zur Ansicht der Einzelbilder bitte anklicken)
Abb. 6: Bauliche Entwicklung des Dorfes Dedelow 1953, 1989, 2025 (zur Ansicht der Einzelbilder bitte anklicken) (Quelle: LANDESVERMESSUNG UND GEOBASISINFORMATION BRANDENBURG)
Abb. 7: Legende zur animierten Karte
Abb. 7: Legende zur animierten Karte

Dedelow ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie politische Systeme in Landschaft, Gesellschaft und Wirtschaft eingreifen – und wie schwer es ist, solche tiefgreifenden Transformationen nachträglich zu korrigieren. Die DDR formte Dedelow zu einem Vorzeigedorf – kollektiv organisiert, technisch durchrationalisiert und sozial geplant. Der Mauerfall und die danach einsetzenden politischen Veränderungen brachten ökonomische Flexibilität, aber sozialen Rückzug. Heute lebt Dedelow zwischen agrarisch effizienten Strukturen und infrastrukturellem Rückbau als Ortsteil der Kreisstadt Prenzlau.


Empfohlene Zitierweise

Sebastian Kinder: “Entstehung und Wandel des sozialistischen Musterdorfs Dedelow” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/82_b_115-entstehung-wandel-sozialistisches-musterdorf-dedelow/, Stand 09.10.2025

Quellen und weiterführende Literatur

  • RÖVER, S. (2004): Historischer Landschaftswandel der Uckermark am Beispiel der Gemarkung Dedelow. Diplomarbeit Fachhochschule Eberswalde. – Eberswalde.
  • WOLFF, Maren (2010) Die Entwicklung der Landwirtschaft in Dedelow nach 1945. – Dedelow.
  • ZALF (LEIBNIZ-ZENTRUM FÜR AGRARLANDSCHAFTSFORSCHUNG e. V.) (2020): Geschichte des Standortes Dedelow. Online: https://www.zalf.de, letzter Zugriff: 31. Juli 2025.

Bildnachweise

  • Titelbild und Vorschaubild: Sozialistisches Wandbild an der Pension Am Tanger in Dedelow (Foto: Haik Thomas Porada)