Raumpioniere in der Uckermark

Von Sebastian Kinder – 10/2025

Die Uckermark hat seit den 2010er Jahren als Ziel für Zugezogene zunehmend an Attraktivität gewonnen. Besonders sogenannte Raumpioniere entdecken die Region als Ort für neue Lebens- und Arbeitsformen. Sie sanieren alte Gehöfte, gründen kleine Betriebe und bringen kulturelle Impulse in zuvor stagnierende Dörfer. Neben diesen kreativen Zuzüglern zieht die Uckermark auch digitale Berufstätige und polnische Migranten an, die die Ruhe, Natur und Nähe zu Berlin schätzen und zur Wiederbelebung des ländlichen Raums beitragen.

Spätestens seit den 2010er Jahren wurde die Uckermark zunehmend bekannter und attraktiver für bestimmte Bevölkerungsgruppen, die bewusst in diese Region zuzogen. Neben dem Oderbruch und dem Havelland ist die Uckermark die wichtigste Zielregion sog. Raumpioniere im Land Brandenburg geworden. Unter dem Begriff Raumpionier werden Akteure zusammengefasst, die als Zugezogene versuchen, aus der Nutzung gefallene, ländliche Räume ökonomisch und kulturell neu in Wert zu setzen und die damit als Wegbereiter einen Impuls für die Aktivierung und Entwicklung endogener Potenziale des betreffenden Raumes geben. Dabei handelt es sich zumeist um Personen, die einen neuen Weg zur Verwirklichung ihrer persönlichen Lebenswünsche beschreiten wollen und sich davon ein besseres und erfüllteres Leben erhoffen. Oft sind damit eine berufliche Neuorientierung und die Suche nach Gemeinschaft verbunden. In vielen Fällen werden diese Entscheidungen von Umbruchphasen im Leben begünstigt. Die meisten Raumpioniere der Uckermark kommen aus Berlin oder anderen Metropolen und sehen ihren Umzug in die Uckermark als den Beginn einer neuen Lebensphase an, in der sie deutlich mehr Gestaltungsspielräume realisieren können und gesünder und besser als in der Großstadt leben können (RÖSSEL 2014, S. 215).

Abb. 1: Kategorien des „guten Lebens“ auf dem Land
Abb. 1: Kategorien des „guten Lebens“ auf dem Land (RÖSSEL, J. (2014), S. 222)

Begriffe wie Freiheit, Naturnähe, Zeit und Ruhe, Einfachheit und Gemeinschaft kennzeichnen die Ziele, die Raumpioniere mit einem Leben auf dem Land in der Uckermark verknüpfen und über die sie sich von ihrem bisherigen Leben in der Großstadt abgrenzen (RÖSSEL 2014, S. 222, vgl. Abb. 1).

Während Raumpioniere ein überdurchschnittliches Bildungsniveau aufweisen, stellen sie hinsichtlich ihrer beruflichen und sozialen Stellung keine homogene Gruppe dar. So zählen zu ihnen sowohl Personen mit unterschiedlichsten Berufen vom Angestellten bis zum Selbstständigen wie auch Personen mit geringen wie hohen Einkommen. Selbst zurückgekehrte Adelsfamilien können dieser Gruppe zugerechnet werden.

Abb. 2: Seehausen, naturnahes ländliches Wohnen mit Bahnanschluss an die Großstadt
Abb. 2: Seehausen, naturnahes ländliches Wohnen mit Bahnanschluss an die Großstadt (Foto: Norbert Schlaak)

Mit dem Umzug verbunden ist in der Regel der Erwerb einer Immobilie, wobei die Sanierung historischer Gehöfte, die teilweise schon aufgelassen oder verfallen waren, eine bedeutende identitätsstiftende Wirkung für die Zugezogenen besitzt. Zu den typischen Tätigkeitsfeldern der Zugezogenen zählen der Aufbau ökologisch wirtschaftender Landwirtschaftsbetriebe, der gastronomische Bereich, der Handel mit natürlichen und ökologischen Baustoffen sowie der gesamte Kunstsektor und das Kunsthandwerk (RÖSSEL 2014, S. 219). Mit diesen Tätigkeiten haben die Zugezogenen oftmals neue wirtschaftliche Tätigkeitsfelder erschlossen, die es in vielen der betreffenden Orte vorher nicht gab. Zwar sind die regionalökonomischen Effekte aufgrund der geringen Betriebsgrößen und eher moderaten Umsätze recht gering. Weitaus wichtiger sind allerdings soziale, psychologische und symbolische Effekte, die durch die Zugezogenen bewirkt werden können. So bilden sich oftmals Netzwerke unter den Zugezogenen, die sich entlang ihrer beruflichen Ausrichtung oder auch lokaler Interessen orientieren. Hierzu zählen Netzwerke von Biobauern und Händlern ökologischer Baustoffe ebenso wie Netzwerke zum Erhalt des Landschaftsbilds. Abb. 2

Abb. 3: Café Dornröschen des Rosenhof Flemming in Karlstein
Abb. 3: Café Dornröschen des Rosenhof Flemming in Karlstein (Foto: Haik Thomas Porada)

Darüber hinaus fungieren Raumpioniere in ihrem neuen Wohnort auch oftmals als Impulsgeber für die Wiederbelebung alter Dorftraditionen, die Sanierung der Dorfkirche oder auch die Gründung von lokalen Vereinen bzw. die Organisation von Konzerten und anderen kulturellen Veranstaltungen. Durch ihr aktives Engagement für den Ort und die Region entwickeln die Raumpioniere als „Regionale Enthusiasten“ (KINDER 2013, S. 5) eine Vorbildwirkung, die bei Einheimischen Nachahmungseffekte und insgesamt eine Aktivierung der Bürgergesellschaft bewirken kann. Insofern können Raumpioniere in einer Region, deren Bevölkerung von Rückgang, vermeintlich geringen Entwicklungsperspektiven und einem geringen Selbstwertgefühl geprägt ist, viel zur Durchbrechung negativer Entwicklungsprozesse beitragen. Abb. 3

Dabei bleiben die Effekte aber meist lokal auf den einzelnen Ort begrenzt. Auffällig ist, dass sich die Zugezogenen nicht flächenhaft, sondern räumlich stark konzentriert niedergelassen haben. So können in einzelnen Orten Zugezogene sogar die Mehrheit der Dorfbevölkerung stellen (RÖSSEL 2014, S. 113), während im Nachbarort kein einziger anzutreffen ist. Entsprechend kann sich das Ortsbild benachbarter Dörfer erheblich voneinander unterscheiden. Maßgeblich für die räumliche Konzentration von Raumpionieren in bestimmten Orten sind wiederum ihre Netzwerke, die in vielen Fällen zu kettenartigen Zuzügen geführt haben: dort, wo Raumpioniere sich bereits erfolgreich etablieren konnten, spricht sich dies in ihren Netzwerken herum, was wiederum zu weiterem Zuzug entsprechender Personengruppen in diesem Ort führt.

Abb. 4: A 20 Rastplatz Klockow, Blick von Nordost
Abb. 4: A 20 Rastplatz Klockow, Blick von Nordost (Foto: Norbert Schlaak)

Neben den sog. Raumpionieren, deren Anteil an den Zugezogenen für die Uckermark nur schwer zu quantifizieren ist, sind in den letzten Jahren – vor allem während und nach der COVID-Pandemie – verstärkt auch andere Personengruppen in die Uckermark gezogen. Hierzu zählen insbesondere Beschäftigte und Freiberufler in wissensintensiven Branchen, die den überwiegenden Teil ihrer Arbeiten zu Hause und über das Internet erledigen können. Es handelt sich dabei um Menschen, die in hohem Maße mobil sind und oftmals mindestens einmal pro Woche nach Berlin bzw. zu Kundenterminen in andere Teilen Deutschlands pendeln. Abb. 4 Sie haben sich bewusst für einen eher ländlichen Wohnstandort in der Uckermark entschieden, weil sie für ihre Arbeit die Ruhe und Naturnähe besonders schätzen, andererseits aber auch Berlin als nächstgelegene Metropole in zumutbarer Zeit noch erreichen können. Bevorzugte Wohnstandorte befinden sich für diese Personengruppe deshalb im Einzugsbereich der Bundesautobahn A 11 sowie in Orten mit einer schnellen Internetverbindung. Auch aus dem Ausland hat in den letzten Jahren der Zuzug von Bevölkerung zugenommen. Hierbei handelt es sich einerseits um Polen aus dem Großraum Stettin, andererseits um Migranten, die ab 2015 nach Deutschland zugewandert sind.


Empfohlene Zitierweise

Sebastian Kinder: “Raumpioniere in der Uckermark” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/themen/82_b_110-raumpioniere-uckermark/, Stand 09.10.2025

Quellen und weiterführende Literatur

  • KINDER, Sebastian (2013): „Szczettinstan“ und „Nowa Amerika“. Regionsbildung von unten im deutsch-polnischen Grenzraum, in: Osteuropa 63, H.8, S.3–18.
  • RÖSSEL, Julia (2014): Unterwegs zum guten Leben? Raumproduktion durch Zugezogene in der Uckermark (= Sozial- und Kulturgeographie 3). – Bielefeld.

Bildnachweise

  • Titelbild und Vorschaubild: Der Hof Quillo ist ein Beispiel für neue kulturelle Akzente, die durch sogenannte Raumpioniere im ländlichen Raum der Uckermark gesetzt werden können. Auf einem ehemaligen Vierseithof entstanden in Falkenhagen ein Konzert- und Theaterraum, ein Kino und Räume für kulturelle Bildung. Träger ist das Solistenensemble Quillo, das den Hof zu einem kulturellen Ankerpunkt in der Region gemacht hat (Foto: Sebastian Kinder)