Die Umgestaltung der Rieselfeldlandschaft - Ein Erholungswald für Berlin
Von Romeo Kappel – 12/2020
Das Ende der Abwasserverrieselung 1985 erzeugte in der Landschaft um Hobrechtsfelde nach rund einhundertjährigem künstlichen Wasserüberfluss plötzlich einen Wassermangel. Der hastig begonnene Umbau der Landschaft zu einem Erholungswald litt massiv unter der Schadstoffbelastung und der künstlichen Entwässerung der Flächen durch Gräben und Drainagen, die vielfach bis heute im Boden verblieben sind. Dennoch gelang es den zuständigen Forstwirtschaftsbetrieben nach und nach, die ehemaligen Rieselfelder in eine trockene, halboffene Waldlandschaft umzugestalten. Die entstandenen Strukturen werden im Landschaftsprogramm von Berlin als belebende Elemente innerhalb großer geschlossener Waldflächen hervorgehoben. Sie werden von Waldbesuchern positiv wahrgenommen und sind ein außergewöhnlich strukturreicher und vielfältiger Lebensraum.
Rieselfelderaufforstung 1985–1987 durch den Forstwirtschaftsbetrieb Berlin
Arbeitsgrundlage für die Aufforstung der Rieselfelder nördlich von Berlin war der Magistratsbeschluss Nr. 519 / 84 „Konzeption zur weiteren Entwicklung der Berliner Landwirtschaft bis 1990“. Die Ablösung der letzten großen Rieselfeldnutzung durch das Klärwerk Schönerlinde schuf Freiraum für eine Neugestaltung der Landschaft. Rund 1.400 Hektar im Norden Berlins sollten in einen Erholungswald umgewandelt werden.
Der Forstwirtschaftsbetrieb Berlin gründete dazu einen eigenen Aufbaustab, bestehend aus Förstern, Gartenbauern, einem Wasserbauingenieur und einer Geologin. Diese Fachleute versuchten, eine angemessene Planung für einen Erholungswald auf den ehemaligen Rieselfeldern aufzustellen. Gleichzeitig wurde der volkseigene Betrieb „VEB Forstprojektierung Potsdam“ mit der „Bepflanzungskonzeption Grüngürtel im Nordosten der Hauptstadt der DDR – Mai 1985“ beauftragt. Dazu fertigten das Institut für Forstwissenschaften Eberswalde und mehrere Diplomanden diverse Gutachten an.
Ein Vorhaben solcher Größenordnung hatte es bis dato in Deutschland noch nicht gegeben. Die Forstprojektierung Potsdam stellte dazu in ihrem Gutachten fest: „… die Einrichtung des künftigen Erholungswaldes ist nur etappenweise zu erreichen“.
Die rasante Neubautätigkeit in Ost-Berlin vor Augen ignorierte die damalige politische Führung die Langfristigkeit der Naturprozesse. Der Zeitraum zur Fertigstellung wurde gegen den Rat der Fachleute durch politische Vorgaben drastisch verkürzt. Zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 sollte die Rieselfeldaufforstung abgeschlossen sein.
Mit diesem Politbürobeschluss wurden die Weichen für eine übereilte und teilweise nur operativ geplante Aufforstung gestellt. Die Umgestaltung der Rieselfelder um Hobrechtsfelde nach der Einstellung der Berliner Abwasserverrieselung führte 1985 zu einer fast vollständigen Beseitigung der Beckengalerien und Dämme durch Planierraupen. Es verblieben charakteristische rechtwinklige Wege und Gräben mit vereinzelten Gehölzgruppen.
Die umfangreichen Aufforstungen wurden 1986 mit massiven Ergänzungen im Frühjahr 1987 geleistet. Die ursprünglich geplanten Pflanzenlisten konnten in den angeforderten großen Mengen von den Baumschulen der DDR nicht sach- und fristgerecht geliefert werden, da dieser Bedarf nicht vorrätig war. Aus diesem Grund wurden auch nicht standortgerechte Ersatzsortimente beschafft und gepflanzt. Untersuchungen über die geeignetsten Baumarten für diese problematischen Böden gab es nicht und konnten in der Kürze der Zeit auch nicht vorgenommen werden. Besonders anwuchsfreudig zeigte sich der aus dem östlichen Nordamerika stammende Eschenahorn (Acer negundo) sowie verschiedene Pappeln.
Der geforderte unrealistische Arbeitsfortschritt hatte zur Folge, dass die Gelände- und Planierarbeiten größtenteils nicht ordentlich durchgeführt werden konnten. Ebenso wurde Klärschlamm nicht überall abgefahren, sondern auch unplanmäßig auf größeren Flächen verteilt. Bodenfrost und Trockenheit erschwerten die Pflanzarbeiten. Neben eigenen Forstwirten und Fachfirmen wurden auch Hilfskräfte, Studenten und Lehrlinge eingesetzt. Diese pflanzten teilweise unmittelbar hinter den Planierraupen per Hand oder maschinell.
Die geplante neue Bewässerung konnte nicht mit der Geschwindigkeit der Bepflanzung Schritt halten. Tief liegende Drainagen und Entwässerungsgräben aus der Rieselfeldzeit verblieben im Boden und entwässern Teile des Gebietes bis heute. In der Folge vertrocknete ein Großteil der Anpflanzungen auf den armen Sandstandorten um Hobrechtsfelde.
Untersuchungen über Schwermetalle oder andere Belastungen waren sehr unzureichend. Die Boden- oder Wasserhaushaltsveränderungen durch die Rieselfeldnutzung waren bis dahin kaum untersucht. Zusätzliche staatliche Planauflagen, wie 1⁄3 Nadelholzanpflanzungen auf der gesamten Fläche und Anlage eines Weidenhegers, erschwerten die Arbeit.
Trotz aller Misslichkeiten wurde durch die sehr engagierte Arbeit der Forstleute in einem riesigen Kraftakt die Aufforstung bis zum Frühjahr 1987 gestemmt. Damit wurde der Grundstein und eine Struktur für den heutigen attraktiven Erholungswald gelegt.
Planungsziel Hobrechtswald – Berliner Forsten
Durch die Bildung der Bundesländer Berlin und Brandenburg nach der politischen Wende 1990 wurde eine erschwerende Zuständigkeitsgrenze quer durch die aufgeforsteten Rieselfelder gezogen. Nach der Rückübertragung der ehemaligen Rieselfelder ist Berlin Flächeneigentümer auch auf Brandenburger Hoheitsgebiet. Mit Berlin wurden auch die Waldflächen unter der Obhut der Berliner Forsten wiedervereinigt. Während auf Flächen in Brandenburg in der Folge eher extensiv gearbeitet wurde, konnten innerhalb der Berliner Stadtgrenze mehrere geförderte Vorhaben realisiert werden.
Seit 1991 sind die Berliner Forsten Rechtsnachfolger des Forstwirtschaftsbetriebes Berlin. Ihnen obliegt – sozusagen als den „Erben von James Hobrecht“ – die Aufgabe, die ehemaligen Rieselfelder zu einer vielgestaltigen, waldgeprägten Erholungslandschaft zu entwickeln. Dieses Naherholungsgebiet wird von der Bevölkerung im sonst waldarmen Norden und Osten der Metropole sehr gerne für alle Arten von Aktivitäten im Grünen angenommen. Außerdem hat es wichtige Schutzfunktionen für die Sicherung der Lebensqualität, etwa als großräumiges Kaltluftentstehungsgebiet mit Austauschfunktion für das Klima und als Grundwasserspeicher für den Wasserhaushalt.
Die Gebietsentwicklung vollzieht sich parallel zur Entstehung von Gewerbegebieten und zur Nachverdichtung von Siedlungsräumen und ist in der im Folgenden beschriebenen Form ein bislang einzigartiges Beispiel großflächiger urbaner Landschaftsgestaltung durch eine Forstverwaltung in der Bundesrepublik.
Schon in den ersten Folgejahren der Aufforstungsperiode zeigte sich allerdings die ganze Bandbreite der Probleme für die Waldentwicklung auf den großen Freiflächen der ehemaligen Rieselfelder:
- Wassermangel und Spätfrostgefährdung
- gravierende Störungen des Bodengefüges durch einhundertjährige Abwasseraufleitung und Einebnung der Tafelsysteme nach Einstellung des Rieselbetriebes
- auf ganzer Fläche diffus verteilte Schwermetall- und andere Belastungen unterschiedlicher Intensität
- die einsetzende Vergrasung durch Quecke und Landreitgras
- extreme Austrocknung des Oberbodens durch Windeinwirkung
- zu hoher Rehwildbesatz
All dies machte den jungen Bäumen vor allem im Gebiet um Hobrechtsfelde sehr zu schaffen. Im Ergebnis konnten 1991 auf den Freiflächen nur etwa 40 % der angewachsenen Bepflanzung als gesicherte Bestockung eingestuft werden – weite Teile davon waren nur mit geschultem Auge als Wald erkennbar.
Die Berliner Forsten beauftragten daher im Rahmen des ökologischen Sofortprogramms (ÖSP) von 1991 bis 1993 die Erarbeitung einer „Sanierungs- und Gestaltungskonzeption für die ehemaligen Rieselfelder im Bereich des Forstamtes Buch“, um der problematischen Gebietsentwicklung planvoll zu begegnen. Für das ÖSP wurden mehrere Millionen DM an Fördermitteln vom Bundesministerium für Reaktorsicherheit und Umweltschutz bereitgestellt, um im Rahmen des Programms „Aufschwung Ost“ in der Trägerschaft der Berliner Forsten eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen durchzuführen und entsprechende Gutachten erstellen zu lassen. Die Überführung des an manchen stellen savannenartigen, an anderen mondartig anmutenden Landschaftsraumes hin zur einer waldgeprägten, strukturierten Erholungslandschaft konnte ab 1993 auf der Basis der nunmehr vorliegenden Gestaltungskonzeption gezielt fortgeführt werden.
Die Entwicklung vom „Rieselfeld zum Hobrechtswald” bezieht konzeptionell benachbarte Landschaftsräume ein. Das betroffene Gebiet ist, zusätzlich zum Schutz durch das Berliner Landeswald-Gesetz, als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen und zudem seit 1998 Teil des länderübergreifenden Naturparks Barnim. Verantwortlich für die Bewirtschaftung des Erholungswaldes sind nach wie vor die Berliner Forsten. Heute ist örtlich das Forstamt Pankow dafür zuständig, welches 2004 aus der Zusammenlegung der Forstämter Buch und Lanke entstanden ist.
Der „Bucher Forst” als Waldgebiet im innerstädtischen Bereich sowie der “Goriner Forst” jenseits der Landesgrenze werden ebenso wie die rund 1.400 Hektar ehemaliger Rieselfeldflächen im Forstamtsbereich Pankow im Sinne der Waldbaurichtlinie der Berliner Forsten zu struktur- und artenreichen Waldbeständen entwickelt.
Insbesondere für die Flächen um Blankenfelde, Schönerlinde und Hobrechtsfelde, den sogenannten „Hobrechtswald”, gilt es zeitgleich mit der Waldentwicklung die schwermetallbelasteten Standorte ökologisch zu stabilisieren. Rund 200 Hektar der Böden um Hobrechtsfelde wurden seit der Pilotphase 1996 mit Lehm nach dem Bucher Verfahren nährstoffmäßig verbessert und schadstoffmäßig stabilisiert. Die vorhandenen plantagenartigen Bestände aus überwiegend Pappeln, Eschenahorn und Kiefern sollen, wo standörtlich möglich, in naturnahe Mischwälder mit nennenswerten Anteilen an Freiflächen und anderen waldbegleitenden Biotopen entwickelt werden. Das Flächenmanagement sieht großräumige Biotopvernetzungen vor, die in erster Linie die örtlichen Erfordernisse des Natur- und Artenschutzes berücksichtigen und zugleich im Hinblick auf die Bedürfnisse der Erholungssuchenden behutsam gestaltet werden.
Mit dem aus EU-Mitteln unterstützten Berliner Umweltentlastungsprogramm (UEP I) konnte von 2002 bis 2006 mit dem Projekt zur „Wiederbewässerung der Rieselfelder um Hobrechtsfelde“ ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Wege der zielgerichteten Gebietsentwicklung sichtbar umgesetzt werden. Dieses Vorhaben wurde im Rahmen des UEP II von 2012 bis 2015 unterstützt und fortgeführt. Dazu zählen weiterführende Wasserbaumaßnahmen zur Verbesserung des Landschaftswasserhaushaltes im Einzugsgebiet des Lietzengrabens sowie die bessere Erschließung des Naherholungsgebietes durch instandgesetzte Rad- und Wanderwege. Die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes im Nordosten der Stadt wird dadurch verbessert und leistet so einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Stabilisierung des Landschaftsraumes und der Naherholung. Von den Berliner Forsten wurde in den Workshops dieser UEP-Projekte die Idee einer extensiven Beweidung zur Pflege einer halboffenen Waldlandschaft und als Beitrag zur Artenvielfalt entwickelt.
Was bisher erreicht wurde
Die bisherigen Anstrengungen und umgesetzten Maßnahmen beschreiben erst ein Stück des Weges vom Rieselfeld zum Hobrechtswald. Dennoch ist der Hobrechtswald keine bloße Vision mehr, sondern inzwischen ein erlebbarer Erholungswald mit seinem eigenen Reiz und Artenreichtum. Bereits heute, rund 30 Jahre nach dem Beginn der Aufforstung der Rieselfelder, hat der Landschaftsraum sein anrüchiges Image überlebt und bietet der Bevölkerung zahlreiche Erholungsmöglichkeiten als Gegenpol zum hektischen Leben in der Großstadt. Dabei erfüllt die neue Rieselfeldlandschaft Hobrechtsfelde gleichzeitig eine wichtige Schutzfunktion für das Stadtklima und den Wasserhaushalt. Dazu zählen auch die Sicherung und Gestaltung wertvoller Rückzugsbereiche für zahlreiche einheimische sowie bedrohte Tier- und Pflanzenarten.
Das Erbe von James Hobrecht und seine geniale Konzeption zur Stadtentwicklung ist örtlich in die Gestaltung der Landschaft eingeflossen. Dabei wurde sie bereits auf anderen Ebenen vom Forstwirtschaftsbetrieb Berlin fortgeführt. Das werden die Berliner Forsten gemeinsam mit vielen aktiven Partnern und Verbänden aus dem Bereich des Landschafts-, Natur- und Artenschutzes auch weiterhin pflegen.
Ausblick
Das große Entwicklungsziel im Bereich der Rieselfeldaufforstungen ist ein halboffener, vielfältiger und strukturreicher Erholungswald in Form eines lichten Eichenmischwaldes. Je nach Standort kann dieser von sehr offen bis ganz geschlossen variieren. Auf einigen Flächen soll die Waldweide auch weiterhin zur Verbesserung der Biodiversität und zum Erhalt der halboffenen Waldlandschaft beitragen. Auch werden im Anschluss an das Förderprojekt „Rieselfeldlandschaft Hobrechtsfelde” weiter wirtschaftliche Formen der Waldweide und Waldbewirtschaftung in diesem speziellen Erholungswald entwickelt und erprobt. Über verschiedene Projekte ist die Ausstattung der Wanderwege mit Wegweisern, Infotafeln, Rastplätzen und Bänken bereits auf einem guten Stand. Die Berliner Forsten und ihre Partner werden auch in Zukunft den hohen Standard und Anspruch dieses vielfältigen Erholungswaldes erhalten und weiter entwickeln.