Bau- und kunstgeschichtliche Exkursion durch die Prenzlauer Altstadt
Von Marcus Cante – 10/2025
Prenzlau übertraf jahrhundertelang alle anderen Orte der Uckermark bezüglich seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung, im Hinblick auf die Bevölkerungszahl sowie durch seine zentrale geographische Lage. Das bauliche und künstlerische Erbe dokumentiert diese besondere Stellung. Vieles davon ging bei den verheerenden Zerstörungen am Ende des Zweiten Weltkrieges zugrunde. Bewahrt bzw. wieder aufgebaut wurden v. a. die Monumente des Mittelalters. Sie prägen die schon von weither sichtbare Stadtsilhouette, eine der eindrucksvollsten in Norddeutschland. Gerade das bauliche Erscheinungsbild macht aber auch den Gegensatz zwischen der mittelalterlichen Blüte Prenzlaus und späteren Phasen des Niedergangs oder einer Rolle als allenfalls regionales Zentrum deutlich.
Kartenüberblick Exkursion: Bau- und kunstgeschichtliche Exkursion durch die Prenzlauer Altstadt Kartenausschnitt zurücksetzen
Station 5:
St. Sabinen zur Kartenansicht >>
Station 1:
Marktplatz zur Kartenansicht >>
Station 4:
Mitteltortum zur Kartenansicht >>
Station 2:
St. Marien zur Kartenansicht >>
Schriftliche Quellen und archäologische Befunde zeigen, dass Prenzlau spätestens seit dem letzten Drittel des 12. Jh. ein wichtiger frühstädtischer Siedlungsplatz war. Bauliche Zeugnisse aus dieser Phase sind jedoch nicht erhalten. Sie stammen erst aus der Zeit nach der Verleihung des Magdeburger Stadtrechts durch den pommerschen Herzog Barnim I. 1234. Damit war eine tiefgreifende Umgestaltung des gesamten Stadtgebiets verbunden. Ältere Siedlungsbereiche gingen in der für das norddeutsche Binnenland außerordentlich großzügigen planmäßigen neuen Stadtanlage auf. Der Bereich um die mutmaßlich älteste Kirche St. Sabinen ⑤ südlich der slawischen Burg verblieb als Neustadt außerhalb der befestigten Kernstadt (vgl. z. B. die Situation in Jüterbog). Diese wird durch eine zentrale, im Laufe der Zeit mit repräsentativen Bauten aufgewertete Straßenachse zweigeteilt. In deren Mitte befindet sich der Marktplatz ①. Dem von W Kommenden bietet sich mit der hinter dem Mitteltorturm ④ und der Heiliggeistkapelle aufragenden Doppelturmfassade der Marienkirche ② bis heute ein beeindruckender Anblick.
Früher fand die Abfolge mit dem Rat- und Kaufhaus auf dem Markt sowie der östlich stehenden Johanneskirche (1735 abgebrochen) ihre Fortsetzung. In umgekehrter Richtung bestimmt der prachtvolle, dem Markt zugewandte gotische Ostgiebel der Marienkirche das Bild. Auf die Größe und Bedeutung der mittelalterlichen Stadt weist das Vorhandensein von vier Pfarrkirchen – üblich waren in der Mark Brandenburg ein bis zwei – sowie von drei Klöstern, zwei Bettelordenskonventen und einem der Sabinenkirche ⑤ angegliederten Nonnenkloster (Büßende Schwestern der Hl. Maria Magdalena, seit dem späten 13. Jh. Benediktinerinnen)..
Station 8:
Steintorturm zur Kartenansicht >>
Station 9:
Wiekhäuser zur Kartenansicht >>
Station 10:
Blindower oder Stettiner Tor zur Kartenansicht >>
Die Patrozinien der drei anderen Pfarrkirchen, St. Marien, St. Nikolai und St. Jakobi, stimmen in auffallender Weise sowohl mit den pommerschen Küstenstädten Stralsund, Stettin und Greifswald als auch mit dem altmärkischen Stendal überein. Dass sich schon bald St. Marien ② als Hauptpfarrkirche durchsetzte, der die drei anderen untergeordnet waren, wird auch durch das bauliche Erscheinungsbild verdeutlicht.
Schutz für die Stadt bot zunächst eine Holz-Erde-Befestigung. Bereits vor 1250 entstand der Steintorturm ⑧ als Feldsteinquaderbau (später in Backstein erhöht). 1287 gestatteten die Markgrafen den Bau massiver Stadtmauern. Prenzlau erhielt ca. 9 m hohe, über einem Feldsteinteil aus Backstein errichtete Mauern, die keinen Wehrgang, aber etwa 60 turmartig vorspringende Wiekhäuser ⑨ besaßen. Das Mitteltor im Westen und das Blindower oder Stettiner Tor ⑩ im Norden wurden ebenfalls mit Feldsteintürmen ausgestattet.
Station 11:
Jacobikirche zur Kartenansicht >>
Aus dem mittleren 13. Jh. stammen auch die frühesten Prenzlauer Kirchenbauten. Hölzerne Vorgänger müssen vorhanden gewesen sein, konnten archäologisch bisher aber nicht nachgewiesen werden. Typisch sind das Mauerwerk aus Feldsteinquadern und die frühgotischen Bauformen. St. Sabinen ⑤ ist ein rechteckiger Saalbau mit östlicher Dreifenstergruppe (1816⁄17 erneuert). Die im NO der Stadt stehende Jakobikirche ⑪, ebenfalls ein flachgedeckter Saalbau, besitzt zusätzlich einen eingezogenen Rechteckchor und einen querrechteckigen Westturm von etwas größerer Breite als das Schiff.
Station 6:
Nikolaikirche zur Kartenansicht >>
Eine aufwändigere Gestalt hatte die im Südteil der Stadt errichtete Nikolaikirche ⑥. Von ihr blieb nach Teileinstürzen 1568 und 1648 sowie der 1769 erfolgten Abtragung allein der zweitürmige Westbau erhalten. Nach alten Plänen und Ansatzspuren auf der Ostseite war die Kirche eine dreischiffige Basilika mit niedrigen Seitenschiffen und geradem Chorschluss. Auch bei St. Marien ② blieb nach dem hochgotischen Neubau von der ersten Bauphase nur der Westbau erhalten. Als monumentale, durch Lisenen und Blenden gegliederte Zweiturmanlage, die innen über großzügige Treppen verfügt, übertrifft er sämtliche anderen uckermärkischen Turmbauten dieser Zeit. Die Gestalt des zugehörigen Kirchenbaues ließ sich durch Baubefunde und 1959 durchgeführte Grabungen rekonstruieren. Es handelte sich um eine große dreischiffige Hallenkirche mit wenig ausladendem Querschiff und längsrechteckigem Chor. Ungewöhnlich in der Region war die Bedeckung der Seitenschiffe durch Quersatteldächer. Der Bautyp wird auf rheinische oder westfälische Vorbilder zurückgeführt.
Station 3:
Franziskanerkirche St. Johann Baptist zur Kartenansicht >>
Bei der schon im mittleren 13. Jh. errichteten Franziskanerkirche St. Johann Baptist ③, einem längsrechteckigen Saalbau mit fünf quadratischen kreuzrippengewölbten Jochen, wurde das Feldsteinquadermauerwerk mit Details aus Backstein kombiniert. Daraus bestehen die Fenster, Gruppen dreier gestaffelter Lanzettfenster, die jeweils von einer spitzbogigen Blende überfangen werden, und die kräftigen Halbrundvorlagen mit Trapezkapitellen. Der Bau, in dem ein vereinfachter Nachklang der Oberkirche von San Francesco in Assisi gesehen werden kann (BADSTÜBNER 1981), gehört zu den am besten bewahrten frühen Bettelordenskirchen in Deutschland. Er wurde 1598 als lutherische Dreifaltigkeitskirche wieder eingeweiht und 1694–1774 von der reformierten Gemeinde genutzt. Bei Renovierungsarbeiten 1846–1865 verlegte man den Eingang auf die Ost- und den Altar auf die Westseite. Die nördlich anschließenden Klausurgebäude wurden 1735 abgebrochen.
Station 7:
Dominikanerkloster zur Kartenansicht >>
Schlüsselbau für die Ausbreitung der gotischen Backsteinarchitektur in Prenzlau ist das ab 1275 errichtete Dominikanerkloster ⑦. Dafür stellten die brandenburgischen Markgrafen ihren Hof an der Südspitze der Stadt zur Verfügung. Bei Besuchen in Prenzlau konnten sie für ihre Hofhaltung stattdessen auf Räume in der neu errichteten Klosteranlage zurückgreifen. Nach der Reformation ging die Klosterkirche, eine dreischiffige Halle mit Achteckpfeilern und einschiffigem Chor, an die Nikolaigemeinde über (seit 1577 eigene Pfarrkirche). Das prächtige Hauptportal befindet sich auf der zur Stadt gewandten Nordseite des Langhauses, dem Raum der Laiengemeinde. Mit dem einheitlich geplanten und im Wesentlichen im frühen 14. Jh. vollendeten Dominikanerkloster entstand nicht nur der erste komplett in Backstein ausgeführte Baukomplex in Prenzlau, es hielten damit auch moderne hochgotische Formen Einzug.
Dazu gehören der polygonale Chorschluss der Kirche, die Maßwerkfenster sowie die vollständige, durch Dienste und Strebepfeiler unterstützte Kreuzrippenwölbung. Verschiedene Merkmale weisen auf Verbindungen zum Zisterzienserkloster Chorin, das von den askanischen Markgrafen besonders gefördert wurde. Südlich der Kirche erstreckt sich die ausgedehnte Klosteranlage. Neben dem Kreuzgang blieben v. a. im Ost- und Westflügel wichtige gotische Innenräume erhalten, darunter die Sakristei mit feingliedrigen Stützen und der 1516 mit Wandmalereien (Passion Christi und Heilige des Dominikanerordens) ausgestattete zweischiffige Gästespeisesaal. Durch kleinere Baumaßnahmen wurden auch andere Prenzlauer Kirchen aufgewertet. St. Jakobi ⑪ erhielt eine qualitätvolle Nordkapelle aus Backstein, bei St. Nikolai ⑥ wurden die Turmhalle gewölbt und das große Rundfenster eingefügt.
Ihren Höhepunkt erlebte die hochgotische Backsteinarchitektur mit dem nach 1289 begonnenen aufwändigen Neubau von St. Marien ②. Das Ersetzen der frühgotischen Halle bereits nach wenigen Jahrzehnten verdeutlicht den damaligen Wohlstand und das Selbstbewusstsein der Stadt. Auch die unsicheren Zeiten nach dem Aussterben der Askanier und die zeitweilig wechselnde Landeszugehörigkeit minderten den Aufschwung Prenzlaus nicht; wahrscheinlich verschaffte dies dem Rat sogar größeren Handlungsspielraum. Damals scheint die Bauherrschaft über die Marienkirche an die Bürgerschaft übergegangen zu sein, die den Neubau auch zur eigenen Selbstdarstellung nutzte. Vom Vorgängerbau bezog man nur die Turmanlage ein; allerdings erfolgte nun eine Erhöhung in Backstein. Unter Verzicht auf ein Querhaus entstand eine dreischiffige Hallenkirche mit östlichem Dreiapsidialschluss. Umsichtig und planvoll wurden die neuen Außenmauern um die alte Kirche herumgebaut. Man begann mit dem bis zu den seitlichen Treppentürmen reichenden Westteil. 1325 erfolgte der Abriss des alten Schiffs. Dann entstand bis 1339 der ebenfalls dreischiffige Chor, zuletzt die einheitliche Wölbung der gesamten Kirche. Den harmonischen Innenraum zeichnen reichgestaltete bündelartige Pfeiler und entsprechend profilierte Arkaden sowie Seitenschiffsmauern mit Laufgängen vor den Fenstern aus. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gewölbe wurden 2019⁄20 neu aufgemauert. Das Äußere schmücken glasierte Ziegel, reiche Maßwerke und Wimpergaufsätze über der Dachtraufe. Eine geniale Lösung ist die Kombination der polygonalen Ostschlüsse der Schiffe mit dem darüber aufragenden, von Strebepfeilern und Schwibbögen gestützten riesigen Ostgiebel. Bei seinem Schmuck durch mehrschichtige Maßwerkgitter und Wimperge gelang die Übertragung von Formen der hochgotischen Kathedralarchitektur der Hausteingebiete (z. B. Turmfassaden von Köln und Straßburg) in den Backsteinbau. Mit ihrem Raffinement und Gestaltungsreichtum übertraf die Prenzlauer Pfarrkirche alle anderen Bauten im weiten Umkreis.
Eine weitere Steigerung erscheint kaum noch möglich. So verwundert es nicht, dass sich in der brandenburgischen Sakralbaukunst der Folgezeit ganz neue, spätgotische Bauformen durchsetzten, z. B. der Hallenumgangschor.
Mit der Fertigstellung von St. Marien endete in Prenzlau die Hochphase des Baugeschehens. An der Kirche entstanden verschiedene Anbauten, darunter um 1410 die Claus Brunsberg zugeschriebene Nordvorhalle mit prächtigem Wimperggiebel. St. Jakobi ⑪ bekam eine spätmittelalterliche Südvorhalle. Im 15. Jh. erfolgten Ausbauarbeiten an der Stadtbefestigung. So erhielt der Mitteltorturm ④ einen ungewöhnlichen Aufbau mit vorgekragtem achtseitigen, geschlossenen Wehrgang, der 500 Jahre später bei der Berliner Oberbaumbrücke wiederholt wurde. 1494 begann der Bau des Hexenturms ⑨ im O der Stadtmauer, eines für die Zeit typischen Backsteinrundturms mit fünf gewölbten Etagen, abschließendem Zinnenkranz und steinernem Kegelhelm.
Eine weitere mittelalterliche Baugattung bilden die Hospitäler, die sich der Krankenpflege und der Armenversorgung widmeten, aber auch als Altenwohnstift dienen konnten. Erhalten haben sich allein die zugehörigen Kapellen. Das vornehme Heilig-Geist-Hospital ④ am Mitteltor hatte bereits um 1300 einen rechteckigen, flachgedeckten Feldsteinsaalbau mit backsteingerahmten Öffnungen erhalten, der im 15. Jh. durch ein zierliches Dachtürmchen mit glasierten Ziegeln bereichert wurde. Südöstlich, außerhalb der Stadt, legte man das wohl zur Beherbergung von Personen mit ansteckenden Krankheiten eingerichtete Georgshospital (Abb. 12) an. Die im 17. Jh. zu Wohnzwecken umgebaute kleine Kapelle (Schwedter Straße 68) besitzt einen reizvollen, durch Maßwerkblenden geschmückten Westgiebel in der Nachfolge von St. Marien, entstanden wohl erst im frühen 15. Jh.
Fast nichts ist über den mittelalterlichen Wohnhausbau bekannt. Im Gegensatz zu den reichen Küstenstädten gab es in Prenzlau nur wenige Backsteinhäuser. Bildlich ist ein Giebelhaus mit spätgotischem blendengeschmückten Ziergiebel an der Südseite des Marktes überliefert. Die Masse der Wohnbauten waren Fachwerkhäuser. Sie fielen Modernisierungen und den wiederholten Feuersbrünsten zum Opfer, so dem verheerenden Stadtbrand 1483.
Mit dem 1512 in Lübeck geschaffenen neuen Hochaltarretabel der Marienkirche ② gelangte am Ende des Mittelalters ein Spitzenwerk spätgotischer Kunst nach Prenzlau. Die Aufstellung des kostbaren Werks wirkt wie ein letztes Aufbäumen gegen den bereits einsetzenden Bedeutungsrückgang der Stadt (SCHUMANN 2013). Erhalten haben sich der Großteil der Schnitzfiguren und Reliefs, im Schrein Maria als Himmelskönigin und Heilige, in der Predella die Anbetung der Könige und auf den Flügeln die zwölf Apostel. Der Schrein und die Malereien der Flügel-Außenseiten gingen im Zweiten Weltkrieg zugrunde. Bereits 100 Jahre früher war die heute in der ehemaligen Dominikanerkirche bewahrte Bronzetaufe von St. Marien entstanden.
Empfohlene Zitierweise
Marcus Cante: “Bau- und kunstgeschichtliche Exkursion durch die Prenzlauer Altstadt” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/82_e_503-bau-und-kunstgeschichte-prenzlauer-altstadt/, Stand 09.10.2025
Quellen und weiterführende Literatur
- BADSTÜBNER, Ernst (1981): Kirchen und Klöster der Bettelorden im sozialen und gestalterischen Gefüge der mittelalterlichen Stadt, in: MÖBIUS, Friedrich u. Helga SCIURIE (Hgg.): Kunst und Stadt. 3. Jahrestagung des Jenaer Arbeitskreises für Ikonographie und Ikonologie (= Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 30/3–4). – Jena, S. 323–335.
- SCHUMANN, Dirk (2013): Zwischen Konjunktur und Rezession. Zur Kunst- und Architekturgeschichte Prenzlaus im ausgehenden Mittelalter, in: DRACHENBERG, Thomas (Hg.): Das Hochaltarretabel in der Prenzlauer Marienkirche. Beiträge der interdisziplinären Tagung im Dominikanerkloster in Prenzlau am 1. Dezember 2012 (= Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums 28). – Berlin, S. 99–105.
Bildnachweise
- Titelbild und Vorschaubild: Schrägluftbild über die Altstadt von Prenzlau (Foto: Norbert Schlaak)