Heiligenstadt und seine mittelalterlichen Kirchen

Von Torsten W. Müller – 11/2018

Seit der Einführung des Christentums gab es in Heiligenstadt Kirchengebäude für die Feier des Gottesdienstes. Aus der Zeit der Romanik sind nur noch Fundamentreste erhalten geblieben. Die Gotik hingegen hat prächtige sakrale Bauwerke in der Stadt entstehen lassen, die noch heute die Stadtsilhouette entscheidend prägen. Durch einen florierenden Woll- und Leinenhandel mit den Hansestädten war der Ort im 14. Jahrhundert zu einer blühenden und reichen Stadt aufgestiegen, was unter anderem die mittelalterlichen Kirchen und Kapellen belegen.

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Die thüringische Kleinstadt Heilbad Heiligenstadt (17.000 Einwohner) im Bistum Erfurt ist die kirchliche Metropole des Eichsfeldes und eine Hochburg des Katholizismus. Ein bischöflicher Kommissarius – der ranghöchste Vertreter unterhalb der Bischofsebene – hat hier seit 1449 seinen Sitz.

Zahlreiche katholische Einrichtungen mit langer Tradition befinden sich in der Stadt: das Mutterhaus der Schwestern der christlichen Schulen von der Barmherzigkeit mit dem Generalat des deutschen Zweiges dieser Kongregation (seit 1862), das Kloster der Redemptoristen (seit 1921), das Altenheim „Hospital zum Hl. Geist“ (seit dem 13. Jahrhundert), das ehemalige Waisenhaus und heutige Kinder- und Jugendheim „St. Josef“ (seit 1729), das St.-Vincenz-Krankenhaus (seit 1845) sowie das St.-Raphaels-Heim für Menschen mit Behinderungen und Benachteiligungen (seit 1914).

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Die St.-Martins-Kirche
Die St.-Martins-Kirche (Foto: Werner Streitberger, TLDA, 2015)

Auf dem „Stiftsberg“ – einem Bergplateau über der Altstadt – befand sich vom 10. Jahrhundert bis 1803 das Kollegiatstift „St. Martin“. Diese Gemeinschaft von Weltpriestern (Säkularkanonikern) war das ganze Mittelalter hindurch das maßgebliche geistige Zentrum des Eichsfeldes.

In der Amtszeit des zuständigen Mainzer Erzbischofs Rhabanus Maurus (847–856) dürften umfangreiche und bedeutende Reliquien hierher gekommen sein und machten den Ort tatsächlich zur „Stätte der Heiligen“. Vor der Reliquientranslation waren bauliche Voraussetzungen geschaffen worden, um die heiligen Märtyrerleiber hier würdig unterzubringen. Es entstand die „Urkirche“ des Eichsfeldes, St. Martin. Die heutige Kirche ist eine dreischiffige, querschifflose gotische Basilika mit romanischer Krypta und wurde zwischen 1276 und 1487 erbaut. Sie ist die größte und in der Anlage zugleich älteste Kirche der Stadt und wird als „Mutterkirche des Eichsfeldes“ bezeichnet, was ihre überregionale Bedeutung hervorhebt.

Die Zugehörigkeit der Kirche wie auch des Eichsfeldes zum Erzbistum Mainz wird durch das Patrozinium des ersten Gotteshauses in Heiligenstadt besonders deutlich: St. Martin war im frühmittelalterlichen Frankenreich Reichspatron, in Mainz Schutzherr der Kathedralkirche und des ganzen Bistums. Die Martinskirche in Heiligenstadt war der Ort der Bischofsweihen, Synoden und auch Königsbewirtung, ein überregionales Missionszentrum und religiöser Mittelpunkt.

Mit der preußischen Okkupation des Eichsfeldes wurde 1803 das Martin-Stift säkularisiert und die Kirche der neu zu bildenden evangelischen Gemeinde übergeben, die den Innenraum für ihre liturgischen Zwecke umgestaltete.

Station 2: St.-Georgs-Kapelle zur Kartenansicht >>

Die St.-Georgs-Kapelle
Die St.-Georgs-Kapelle (Foto: Werner Streitberger, TLDA, 2018)

Verlässt man in Richtung Osten den Stiftsberg gelangt man in die Göttinger Straße bis zum „Hotel Traube“, neben dem sich eine Bahn-Unterführung befindet. Hinter der Unterführung steht die kleine St.-Georgs-Kapelle. Sie ist die älteste Kapelle im Stadtbereich und befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Hospital „Zum Heiligen Geist“, einem Alten- und Pflegeheim in Trägerschaft des Caritasverbandes, das 1387 als „Spital für alte, hilflose Menschen“ erstmals erwähnt wurde.

Der heilige Georg zählt zu den vierzehn Nothelfern und gilt als Schutzpatron der Spitäler und Siechenhäuser. Daher stammt auch das Patrozinium der kleinen Kirche neben dem Hospital. Sie ist ein zweiachsiger Saalbau mit dreiseitigem Chor und gotischen Fenstern. Kapelle und Hospital lagen einst außerhalb der Stadtmauer an der ehemaligen Hauptstraße nach Göttingen. Alle Besucher der Stadt aus dieser Richtung mussten die Kirche passieren, auch noch nach dem Eisenbahnbau. Erst 1913 wurde die Unterführung angelegt und der Straßenverlauf verlagert.

Die Kirche wurde im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigt und 1684 wieder aufgebaut. 1995 und 1996 wurde die Kapelle komplett renoviert. Sie ist leider ständig verschlossen.

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Die St. Nikolauskapelle
Die St. Nikolauskapelle (Foto: Werner Streitberger, TLDA, 2018)

Passiert man abermals die Bahn-Unterführung in Richtung Innenstadt, gelangt man durch die Göttinger Straße, die Lindenallee – früher Markt und Zentrum der Stadt – und die „Obere Altstadt“ zum „Heimenstein“. Dieser Teil der Altstadt bildete lange Zeit die äußerste Ostgrenze der Siedlung. Als räumlichen Abschluss und als schützendes Element der Stadtverteidigung ließ man hier eine Nikolauskirche – im Volksmund Klauskirche – errichten. Von der einstigen Kapelle, die wahrscheinlich im 14. Jahrhundert entstand, ist nur noch der Altarraum erhalten, der aber von außen durch jüngeres Mauerwerk abgeschlossen ist. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Gotteshaus zerstört und danach nicht wieder komplett aufgebaut. Mauerreste vom Kirchenschiff hat man später mit in die Nordstrecke der Stadtmauer integriert. Heute ist die Klauskirche, die nie Pfarrkirche war, ein multifunktionaler Raum, in dem Ausstellungen und Konzerte stattfinden, aber auch Taufen und Trauungen der Bewohner des Heimensteins, die zu ihrem Kirchlein eine besondere Beziehung haben.

Station 4: St.-Ägidien-Kirche mit Maria-Hilf-Kapelle zur Kartenansicht >>

Vom Klausberg kommt man durch die Hampelsgasse und Wilhelmstraße zum neuen Rathaus der Stadt, einem zweistöckigen Barockbau mit Mansarddach, das 1739 anstelle eines alten Weinkellers erbaut wurde.

Die St-Ägidien-Kirche
Die St-Ägidien-Kirche (Foto: Werner Streitberger, TLDA, 2015)

Nach dem Überqueren des Marktplatzes gelangt man an der kleinen Maria-Hilf-Kapelle zur katholischen St.-Ägidien-Kirche. Sie ist die dritte und jüngste der gotischen Kirchen Heiligenstadts. Nach Erweiterung der Stadt in Richtung Süden im 13. Jahrhundert entstand die Neustadt und mit ihr das Bedürfnis nach einem eigenen Gotteshaus. Von ihm sind nur noch Fundamentreste vorhanden. 1333 fiel die Kirche dem Heiligenstädter Stadtbrand zum Opfer, und an ihrer Stelle entstand bis 1370 eine dreischiffige, gotische Hallenkirche aus festem, rotem einheimischem Sandstein. Die geplante Turmanlage wurde nicht realisiert; erst 1851 wurde der Südturm vollendet. Auch sonst ist das Gotteshaus niedriger und einfacher erbaut als die anderen Kirchen der Stadt. Im Inneren befinden sich wertvolle Kunstgegenstände aus allen Jahrhunderten, wie z.B. der barocke Hochaltar aus der ehemaligen Stiftskirche in Quedlinburg oder die Grabplatte der beiden Stadtpatrone Aureus und Justinus. Sie zeugen von einer lebendigen Nutzung der Ägidienkirche und ihrer Bedeutung für das Leben der Gemeinde, die 2017 mit der Kirchengemeinde St. Marien vereint wurde.

Direkt neben der Ägidien-Kirche befindet sich ein viel besuchter Ort für Beter: die Kapelle „Maria Hilf“, ein achtseitiger neogotischer Zentralbau. Sie stammt aus dem Jahr 1861 und ersetzte einen Holzbau aus dem Jahr 1494. Vor der Statue der Gottesmutter mit ihrem Sohn zünden viele Kerzen an, verweilen kurz hier und beten.

Station 5: St.-Marien-Kirche mit Annenkapelle zur Kartenansicht >>

Die St.-Marien-Kirche
Die St.-Marien-Kirche (Foto: Werner Streitberger, TLDA, 2015)

Über den Marktplatz und die untere Wilhelmstraße gelangt man über die Kollegiengasse zur Altstädter Pfarrkirche St. Marien. Sie steht auf dem „Freuden- oder Frauenberg“, also dem Berg „Unserer Lieben Frau Maria“. Sie war im 12. Jahrhundert als Pfarrkirche für die sich ständig erweiternde Altstadt von Heiligenstadt erbaut worden, denn die Kanoniker von St. Martin betreuten nur die Bewohner des Stiftsbereiches um den Stiftsberg.

Dieser Bau wurde ab 1300 in mehreren Etappen durch einen anspruchsvollen, gotischen Neubau ersetzt. Ältester Teil ist der massive Westriegel mit den beiden aufgesetzten achteckigen, ca. 55 Meter hohen Türmen, die bis in die Spitzen aus Buntsandstein gemauert sind. Sie ergeben ein so typisches Bild, dass sie zum Wahrzeichen der Stadt geworden sind. Das Langhaus, eine dreischiffige Halle mit Kreuzrippengewölbe, wurde im Lauf des 14. Jahrhunderts fertiggestellt. Festlichkeit erhält der Raum durch figürliche Kapitelle, Schlusssteine und Konsolen. 1420 wurde der dreijochige Chor mit polygonalem Schluss geweiht, 1715 verändert und 1886 über das Langhaus erhöht und mit einem schlanken Dachreiter gekrönt. Das Innere des Gotteshauses wurde mehrfach stark verändert und renoviert und beherbergt seit 1803 das vielfach verehrte Gnaden- und Wallfahrtsbild „Maria im Elende“, das zum Typ der „Schönen Madonnen“ aus der Zeit der Gotik gehört.

Die Annenkapelle
Die Annenkapelle (Foto: Werner Streitberger, TLDA, 2015)

Neben der Kirche befindet sich die Annenkapelle, eine Perle der Gotik, sie ist ein Oktogon mit acht Giebeln, spitz zulaufendem Dach und bekrönender Laterne. Wasserspeier und Krabben verstärken den vollendeten Gesamteindruck. Bei der letzten Restaurierung im Jahr 2000 erhielt sie die angenommene originale Farbfassung in Rotbraun und Gelb zurück. In der Kapelle befinden sich die gotischen Figuren der Muttergottes mit Kind und der Anna selbdritt. Die ursprüngliche Bestimmung der Annenkapelle ist unsicher. Wahrscheinlich wurde sie als Friedhofskapelle genutzt.


Empfohlene Zitierweise

Torsten W. Müller: “Heiligenstadt und seine mittelalterlichen Kirchen” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/79_e_504-heiligenstadt-und-seine-mittelalterlichen-kirchen/, Stand 29.11.2018

Quellen und weiterführende Literatur

  • LUCKE, Rolf-Günther et al.(2011): Die Kirchen im Eichsfeld. Kirchen- und Kunstführer, 2. Aufl. – Duderstadt.
  • KEPPLER, Josef (2002): Heilbad Heiligenstadt im Eichsfeld. – Heiligenstadt.
  • RASSOW, Walter (1909): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Heiligenstadt (= Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen 28). – Halle.
  • LINGE, Rudolf (1973): Alt-Heiligenstadt und seine Kirchen. – Leipzig, Heiligenstadt.
  • MÜLLER, Thomas T. (Hg., 2003): Die St.-Martins-Kirche zu Heiligenstadt. 17 Beiträge zu ihrer Geschichte (= Heiligenstädter Schriften 2). – Heiligenstadt.
  • MÖBIUS, Helga (1992): Heiligenstadt. St. Marien (= Kleine Kunstführer 2002). – München, Zürich.
  • MÖBIUS, Helga (1994): Heiligenstadt. St. Ägidius (= Peda-Kunstführer 313 / 1995). – Passau.
  • MÖBIUS, Helga (1972): Die gotischen Kirchen in Heiligenstadt (= Das christliche Denkmal 87 / 88). – Berlin.
  • SCHÄFER, Karlheinrich: Heiligenstadts Kirchen und Schulen im Mittelalter, in: Unser Eichsfeld 31 (1936), S. 76–93, 99–112, 137–141.