Alt-Paunsdorf – Vom Kern zur Peripherie
Von Heinz Peter Brogiato – 06/2015
Der Rundgang führt durch den alten Dorfkern von Paunsdorf, der durch die jüngeren Entwicklungen (Großwohnsiedlung Paunsdorf-Nord, Paunsdorf Center) an den Rand gedrängt wurde. Vom alten Gutsdorf hat sich kaum etwas erhalten, geprägt wird Alt-Paunsdorf von den städtebaulichen Entwicklungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts: Gründerzeitliche Wohnviertel, Kleinsiedlungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Industrieflächen entlang der Eisenbahn.
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Einleitung
Die Gemarkung Paunsdorf erfuhr in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Veränderungen. Durch den Bau von großflächigen Wohn- und Gewerbegebieten im Nordosten der Gemarkung liegt der alte Ortskern von Paunsdorf heute funktional und räumlich getrennt von diesen Gebieten im äußersten südwestlichen Winkel.
Für weitere Informationen zu Paunsdorf siehe Denzer et al. 2015 ab Seite 283.
Station 1: Genezarethkirche zur Kartenansicht >>
Am Start unseres Rundgangs, an der Kreuzung Riesaer Straße und Theodor-Heuß-Straße, lässt sich eine starke Verkehrsbelastung beobachten. Der vierspurige Ausbau der Theodor-Heuß-Straße 1994 als Teilabschnitt des Mittleren Rings hat zu einer zusätzlichen Zerschneidung des Dorfkerns geführt.
An der Ecke der beiden Durchgangsstraßen steht das Pfarrhaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Daneben befand sich seit 1772 der alte Gasthof, der 1958 abgerissen wurde. An seine Stelle traten 1962 Wohnblöcke. Nördlich des Pfarrhauses steht die Kirche, die seit 1946 den Namen Genezarethkirche trägt. Da Paunsdorf während der Völkerschlacht 1813 fast vollständig zerstört wurde, ist die Kirche das einzige Gebäude aus vorheriger Zeit.
Anstelle eines gotischen Vorgängerbaus entstand sie 1783 als frühklassizistischer Saalbau nach Plänen des Leipziger Baudirektors Johann Carl Friedrich Dauthe. Der auffallend schlanke Turm mit dem spitzen Helm stammt allerdings erst aus dem Jahr 1875. Vor der Kirche befindet sich seit 1913 eines von ursprünglich fünf identischen Österreicherdenkmälern, die den habsburgischen Adler mit ausgebreiteten Schwingen zeigen und an die Beteiligung österreichischer Truppen an der Völkerschlacht erinnern.
Station 2: Rathaus zur Kartenansicht >>
In einem architektonisch starken Kontrast zur Kirche schließt sich nördlich der wuchtige Bau des Rathauses an. Obwohl bereits Gespräche über eine Eingemeindung nach Leipzig liefen, kaufte die Gemeinde Paunsdorf 1907 das Areal und beauftragte Fritz Drechsler (1861–1922), einen bekannten Leipziger Architekten des Historismus, mit der Bauplanung. Am 20. April 1912 erfolgte die Einweihung, zehn Jahre später verlor das Gebäude durch die Eingemeindung nach Leipzig wieder seine Funktion. Heute wird der Bau als Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt genutzt.
Im Halbkreis um das Rathaus führt die Straße Am Röschenhof, deren Name an ein altes Bauerngut (Rösch) erinnert, das sich hier befand. Die Bebauung wurde in den 1920er Jahren durch zwei Wohnanlagen komplettiert.
An der gegenüberliegenden, westlichen Seite der Theodor-Heuß-Straße standen noch bis um 1900 mehrere Bauerngüter, an deren Stelle die ersten Mietshäuser des Dorfes sowie einige Villen errichtet wurden.
Station 3: Gutshof Paunsdorf zur Kartenansicht >>
Am nördlichen Ende der Hauptstraße befand sich das Rittergut, das nach dem Tod des letzten Gutsbesitzers Heinrich Woldemar Kärner (1857–1924) noch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs von einer Stiftung bewirtschaftet wurde. In der Bodenreform wurden die Flächen aufgeteilt und das parzellierte Land an Neubauern vergeben, das Herrenhaus abgebrochen. Nachdem 2003 weitere Wirtschaftsgebäude, darunter die Schäferei, abgerissen worden waren, sind vom einstigen Gut nur wenige Nebengebäude erhalten.
Die älteste Wohnbebauung des Ortes befindet sich in der Häuslergasse und der Seegeritzer Straße. In der Häuslergasse, deren Name bereits andeutet, dass hier Landarbeiter des Ritterguts wohnten, existieren noch drei Gebäude aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch in der Seegeritzer Straße spiegelt sich an einigen erhaltenen Wohnhäusern aus dem 19. Jahrhundert die alte Dorfstruktur.
Die Straße führt im Halbkreis um einen kleinen Park. Hier befand sich der ehemalige Dorfteich, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit Trümmerschutt verfüllt worden war. Die Seegeritzer Straße stößt auf die Döllingstraße, die parallel zur Riesaer Straße verläuft.
Zwischen Dölling- und Riesaer Straße befindet sich ein gründerzeitliches Erweiterungsgebiet, das nach 1874, in mehreren Bauphasen von Westen ausgehend, angelegt wurde. Die historische drei- bis viergeschossige Bebauung ist in einigen Straßenzügen gut erhalten, dazwischen findet man noch einige ältere Häuser. Zahlreiche größere Fenster, vor allem an den architektonisch hervorgehobenen Eckhäusern, deuten an, dass in diesem Wohngebiet einst zahlreiche Geschäfte und Gasthäuser existierten. Heute findet man hier kaum noch infrastrukturelle Einrichtungen, selbst den täglichen Bedarf kann die Wohnbevölkerung vor Ort nicht mehr decken.
Station 4: Ehemaliges Vereinshaus der Freien Turnerschaft zur Kartenansicht >>
Zu den wenigen öffentlichen Einrichtungen in diesem Bereich zählen Kindergarten und Schule in der Döllingstraße. Von der Straße zurückversetzt, am Rand des ehemaligen Gutsparks ist der Kindergarten in einem Gebäude untergebracht, das zwischen 1926 und 1929 als Vereinshaus der Freien Turnerschaft erbaut wurde.
Station 5: 24. Grundschule zur Kartenansicht >>
Das Schulgebäude, in dem heute die 24. Grundschule untergebracht ist, stammt aus dem Jahr 1885. Wegen der ständig anwachsenden Bevölkerungszahl, die Paunsdorfer Einwohnerzahl hatte sich zwischen 1870 und 1914 fast versechsfacht, musste das Gebäude bis 1905 mehrfach erweitert werden, bis der stattliche Winkelbau sein heutiges Aussehen erhalten hatte.
Die Döllingstraße hieß bis 1910 Schulstraße, neben der Schule befand sich seit 1892 bis zum Bau des Rathauses die Bürgermeisterei, erkennbar am Wappen an der Hausfassade Nr. 29.
Schließlich verdient der Wasserturm am östlichen Ende der Döllingstraße Erwähnung. Erbaut 1903, befindet er sich heute in Privatbesitz.
Station 6: Umgebaute Fabrik Böttgerstraße 1 zur Kartenansicht >>
Durch eine der Querstraßen gelangt man auf die viel befahrene Riesaer Straße. Aus der Wohnbebauung ragt ein Gebäude zwischen der Johannes-Kärner-Straße und der Böttgerstraße heraus. Hier befand sich seit 1897 in einem der ersten Stahlbetonbauten Sachsens die Schriftgießerei Böttger, die bereits seit 1863 in Paunsdorf produzierte. Nach der Stilllegung des Betriebs 1930 erfolgte der Umbau zu einem Wohnhaus.
Station 7: Fabrikhalle der Maschinenfabrik Christian Mansfeld zur Kartenansicht >>
Zwischen der Riesaer Straße und der Dresdner Eisenbahn bildete sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein Industriegebiet heraus, das sich von Paunsdorf nach Mölkau und Engelsdorf erstreckte. Hier produzieren auch heute noch mehrere Betriebe (Industriestahlbau, Druckmaschinenbau, Großhandel für Industrie, Logistik), darunter die IMO (Industriemontagen) Leipzig mit mehr als 300 Mitarbeitern am Standort Riesaer Straße.
Ein beeindruckendes Beispiel der Industriearchitektur stellt die Fabrikhalle der Maschinenfabrik Christian Mansfeld dar, auch wenn inzwischen langjähriger Leerstand und Abrissarbeiten den Gesamteindruck beeinträchtigen. Die Halle wurde 1911/ 12 errichtet, als das Unternehmen von Reudnitz nach Paunsdorf umsiedelte. Christian Mansfeld (1819–1893) spielt in der Geschichte der deutschen Industrialisierung eine Rolle, da es ihm 1853 gelang, die erste Nähmaschine in Deutschland herzustellen. Später produzierte das Unternehmen neben Nähmaschinen vor allem Papierbearbeitungs- und Schuhfabrikationsmaschinen. Auf dem ca. 50.000 m² großen Fabrikgelände in Paunsdorf arbeiteten anfangs etwa 1000 Menschen. Im Dritten Reich diente das Werk, wie die HASAG an der Permoserstraße, der Rüstungsindustrie mit circa 2000 Beschäftigten, darunter zahlreichen Zwangsarbeitern. Während der DDR fungierte der Betrieb als VEB Leuchtenbau, 1996 wurde die Produktion am Standort Riesaer Straße eingestellt.
Empfohlene Zitierweise
Heinz Peter Brogiato: “Alt-Paunsdorf – Vom Kern zur Peripherie” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/78_e_512-paunsdorf/, Stand 11.06.2015
Quellen und weiterführende Literatur
- Vorschaubild: Fabrikhalle der ehemaligen Maschinenfabrik Christian Mansfeld. Foto: Thomas Chudy, 2015
- Titelbild: © Mapbox © OpenStreetMap, Bearbeitung: Vera Schreiner (IfL)
- Brogiato, Heinz Peter (2009): Leipzig um 1900. Zweiter Band. Die Stadtteile in kolorierten Ansichtskarten aus dem Archiv des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig e.V. – Leipzig.
- Denzer, Vera; Dix, Andreas; Porada, Haik Thomas (Hrsg.) (2015): Leipzig: Eine landeskundliche Bestandsaufnahme. Landschaften in Deutschland, Bd. 78. – Köln.
- Kühn, Christoph (1997b): Die Ortslage Leipzig-Paunsdorf. Überlegungen zur suburbanen Planung, in: Landesverein Sächsischer Heimatschutz (Hrsg.): Mitteilungen, H.3, S. 62–67.
- Poser, Steffen (2008): Denkmale zur Völkerschlacht. – Leipzig.
- Specht, Arno u. Uwe Schimunek (2014): Geisterstätten Leipzig. Vergessene Orte. – Berlin.