Böhlitz-Ehrenberg – Kleinstädtisches Gepräge
Von Heinz Peter Brogiato – 04/2015
Der Rundgang führt durch die beiden bereits im 19. Jahrhundert zusammengewachsenen Orte. Die Nähe zur Großstadt und die Ansiedlung zahlreicher Industriebetriebe gaben Böhlitz-Ehrenberg ein kleinstädtisches Gepräge. Gründerzeitliche Straßenzüge, Neubaugebiete, aber auch brachliegende und umgenutzte Gewerbeflächen charakterisieren den Ortsteil.
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Einleitung
Böhlitz und Ehrenberg entstanden als Gassendörfer in der Luppeaue. Beide Dörfer lagen eng benachbart und waren über einen Weg, die heutige Auenstraße, miteinander verbunden. Die Grenze bildete der Bach Biela, der hier in die Luppe mündet. Das verrohrte Fließgewässer wurde 2001 wieder offen gelegt und renaturiert. Die räumliche Nähe und die gemeinsame Geschichte als Besitz des Merseburger Bischofs veranlassten die beiden Dörfer, sich 1839 zu einer Gemeinde zusammenzuschließen. Die bis 1998 eigenständige Großgemeinde besteht neben den beiden Namen gebenden Orten aus mehreren weiteren Siedlungskernen: dem 1934 eingemeindeten Kirchdorf Gundorf mit dem Rittergut Neuscherbitz und dem 1908 eingemeindeten Gutsweiler Barneck. 1999 wurde Böhlitz-Ehrenberg nach Leipzig eingemeindet.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein blieb Böhlitz-Ehrenberg eine rein bäuerlich geprägte Siedlung, in der neben der Landwirtschaft die Forstwirtschaft, die Fischerei und das Müllerhandwerk betrieben wurden. Seit 1544 gehörten beide Orte zur Kirche Gundorf. Bis 1876 mussten die Kinder in die Gundorfer Schule gehen.
Für weitere Informationen zu Böhlitz-Ehrenberg siehe bei Denzer et al. 2015 ab Seite 395.
Station 1: Wohnhaus der Familie Schlobach zur Kartenansicht >>
Am östlichen Ende der Auenstraße (Nr. 14) befindet sich das Wohnhaus der Familie Schlobach, deren Name mit der Entwicklung Böhlitz-Ehrenbergs untrennbar verbunden ist. 1846 kaufte Carl Wilhelm Franz Schlobach (1824–1907), Sohn des Besitzers der Thomasmühle, von seinem Schwager die Böhlitzer Mühle. Sie nutzte die Wasserkraft der Luppe und ist bereits seit dem 13. Jahrhundert belegt. Von der Mühle gingen erste Ansätze einer Industrialisierung in Böhlitz-Ehrenberg aus. Kurz nach dem Erwerb begann Franz Schlobach ein Furniersägewerk einzurichten. Bereits wenige Jahre später galt das Schlobachsche Unternehmen als eines der größten seiner Art in Deutschland.
Das Haus der Familie wurde 1849 von Franz Schlobach erbaut, später jedoch mehrfach verändert. 1896 kam der Turm dazu, 1921/ 22 erfolgte ein villenartiger Umbau durch Walter Schlobach, der auch 1936 das Tor des nach 1920 abgebrochenen Johannishospitals in die Gartenmauer einbauen ließ. Zwei Informationstafeln, die der Förderverein Ortsgeschichte Böhlitz-Ehrenberg anbringen ließ, erinnern an die Geschichte der Villa Schlobach.
Die Auenstraße, an der die Siedlungsanfänge der beiden Teilorte zu suchen sind, macht noch einen teils dörflichen Eindruck, auch wenn kaum noch alte Bausubstanz vorhanden ist. Das älteste Gebäude ist das ehemalige Ehrenberger Forsthaus (Nr. 29) aus dem Jahr 1787, das lange unsaniert zum Verkauf stand, zwischenzeitlich jedoch saniert werden konnte.
Wie üblich, befanden sich früher an der Dorfstraße mehrere Gasthöfe. In Böhlitz-Ehrenberg ist hiervon nicht mehr viel zu sehen. Am historischen Standort (Nr. 33), in einem Neubau aus den 1990er Jahren, lädt die „Grüne Aue“ nach wie vor Gäste ein. Im ehemaligen „Waldmeister“ (Nr. 54) hat sich ein Möbelhaus eingerichtet, das den Traditionsnamen fortführt.
Im heute unscheinbaren Haus Nr. 53, inmitten des alten Böhlitzer Dorfkerns, befand sich einst die „Erbschenke“, die erstmals 1625 erwähnt wurde. Der Besitzer der Schänke besaß nicht nur die Braugerechtigkeit, sondern auch die niedere Gerichtsbarkeit. Zu den Besitzern der Gaststätte, die nach 1900 den Namen „Zum Nordpol“ führte, gehörte der Vater Karl Heines, Johann Carl Friedrich Heine (1771–1843), der auch das Rittergut Neuscherbitz besaß.
Station 2: Haus "Capelle" zur Kartenansicht >>
Einige Meter weiter, an der Ecke Auenstraße/Untere Mühlenstraße, beschreibt eine Informationstafel die Geschichte des heutigen Wohnhauses (Nr. 63), in dem bis 1956 ein gastronomischer Betrieb („Zur guten Quelle“) bestand. Der Name des Hauses „Capelle“ erinnert daran, dass sich hier bis zur Reformationszeit eine dem heiligen Wenzel geweihte Dorfkapelle befunden hat.
Gegenüber schließt sich ein Neubaugebiet an, das auf dem Betriebsgelände des Schlobachschen Furnierwerks errichtet wurde. Unter den drei Söhnen von Franz Schlobach expandierte die Firma – trotz mehrerer Großbrände – weiter, mehrere Zweigwerke wurden errichtet, hochwertige Furnierhölzer weltweit gehandelt. 1993 wurden die Gebäude abgerissen, auf dem Firmenareal entstand ab 1998 eine Wohnsiedlung. Heute erinnern die Straßennamen dieses Neubaugebiets an die ehemalige Nutzung: Zur Sägemühle, Böhlitzer Mühle, Am alten Mühlgraben, Furnierweg und mehrere Namen nach Holzarten.
Durch die Untere Mühlenstraße gelangt man zur Leipziger Straße, die sich durch ihre städtischen Mietshäuser deutlich von der Auenstraße abhebt. Allerdings ist die Bebauung längst nicht so geschlossen und einheitlich wie z.B. in Leutzsch, Lindenau oder Plagwitz.
Die Leipziger Straße ist die Verlängerung der Georg-Schwarz-Straße und eine wichtige Verkehrsverbindung nach Leipzig. Seit 1907 befährt die Straßenbahn die Leipziger Straße bis Gundorf. Das Eckhaus Untere Mühlenstraße/Leipziger Straße führt den Namen „Große Eiche“. Hier befand sich seit 1864 eine Gaststätte gleichen Namens. Das heutige Gebäude ist ein historisierender Neubau, der 1994 als Soziokulturelles Zentrum eröffnet wurde.
Station 3: Von der Schule zur Heimatstube zur Kartenansicht >>
Der Rundgang setzt sich stadteinwärts fort. In der Südstraße Nr. 10 hat sich der Förderverein „Ortsgeschichte Böhlitz-Ehrenberg“ niedergelassen und eine Heimatstube eingerichtet. Das Gebäude wurde 1877 als erstes Schulhaus von Böhlitz-Ehrenberg eröffnet, zuvor mussten die Kinder der damals etwa 500 Einwohner zählenden Gemeinde nach Gundorf ca. 1,5 km zur Schule gehen.
Die rasch wachsende Schülerzahl (1877: 76, 1900: 429) machte Anbauten notwendig, bis sich die Gemeinde zu einem Neubau in der Pestalozzistraße entschied. Die alte Schule diente fortan ab 1903 als Gemeindeamt.
Die nördliche Seite der Leipziger Straße an der Kreuzung zur Entsbergerstraße, die auch schon die Namen Goethes, Bismarcks und Bebels trug, wird von zwei markanten Gebäuden flankiert. Im Eckhaus Nr. 56 befand sich einst die Obstweinschänke „Schloss Ehrenberg“. Der Name erklärt sich bei Betrachtung historischer Aufnahmen, heute lässt der Eckturm allenfalls noch erahnen, warum ein Ausflugslokal sich „Schloss“ nannte. Gegenüber, in einem 1906 errichtete Haus (Nr. 54), befand sich bis 2002 die Post.
Station 4: Evangelisches Gemeindehaus zur Kartenansicht >>
Einige Meter weiter stadteinwärts befindet sich eine kleine Parkanlage. Der Johannes-Weyrauch-Platz hieß bis 2001 Platz des Friedens. Sein ursprünglicher Name Kirchplatz weist aber am ehesten auf die ehemalige Funktion hin. Obwohl die Gemeinde Böhlitz-Ehrenberg 1900 bereits circa 2000 Einwohner hatte, galt weiterhin die seit der Reformation bestehende Pfarrzugehörigkeit zu Gundorf. Der Ort verfügte über keine eigene Kirche.
Seit 1904 fanden Gottesdienste in der Aula der neuen Schule statt. 1910 erfolgte die Erhebung zu einer eigenen Pfarrei. Aber es sollte noch bis Mitte der 1920er Jahre dauern, bis Böhlitz-Ehrenberg ein „Gotteshaus“ erhielt, das architektonisch in Leipzig einzigartig ist. Als erstes entstand ein Glockenturm, danach ein Gemeindehaus, das 1927 eingeweiht wurde. Doch dabei blieb es, denn die Weltwirtschaftskrise verhinderte den Bau der Kirche, der auch später nicht zustande kam. Daher bildet das Gemeindehaus, ein Hauptwerk des Art Décos in Leipzig, seither das Zentrum des evangelischen Gemeindelebens in Böhlitz-Ehrenberg.
Station 5: Pestalozzistraße zur Kartenansicht >>
Der Johannes-Weyrauch-Platz stößt auf die Pestalozzistraße, die an dieser Stelle in ihrer Gesamtheit vorgestellt werden soll. Sie verläuft südlich der Leipziger Straße von Osten nach Westen durch Böhlitz-Ehrenberg und endet an der neuen Ortsmitte, einem städtebaulichen Versuch, der Großgemeinde in den 1990er Jahren zwischen Böhlitz und Gundorf ein Versorgungs-, Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum zu schaffen.
Die Pestalozzistraße, wie auch die Querstraßen (Pflaume-, Süd-, Biela-, Untere Mühlenstraße), sind geprägt von gründerzeitlichen Wohn- und Mietshäusern aus der Zeit zwischen ca. 1900 und 1914, aber in der für Böhlitz-Ehrenberg typischen aufgelockerten Bebauung. Am Beginn der Stefan-Zweig-Straße, die erst König-Albert- und später Schillerstraße hieß, stehen zwei Villen. Im Eckhaus (Nr. 1) wohnte der Schuldirektor und Ortschronist Clemens Bartsch, in der ca. 1902 erbauten Landhausvilla Nr. 3 befindet sich heute ein Ärztehaus. Ähnlich der Obstweinschänke an der Leipziger Straße nannte sich die ehemalige Gaststätte im Eckhaus an der Pflaumestraße (Pestalozzistr. 21) „Schloss“. Doch auch hier lässt sich die einstige Pracht des Schlosses Wettin kaum noch erahnen.
In der Pestalozzistraße (Nr. 17) erhielt die katholische Minderheit 1953/ 54 eine kleine, der heiligen Hedwig geweihte Kirche. Auf die St.-Hedwigs-Kirche zu verläuft schnurgerade die Entsbergerstraße. An ihr stehen Mietsvillen unterschiedlichster Architekturstile. Neben einer Villa im Landhausstil (Nr. 22) steht ein 30 Jahre jüngeres Mietshaus (Nr. 24) mit expressionistischen Zügen. Hinter beiden Häusern befinden sich noch Gebäude der ehemaligen Elektrotechnischen Fabrik Julius Kalb & Co.
Station 6: Heinrich-Pestalozzischule zur Kartenansicht >>
Das größte Gebäude an der Pestalozzistraße ist die Pestalozzischule (Nr. 39/ 41). Der Bau erfolgte 1903, nachdem die alte Schule in der Südstraße keine Erweiterungsmöglichkeiten mehr bot. Als die Schülerzahlen weiter anstiegen (1903: 494, 1914: 1150), wurde zwischen 1908 und 1914 im Westen ein Flügel angebaut, sodass der bestehende Winkelbau entstand. Die Heinrich-Pestalozzi-Schule beherbergt heute eine Oberschule.
Station 7: Wasserturm zur Kartenansicht >>
Kurz vor der Schule quert die Bielastraße die Pestalozzistraße. An ihr steht das Wahrzeichen Böhlitz-Ehrenbergs: der Wasserturm. Er wurde 1911/ 12 errichtet, um die zentrale Wasserversorgung des Ortes zu gewährleisten. Die Turmhöhe misst imposante 54,60 m, der Hochbehälter fasst 450 m³ Wasser. 2006 fanden umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen statt, seither hat der Turm allerdings seine eigentliche Funktion verloren.
Südlich der Biela- und entang der Heinrich-Heine-Straße schließt sich ein Gewerbegebiet an, das auf den ehemaligen Industriestandort Böhlitz-Ehrenberg verweist. Der Ort war bis 1990 bekannt für seine Maschinenbau-Betriebe. Daneben zeigt sich aber auch eine Vielfalt an weiteren Wirtschaftszweigen, die in Böhlitz-Ehrenberg vertreten waren.
Download: Tabelle und Grafik der Industriebranchen in Böhlitz-Ehrenberg um 1988
Lizenz: alle Rechte beim IfL, Stand: 27.05.2015
Empfohlene Zitierweise
Heinz Peter Brogiato: “Böhlitz-Ehrenberg – Kleinstädtisches Gepräge” in Landschaften in Deutschland Online.
URL: http://landschaften-in-deutschland.de/exkursionen/78_e_506-boehlitz-ehrenberg/, Stand 30.04.2015
Quellen und weiterführende Literatur
- Vorschaubild: Auenstraße und Leipziger Straße, Ansichtskarte um 1915. IfL: PKL-Boehl004
- Titelbild: © Mapbox © OpenStreetMap, Bearbeitung: Vera Schreiner (IfL)
- ACHTNER, Denis (2009): Streifzüge durch Böhlitz-Ehrenberg. Alter Ortskern, Rund um den Wasserturm, Gundorf. – Leipzig.
- ACHTNER, Denis (2012): 100 Jahre Wasserturm Böhlitz-Ehrenberg. – Leipzig.
- BARTSCH, Clemens (1936): Böhlitz-Ehrenberg in alter und neuer Zeit. Zur 100-Jahrfeier der Vereinigung der Gemeinden Böhlitz und Ehrenberg. – Böhlitz-Ehrenberg.
- BRIEL, Cornelia (2000): Böhlitz-Ehrenberg. Eine historische und städtebauliche Studie (hg. von Pro Leipzig e. V.). – Leipzig.
- DENZER, Vera; DIX, Andreas; PORADA, Haik Thomas (Hrsg.) (2015): Leipzig: Eine landeskundliche Bestandsaufnahme. Landschaften in Deutschland, Bd. 78. – Köln.
- Förderverein Böhlitz-Ehrenberg e.V. (Hrsg., 2002): Die Industriegeschichte von Böhlitz-Ehrenberg. – Leipzig.
- GERMANUS, Wolfgang (2009): Historisches Böhlitz-Ehrenberg (= Böhlitzer Hefte). – Leipzig.
- SCHMIDT, Helge (2006): Die Straßen von Böhlitz-Ehrenberg. Streifzug durch die Geschichte der Straßen, Plätze und Gebäude. – Leipzig.