Dölitz – Villenvorort und Braunkohlenbergbau
Von Heinz Peter Brogiato – 06/2015
Die Fußexkursion beginnt an den für Leipzig einmaligen Hinterlassenschaften des untertägigen Braunkohleabbaus. Großflächige Naherholungsgebiete auf den Bruchfeldern des Bergbaus, in der Pleißenaue und dem agra-Gelände prägen Dölitz. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Ort zu einem beliebten Wohnstandort reicher Leipziger Bürger. Ihre Villen und Parks sind wichtige Kulturlandschaftselemente des Ortsteils.
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Einleitung
Der Dorfkern von Dölitz, das als sorbisches Gassendorf am östlichen Rand der Pleißeniederung entstand, lag westlich der Bornaischen Straße im Bereich der heutigen Helenenstraße. Hier haben sich Reste der alten Bebauung aus dem 18. und 19. Jahrhundert erhalten. Die gutsherrschaftliche Dominanz des Ortes hatte Auswirkungen auf die Sozial- und Bebauungsstruktur: Überdurchschnittlich viele Bewohner waren landlose Tagelöhner, die in kleinen Häusern mit Gärten wohnten.
Bereits um 1880 hatte die Entwicklung des Dorfes zur vorstädtischen Wohnsiedlung begonnen. Schon seit dem 18. Jahrhundert war Dölitz zu einer beliebten Sommerfrische für Leipziger wohlhabende Bürger geworden, die sich Grundstücke kauften und darauf Landhäuser und Villen errichteten.
Um 1895 begann der Gutsbesitzers Georg Ernst von Winckler (1841–1918) auf seinem Besitz mit Probebohrungen nach Braunkohle. Nachdem man auf höffige Flöze gestoßen war, begann 1903 die Kohlenförderung im Tiefbau. Der Schacht blieb der einzige nennenswerte Industriebetrieb in Dölitz.
Für weitere Informationen zu Dölitz siehe Denzer et al. 2015 ab Seite 337.
Station 1: Braunkohleschacht Dölitz zur Kartenansicht >>
Am östlichen Ende der Friederikenstraße befindet sich ein für Leipzig einmaliges Industriedenkmal: der Braunkohlenschacht Dölitz. Hier wurde zwischen 1903 und 1959 Braunkohle aus etwa 65–70 m Tiefe gefördert. Wichtigster Abnehmer war seit 1910 das Elektrizitätswerk Süd in Lößnig, seit 1917 gehörten 90 % der Kuxe der Stadt Leipzig, für deren Energieversorgung die Dölitzer Braunkohle von erheblicher Bedeutung war.
Mit einer Belegschaft von etwa 150 Bergleuten (in den 1950er Jahren sogar ca. 300) förderte die Grube jährlich ca. 120.000 t zur Produktion von Nasspresssteinen. Der aktive Bergbau in Dölitz endete 1959, später wurden die untertägigen Strecken und Schächte verfüllt und verplombt. Die technischen Anlagen übertage sind fast vollständig erhalten und stehen seit 1993 in der Liste der Kulturdenkmale der Stadt. Trotz umfangreicher Sanierungsmaßnahmen und einer engagierten Interessengemeinschaft ist es bisher allerdings nicht gelungen, ein tragfähiges museales Konzept umzusetzen.
Aus der Anfangszeit der Schachtanlage 1907 stammen der Förderturm und die 600-Tonnen-Halle zum Verladen der Kohle. Andere historische Gebäude, wie die Kaue (Waschkammer), das Sozialhaus oder der Südwerkbunker entstanden in den 1920er Jahren, als der Schacht umfassend modernisiert wurde. Auf dem Betriebsgelände haben sich nach 1990 Bildungs- und Forschungseinrichtungen niedergelassen. Viele Gebäude, wie z.B. die ehemalige Bergingenieurschule und die Lehrlingswohnheime, sind jedoch ungenutzt.
Auf den Bruchfeldern des Bergwerks, wo sich durch Bergsenkungen ein bewegtes Relief gebildet hatte, entstand in den 1980er Jahren ein großes Naherholungsgebiet Lößnig-Dölitz, das im Norden bis an den Südfriedhof heranreicht und Teil eines Grünzugs von der Innenstadt bis in den Südraum ist.
Die Friederikenstraße (bis 1912 Probstheidaer Straße) wurde nach Friederike Oeser (1748–1829), der Freundin Goethes, benannt. Ihr Vater, Adam Friedrich Oeser (1717–1799) war als Direktor der Leipziger Kunstakademie 1771 einer der ersten gewesen, die in Dölitz ein Grundstück erworben hatten. Im westlichen Straßenabschnitt befand sich mit dem „Neudörfchen“ eine der Keimzellen von Dölitz. Von der ursprünglichen, kleinteiligen Bebauung sind allerdings kaum noch Spuren vorhanden. Die ältesten Gebäude sind zweigeschossige Mietshäuser aus der Mitte des 19. Jahrhunderts (Nr. 3 und 4), ansonsten herrschen dreigeschossige Mietshäuser aus der Gründerzeit vor.
Station 2: Bornaische Straße zur Kartenansicht >>
Das Eckhaus (Nr. 1) an der Bornaischen Straße, erbaut 1891, gilt als eines der ältesten städtischen Mietshäuser in Dölitz. Nördlich der Einmündung der Friederikenstraße bietet die Randbebauung der Bornaischen Straße ein sehr unterschiedliches Bild. Auf der östlichen Straßenseite lässt ein Parkplatz eines Autohauses vermuten, dass die Fläche einst bebaut war. Hier stand bis 2008 ein Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, in dem 1875 die Gaststätte „Deutsches Haus“ eröffnete.
An der Bornaischen Straße befanden sich mehrere solcher Gasthäuser, die sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit als Ausflugslokale der Leipziger Bevölkerung erfreuten. Die stattlichen dreigeschossigen Häuser in der Giebnerstraße, darunter mehrere Doppelmietshäuser, deuten auf gehobenes Wohnen um 1900.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Bornaischen Straße lockert die Bebauung inmitten eines parkähnlichen Laubwaldes deutlich auf. Hier, beidseits der Gemarkungsgrenze zu Lößnig, hatte der Leipziger Kaufmann Paul Bernhard Limburger (1826–1891) 1859 Land erworben. Zwischen Straße und Mühlpleiße ließ die Familie in den darauf folgenden Jahren einen Park anlegen und mehrere Gebäude errichten. Die Limburgerschen Villen waren ein Treffpunkt des Leipziger Musiklebens. Johannes Brahms oder die Kapellmeister des Gewandhausorchesters Carl Reinecke und Arthur Nickisch zählten zu den Gästen.
Während sich die Villen an der Mühlpleiße auf Lößniger Flur befinden, stehen an der Bornaischen Straße in Dölitz ein Chalet im Schweizerstil (um 1870 erbaut) und Wirtschaftsgebäude. Unmittelbar südlich davon befinden sich die Reste des Sommerhauses, das sich der Maler Adam Friedrich Oeser (1717–1799) im Jahr 1771 errichten ließ (Bornaische Str. 146/ 148). Nach Umbauten und Kriegszerstörungen ist von der alten Pracht allerdings nicht mehr viel zu erkennen.
Südlich der Einmündung der Giebnerstraße setzt auf der westlichen Seite der Bornaischen Straße die Bebauung mit städtischen Mietshäusern ein, die zwischen 1890 und 1914 errichtet wurden, während sich auf der östlichen Seite mehrere traufständige, zweistöckige Häuser aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten haben.
Station 3: Saalbau Bornaische Straße Nr. 170/ 172 zur Kartenansicht >>
An der Straßenecke zur Helenenstraße dämmert ein Gebäude seinem Abriss entgegen, das einst von besonderer ortsgeschichtlicher Bedeutung war. Hier befand sich der Dölitzer Dorfkretscham, der bereits 1459 erwähnt wird. Der verfallene Saalbau aus dem Jahr 1867 ist der Rest der Gaststätte „Zum Reiter“. Diese war vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Schließung des gastronomischen Betriebs 1920 ein beliebtes Ausflugsrestaurant im Leipziger Süden.
Der halbkreisförmige Verlauf der Helenenstraße, benannt nach der Ehefrau des Leipziger Gynäkologen und Stifters Julius Hermann Haake, dessen Wohnhaus sich in dieser Straße (Nr. 45) befand, umreißt etwa den alten Ortskern von Dölitz. An der Ecke zur Vollhardtstraße, wo sich auch heute ein gastronomischer Betrieb befindet, steht ein Saalbau, der 1894 für die Gaststätte „Zur Friedenseiche“ errichtet wurde.
Die Vollhardtstraße ist eine kurze Sackgasse, benannt nach einem Gerichtsschöffen, der hier wohnte (das spätere Hirtenhaus, Nr. 12) und einen Bericht über die Kämpfe um Dölitz von 1813 verfasste. Einige Kleinbauernhäuser sind erhalten, das Haus Nr. 10 wurde 1826/ 27 als erste Schule von Dölitz erbaut. Seit 1883 befand sich eine Kinderbewahranstalt im Gebäude, eine Bronzetafel erinnert an den Stifter Otto Weickert.
Station 4: Dölitzer Wassermühle zur Kartenansicht >>
Die Vollhardtstraße führt zum Technischen Denkmal Dölitzer Wassermühle, die 1540 erstmals urkundlich erwähnt wird. Das heutige Fachwerkgebäude an der Mühlpleiße entstand nach der Zerstörung durch die Kämpfe von 1813. Bis 1974 (mit einer Unterbrechung von 1920 bis 1950) diente die Mühle ihrem Zweck, die Mühlentechnik stammt zum Teil noch aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts.
Nach 1990 begann eine Phase der Rekonstruktion, die noch nicht abgeschlossen ist. Die noch vorhandenen Gebäude wurden saniert und um historische Bauten ergänzt. So wurde 1999 eine Fachwerkscheune eines 1831/ 32 errichteten Guts aus dem abgebaggerten Breunsdorf aufgestellt. Dadurch konnte das ursprüngliche Ensemble eines Vierseithofes wieder hergestellt werden. Nach Abschluss der Bauarbeiten soll die Mühle als Museum mit funktionstüchtiger Technik zugänglich gemacht werden.
Station 5: Torhaus Dölitz zur Kartenansicht >>
Wenige Meter entfernt führt der Weg zum bekanntesten Baudenkmal des Stadtteils, dem Torhaus Dölitz. Es ist der bedeutendste bauliche Überrest des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schlosses. Die Anfänge des Herrensitzes reichen bis ins Hochmittelalter zurück, als hier eine Wasserburg existierte. Von 1451 bis 1636 gehörte es der adeligen Familie von Crostewitz, die 1550 ein neues Renaissanceschloss errichten ließ. Während des Dreißigjährigen Krieges verarmt, verkaufte die Familie das Schloss an den Leipziger Kaufmann Georg Winckler (1582–1654), der durch Seidenhandel zu Reichtum gekommen war. Sein Sohn Andreas (1623–1675) ließ zwischen 1670 und 1672 unmittelbar am Pleißemühlgraben ein barockes Torhaus errichten, wo es am 16. Oktober 1813 zu Kämpfen zwischen polnischen und österreichischen Truppen kam. Seit 1960 wird im Torhaus eine Zinnfigurenausstellung zur Völkerschlacht gezeigt.
Zurück zur Helenenstraße: Die Bebauung wird geprägt von kleineren Häusern, die zumindest im Kern aus dem ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert stammen (z.B. Nr. 2, ca. 1780 erbaut; Kleinbauernhäuser Nr. 39 und 41), und Wohn- und Mietshäusern aus der Gründerzeit. Im Haus Nr. 39 befand sich von 1839 bis zur Eingemeindung 1910 das Gemeindeamt.
Im Areal der südlichen Helenenstraße hatte sich der Pelzhändler Friedrich Wilhelm Dodel (1861–1933) 1896 Land gekauft und eine Villa mit Park errichten lassen. Nach dem Bankrott des Pelzgeschäfts ließ die Stiftung für Volks- und Kulturbodenforschung auf dem Parkgelände eine Wohnanlage („Tannenhof“, Helenenstr. 44–50) bauen. Anstelle der 1935 abgerissenen Dodelschen Villa entstand 1939 ein Wohnheim mit Senioren-Kleinstwohnungen (heute „Seniorenpark Dölitz“).
Die Helenenstraße mündet wieder in die Bornaische Straße, wo an der Ecke Leinestraße das zweite Schulgebäude von Dölitz steht. Es diente zwischen 1883 und 1905 dem Unterricht, war dann Rathaus der Gemeinde und seit 1910 Polizeiwache. Zuletzt befand sich ein Wohnheim der Behindertenhilfe in der Bornaischen Straße 215.
Station 6: Schulgebäude Wincklerstraße Nr. 3/5 zur Kartenansicht >>
Unweit entfernt, in der Wincklerstraße (Nr. 3/ 5), steht das dritte Schulgebäude, das 1904/ 05 erbaut wurde, 1912/ 13 einen Erweiterungsbau erhielt und seit 1992 einer Grundschule dient.
Station 7: agra-Veranstaltungsgelände zur Kartenansicht >>
Unmittelbar an der Gemarkungsgrenze zu Markkleeberg schließt sich das agra-Gelände an. Die Anfänge gehen auf einen englischen Landschaftspark zurück, den der Leipziger Verleger Paul Herfurth (1855–1937) auf Raschwitzer Flur anlegen ließ. In den 1920er Jahren erweiterte Herfurth seinen Besitz auf Dölitzer Flur. Nach der Enteignung der Familie diente das Gelände seit 1952 der gemeinsam durchgeführten Gartenbau- und Landwirtschaftsausstellung der DDR. 2003 fand die letzte agra-Messe statt, in einem Neubau war von 1998 bis 2003 das Deutsche Landwirtschaftsmuseum untergebracht. Heute werden die Ausstellungshallen unter anderem am letzten Wochenende jeden Monats für den größten Trödelmarkt Europas geöffnet; einmal im Jahr rückt das Gelände in den Fokus des öffentlichen Interesses: An Pfingsten findet hier das Wave-Gotik-Treffen statt.
Empfohlene Zitierweise
Heinz Peter Brogiato: “Dölitz – Villenvorort und Braunkohlenbergbau” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/78_e_507-doelitz/, Stand 01.06.2015
Quellen und weiterführende Literatur
- Vorschaubild: Förderturm Dölitz. Foto: Romana Schwarz, 2015
- Titelbild: © Mapbox © OpenStreetMap, Bearbeitung: Vera Schreiner (IfL)
- BROGATIO, Heinz Peter (2009): Leipzig um 1900. Zweiter Band. Die Stadtteile in kolorierten Ansichtskarten aus dem Archiv des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig e.V. – Leipzig.
- DENZER, Vera; DIX, Andreas; PORADA, Haik Thomas (Hrsg.) (2015): Leipzig: Eine landeskundliche Bestandsaufnahme. Landschaften in Deutschland, Bd. 78. – Köln.
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