Das Musikviertel – Pracht- und Monumentalbauten des Historismus
Von Luise Grundmann – 06/2015
Südwestlich des Neuen Rathauses beginnt eine Route durch das mit öffentlichen Monumentalgebäuden, prachtvollen Stadtpalais und Villen des ausgehenden 19. Jahrhundert ausgestattete Musikviertel. Struktur und Architektur einzelner Quartiere des nach 1880 gründerzeitlich angelegten Viertels erschließen sich bei einem Rundgang vom Simsonplatz aus. Die nach bedeutenden Musikern und Leipziger Persönlichkeiten benannten Straßen führen zu zahlreichen, für Bildung, Kultur oder Wohnen genutzten historischen Gebäuden. Die Karl-Tauchnitz-Straße mit den locker bebauten Villengrundstücken leitet in die Parkanlagen über.
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Einleitung
Um 1871 hatte die Messestadt mit rund 107 000 Einwohnern den Status einer Großstadt erreicht. Die Vorstädte wurden nun verstärkt für den Bau repräsentativer öffentlicher Gebäude und Wohnhäuser einbezogen. Die südwestlich der Altstadt gelegenen Auenbereiche der Elster und Pleiße standen erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach Regulierung der Flüsse und Trockenlegung von vernässten Flächen sowie der Parzellierung des Alten Botanischen Gartens als Bauland zur Verfügung.
Das Musikviertel wurde als letztes gründerzeitliches Vorstadtviertel planmäßig ab 1880 entwickelt. Neben prunkvollen mehrgeschossigen Stadtpalais und Villen für das Leipziger Großbürgertum entstanden auch monumentale öffentliche Gebäude für Einrichtungen der Kultur, Bildung und des Gerichtswesens im wilhelminisch geprägten Stil des Historismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Da als erste dieser Prachtbauten ab 1882 das Neue Konzerthaus und wenig später das Königliche Konservatorium für Musik errichtet wurden, erhielt das Quartier den Namen Musikviertel, auch als Konzertviertel bezeichnet.
Für weitere Informationen zum Musikviertel siehe Denzer et al. 2015 ab Seite 176.
Station 1: Simsonplatz: Vom Reichsgericht zum Bundesverwaltungsgericht zur Kartenansicht >>
An der östlichen Seite des Simsonplatzes, der vorher Reichsgerichtsplatz und Georgi-Dimitroff-Platz hieß, fließt seit 2001 der Pleißemühlgraben parallel zur Harkortstraße wieder im offenen Lauf. Der nach dem ersten Präsidenten des Reichsgerichts Eduard von Simson (1810–1899) benannte Platz wird von dem wuchtigen Komplex des heutigen Bundesverwaltungsgerichts dominiert. Der Gebäudekomplex steht auf dem Terrain des alten Botanischen Gartens der Universität. Nachdem Leipzig als Sitz des obersten Gerichtes des Deutschen Reiches ausgewählt worden war, entstand hier das Reichsgericht zwischen 1888 und 1895 nach Plänen der Architekten Ludwig Hoffmann (1852–1932) und Peter Dybwad (1859–1921). Seit 2002 befindet sich darin das Bundesverwaltungsgericht. Besonders prunkvoll zeigt sich die 126 m lange Eingangsfront. Das Gebäude umschließt zwei Innenhöfe und wird von einer 68,5 m hohen Kuppel überragt, die wiederum von der Figur der Wahrheit mit einer Fackel bekrönt wird.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude stark zerstört. Nach seiner Wiederherstellung 1952 wurde es bekannt als Georgi-Dimitroff-Museum. Daneben nutzten auch das Sächsische Staatsarchiv, das Deutsche Institut für Länderkunde und das Museum für bildende Künste das Gebäude. Nach einem Beschluss der Unabhängigen Föderalismuskommission von 1992 zog 2002 das Bundesverwaltungsgericht in das im Inneren baulich veränderte Gebäude ein.
Station 2: Beethovenstraße zur Kartenansicht >>
Die Südseite des Gerichtsgebäudes ist zur Beethovenstraße gerichtet. Der mittlere Straßenabschnitt wird von zwei Gebäudekomplexe der Universität dominiert: Die Universitätsbibliothek „Bibliotheca Albertina“ (Beethovenstraße Nr. 6) entstand zwischen 1887 und 1891 nach Plänen von Arwed Roßbach (1844–1902) mit Stilelementen der italienischen Hochrenaissance und des Barock. Das Bibliotheksgebäude wurde 1943 teilweise stark zerstört. Zwischen 1992 und 2002 wurde es saniert bzw. neu ausgebaut. Neben den eindrucksvoll ausgestalteten Sandsteinfassaden mit figürlichem Schmuck sind insbesondere die hohe Eingangshalle und der neue Lesesaal im östlichen Lichthof beachtenswert.
Der Bibliothek gegenüber und im baulichen Kontrast dazu steht das 2002 eingeweihte Geisteswissenschaftliche Zentrum der Universität. Ursprünglich befand sich auf dem Areal das zwischen 1882 und 1884 errichtete Konzerthaus (Altes Gewandhaus), das im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1968 abgebrochen wurde. Eine Plakette am Neubau erinnert an den von Martin Gropius (1824–1880) und Heino Schmieden (1835–1913) errichteten Vorgängerbau. Es handelte sich um den ersten Prachtbau des Viertels.
Das Eckhaus Beethovenstraße Nr. 8 (Roßbachhaus) repräsentiert den Typ der mehrgeschossigen Wohnpalais im westlichen Musikviertel, der auch in der Ferdinand-Rhode-Straße und Schwägrichenstraße vorherrscht.
Station 3: Repräsentativbauten für die Bildung zur Kartenansicht >>
Nach Norden folgen zwischen Beethoven- und Wächterstraße weitere mehrgeschossige Repräsentativbauten: Die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ nutzt das zwischen 1885 und 1887 nach Entwürfen von Hugo Licht (1841–1923) erbaute Königliche Konservatorium für Musik (Grassistraße Nr. 8).
Das daran anschließende Gebäude mit der Hauptfront zur Wächterstraße (Nr. 13) war zwischen 1889 und 1896 als Städtische Gewerbeschule erbaut worden und beherbergt heute die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur. In der Wächterstraße Nr. 11 befindet sich die Hochschule für Grafik und Buchkunst im 1887–1890 für die Königliche Akademie für Graphik und Buchgewerbe errichteten Gebäudekomplex. Die Nordseite der Wächterstraße ist mit gründerzeitlichen Villen vorwiegend im Stil der italienischen Renaissance bebaut, die heute u.a. von wissenschaftlichen Einrichtungen (Nr. 30, 32, 34) genutzt werden.
Station 4: Karl -Tauchnitz-Straße/Johannapark zur Kartenansicht >>
An der Karl-Tauchnitz-Straße, als eine äußere Ringstraße um das Viertel angelegt, setzen sich die Villengrundstücke fort. In Nr. 3, der einstigen Villa des Geologen Hermann Credner, befindet sich die Galerie für Zeitgenössische Kunst.
Auf drei im Zweiten Weltkrieg zerstörten Villengrundstücken wurden in den 1960er Jahren drei Wohnhochhäuser gebaut, die hier das Viertel zum Johannapark begrenzen. Dieser englische Landschaftspark wurde vom Bankier und Eisenbahnpionier Wilhelm Seyfferth (1807–1881) initiiert und zwischen 1861 und 1865 vom Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné (1789–1866) entworfen. Der Park befindet sich seit 1881 in städtischem Besitz, nachdem ihn Seyfferth in seinem Testament der Stadt Leipzig stiftete unter der Bedingung, dass das Grundstück für immer unbebaut bleiben sollte. Seinen Namen erhielt der Johannapark zur Erinnerung an Seyfferths Tochter. Der Park trennt ebenso wie der sich im Süden anschließende Clara-Zetkin-Park das Musik- vom Bachstraßenviertel.
Station 5: Clara -Zetkin-Park zur Kartenansicht >>
Nachdem in den 1860er Jahren die Umgestaltung von Auenwiesen zum Johannapark erfolgt war, wurde auch südlich daran anschließend mit der Ausgestaltung eines weiteren Stadtparks begonnen. Das Gelände wurde zunächst der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung zur Verfügung gestellt, nach Beseitigung der Ausstellungshallen um 1900 begann die gärtnerische Umgestaltung zum „König-Albert-Park“.
1955 hatte die Stadt den König-Albert-Park mit mehreren angrenzenden Parkflächen zum „Zentralen Kulturpark Clara Zetkin“ zusammengefasst. In den folgenden Jahren wurde der Park großzügig mit Spiel- und Sportplätzen, einer Parkbühne, Sitzterrassen an zwei Teichen, einer Parkgaststätte und weiteren Einrichtungen zur aktiven Erholung ausgestattet. Für weitere Informationen zur Entwicklung des Clara-Zetkin-Parks siehe Denzer et al. 2015, Seite 182.
Der weitere Weg führt uns entlang der Karl-Tauchnitz-Straße nach Süden vorbei an der Mozartstraße und der Haydnstraße. Gegenüber der Rennbahn Scheibenholz biegen wir in die Telemannstraße ein.
Station 6: Telemann-/Grassistraße zur Kartenansicht >>
Am Standort Telemann-/Ecke Grassistraße eröffnet sich dem Besucher der Blick auf die Baustrukturen des mittleren und südlichen Musikviertels: Hier wurden in den 1970er Jahren die im Krieg zerstörten gründerzeitlichen Wohnquartiere durch fünf elfgeschossige „Wohnscheiben“ in Plattenbauweise ersetzt.
Station 7: Simson- und Lampestraße zur Kartenansicht >>
Die ursprünglich quartierstypische, geschlossene Blockrandbebauung mit mehrgeschossigen Wohnpalästen des Großbürgertums kann noch gut an der 1883–1886 bebauten Simson- und Lampestraße erkannt werden. Beide Straßen begleiteten ursprünglich als Uferstraßen den Pleißemühlgraben und waren über die Simson-, Lampe- und Sidonienbrücke verbunden. Seit der Überwölbung des Wasserlaufes 1951 trennt ein Grünstreifen die architektonisch prachtvoll gestalteten Häuserfronten mit architektonisch besonders betonten Eckgebäuden.
Station 8: Mendelssohnufer zur Kartenansicht >>
Unser Rundgang endet am Mendelssohnufer, an dem der Pleißemühlgraben bereits 2008 mit terrassenförmig gestaltetem Ufer freigelegt wurde. Eine weitere Öffnung des Mühlgrabens ist zwischen Paul-Gruner-Straße und Mendelssohn-Ufer vorgesehen. Am westlichen Ufer erinnert die Büste für Felix Mendelssohn Bartholdy an die Bedeutung des Stadtviertels für die Leipziger Musikgeschichte – sie stand von 1947 bis zum Abriss 1968 in er Nähe vor der Ruine des Gewandhauses in der Beethovenstraße.
Empfohlene Zitierweise
Luise Grundmann: “Das Musikviertel – Pracht- und Monumentalbauten des Historismus” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/78_e_533-musikviertel/, Stand 12.06.2015
Quellen und weiterführende Literatur
- Vorschaubild: Blick vom Rathausturm auf das Musikviertel, Ansichtskarte um 1908. IfL: PKL-Mus.V.054
- Titelbild: © Mapbox © OpenStreetMap, Bearbeitung: Vera Schreiner (IfL)
- Brogiato, Heinz Peter (2009): Leipzig um 1900. Zweiter Band. Die Stadtteile in kolorierten Ansichtskarten aus dem Archiv des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig e.V. – Leipzig.
- Denzer, Vera; Dix, Andreas; Porada, Haik Thomas (Hrsg.) (2015): Leipzig: Eine landeskundliche Bestandsaufnahme. Landschaften in Deutschland, Bd. 78. – Köln.
- Dorsch, Thomas G. (1999): Der Reichsgerichtsbau in Leipzig. Anspruch und Wirklichkeit einer Staatsarchitektur (Europäische Hochschulschriften/ 37; 21). - Frankfurt am Main u. a.
- Hocquél, Wolfgang (2010): Leipzig – Architektur von der Romanik bis zur Gegenwart; 3. Stark erweiterte Aufl. – Leipzig.
- Kühn, Christoph (1999): Bachstraßenviertel und Musikviertel. Eine historische und städtebauliche Studie (hg. von Pro Leipzig e. V.). – Leipzig.
- Musikviertel e.V. (Hrsg., 2007): Wohn- und Bürgerhäuser im Leipziger Musikviertel. – Beucha.