Die Heldenstadt – Leipzig und die Friedliche Revolution
Von Thomas Mayer – 06/2015
Leipzig und die Friedliche Revolution – ein Weltereignis nahm vor allem in der sächsischen Metropole im Jahr 1989 seinen nicht mehr aufzuhaltenden Lauf. Was mit dem Protest einiger weniger Bürgerrechtler begann, mündete am 9. Oktober 1989 in eine friedliche Demonstration von 70.000 Menschen. Es war der Anfang vom Ende der SED-Diktatur.
4. November 1989: Auf dem Berliner Alexanderplatz demonstrierten über eine Million Menschen in einer machtvollen Kundgebung für den gesellschaftlichen Wandel in der noch existenten DDR. Zu den Rednern gehörte der Schriftsteller Christoph Hein. “Der Stadt Leipzig muss der Titel ‚Heldenstadt‘ verliehen werden”, sagte der Dichter. Helden? Solche Menschen kennt man als Figuren der Geschichte, die sich bei Zurückstellung persönlicher Interessen mit außergewöhnlichen Kraftanstrengungen für das Wohl der Gemeinschaft, für ihr Volk, eingesetzt haben. Und die, wenn es gut ging, Erfolg hatten.
Leipzigs Bürger, die am 9. Oktober 1989 trotz der aufmarschierten Staatsmacht 70.000-fach auf die Straße gingen und für den sogenannten Tag der Entscheidung der Friedlichen Revolution sorgten, genießen Heldenstatus. Wie konnte es aber dazu kommen? Die politische Saat war gelegt, zum Teil schon seit vielen Jahren. Prager Frühling 1968, Charta 77, die polnische Solidarnosc der frühen 1980er Jahre. Natürlich und vor allem Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion und die Ausreisewelle aus der DDR über Ungarn und über die Botschaft der Bundesrepublik in Prag, die im Revolutionsherbst nicht mehr zu stoppen war.
Mutige Bürgerrechtler begannen, die Angst vor dem SED-Staat zu verlieren. So am 11. Januar 1989. 5000 Flugblätter wurden verteilt, die zur Teilnahme an einer Demonstration “Zur demokratischen Erneuerung unserer Gesellschaft” anlässlich des staatlichen Gedenkens an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar aufriefen. Die Opposition nutzte das Luxemburg-Zitat “Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden” für ihren Protest. 500 Menschen folgten dem Aufruf, 53 wurden verhaftet.
7. Mai 1989: Es war der Tag der Kommunalwahl. Oppositionelle kontrollierten die Stimmauszählung, z.B. im Markuskirchamt wurden die Fakten gesammelt. Erstmals konnte der SED-Führung Wahlbetrug nachgewiesen werden. Wahlbeteiligung und Ja-Stimmen lagen um bis zu zehn Prozent niedriger als offiziell verkündet wurde.
10. Juni 1989: In der Innenstadt fand das Straßenmusikfestival statt. Und das trotz Verbot seitens der staatlichen Organe. Bis gegen Mittag wurde Musik gemacht, dann schlug die Volkspolizei zu. Musiker wurden samt ihrer Instrumente auf Lkw “verladen”, es kam zu heftigen Protesten unter den Passanten, die an einem Sonnabend zahlreich in der Stadt waren.
6.–9. Juli 1989: In Leipzig fand der Evangelische Kirchentag statt. Den Bürgerrechtsgruppen wurde es verwehrt, sich dabei zu präsentieren. Also bot Lukaskirchenpfarrer Christoph Wonneberger der Opposition die Möglichkeit, in seinem Gotteshaus den Statt-Kirchentag durchzuführen.
4. September 1989: Während einer Demo nach dem traditionellen Friedensgebet in der Nikolaikirche zeigten die Bürgerrechtlerinnen Katrin Hattenhauer und Gesine Oltmanns vor den laufenden Kameras westlicher Journalisten, die zur Herbstmesse nach Leipzig kommen durften, das Transparent “Für ein offenes Land mit freien Menschen”. MfS-Mitarbeiter rissen das Plakat herunter, verhaftet wurde niemand. Das geschah erst einen Montag später, als wieder eine Demo stattfand, nun aber keine Westmedien anwesend waren.
9. Oktober 1989: Die “Heldenstadt” wurde geboren.
Was ist geblieben von ihr? Der berechtigte Stolz der Bürger einer Stadt, Weltgeschichte geschrieben zu haben. Alljährlich wird immer an diesem Abend mit einem Lichtfest an das Wunder von Leipzig erinnert. Den 9. Oktober als Nationalfeiertag zu etablieren, war politisch nicht gewollt. Auch scheiterte das Vorhaben, für Leipzig ein Freiheits- und Einheitsdenkmal zu schaffen. Das, so meinen viele, ist ja auch gar nicht nötig. Der Nikolaikirchhof mit der stilisierten Säule aus dem Gotteshaus und dem Brunnen, bei dem permanent das Wasser überläuft, ist doch Erinnerung genug. Zudem wurde das Stelenprojekt des Museums in der Runden Ecke realisiert. An authentischen Orten der Stadt wird damit an die Geschichte der Friedlichen Revolution in Leipzig erinnert.