Die Mobilität der Leipziger
Von Tilman A. Schenk – 06/2015
Mobil zu sein ist ein wichtiger Bestandteil unseres modernen Alltags und unserer persönlichen Freiheit. Aber Mobilität hat auch negative Auswirkungen auf unsere Umwelt und unsere Mitmenschen. In Städten, in denen viele Menschen auf engem Raum leben und mobil sein wollen, kann dies besonders gravierend sein. Deshalb ist es wichtig, das Verkehrsgeschehen einer Stadt zu verstehen und nach Einflussmöglichkeiten zu suchen. Mit dem – nach Berlin – zweitgrößten Straßenbahnnetz Deutschlands ist Leipzig für eine Zukunft mit sauberer Mobilität gut gerüstet.
Ausgangssituation
Wie die meisten Städte in den neuen Bundesländern war auch Leipzig in den Jahren nach 1990 von einem Bevölkerungsrückgang betroffen. Viele wanderten in die Altbundesländer ab, um dort zu arbeiten, oder zogen in die Umlandgemeinden von Leipzig, in denen große Neubaugebiete mit Einfamilienhäusern entstanden. Gleichzeitig nahm die Motorisierung, d.h. die Ausstattung privater Haushalte mit einem eigenen Auto, stark zu und glich sich dem Wert westdeutscher Städte an. Besaß 1987 noch nicht einmal jeder fünfte Leipziger einen Pkw, so ist es heute fast jeder Zweite. Wer ein Auto besitzt, benutzt es auch – das kann man in der Veränderung des „Modal Split“ sehen.
Der „Modal Split“ zeigt an, wie sich die täglichen Wege der Leipziger auf die verschiedenen Verkehrsmittel verteilen. 1987 nahmen die Leipziger etwa für jeden vierten Weg das Auto (Anteil 23,7 %), 1998 war es schon mehr als jeder dritte Weg (36,0 %), der mit dem Auto zurückgelegt wurde. 2003 nahm die Autonutzung noch einmal stark zu (das liegt vor allem daran, dass ab diesem Jahr die 1999 eingemeindeten Gebiete im Umland mitgezählt werden) und liegt heute bei etwa 40 %.
Doch die Zunahme des Autoverkehrs wird auch von weiteren Faktoren beeinflusst: Leipzigs Straßen weisen im Vergleich mit anderen Großstädten eine hohe Aufnahmekapazität auf. Der Promenadenring um die Innenstadt stellt dem Autoverkehr an der engsten Stelle vier, meistens jedoch sechs bis zehn Fahrspuren zur Verfügung. Fehlende natürliche Barrieren wie große Flüsse oder starkes Relief erlauben eine Verteilung des Autoverkehrs auf viele Routen. Tägliche lange Staus und neuralgische Engpässe, an denen der Verkehr immer wieder zum Erliegen kommt, kennt das Leipziger Straßennetz kaum.
Neuausrichtung des ÖPNV in Leipzig
Auch deshalb ging im ersten Jahrzehnt nach der Wende zunächst der Anteil von Bussen und Bahnen an den täglichen Wegen stark zurück. Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) reagierten darauf mit einer Umstellung ihres Netzes im Jahr 2001. Straßenbahnen verbinden seitdem die Stadtteile mit dem Zentrum in einem regelmäßigen und dichten 10-Minuten-Takt. Verbindungen zwischen Stadtteilen außerhalb des Zentrums werden seitdem ausschließlich von Buslinien bedient. Zahlreiche Streckenabschnitte wurden nicht mehr mit Straßenbahnen befahren, wie die Verbindung Thekla–Connewitz über Schönefeld und Reudnitz-Thonberg (Linie 22, Ersatz durch Buslinie 70) oder entlang der Harkort- und August-Bebel-Straße in der Südvorstadt (Linie 24, Ersatz durch Buslinie 89). Aber es wurden auch neue Streckenabschnitte gebaut, wie entlang der Portitzer Allee zum neuen Paunsdorf Center, von Wiederitzsch zum neuen Messegelände oder der Lückenschluss zwischen Deutscher Nationalbibliothek und Triftweg entlang der Zwickauer Straße.
Auf diesem Kernnetz treiben die LVB die Modernisierung des Betriebs weiter voran. Rund 180 Niederflurwagen, in die bequem ohne Trittstufen eingestiegen werden kann, sind zurzeit im Einsatz. Weitere folgen in den nächsten Jahren. Darüber hinaus gilt es, die Infrastruktur des Bestandsnetzes zu sichern und ebenso weiter zu modernisieren. Dazu gehören der barrierefreie Aus- und Neubau von Haltestellen, die einen bequemen und sicheren Zugang zur Straßenbahn ermöglichen, sowie der Ausbau der Linien 11, 15 und 16 zu stadtbahnähnlichen Strecken, auf denen die Bahnen unabhängig vom Autoverkehr unterwegs sein können. So ist es gelungen, den Abwärtstrend der öffentlichen Verkehrsmittel in Leipzig aufzuhalten. Seit der Jahrtausendwende nimmt auch die Bevölkerung Leipzigs, vor allem in der Kernstadt, wieder zu. In vielen Bereichen wird es bereits schwierig, mit dem Auto unterwegs zu sein, was dazu führt, dass Menschen wieder vermehrt Busse und Bahnen nutzen – die LVB-Fahrgastzahlen wachsen beständig. Die Straßenbahn ist dabei beliebter als der Bus: Obwohl das Busnetz fünfmal so lang ist wie das Straßenbahnnetz, befördert die Straßenbahn 75 % aller Fahrgäste der LVB.
Blick in die Zukunft
Wie viele Städte in Europa begreift auch Leipzig die Straßenbahn inzwischen als Instrument moderner Stadtentwicklung. Sie trägt dazu bei, öffentliche Straßenräume attraktiver zu machen und damit Quartiere aufzuwerten.
Ein aktuelles Beispiel aus Leipzig ist der Umbau der Lützner Straße in Neulindenau: Bequemere Fußwege, genug Platz für Radfahrer sowie die Straßenbahn als grünes Band in der Mitte. Das Rasengleis dämpft den Lärm und schluckt dazu noch Feinstaub und Abgase. Und während ganz Deutschland über Elektromobilität spricht, sind in Leipzig bereits heute tagtäglich über 300.000 Menschen elektrisch mobil – mit der Straßenbahn. Durch die Eröffnung des Citytunnels Ende 2013 ist das ÖPNV-System in Leipzig noch einmal ein Stück attraktiver geworden. Für die Zukunft haben sich die Leipziger Verkehrsbetriebe zum Ziel gesetzt, den Anteil der mit Bussen und Bahnen zurückgelegten Wege in Leipzig auf 25 % zu erhöhen. Dies soll vor allem durch die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln gelingen, z.B. durch die Errichtung von Fahrradverleih- und Carsharingstationen an wichtigen Haltestellen. So soll es noch leichter werden, auf das eigene Auto als Verkehrsmittel zu verzichten.