Energiemetropole Leipzig
Von Andreas Berkner – 06/2015
Leipzig verfügt bei der Energiewirtschaft über ein umfangreiches historisches und aktuelles Portfolio. Von der Stadtgründung bis in die 1950er Jahre hinein wurden Wassermühlen an verschiedenen Mühlgräben betrieben. Zwischen 1611 und 1864 trug die Scheitholzflößerei und ab 1704 der Braunkohlenbergbau maßgeblich zur Brennstoffversorgung bei. 1838 setzten mit der Gasbeleuchtungsanstalt erste industrielle Entwicklungen ein, denen ab 1900 Kraftwerke und Fernwärmeversorgung folgten. Seit 1990 treten die erneuerbaren Energien mit Windkraftanlagen und Solarparks zunehmend in Erscheinung.
Wasserkraftnutzung
In der Stadt Leipzig und ihrer Umgebung wurden bereits seit 995 (erster urkundlicher Nachweis) Wassermühlen betrieben, um Getreide, Gewürze, Öl und Tabak zu mahlen bzw. Lohe für die Gerberei bereitzustellen. Diese konzentrierten sich im Bereich der heutigen Altstadt an den eigens dafür angelegten Mühlgräben von Elster (Jacobsmühle, später Angermühle) und Pleiße (Nonnenmühle, Thomasmühle um 1200, Burgmühle, später Barfußmühle) sowie an Parthe und Rietzschke (Lohmühle 1165, Gohlis um 1200). Weitere Mühlen bestanden in den südlichen (Dölitzer, Lößniger, Connewitzer, Lusitzer Mühle), nördlichen und westlichen Vor- und Nachbarorten (Weiße Elster: Stahmeln, Schkeuditz u.a., Luppe/Obergraben: Lindenauer und Böhlitzer Mühle). Eine Besonderheit bildete die nach 1454 geschaffene Poliermühle zur Metallbearbeitung, die als Schiffmühle am Ranstädter Steinweg (heute Jahnallee) ausgeführt wurde.
Die Mehrzahl der Altstadtmühlen wurde ab 1870 im Zuge der Ausdehnung der Bebauung abgerissen, sodass heute nur noch Straßenbezeichnungen an die Lokalitäten erinnern. Die Thomasmühle blieb bis zu ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in Betrieb. Heute bildet die 1540 ersterwähnte Dölitzer Wassermühle den letzten Sachzeugen ihrer Art im Stadtgebiet. Diese konnte nach einem Stillstand ab 1920 dank der weitgehend erhaltenen technischen Ausrüstung und privater Investitionen des Müllermeisters Gerhard Eschenborn aus Lindenthal 1954 wieder in Betrieb gehen, wobei zwei Francis-Turbinen der Stromerzeugung dienten. 1974 erfolgte die Stilllegung mit anschließender Verwahrlosung, ehe ab 1992 die Weichen in Richtung Erhalt und musealer Nutzung neu gestellt werden konnten.
Scheitholzflößerei
Eine maßgebliche Energiequelle für die Stadt vom 17.–19. Jahrhundert bildete die Scheitholzflößerei. Das System der Floßgräben südlich von Leipzig wurde von Kurfürst Friedrich August initiiert, der die Brennholzflößerei 1553–1586 maßgeblich beförderte. Das im Winter geschlagene und auf Länge geschnittene Holz wurde vorzugsweise zur Schneeschmelze geflößt. Treibholzstaus mussten durch Floßknechte mit Stangen beseitigt werden. Die mit einem gleichmäßigen Gefälle ausgestatteten Kunstgräben wurden bei Kreuzungen mit natürlichen Fließgewässern durch Tunnel oder über hölzerne “Fluter” geleitet. Eiserne Grundrechen verhinderten das Abtreiben von Holz an Abzweigstellen. Nach 13-jähriger Bauzeit wurde 1580 zunächst der 92 km lange Hauptarm des Floßgrabens zwischen Krossen (Elster) und den Salinen im Halleschen Raum (Poserna, Bad Dürrenberg) in Betrieb genommen.
Die “Weißelsterflöße” führten über Näthern, Stöntzsch, Kitzen und Großgörschen zur Teilung östlich von Lützen und von dort einerseits über Schwesewitz, Kauern und Bad Dürrenberg zur Saale, andererseits über Kötzschau, Schladebach und Wallendorf zur Luppe. Für Leipzig entstand etwa zu gleicher Zeit Handlungsdruck, weil die bisherige Brennholzbeschaffung aus den Werdauischen Wäldern mit Flößerei über die Pleiße, aus dem oberen Vogtland über die Weiße Elster und aus den Wäldern der Umgebung an ihre Grenzen gelangt war. Insbesondere längere Trockenperioden waren für den zeitweiligen Ausfall der Holzzufuhr verantwortlich; auch 22 Mühlen und Wehre zwischen Altenburg und Leipzig erschwerten den Flößereibetrieb. Zusätzlich benötigte Holzmengen mussten von den Elsterflößen aus Lützen mit hohem Transportaufwand herangebracht werden. Die Pleißeflößerei wurde 1733 infolge ihrer Unergiebigkeit endgültig aufgegeben.
Der Ausweg bestand im 1610–1612 erfolgten Bau des bei Stöntzsch vom Krossener Mühlgraben abzweigenden “Kleinen Floßgrabens”, der den Elstermühlgraben bei Pegau mittels eines hölzernen Fluters überquerte und weiter über Garsdorf und Döhlen nach Zwenkau führte. Batschke und Neubauabschnitte bildeten die Fortsetzung der Trasse über Prödel, Zöbigker und Gautzsch durch den südlichen Leipziger Auwald nach Leipzig zum Floßplatz. Nach befriedigenden Probeflößungen nahm man den Dauerbetrieb auf, der durch Trockenperioden, unterlassene Instandhaltung in Kriegszeiten sowie Holzverluste durch Hochwasser und Diebstähle immer wieder beeinträchtigt wurde. Letztere nahmen trotz drastischer Strafen wie Geldbußen, Gefängnis, Landesverweis oder Pranger stetig zu.
Die ohnehin schon problematische Wassersituation wurde Anfang des 19. Jahrhunderts weiter verschärft, als der Floßgraben im Ergebnis des Wiener Friedensvertrages von 1819 an Preußen ging. Ein Nutzungsvertrag aus dem Jahr 1833 regelte bis zur Einstellung der Flößerei den Unterhalt und die Kosten. Das Ende der über fast 250 Jahre für die jeweiligen Landesherren einträglichen Flößerei wurde mit der Fertigstellung der Eisenbahnstrecke Zwickau–Schwarzenberg als Transportmittel und dem aufkommenden industriellen Braunkohlenbergbau eingeleitet. Am 1. Dezember 1864 kam es zur endgültigen Einstellung der Flößerei.
Gas- und Elektroenergieversorgung
Parallel dazu kamen ab dem frühen 19. Jahrhundert industrielle Formen der Energiebereitstellung auf. So nahm die Leipziger Gasbeleuchtungsanstalt 1838 ihren Betrieb auf, maßgeblich um die Straßenbeleuchtung im Innenstadtbereich sicherzustellen. 1895 wurde mit dem Elektrizitätswerk Nord das erste Kraftwerk im Stadtgebiet versorgungswirksam, 1913 begann die Fernwärmeversorgung (Stadtbad).
Von der einstigen Bedeutung der städtischen Gasversorgung zeugen noch heute die Bauhüllen der Gasometer in der Richard-Lehmann-Straße (Connewitz) und in der Roscherstraße (Gasometer Nord), die zur Gas-Zwischenspeicherung dienten. Ersteres bildete das Herzstück der Stadtgaswirtschaft in der Stadt Leipzig. Bis 1977 wurde am Standort eine Gaskokerei betrieben, ehe die Versorgung durch Ferngas abgelöst wurde. Der Bau wurde 1909 / 10 als “Gasometer II” errichtet. Ursprünglich waren hier drei Speicher in Betrieb. Der Größte mit einem Durchmesser von 57 m und einer Laternenhöhe von 49,4 m wurde ab 2002 zielgerichtet saniert und beherbergte seit 2003 die unter der Leitung von Yadegar Asisi erstellten größten Panoramabilder der Welt: “Panometer” – 8848Everest360° (2003–2005), Rom CCCXII (2005–2009), Amazonien (2009–2012), 1813 – In den Wirren der Völkerschlacht (2013–2015).
Das Gasometer Nord war bereits 1890 als kreisrunder Ziegelbau errichtet worden. Bereits 1929 wurde die Gaserzeugung zugunsten des Standorts Connewitz eingestellt. Für das Gebäude mit einem Durchmesser von 60 m, einer Mauerhöhe von 28 m und einem Volumen von 41.000 m³, das in der Folgezeit zunehmend dem Verfall preisgegeben war, wurden seit 1990 wiederholt Nachnutzungskonzepte untersucht, denen allerdings bislang kein Erfolg beschieden war.
Die jüngere Geschichte Leipzigs ist eng mit der Braunkohlenindustrie verbunden. Im Untergrund der Stadt lagern nach wie vor rund 1,3 Mrd. t des Bodenschatzes. Die urkundlichen Belege für die Förderung im Stadtgebiet reichen bis 1700 zurück. Zwar hielten sich die direkten Abbauauswirkungen in der Stadt in Grenzen und konzentrierten sich auf den bis 1961 betriebenen Förderschacht Dölitz sowie die Tagebaubereiche Kulkwitz/Miltitz (bis 1960) und Cospuden (bis 1992). Hinzu kamen tagebaubedingte Beeinflussungen durch Gewässerverlegungen (Zwenkau) und Grundwasserabsenkungen (Breitenfeld, Espenhain, Zwenkau). Bei einer Verwirklichung der bis 1989 verfolgten Abbauplanungen wäre es aber insbesondere mit dem Vordringen des Tagebaus Breitenfeld bis an die nördliche Stadtgrenze im Raum Lindenthal-Lützschena-Wiederitzsch, dem Eingreifen des Feldes Cospuden IV tief in den Südlichen Leipziger Auenwald und dem nach 2030 vorgesehenen Aufschluss des Feldes Liebertwolkwitz zu tiefen Eingriffen in die Stadtentwicklung gekommen (Thema: Braunkohlenbergbau rund um Leipzig).
Kraftwerke auf Braunkohlenbasis wurden seit 1895 (Eutritzscher Straße) im Stadtgebiet betrieben. Dieser Standort ist bis heute aktiv, wobei nach einem Rückbau der Altanlagen mit dem 123 m hohen Schornstein 1995 durch die Stadtwerke Leipzig ein neues Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Betrieb genommen wurde. Das Elektrizitätswerk Süd in Connewitz (Heizkraftwerk “Ernst Thälmann” – Heizkraftwerk Süd) nahm seinen Betrieb 1910 auf und wurde nach der Stilllegung 1996 zurückgebaut. Das Heizwerk Südost (“Max Reimann”) auf dem Gelände des Gaswerks II ging erst 1987 in Betrieb. Von der Anlage verblieb lediglich der 170 m hohe Schornstein. Für die Fernwärmeversorgung von Leipzig-Grünau hatte schließlich das außerhalb der Stadtgrenzen gelegene Kraftwerk Kulkwitz maßgebliche Bedeutung. Eine Übersicht über die wichtigsten Wärmekraftwerke in der Stadtregion vermittelt die Tabelle.
Kraftwerk | Betriebsdauer (Jahre) | Leistung (Max.) MW elektrisch |
Leistung (Max.) MW thermisch |
Anmerkungen |
---|---|---|---|---|
Heizkraftwerk Nord („Georgi Dimitroff“) | 1895–1993 | 60 | 272 | älteste Anlage, Strom- und Fernwärmeerzeugung; Standort Eutritzscher Straße |
Gas- und Dampfturbinenkraftwerk | seit 1995 | 172 | 180 | Neubau auf dem Standort Eutritzscher Straße |
Heizwerk Südost („Max Reimann“) | 1987–1996 | 146 | Stilllegung und Rückbau bis 2005 Standort Connewitz (Arno-Nitzsche-Straße) | |
Heizkraftwerk Süd („Ernst Thälmann“) | 1910–1996 | 50 | 104 | zunächst „Elektrizitätswerk Süd“; Seilbahn ab Förderschacht Dölitz; Standort Connewitz |
Heizwerk Nordost | seit 1975 | 105 | erstes ölbefeuertes Heizwerk Leipzigs; 1994 Umrüstung auf Erdgas; Standort Leipzig-Schönefeld | |
Heizwerk Käthe-Kollwitz-Straße | 1976–1993 | 89 | nur zur Deckung der Spitzenlast;nach 1990 stillgelegt und zurückgebaut | |
Kraftwerk Kulkwitz (Markranstädt) | 1911–1994 | 90 | 104 | ursprünglich Kraftwerk, Ende der 1970er Jahre Umprofilierung zum Heizwerk für Leipzig-Grünau |
Heizwerk Kulkwitz (Markranstädt) | 104 | Erweiterung des Standortes Kulkwitz zur Wärmeversorgung von Leipzig-Grünau |
Eine Besonderheit bei der Fernwärmeversorgung der Stadt bildet das 2000 in Betrieb genommene Kraftwerk Lippendorf auf Braunkohlenbasis. Neben der installierten elektrischen Leistung von 2 x 920 MW kann im Zuge der Kraft-Wärme-Kopplung eine thermische Leistung von 310 MW genutzt werden, womit sich rund 50 % des Bedarfs der Stadt Leipzig abdecken lassen. Der Brennstoffausnutzungsgrad im Kraftwerk steigt dadurch von 42,5 % auf über 46 %. Die Fernwärmeleitung bis zur Übergabestelle an die Stadtwerke Leipzig im Bereich des Heizwerks Südost in der Arno-Nitzsche-Straße wurde unterirdisch verlegt. Das in Lippendorf mit Überdruck und einer Temperatur von 130 °C eingespeiste Wasser verliert auf der 15 km langen Wegstrecke dorthin lediglich ein halbes Grad, was die Wirksamkeit der Wärmeisolierung der Rohrleitung belegt.
Erneuerbare Energien
Auch bei der Etablierung von erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung nahm Leipzig eine Vorreiterrolle in der Region ein, was insbesondere die energetische Windnutzung und die Solarenergie betraf. So nahm bereits 1995 die erste, 2010 zurückgebaute Windenergieanlage auf dem ehemaligen QUELLE-Gelände südlich der Neuen Messe mit einer Leistung von 150 kW ihren Betrieb auf. Im Südwesten des Stadtgebiets zwischen den Ortsteilen Großzschocher, Knautkleeberg, Rehbach und Knautnaundorf gingen 1996–2006 zehn Anlagen mit Leistungen zwischen 0,6 und 1,5 MW ans Netz. 2013 wurden auf dem BMW-Werksgelände vier Anlagen der 2,5 MW-Leistungsklasse und mit Gesamthöhen von 190 m als Bestandteil der CO2-freien Stromversorgung zur Produktion von Elektrofahrzeugen in Betrieb genommen. Insgesamt umfasst die installierte Leistung von Windenergieanlagen im Stadtgebiet 21 MW (2013).
Die Nutzung von Solarenergie konzentrierte sich bis 2009 auf Dach- und Fassadenbereiche von Bestands- und Neubauten. Zweifellos die bekannteste dieser Anlagen wurde auf dem Dach der Nikolaikirche installiert. Sie ging 2000 auf einer Fläche von 40 m² und mit einer elektrischen Arbeit von 3500 kWh/a in Betrieb. Seit 2010 entstanden mehrere große Anlagen im Freiraum vorwiegend auf unbebauten Industriegebieten oder Brachflächen, zu denen die in der Brahestraße und in der Richard-Lehmann-Straße (Bürgerkraftwerk, 3,5 bzw. 1,6 MW), in Althen (7,35 MW), Breitenfeld I/II (8,5 MW), in Holzhausen (2,6 MW) und in der Gerhard-Ellrodt-Straße (1,1 MW) zählen.
Unternehmen
Die Energiemetropole Leipzig ist heute Sitz namhafter Unternehmen der Energiebranche. So stellen die Stadtwerke Leipzig heute die Versorgung mit Strom, Erdgas und Fernwärme sicher und engagieren sich auch im Bereich der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität, wozu Beteiligungen an Windparks und Biomassekraftwerken außerhalb des Stadtgebiets beitragen.
Die Verbundnetz Gas (VNG) AG mit ihrer Firmenzentrale in der Braunstraße ist in der gesamten Wertschöpfungskette der deutschen und europäischen Erdgaswirtschaft aktiv und konzentriert sich auf die Kerngeschäftsbereiche Exploration und Produktion, Handel und Dienstleistungen, Transport sowie Speicherung. Seit dem Jahr 2002 verfügt Leipzig mit der European Energy Exchange (EEX) AG zudem über den wichtigsten Marktplatz für Energie in Kontinentaleuropa, an dem 22 Staaten beteiligt sind. Der Geschäftssitz befindet sich im City-Hochhaus am Augustusplatz. Neben Strom, CO2-Zertifikaten und Kohle wird hier seit 2007 auch Erdgas gehandelt. Spot- und Terminmärkte bedienen die gesamte Bandbreite zwischen tagesaktuellen und langfristigen Lieferbeziehungen, wobei insbesondere die kurzfristigen Stromgeschäfte, der Emissionsrechtehandel, expandieren.